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Im Zweifel für die Sicherheit | Freiheit und Sicherheit | bpb.de

Freiheit und Sicherheit Editorial Zwischen Leviathan und Kantischem Rechtszustand. Über das schwierige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit Dynamiken der Sicherheit. Sicherheit und Unsicherheit in historischer Perspektive Zwischen individueller Freiheit und staatlicher Sicherheitsgewähr. Wandlungen des Rechtsstaats in unsicheren Zeiten Der Pandemiestaat als nervöser Staat. Zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in Krisenzeiten Politik der Inneren Sicherheit. Politisierungsdynamiken und Politikänderungen Im Zweifel für die Sicherheit. Haltungen der Bevölkerung zur Verteidigung von Freiheit und Sicherheit Illusion der Sicherheit. Warum wir uns mit der Freiheit so schwertun

Im Zweifel für die Sicherheit Haltungen der Bevölkerung zur Verteidigung von Freiheit und Sicherheit

Markus Steinbrecher

/ 15 Minuten zu lesen

Bürgerinnen und Bürger räumen Freiheitsrechten in ihren Werteorientierungen durchaus großen Stellenwert ein. Geht es aber um Haltungen zu konkreten politischen Fragen oder Maßnahmen, hat die Sicherheit immer Vorrang vor der Freiheit.

Das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit ist ein altbekanntes und ständig wiederkehrendes Thema der praktischen Politik wie der normativen politischen Theorie. Zahlreiche Philosophen, Parteien, Politiker und Bürger haben sich damit auseinandergesetzt, wie beide Prinzipien am besten gegeneinander abgewogen und ausbalanciert werden können. Dieser Abwägungsprozess ist vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und Ereignisse wie der Coronapandemie und dem Ukraine-Krieg bedeutsam und hoch aktuell.

In der Hierarchie menschlicher Werteprioritäten geht die Sicherheit der Freiheit empirisch voraus. Erst, wenn Sicherheit gewährleistet ist beziehungsweise Sicherheitsbedürfnisse befriedigt sind, streben Menschen nach Freiheit oder kümmern sich um die Erfüllung von Selbstentfaltungsbedürfnissen. In autokratischen Staaten ist Sicherheit auch ohne weitergehende Freiheitsrechte denkbar, für liberale Demokratien gibt es diese Option nicht. Hier müssen beide Prinzipien ständig gegeneinander abgewogen und in einer tragfähigen Balance gehalten werden. Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA und der Verbreitung des islamistischen Terrorismus, aber auch etwa durch die Coronapandemie, stehen demokratische Gesellschaften hierbei vor großen Herausforderungen: Mit jedem erfolgreichen Terroranschlag und jeder Welle der Pandemie kehrt die grundlegende Frage der Abwägung zwischen den beiden Prinzipien zurück auf die Agenda. Auch die bisher noch nicht absehbaren Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine lassen umfassende Aushandlungsprozesse zwischen Freiheit und Sicherheit und entsprechende gesellschaftliche Debatten erwarten, wenn etwa mehr Geld in Bundeswehr und zivile Verteidigung investiert werden muss, das dann für andere staatliche Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht, oder wenn zur Gewährleistung von Sicherheit Einschränkungen persönlicher Freiheiten notwendig werden, etwa Straßensperrungen für Militärtransporte, Rationierungen von Rohstoffen und Strom oder Einberufungen zum Reservistendienst.

Das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit ist daher nicht nur ein Thema für Verfassungsrechtler und politische Denker, sondern es durchdringt auch die tagespolitischen Diskussionen in verschiedenen Politikfeldern. Die zentrale Frage dabei ist, wie die erkämpften und eingeräumten Freiheitsrechte im Verhältnis zur Sicherheit abgewogen und verteidigt werden können. Vor diesem Hintergrund finden sich in der Literatur zahlreiche Kontroversen, die zumeist von einer Überbetonung der Sicherheit zulasten der Freiheit ausgehen und die Aufgabe oder Einschränkung von Freiheitsrechten zur Gewährleistung und Bereitstellung größerer Sicherheit kritisieren. Dies wird zum Beispiel am Diskurs über die sogenannte Versicherheitlichung deutlich.

Das Besondere an der Debatte zum Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit nach 9/11, während der Coronapandemie und nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs ist, dass der Staat nicht mehr nur als Widerpart der Bürger erscheint. Vermehrt rückt (wieder) ins öffentliche Bewusstsein, dass er als Wächter zahlreiche Gefahren abzuwehren hat, die dem Gemeinwesen drohen. Wegen der internationalen Dimension vieler Gefahren ist der Staat aber allzu häufig nicht alleine in der Lage, Sicherheit in ausreichendem Maß zu gewährleisten und daher auf die Kooperation mit anderen Akteuren angewiesen. Eine wichtige Folge ist die Infragestellung der Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, die für die föderalistische und kleinteilige, historisch gewachsene Sicherheitsarchitektur Deutschlands eine besondere Herausforderung darstellt.

Wie diese Einordnung verdeutlicht, wird die Abwägung von Freiheit und Sicherheit in Politik, Medien und Öffentlichkeit intensiv diskutiert. Dies bleibt nicht ohne Wirkung auf die Aufmerksamkeit, die Meinungen und die Einstellungen der Bürger in Bezug auf Freiheitsrechte und die Fragen innerer wie äußerer Sicherheit. Im Folgenden setze ich mich mit der öffentlichen Meinung zur Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit und insbesondere den Haltungen zu ihrer Verteidigung auseinander. Unter Verwendung eines engen Sicherheitsbegriffs, der sich auf Fragen der inneren wie der äußeren Sicherheit konzentriert, werde ich die Werteorientierungen, die Bedrohungswahrnehmungen und das Sicherheitsempfinden der Bürger näher betrachten sowie die Einstellungen zu den Aufgaben der Bundeswehr im In- und Ausland und zur Höhe der Verteidigungsausgaben. Die öffentliche Meinung zu diesen Themen ist deshalb besonders relevant, weil politische Entscheidungen in Demokratien von der Unterstützung der Bürger abhängen und dauerhaft keine Politik gegen eine Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen ist. Einstellungen und Haltungen der Bürger dienen dabei einerseits als Richtgröße für die Entscheidungsfindung; andererseits setzen sie im Sinne eines Möglichkeitsraums den Rahmen, in dem die Regierenden überhaupt Entscheidungen treffen (können).

Werteorientierungen

Wegen ihrer Konzentration auf Freiheits- und Sicherheitswerte und ihrer zentralen Verankerung in den Einstellungen der Bürger werden zunächst die Werteorientierungen auf Basis der weitverbreiteten und seit den 1970er Jahren etablierten Fragen des Sozialwissenschaftlers Ronald Inglehart betrachtet. Die Befragten müssen bei dieser Werteskala vier Werteorientierungen in einer persönlichen Rangfolge sortieren und werden auf Basis ihrer Präferenzen vier Typen zugeordnet. Im Zeitverlauf zeigt sich auf Basis der Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus) seit Beginn der 1980er Jahre eine Verschiebung der Werteprioritäten in Deutschland: weg von materialistischen, auf ökonomischer und persönlicher Sicherheit basierenden Werten hin zu postmaterialistischen Werten, die Freiheit und Selbstentfaltung betonen. Lag der Anteil der Postmaterialisten zu Beginn der 1980er Jahre unter 15 Prozent, bewegte er sich in den 2010er Jahren zwischen 24 und 31 Prozent. Die Gruppe der Materialisten umfasste zu Anfang der 1980er Jahre noch mehr als ein Drittel der Bevölkerung, in den 2010er Jahren war ihr Anteil auf maximal 10 Prozent gesunken. Allerdings zeigt sich bei den Mischtypen, dass materialistische Werte weiter eine wichtige Rolle spielen und der Mehrheit der Bürger sowohl Freiheit als auch Sicherheit wichtig sind. So platzierten 2018 37,2 Prozent der Deutschen einen materialistischen Wert auf Platz 1 ihrer Rangliste und einen postmaterialistischen Wert auf Platz 2; sie werden daher dem "materialistischen Mischtyp" zugeordnet. Dem "postmaterialistischen Mischtyp" (mit einem postmaterialistischen Wert auf Platz 1 und einem materialistischen auf Platz 2) gehören 28,6 Prozent der Bevölkerung an.

Weiterführende Analysen zu den Werteorientierungen zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auf politische Ereignisse mit einer Veränderung ihrer Werteprioritäten reagieren. So zeigt sich etwa nach den Terroranschlägen des 11. September durch die verursachten Verunsicherungen und Ängste ein verstärktes Bedürfnis nach Sicherheit. In der Folgezeit gewinnen sicherheitsbezogene Werteorientierungen an Bedeutung in den individuellen Wertesystemen. Insbesondere die "Generation 9/11" der nach 1987 Geborenen neigt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit sicherheitsbezogenen Werteorientierungen zu als andere Generationen. Ähnliche Wirkungen sind durch die Coronapandemie und den Ukraine-Krieg zu erwarten. Langfristig ist daher bei der Verteilung der Werteprioritäten in der Bevölkerung mit einer Zunahme materialistischer Orientierungen und einer verstärkten Fokussierung auf Sicherheit zu rechnen. Dass die Deutschen auch jenseits ihrer Werteprioritäten besonderen Wert auf Sicherheit legen, zeigen die folgenden empirischen Ergebnisse.

Bedrohungswahrnehmungen und Sicherheitsgefühl

Wie sicher fühlen sich die Bürger und wovon fühlen sie sich persönlich bedroht? Die Bedeutung einer Vielzahl wahrgenommener Bedrohungen lässt sich sehr schön auf Basis der Ergebnisse der Bevölkerungsbefragungen des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) zeigen. Nach diesen Daten sind in den Augen der Deutschen in den vergangenen Jahren besonders Bedrohungen ökonomischer und ökologischer Art relevant gewesen. 2021 führt die Angst vor steigenden Preisen die Rangliste der Bedrohungsfaktoren an: 53 Prozent der Befragten fühlen sich davon persönlich sehr oder eher bedroht. Eine Bedrohung durch den weltweiten Klimawandel (48 Prozent) und große Naturkatastrophen (39 Prozent) empfinden ebenfalls größere Teile der Bevölkerung. In der Rangliste der wichtigsten Bedrohungen finden sich 2021 zudem Aspekte aus den Bereichen Gesundheit (weltweite Pandemie: 44 Prozent) und innere Sicherheit (Zuwanderung nach Deutschland: 43 Prozent) weit vorne. Faktoren mit Bezug zur äußeren Sicherheit wie "weltweites Wettrüsten" (28 Prozent), "Spannungen zwischen dem Westen und Russland" (23 Prozent) oder gar ein Krieg in Europa (15 Prozent) werden noch 2021 nur von maximal einem Viertel der Befragten als Bedrohung angesehen.

Ein Blick auf die Entwicklung der Bedrohungswahrnehmungen seit 2015 zeigt für viele der abgefragten Bedrohungen graduelle Veränderungen. So schwankt der Anteil derjenigen, die sich durch steigende Preise sehr oder eher bedroht fühlen, im Zeitraum von 2015 bis 2021 zwischen 39 und 53 Prozent. Von Zuwanderung nach Deutschland fühlen sich im selben Zeitraum zwischen 41 und 54 Prozent sehr oder eher bedroht. Einen Krieg in Europa halten zwischen 15 und 21 Prozent der Befragten für sehr oder eher bedrohlich. Stärkere Verschiebungen sind für solche Aspekte zu verzeichnen, bei denen die Befragten auf konkrete Ereignisse oder Katastrophen reagieren. Ein Beispiel ist die Bedrohung durch eine weltweite Pandemie – 2018 fühlten sich 14 Prozent sehr oder eher bedroht, 2020 waren es nach Ausbruch der Coronapandemie 44 Prozent. Zudem ist der weltweite Klimawandel zu nennen. 2015 sahen sich noch 28 Prozent hierdurch sehr oder eher bedroht, 2019 waren es 54 Prozent. Bei der Bedrohung durch Terroranschläge in Deutschland zeigt sich eine deutliche Reaktion auf den Weihnachtsmarktanschlag in Berlin 2016. 2017 liegt die Bedrohungswahrnehmung mit 53 Prozent auf dem höchsten Wert im Zeitraum zwischen 2015 und 2021.

Geht man von konkreten Bedrohungen zum eher abstrakten Sicherheitsempfinden und seinen Dimensionen über, so bewerten im Jahr 2021 nur 24 Prozent der Bevölkerung die weltweite Sicherheitslage als sehr oder eher sicher. Die Sicherheitslage in Deutschland wird hingegen von 61 Prozent als sehr oder eher sicher eingeschätzt. Noch positiver ist der Blick auf die eigene Situation: 72 Prozent der Bürger bewerten ihre eigene Sicherheitslage als sehr oder eher sicher. Die Bedrohungsfaktoren aus allen Kategorien wirken sich konsistent auf das Sicherheitsempfinden aus. Egal, wovon sich jemand bedroht fühlt: Eine stärkere Bedrohungswahrnehmung führt zu einem verstärkten Unsicherheitsgefühl. Während für die Wahrnehmung der persönlichen und der nationalen Sicherheitslage Faktoren der äußeren und der inneren Sicherheit eine besonders starke Rolle spielen, sind für die Bewertung der weltweiten Sicherheitslage ökonomische und ökologische Faktoren wichtiger.

Hinsichtlich der Bedrohungswahrnehmungen sind deutliche Veränderungen wegen des Krieges in der Ukraine zu erwarten, insbesondere eine stärkere Bedeutung von Faktoren der äußeren und der wirtschaftlichen Sicherheit für das Bedrohungsempfinden. Zudem sollte sich die Bewertung der Sicherheitslage verschlechtert haben. Dies gilt umso mehr, als ein Vergleich über die Jahre zeigt, dass die Werte 2021 für alle drei Dimensionen die höchste Ausprägung im gesamten Zeitraum seit Beginn der 2000er Jahre erreichten. Die eindeutige Verknüpfung der vielfältigen Bedrohungswahrnehmungen mit dem Sicherheitsgefühl kann als Erklärung für das ausgeprägte Sicherheitsbedürfnis der Deutschen interpretiert werden.

Haltungen zur Landes- und Bündnisverteidigung

Die Bundeswehr ist ein zentrales Instrument der deutschen Politik mit dem Kernauftrag, die äußere Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Die Bürger sprechen sich in der ZMSBw-Bevölkerungsbefragung 2021 dafür aus, dass die Bundeswehr eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen soll. Besonders hoch ist der Zuspruch mit 86 Prozent für den Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr eines militärischen Angriffs auf Deutschland. Über 80 Prozent der Befragten befürworten, dass die Bundeswehr eingesetzt wird, um deutsche Staatsbürger aus Krisengebieten zu evakuieren und um humanitäre Hilfe in Krisensituationen zu leisten. Auch die Hilfe für Verbündete im Fall einer Bedrohung oder eines Angriffs wird von mindestens 70 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Allerdings ist das Meinungsbild geteilt beziehungsweise tendenziell eher skeptisch im Hinblick auf konkrete und bereits laufende Maßnahmen der Bündnisverteidigung, wie die Beteiligung an der Luftraumüberwachung im Baltikum (36 Prozent Unterstützung) oder den deutschen Beitrag zum Nato-Bataillon im Rahmen der "Enhanced Forward Presence" in Litauen (37 Prozent Unterstützung), die generelle Unterstützung der baltischen Staaten gegen russische Aggression (31 Prozent Unterstützung) und die Verstärkung der militärischen Präsenz der Nato in Mittel- und Osteuropa (36 Prozent Unterstützung).

Diese Muster sind seit Jahren weitgehend stabil und werden wenig von Ereignissen und Kontextveränderungen beeinflusst. Weiterführende Analysen mit Daten der ZMSBw-Bevölkerungsbefragung 2017 belegen, dass sich die Zustimmung zur Bündnisverteidigung sowie die Einstellungen zu den beiden laufenden Einsätzen der Bundeswehr im Baltikum weitgehend aus einer grundlegend wohlwollenden Sicht auf die deutschen Streitkräfte und die Zusammenarbeit in der Nato speisen. Für die Haltung zur militärischen Präsenz der Nato in Osteuropa sowie die potenzielle Unterstützung der baltischen Staaten bei russischen Aggressionen ist schon 2017 die Sicht auf Russland entscheidend: Wer Russland kritisch beurteilt, heißt die ergriffenen Maßnahmen der Bündnisverteidigung gut. Angesichts des Ukraine-Kriegs ist für diesen Bereich der öffentlichen Meinung eine stärkere Polarisierung der Haltung zu Russland hin zum Negativen mit den entsprechenden Konsequenzen einer größeren Unterstützung für die Bündnisverteidigung zu erwarten.

Haltungen zu den Aufgaben der Bundeswehr im Inland

Dass die Deutschen die Sicherheit der Freiheit vorziehen, zeigt sich deutlich bei der Frage eines potenziellen Einsatzes der Bundeswehr innerhalb Deutschlands und den Einstellungen der Bevölkerung zu dieser verfassungsrechtlich wie politisch heiklen Frage. Die Ergebnisse der Bevölkerungsbefragungen des ZMSBw der vergangenen Jahre belegen, dass die Bürger eine große Bandbreite verschiedenster Einsatzformen mit großer Mehrheit unterstützen. So sprachen sich 2021 85 Prozent der Befragten dafür aus, dass die Bundeswehr zur Katastrophenhilfe innerhalb des Landes eingesetzt werden soll. Jeweils etwa 75 Prozent wünschen sich den Einsatz der Bundeswehr, um Vermisste zu suchen oder zu retten, die deutschen Grenzen gegen illegale Einwanderung zu sichern, öffentliche Gebäude vor Terroranschlägen zu schützen oder die Behörden bei der Eindämmung von Krankheiten und Seuchen zu unterstützen. Mehr als die Hälfte der Bürger spricht sich dafür aus, dass die Bundeswehr auch eingesetzt wird, um bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen oder Internetangriffe auf öffentliche Einrichtungen oder Infrastruktur zu verhindern.

Das Unterstützungsniveau für alle der genannten potenziellen Einsätze ist im Zeitverlauf seit Mitte der 2000er Jahre relativ stabil und folglich wenig von Ereignissen wie Terroranschlägen, Katastrophen oder anderen sicherheitspolitisch relevanten Ereignissen beeinflusst. Die mehrheitliche Skepsis und verbreitete Zurückhaltung im politischen Diskurs zum Einsatz der Bundeswehr im Inland spiegelt sich in den Positionen der Bürger nicht wider. Die Bevölkerung betrachtet die Streitkräfte als wichtiges Instrument zur Gewährleistung sowohl der äußeren als auch der inneren Sicherheit.

Unter den Erklärungsfaktoren für diese Haltungen stechen die generelle Einstellung zur Bundeswehr, die Bewertung der Leistungen der Streitkräfte, die Nähe zu einem Bundeswehrstandort, normative Überlegungen und wiederum Bedrohungswahrnehmungen heraus. Das heißt, die Bereitschaft zum Einsatz der Bundeswehr innerhalb des Landes speist sich unmittelbar auch aus der Wahrnehmung konkreter Bedrohungsfaktoren. Hier ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit vorangegangenen Einsätzen der Bundeswehr in Deutschland – zum Beispiel im Rahmen der Coronapandemie oder bei Unwettern und Katastrophen – und in Bezug auf die Folgen des Ukraine-Kriegs mit einer noch stärkeren Unterstützung für die breite Nutzung der Streitkräfte als Instrument zur Abwehr von Gefahren für die äußere wie die innere Sicherheit zu rechnen.

Haltungen zur Höhe der Verteidigungsausgaben

Eine entscheidende Frage für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Freiheit ist die Ressourcenausstattung der Streitkräfte. Die Bevölkerung positioniert sich in der Bevölkerungsbefragung des ZMSBw 2021 eindeutig zur Höhe des Verteidigungsetats: 41 Prozent der Befragten sind für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, 40 Prozent stimmen dafür, die Ausgaben gleich zu halten und lediglich 13 Prozent plädieren für eine Verringerung des Verteidigungsbudgets. Damit ist, wie in allen Jahren seit 2015, eine deutliche Mehrheit der Bürger für eine Erhöhung der Ausgaben für Verteidigung oder wenigstens für die Erhaltung des Status quo.

Blickt man auf die längere zeitliche Entwicklung seit dem Jahr 2000, so ist 2021 über den gesamten Zeitraum hinweg der sechsthöchste Zustimmungswert für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu verzeichnen. Insgesamt verhält sich die Haltung der Bevölkerung im Zeitverlauf im Wesentlichen spiegelbildlich zur Entwicklung der sicherheitspolitischen Lage. 44 bis 60 Prozent der Bürger sprechen sich in den Jahren 2000 bis 2013 dafür aus, die Höhe der Verteidigungsausgaben beizubehalten und stellen damit entweder eine relative oder sogar eine absolute Mehrheit. 2001 zeigt sich als Reaktion auf die Terroranschläge von 9/11 ein starker Anstieg des Anteils derjenigen, die mehr Verteidigungsausgaben befürworten. 2014 ist mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine, dem Erstarken des sogenannten Islamischen Staates in Syrien und im Irak sowie einem verstärkten Elitendiskurs in Deutschland über die gewachsene Verantwortung des Landes (etwa während der Münchner Sicherheitskonferenz) ein Wendepunkt hinsichtlich der Einstellungen zur Entwicklung des Verteidigungsetats erreicht: 32 Prozent der Befragten sprechen sich für erhöhte Verteidigungsausgaben aus (das entspricht einem Anstieg von 13 Prozentpunkten im Vergleich zu 2013), während mit 46 Prozent die relative Mehrheit zumindest für einen Erhalt des Ausgabenniveaus plädiert. Ab 2015 ist dann die relative beziehungsweise absolute Mehrheit der Bürger für mehr Ausgaben für die Streitkräfte. Die Bürger reagieren also offenkundig auf die sicherheitspolitische Gefahrenlage – ein Beleg für das Konzept der "rationalen Öffentlichkeit", das besagt, dass die öffentliche Meinung auf der Aggregatebene rational und objektiv nachvollziehbar auf politische Ereignisse und Entscheidungen der Eliten reagiert (rational public). Eine Rolle spielt aber auch die Diskussion über die schlechte Lage bei Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr.

Wechselwirkungen zwischen Einstellungen

Stärkere Bedrohungswahrnehmungen insbesondere der inneren und äußeren Sicherheit führen zu einer größeren wahrgenommenen Unsicherheit bei Bürgerinnen und Bürgern. Die Auswirkungen dieser Bedrohungswahrnehmungen und des Sicherheitsempfindens auf die Präferenzen der Bevölkerung hinsichtlich politischer Maßnahmen in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie hinsichtlich der Einsätze der Bundeswehr sind nicht kohärent. Sie deuten aber interessanterweise nicht darauf hin, dass ein verstärktes außen- und sicherheitspolitisches Engagement etwa der Bundeswehr in Afghanistan oder Mali von den Bürgern als Instrument gesehen würde, um die Sicherheitslage zu verbessern und wahrgenommene Bedrohungen einzudämmen.

Gleichzeitig stehen die Bürger Sicherheitsmaßnahmen innerhalb wie außerhalb Deutschlands (Bündnisverteidigung) grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Selbst politisch und medial äußerst kontrovers diskutierte Eingriffe in Freiheitsrechte oder der Einsatz der Streitkräfte im Inneren werden von einem Großteil der Befragten gutgeheißen. Diese Befunde bestätigen die These des Historikers Eckart Conze, der seiner Geschichte der Bundesrepublik den programmatischen Titel "Die Suche nach Sicherheit" gegeben hat. Die Bürger differenzieren jedoch zwischen Maßnahmen der inneren Sicherheit im nationalen Rahmen, der Landes- und Bündnisverteidigung und internationalen militärischen Missionen. Während die ersten beiden eine hohe Zustimmung erfahren und als geeignet zur Reduzierung von Risiken und Gefahren gelten, begegnet die Bevölkerung Letzteren eher mit Skepsis. Der Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit, nicht zuletzt in geografischer Hinsicht, ist mithin für die Haltungen der Bevölkerung zu Mitteln der inneren und äußeren Sicherheit zentral.

Dies untermauert letztlich aber nur die in fast allen hier beschriebenen Aspekten der öffentlichen Meinung deutlich werdende Präferenz der Deutschen für die Aufrechterhaltung und Verteidigung der (eigenen) Sicherheit. Auch wenn in den Werteorientierungen mitunter anderes zum Ausdruck kommt: Im Zweifel sind die Deutschen doch immer für die Sicherheit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ronald Inglehart, The Silent Revolution in Europe: Intergenerational Change in Post-Industrial Societies, in: American Political Science Review 4/1971, S. 991–1017; ders., The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles Among Western Publics, Princeton 1977; Abraham H. Maslow, Motivation and Personality, New York 1954.

  2. Vgl. Peter Schaar, Freiheit und Sicherheit – das verlorene Gleichgewicht, in: Gabriele Abels (Hrsg.), Vorsicht Sicherheit! Legitimationsprobleme der Ordnung von Freiheit, Baden-Baden 2016, S. 27–43.

  3. Vgl. Barry Buzan/Ole Wæver/Jaap de Wilde, Security. A New Framework For Analysis, Boulder 1997.

  4. Vgl. Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, Berlin–New York 1983.

  5. Vgl. Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit und Freiheit, in: APuZ 10–11/2002, S. 3–13.

  6. Vgl. Abels (Anm. 2); Glaeßner (Anm. 5).

  7. Vgl. Gerhard Kümmel/Heiko Biehl, Gradmesser der zivil-militärischen Beziehungen. Der Beitrag von Umfragen und Einstellungsforschung zur Militärsoziologie, in: Heiko Biehl/Harald Schoen (Hrsg.), Sicherheitspolitik und Streitkräfte im Urteil der Bürger, Wiesbaden 2015, S. 13–37, hier S. 25.

  8. Vgl. Inglehart (Anm. 1).

  9. Die Werteorientierungen sind "Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung", "Mehr Einfluss der Bürger auf die Entscheidungen der Regierung", "Kampf gegen die steigenden Preise" und "Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung".

  10. Vgl. Markus Klein, Security matters. Sicherheitsbezogene Wertorientierungen der deutschen Bevölkerung im Nachgang von 9/11, in: Markus Steinbrecher et al. (Hrsg.), Freiheit oder Sicherheit? Ein Spannungsverhältnis aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger, Wiesbaden 2018, S. 51–75.

  11. Siehe Timo Graf, Subjektive Sicherheit und Bedrohungswahrnehmungen, in: ders. et al. (Hrsg.), Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse und Analysen der Bevölkerungsbefragung 2021, Potsdam 2022, S. 14–36.

  12. Vgl. ebd., S. 16–21.

  13. Vgl. ebd., S. 30f.

  14. Vgl. ders./Markus Steinbrecher, Einstellungen zu den Aufgabenbereichen der Bundeswehr, in: Graf et al. (Anm. 11), S. 228–252.

  15. Vgl. Heiko Biehl/Timo Graf, Einstellungen zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, in: Graf et al. (Anm. 11), S. 253–269. Siehe auch Timo Graf, Einstellungen zur Bündnisverteidigung, in: ebd., S. 79–100.

  16. Vgl. Markus Steinbrecher/Heiko Biehl/Chariklia Rothbart, Wachsamkeit als Preis von Sicherheit und Freiheit? Einstellungen der deutschen Bevölkerung zur Bündnisverteidigung, in: Steinbrecher et al. (Anm. 10), S. 177–216.

  17. Vgl. Markus Steinbrecher/Meike Wanner, Dein Schützer, Freund und Helfer?, in: ebd., S. 141–176.

  18. Vgl. Robert Y. Shapiro/Benjamin I. Page, Foreign Policy and the Rational Public, in: Journal of Conflict Resolution 2/1988, S. 211–247.

  19. Vgl. Markus Steinbrecher/Joel Scherzer, Einstellungen zur Höhe der Verteidigungsausgaben und zum Personalumfang der Bundeswehr, in: Graf et al. (Anm. 11), S. 211–227.

  20. Vgl. Heiko Biehl/Chariklia Rothbart, Die Bundeswehr als Sicherheitsgarant? Sicherheitsbewertungen und Bedrohungswahrnehmungen der deutschen Bevölkerung, in: Steinbrecher et al. (Anm. 10), S. 101–139.

  21. Vgl. Eva-Maria Trüdinger, Sicherheit aus Vertrauen? Der Einfluss politischen und sozialen Vertrauens auf Präferenzen für staatliche Antiterrormaßnahmen, in: ebd., S. 77–100; vgl. auch Steinbrecher/Wanner (Anm. 17).

  22. Vgl. Eckart Conze, Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009.

  23. Vgl. Steinbrecher/Biehl/Rothbart (Anm. 16).

Lizenz

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ist Politikwissenschaftler und Wissenschaftlicher Direktor am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.
E-Mail Link: markussteinbrecher@bundeswehr.org