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Politische Theorie des Geldes | Geldpolitik | bpb.de

Geldpolitik Editorial Politische Theorie des Geldes Die neue geldpolitische Strategie der Europäischen Zentralbank. Grundlagen und Herausforderungen Zentralbankkapitalismus. Das (Schatten-)Bankensystem in der Krise Inflation und Inflationsangst Eine kurze Geschichte der Europäischen Währungsunion Monetäre Kriegsführung Modern Monetary Theory. Rückkehr des gesamtwirtschaftlichen Denkens Kryptowährungen und ihre Bedeutung im Finanzsystem Der CFA-Franc. Afrikas letzte Kolonialwährung

Politische Theorie des Geldes

Carolin Müller

/ 15 Minuten zu lesen

Statt eines neutralen Tauschmittels ist Geld Ausdruck sozialer Beziehungen von Kredit und Schuld. Diese Sicht hat weitreichende Implikationen für die Analyse von Geldschöpfung, Staatsverschuldung und Finanzpolitik.

Wir alle wissen, wie Geld funktioniert. Schließlich nutzen wir es täglich, um damit Dinge zu bezahlen. In der arbeitsteiligen Gesellschaft werden wir für unsere Arbeit in Geld bezahlt und können uns nach Feierabend davon zum Beispiel Brot kaufen. Gegen das Brot muss ich nicht das direkte Ergebnis meiner täglichen Arbeit tauschen, was in einer Dienstleistungsgesellschaft auch besonders kompliziert wäre, sondern ich kann das Brot gegen den entsprechenden Wert des allgemeinen Tauschmittels Geld tauschen. Entweder ich übertrage direkt mit meiner Bankkarte Teile des Guthabens auf meinem Konto, oder ich mache noch einen Umweg zum Bankautomaten.

Geld erscheint also in erster Linie als eine allgemein akzeptierte Ware, um Tauschprozesse gegen andere Waren zu vereinfachen. Neben der Funktion von Geld als Tausch- und Zahlungsmittel definiert die Ökonomik Geld meist noch über seine Funktionen als Recheneinheit, mit der Waren in ein Verhältnis gesetzt werden können, sowie als Wertaufbewahrungsmittel, da mit Geld Werte über einen längeren Zeitpunkt gespeichert werden können.

Die Vorstellung, Geld sei in erster Linie ein Tauschmittel, mit dessen Hilfe alle anderen Güter gehandelt werden können, ist allerdings weniger unbestrittene Realität als eine spezifische Theorie. Geld sei demnach eine Ware, die spontan als Erleichterung des Tausches von Gütern in einer komplexer werdenden Ökonomie entstanden ist. Diese Vorstellung von Geld ist nicht nur in unserem Alltagsverständnis etabliert, sondern auch evident in einer Reihe von akademischen Ansätzen und die implizite Grundannahme vieler politischer Debatten. Nicht zuletzt übersetzt sich dieses Verständnis auch in Ansprüche, die wir an die Steuerung der Geldordnung stellen, was sich beispielsweise im Mandat der Zentralbanken materialisiert.

Geld als Tauschware zu verstehen, bedeutet, es in seinem Einfluss auf Wirtschaftsabläufe als weitgehend neutral zu betrachten. Damit Geld funktioniert, sei lediglich wichtig, dass der Geldwert relativ stabil ist, das heißt, dass die Geldmenge im richtigen Verhältnis zur bestehenden Warenproduktion steht. Der Wert des Geldes sei folglich in erster Linie Produkt aus wirtschaftlicher Nachfrage und dem Angebot von Geld. Wie bei jeder anderen Ware seien es also letztlich Marktprozesse, die ihm seinen Wert beimessen. Damit wird auch impliziert, dass sich die Geldproduktion an der Gesamtheit handelbarer Waren orientieren müsse, um marktwirtschaftliche Prozesse nicht zu stören. Geldschöpfung sei also immer eine Frage bereits getätigter Warenproduktion.

Geld ist Kredit

Kredittheorien des Geldes postulieren hingegen, dass das, was nach einem Tausch aussieht, eigentlich ein Kreditverhältnis ist. Geld, darauf hat etwa der Soziologe Geoffrey Ingham hingewiesen, besteht aus Kredit-Schuld-Verhältnissen, das heißt: aus sozialen Beziehungen. Geld ist zum einen eine Verbindlichkeit und zum anderen eine Forderung. Geld zu "haben" bedeutet, über eine Forderung gegen den Herausgeber dieses Geldes zu verfügen. So ist die Sichteinlage auf einem Girokonto eine Schuld der Bank zugunsten der Kontoinhaberin. Gleichzeitig ist Geld als generalisiertes Zahlungsmittel das Versprechen an die Kontoinhaberin, dass dieses Guthaben als Tilgungsmittel akzeptiert wird und damit alle Verpflichtungen aufgelöst werden können, die in derselben Recheneinheit ausgewiesen wurden.

Geld entsteht dadurch, dass wir bei allen wirtschaftlichen Transaktionen Verbindlichkeiten miteinander eingehen und diese wieder auflösen. Während Tauschtheorien auf der historisch wenig adäquaten Vorstellung beruhen, Geld sei zur Vereinfachung des Tausches gleichwertiger Güter entstanden, erklären Kredittheorien, dass auch vormonetäre Wirtschaftssysteme von Praktiken der Vorleistung, Leihe und Verpflichtung geprägt waren. Geld, so zeigt es etwa Axel Paul, ist als Tilgungsmittel von Schuldverhältnissen entstanden.

Geld ist also ein Zahlungsmittel, das immer aus einem Schuldverhältnis entsteht. Bei jeder monetären Transaktion entstehen eine Verschuldung und gleichzeitig eine Tilgung von Schulden. Ingham beschreibt Geld in seiner Gesamtheit deshalb als "riesiges, dichtes Netzwerk sich überschneidender und miteinander verbundener multilateraler Kredit-Schulden-Beziehungen". Die Einsicht, dass Geld aus einer Schuld, also aus einer Verpflichtung entsteht, heißt auch zu erkennen, dass die Tilgung dieser Schuld, also die Bedienung der Verpflichtung, ein solches Schuldverhältnis auflöst und Geld wieder verschwindet. Damit ein relativ stabiles Geld-"Netzwerk" bestehen kann, ist es also nicht nur notwendig, dass Verpflichtungen zu vereinbarten Konditionen erfüllt werden, sondern ebenso, dass immer wieder neue Kredit-Schuld-Verhältnisse geschlossen werden. Kurz gesagt: würden alle Schulden zurückgezahlt werden, wäre alles Geld verschwunden.

Kredittheorie bedeutet also anders gesagt, ernst zu nehmen, dass es für jeden Vermögenswert eine Verbindlichkeit und für jeden Schuldposten einen Kredit gibt. Anstatt Geld vom Tausch und der Herstellung von Waren her zu denken, werden diese Beziehungen der Schuld zur Grundlage ökonomischer Theorie. Wirtschaft wird damit von den Verpflichtungen her gedacht, die Akteure bei jeder Art ökonomischer Aktivität eingehen und wieder auflösen. Der Einkauf beim Bäcker ist kein Tausch eines Brotes gegen einen gleichwertigen Anteil der universalen Stellvertreterware Geld. Stattdessen bedeutet die Übergabe der Ware Brot in meinen Besitz, dass ich mich in eine Verschuldungsposition gegenüber der Bäckerei begebe. Diese kann ich nun durch das allgemeine Zahlungsmittel Euro auflösen und den Ort mit Brot verlassen, ohne eine Anzeige zu befürchten. Diese Art monetärer Transaktion ändert gleichzeitig etwas auf dem Kontostand bei meiner Bank. Mit der Verringerung meines Guthabens verringert sich der Umfang an Forderungen, die ich gegenüber meiner Bank habe. Andersherum wächst der Kontostand der Bäckerei, ihre Forderungen gegen ihre Bank steigen also. Jede finanzielle Handlung hat damit einen ganzen Rattenschwanz von Konsequenzen auf Kredit-Schuld-Beziehungen in einem weltweiten Netzwerk von Zahlungsverpflichtungen.

Kredittheorien haben meist gemeinsam, dass sie der Institution, die Geld herausgibt, entscheidende Bedeutung beimessen. Im Anschluss an den Chartalismus wird eine Forderung in erster Linie deshalb zu der allgemeinen Recheneinheit "Geld", weil sie mit der Souveränität eines bestimmten Herrschaftsapparats ausgestattet ist. Zum einen ist es also letztlich die Anerkennung durch eine Autorität, die ein Schuldverhältnis zwischen zwei Akteuren zu Geld macht: "everyone can create money; the problem is to get it accepted." Zum anderen ist eine staatliche Struktur notwendig, um eine monetäre Ordnung relativ sicher, das heißt krisenfest zu machen. Der Staat spielt also eine zentrale Rolle für die Entstehung und Reproduktion der Geldordnung.

Unser Geldsystem besteht im Kern aus zwei Arten von Forderungen. Zum einen gibt es Forderungen gegen die Zentralbank, die in Form von Bargeld im Umlauf sind. Aber auch die Sichteinlagen, welche Geschäftsbanken auf ihren Konten bei der Zentralbank haben, sind Zentralbankgeld, auch high powered money oder Geldbasis genannt. Zum anderen existiert Geld als Guthaben auf Bankkonten. Dieses Giralgeld macht für wirtschaftliche Transaktionen den weitaus größeren Anteil des Geldes aus. Beide Geldarten können, abgesehen von praktischen Gründen, in gleicher Weise für Zahlungen verwendet werden. Allerdings handelt es sich bei Geschäftsbankdepositen nicht um das gesetzliche Zahlungsmittel wie bei Zentralbankgeld, sondern um privat geschöpftes Geld. Der Unterschied wird klar, wenn man statt der Funktion dieser Geldarten als Zahlungsmittel ihre Entstehung betrachtet.

Private Geldschöpfung

Wenn eine Geschäftsbank einen Kredit vergibt, werden in ihrer Bilanz auf der einen Seite ein Vermögen (das Versprechen des Kreditnehmers, den Kredit zurückzuzahlen) und auf der anderen eine Verbindlichkeit in gleicher Höhe verbucht. Durch das Prinzip der doppelten Buchführung wird eine Transaktion also zweimal erfasst, auf der Aktivseite als Forderung und auf der Passivseite als Verbindlichkeit. Die Gesamtbilanz bleibt dadurch immer ausgeglichen (ist immer gleich null). Für die kreditnehmende Person entstehen ebenfalls Verpflichtungen, nämlich den Kredit zurückzuzahlen, und ein Vermögen in Form von neu geschaffenen Depositen. Bei einer Kreditvergabe wird also nicht etwa ein bereits existierendes Vermögen verschoben, das zuvor zum Beispiel von einer anderen Bankkundin angespart wurde. Stattdessen erweitern sich die Bilanzen der beteiligten Akteure, es werden neue Vermögenswerte und neue Schulden geschaffen. Das von der Geschäftsbank geschaffene Geld kann durch die Kreditnehmerin nun zum Beispiel benutzt werden, um etwas in einem Laden zu kaufen. Wenn der Laden sein Konto bei einer anderen Bank hat, wird das Guthaben an diese übertragen. Die Bank des Ladens hat nun eine Forderung gegen die Bank der Käuferin. Diese Bank muss den Abfluss von Einlagen nun refinanzieren, etwa indem sie bei der Zielbank einen Kredit aufnimmt oder durch eine Umbuchung von Geld auf den Zentralbankkonten über den Geldmarkt.

Zwar handelt es sich bei diesem durch private Banken geschöpften Geld nicht um Zentralbankgeld. Es kann aber jederzeit zum Nennwert, das heißt ohne Wertverlust, bei der Zentralbank gegen Zentralbankgeld getauscht werden. Dafür können Geschäftsbanken ihre Sichteinlagen bei der Zentralbank – also ein Guthaben von Zentralbankgeld – gegen Bargeld eintauschen, welches sie wiederum an ihre Kund*innen weitergeben. An dieser Stelle liegt häufig ein Missverständnis vor. Oft wird angenommen, das Versprechen auf Konvertierbarkeit gegen Zentralbankgeld würde Geschäftsbanken in ihrer Kreditvergabe von der Entscheidung der Zentralbanken abhängig machen, Zentralbankgeld als Kredit zu schöpfen und herauszugeben, oder der Geschäftsbank marktgängige Wertpapiere wie Staatsanleihen abzukaufen. Schließlich müsse jede Geschäftsbank auf ihrem Konto bei der Zentralbank eine bestimmte Menge an Guthaben halten, um Kundenguthaben zwischen sich und anderen Banken zu transferieren, Bargeld abrufen zu können und eine Mindestreserve, also eine gesetzlich vorgeschriebene Menge an Zentralbankgeld, als Sicherheit zu halten. Tatsächlich bestätigen inzwischen sogar Zentralbanken selbst, dass Banken sich bei ihrer Geldschöpfung nicht am Status ihrer Zentralbankkonten orientieren, da ein Bedarf an zusätzlichen Reserven durch Neuschöpfung der Zentralbank praktisch immer ausgeglichen würde. Die unmittelbare Kreditschöpfung orientiert sich daher vor allem an unternehmerischen Risiko- und Profitabilitätskalkülen.

Dieser Zugang zu Zentralbankreserven, durch den private Schuldverhältnisse in das "ranghöchste" gesetzliche Zahlungsmittel konvertiert werden können, ist ein besonderes Privileg privater Geschäftsbanken und stellt eine Besonderheit des Geldes im Kapitalismus dar. Das dadurch im Grunde unbegrenzte Angebot an Kreditgeld ist einerseits die Voraussetzung für das enorme dynamische Potenzial des Kapitalismus, andererseits aber auch für die hohe Fragilität, die sich immer wieder in Finanzkrisen offenbart. Während die Frage, wieviel und für wen Geld geschöpft wird, in unserer Gesellschaft also vor allem durch die Gewinnbestrebungen privater Banken beantwortet wird, sind es in Krisen staatliche Institutionen, die das System privater Geldschöpfung stabilisieren.

Geld ist also nicht nur ein Schuldverhältnis, sondern durch dessen privatisierte Produktion auch eine öffentlich-private "hybride" Institution. Es entsteht aber nicht nur in komplexen Beziehungen zwischen dem Bankensystem und der öffentlichen Institution Zentralbank, sondern insbesondere auch zwischen dem Staat und seinen eigenen Gläubiger*innen, also den Besitzer*innen von Staatsanleihen. Das wird verständlich, wenn man den zweiten Bereich der Geldschöpfung betrachtet, der sich in Abgrenzung zur privaten Geldschöpfung als öffentliche Geldschöpfung bezeichnen lässt.

Öffentliche Geldschöpfung

Chartalistische Ansätze erklären die Entstehung einer stabilen Recheneinheit damit, dass eine Autorität, etwa ein Staat, Zahlungsmittel herausgibt und gleichzeitig verspricht, genau diese Einheit als Tilgungsmittel von Steuerschulden zu akzeptieren. Ein als solvent und legitim angesehener Staat, der fähig ist, Steuern zu erheben, ist damit potenziell der größte und wichtigste Kreditnehmer und -geber einer Volkswirtschaft. Inwiefern er fähig ist, selbst und zugunsten seiner eigenen Zahlungsfähigkeit Geld zu schöpfen, hängt aber wiederum von spezifischen historischen Arrangements zwischen Zentralbank, Finanzministerium und privaten Finanzmarktakteuren ab.

Staaten, die ein Konto bei ihrer nationalen Zentralbank haben, können Ausgaben tätigen, indem die Zentralbank ihnen Depositen erstellt und im Gegenzug eine Staatsanleihe als Vermögenswert akzeptiert, ähnlich der privaten Kreditvergabe. Diese Depositen, also neu geschaffenes Zentralbankgeld, können anschließend genutzt werden, um Ausgaben zu tätigen. Sie werden auf die Geschäftsbankkonten der Zahlungsempfänger*innen übertragen, die wiederum ihren Kund*innen den entsprechenden Betrag gutschreiben. Diese Art der Geldschöpfung, in der eine Institution des Staates (das Finanzministerium) von einer anderen öffentlichen Institution (der Zentralbank) über die Ausgabe einer Staatsanleihe Geld in ihrer eigenen Währung erhält, wird auch direkte Monetarisierung genannt.

Den meisten Staaten ist dieser direkte Zugriff auf die Geldschöpfung der Zentralbank verboten. Was aber meist akzeptiert wird, ist eine indirekte Monetarisierung von Staatsanleihen. Dafür müssen Staatsanleihen von den Finanzministerien erst auf privaten Geldmärkten an Banken, Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften oder andere private Akteure verkauft werden, bevor die Zentralbank sie gegen Zentralbankgeld in ihre eigene Bilanz aufnehmen kann. Erst wenn private Akteure also die Entscheidung getroffen haben, zum einen Staatsanleihen zu kaufen und diese zum anderen im Anschluss mit der Zentralbank zu tauschen, um Reserveguthaben zu erhalten, wird neues Zentralbankgeld geschöpft. Sobald der Staat aber sein neues Guthaben auf dem Zentralbankkonto ausgibt, das heißt Überweisungen an die Geschäftsbanken von Unternehmen tätigt, wird Giralgeld geschöpft.

Staatsanleihen dienen also nicht einfach nur den Finanzministerien als Möglichkeit, Geld für öffentliche Ausgaben zu schaffen. Wie bei allen Schulden entsteht auch hier zugleich Vermögen. Öffentliche Schuldverschreibungen sind besonders begehrte Wertpapiere, weil sie gemeinhin als sehr sicher gelten. Banken nutzen Staatsanleihen daher als Pfand, um sich neu geschaffenes Zentralbankgeld bei der Zentralbank zu leihen. Als wichtigste Vermögenstitel der Zentralbanken sind Staatsanleihen zudem die Basis geldpolitischer Instrumente und die "ultimative Grundlage des Kredit-Geldes". Ihre Emittierung erzeugt die hierarchisch höchste Forderung, das Zentralbankgeld, weshalb sie für die Existenz der Geldordnung essenziell sind. Auf den Finanz- und Geldmärkten sind sie zudem das wichtigste und damit für die Stabilität des Finanzsystems entscheidende Mittel, um Transaktionen abzusichern. Öffentliche Verschuldung kann also nicht mit der privater Akteure gleichgesetzt werden, sondern ist wesentliches Gegenstück für die Erzeugung von Zahlungsfähigkeit.

Eine Zentralbank kann in ihrer eigenen Währung nicht zahlungsunfähig werden. Sie gibt bereits die hierarchisch höchste Forderung heraus, das Zentralbankgeld. Das heißt, es gibt kein Versprechen der Konvertierbarkeit von Forderungen gegen die Zentralbank in andere, höhere Vermögenswerte. Die Zentralbank ist daher im Grunde immer fähig, Geldmärkten Mittel zur Verfügung zu stellen, um Staatsanleihen zu erwerben und somit die Finanzierung von Staatsausgaben faktisch zu garantieren. Eine Zentralbank kann theoretisch beliebig viel Geld schaffen und Wertpapiere in ihre Bilanz aufnehmen. Solange sich Staaten in ihrer eigenen Währung verschulden, so könnte man vereinfachend sagen, ist eine indirekte Monetarisierung also primär dadurch begrenzt, dass private Anleihehändler annehmen müssen, die Höhe der Staatsausgaben werde den Wert der zugrunde liegenden Anleihe nicht schmälern.

In der Realität ist ein wichtiger Faktor für dieses Vertrauen die Einhaltung von Konventionen legitimer Budgetgrenzen. Dahinter liegt die Annahme, die Versuchung von Staaten, Geld zu "drucken", um Ausgaben zu finanzieren, müsse durch die Reaktion des Anleihemarktes eingedämmt werden, um negative Effekte für das Geldsystem zu verhindern. Wo diese Grenzen von Staatsverschuldung und öffentlicher Geldschöpfung liegen und welche sonstigen Faktoren die Kreditwürdigkeit eines Staates ausmachen, ist aber nicht etwa Ergebnis unbestrittener wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern vielmehr Gegenstand kontinuierlicher Aushandlungsprozesse um die monetäre Ordnung und damit eine genuin politische Frage.

Folgen geldtheoretischer Annahmen

Die Handlungsspielräume, die Zentralbanken, Finanzministerien und privates Finanzsystem bei der öffentlichen Geldschöpfung haben, wurden in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verschoben. Die Tendenz ging dahin, öffentliche Ausgaben zunehmend von der Geldschöpfung der Zentralbank zu entkoppeln, Fiskal- und Geldpolitik also bestmöglich zu trennen. Diese Entwicklung hängt auch mit geldtheoretischen Grundvorstellungen zusammen. Wie oben erläutert, wird Geld in wirtschaftspolitischen Debatten zumeist im Sinne der warentheoretischen Konzeptionalisierung als neutrales Tauschmittel begriffen. Demzufolge ist es sinnvoll, dass Zentralbanken möglichst unpolitische Institutionen sind, deren Aufgaben primär in der Stabilisierung des Geldwertes liegen. Staatsausgaben und öffentliche Verschuldungspapiere erscheinen darin als überhöhte Ausgaben statt als Grundpfeiler des Geld- und Wirtschaftssystems.

Besonders konsequent wurde dies in der Eurozone umgesetzt. Während die Europäische Zentralbank (EZB) für die Geldpolitik aller Mitgliedsländer verantwortlich ist, blieben Steuer- und Haushaltspolitik in der Hand nationaler Regierungen. Die Mitgliedsstaaten verschulden sich also weiterhin eigenständig, allerdings in einer Währung, über die sie keine politische Kontrolle haben, vergleichbar mit einer Fremdwährung. Der EZB ist es nicht nur verboten, die Ausgaben von Mitgliedsstaaten direkt durch Geldschöpfung zu monetarisieren, sondern auch der indirekte Ankauf von Staatsanleihen ist ausschließlich für geldpolitische Ziele erlaubt. Als weiteres Novum gaben sich die Mitgliedsländer mit den Maastricht-Kriterien besonders strenge Fiskalregeln und Verschuldungsgrenzen. Staatliche Zahlungsfähigkeit und Geldschöpfung sind nunmehr vollständig abhängig von der Etablierung öffentlicher Kreditwürdigkeit gegenüber privaten Finanzmärkten. Im Anschluss an die globale Finanzkrise zeigten sich die Konsequenzen dieser neuen Geldordnung. Ohne hier auf die besonderen Probleme einzelner Euroländer eingehen zu können, lässt sich sagen, dass den Mitgliedsstaaten letztlich die Möglichkeit fehlte, notwendige Maßnahmen zur Bewältigung der Krise zu ergreifen, ohne ihre Kreditwürdigkeit und dadurch ihre monetäre Handlungsfähigkeit zu verlieren. Es fehlte das, was Kredittheorien als Voraussetzung einer funktionierenden Geldordnung beschreiben: die Anwesenheit einer Autorität, die dem Kreditsystem im Krisenfall Liquidität zur Verfügung stellen und damit das System aus Kredit-Schuld-Beziehungen stabilisieren kann. Dieser Zustand änderte sich teilweise ab 2012 mit den unkonventionellen Programmen quantitativer Lockerung. Die Gründe für die Staatsanleihenkäufe der Zentralbank seit der Finanzkrise liegen also nicht einfach in der spontanen Entlastung knapper Staatskassen, sondern haben geldpolitische Ursachen. Sie hängen mit der spezifischen Struktur der globalen Geldordnung und des europäischen Geldsystems zusammen.

Für den problemlosen Ablauf alltäglicher Zahlungen ist ein Tauschverständnis von Geld offenbar weder hinderlich noch gänzlich falsch. Die Relevanz der Unterscheidung zwischen Tausch- und Kreditgeld wird besonders anhand monetärer Themen deutlich, die über diese alltäglichen Transaktionen hinausgehen – etwa dann, wenn die Nachrichten davon berichten, dass das Geld nach vielen Jahren wieder an Wert verliert und die Frage aufgeworfen wird, ob eine fehlgeleitete Geldpolitik schuld daran ist. Oder bei der Bewertung, ob es dem Gemeinwohl wirklich zuträglich ist, wenn der neue Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Euroländer nun schnellstmöglich dazu bringen möchte, ihre Staatsschulden abzubauen. Hier führen verschiedene Grundannahmen darüber, was Geld ist und wie es entsteht, zu unterschiedlichen Schlüssen darüber, wie Geldpolitik funktioniert und was sie leisten sollte.

Das Verständnis über die Natur des Geldes, was es ist und wie es erzeugt wird, ist verbunden mit der Frage, wer die Kontrolle über seine Herstellung und damit auch über seine Verwendung haben sollte. Die Behauptung, Geld sei nichts weiter als ein neutrales Element in der Wirtschaft, impliziert, dass man es getrost aus der Politik heraushalten kann. Es als "Netzwerk" von Schuldbeziehungen zu verstehen, bedeutet, Geld als konstitutiv für das Gemeinwesen zu verstehen. Es ist somit keinesfalls egal, wer Geld für wen schaffen kann, noch ist es unzweifelhaft, dies zunehmend in die Entscheidungsbefugnis weniger privater Akteure zu geben. Die Entscheidung darüber, welche Ansprüche eine Gesellschaft an ihr Geldsystem stellen kann und sollte, ist eine genuin politische Frage, die auch als solche diskutiert werden sollte.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Otmar Issing, Einführung in die Geldtheorie, München 2007, S. 2.

  2. Vgl. Aaron Sahr, Die monetäre Maschine: Eine Kritik der finanziellen Vernunft, München 2022, S. 35.

  3. Vgl. Geoffrey K. Ingham, The Nature of Money, Cambridge 2004, S. 72.

  4. Vgl. Axel T. Paul, Theorie des Geldes zur Einführung, Hamburg 2017, S. 61.

  5. Ingham (Anm. 3), S. 73, eigene Übersetzung.

  6. Vgl. Dirk J. Bezemer, Towards an ‚Accounting View‘ on Money, Banking and the Macroeconomy: History, Empirics, Theory, in: Cambridge Journal of Economics 5/2016, S. 1275–1295, hier S. 1276.

  7. Um diese nachzuvollziehen, machen einige Kredittheorien Bankbilanzen zum Ausgangspunkt ihrer Analysen von Praxen der Verschuldung und Schuldentilgung. Vgl. Bezemer (Anm. 6), S. 1279; Sahr (Anm. 2), S. 120ff.

  8. Der Chartalismus geht im Anschluss an Georg Friedrich Knapp davon aus, dass Geld vom Staat geschaffen wird, indem er es als gesetzliches Zahlungsmittel anerkennt. Vgl. Georg Friedrich Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, Leipzig 1918.

  9. Hyman P. Minsky, Stabilizing an Unstable Economy, New Haven 1986, S. 228.

  10. Vgl. Charles A. E. Goodhart, The Two Concepts of Money: Implications for the Analysis of Optimal Currency Areas, in: European Journal of Political Economy 3/1998, S. 407–432, hier S. 408.

  11. Tatsächlich handelt es sich beim Zahlungsverkehr zwischen Banken um weit verwickelte Vorgänge. Für detaillierte Erklärungen siehe Joscha Wullweber, Zentralbankkapitalismus. Transformationen des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten, Berlin 2021, S. 95ff.

  12. Vgl. Michael McLeay/Amar Radia/Ryland Thomas, Money Creation in the Modern Economy, in: Bank of England Quarterly Bulletin 1/2014, S. 14–27.

  13. Vgl. Friedo Karth/Carolin Müller/Aaron Sahr, Geld in privaten Händen: Missverständnisse und Missverhältnisse monetärer Souveränität in Europa (I), 21.1.2020, Externer Link: http://www.soziopolis.de/geld-in-privaten-haenden.html.

  14. Der Ökonom Perry Mehrling spricht beim Geldsystem von einer "Hierarchie" verschiedener Zahlungsversprechen. Vgl. Perry Mehrling, The Inherent Hierarchy of Money, Social Fairness and Economics, S. 394–404.

  15. Vgl. Joscha Wullweber, The Politics of Shadow Money: Security Structures, Money Creation and Unconventional Central Banking, in: New Political Economy 1/2020, S. 69–85.

  16. Vgl. Beat Weber, Democratizing Money? Debating Legitimacy in Monetary Reform Proposals, Cambridge 2018, S. 46.

  17. Vgl. Geoffrey K. Ingham, Capitalism, Cambridge 2008, S. 74.

  18. Vgl. ders., Money, Cambridge 2020, S. 88.

  19. Vgl. Friedo Karth/Carolin Müller/Aaron Sahr, Staatliche Zahlungs(un)fähigkeit: Missverständnisse und Missverhältnisse monetärer Souveränität in Europa (II), 28.1.2020, Externer Link: http://www.soziopolis.de/beobachten/wirtschaft/artikel/staatliche-zahlungsunfaehigkeit.

  20. Ingham (Anm. 17), S. 75.

  21. Vgl. ders. (Anm. 18), S. 95.

  22. Vgl. Randall Germain/Herman Schwartz, The Political Economy of Failure: The Euro as an International Currency, in: Review of International Political Economy 5/2014, S. 1095–1122, hier S. 1108. Siehe hierzu auch die Beiträge von Ulrike Neyer und Joscha Wullweber in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  23. Vgl. Lindner will verbindlichen Abbaupfad für Schulden der Euroländer, 14.2.2022, Externer Link: http://www.spiegel.de/a-ea4d1c9f-247c-4438-aea1-41efa2a732bb.

  24. Vgl. Perry Mehrling, Financialization and Its Discontents, in: Finance and Society 1/2017, S. 1–10, hier S. 1. Aaron Sahr spricht gar von Geld als gesellschaftliche Infrastruktur, die gesellschaftlich bereitgestellt wird und politisch gestaltet werden sollte. Vgl. Sahr (Anm. 2), S. 146ff.

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ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung und Mitglied der Forschungsgruppe "Monetäre Souveränität".
E-Mail Link: carolin.mueller@his-online.de