Das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit ist ein altbekanntes und ständig wiederkehrendes Thema der praktischen Politik wie der normativen politischen Theorie. Zahlreiche Philosophen, Parteien, Politiker und Bürger haben sich damit auseinandergesetzt, wie beide Prinzipien am besten gegeneinander abgewogen und ausbalanciert werden können. Dieser Abwägungsprozess ist vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und Ereignisse wie der Coronapandemie und dem Ukraine-Krieg bedeutsam und hoch aktuell.
In der Hierarchie menschlicher Werteprioritäten geht die Sicherheit der Freiheit empirisch voraus. Erst, wenn Sicherheit gewährleistet ist beziehungsweise Sicherheitsbedürfnisse befriedigt sind, streben Menschen nach Freiheit oder kümmern sich um die Erfüllung von Selbstentfaltungsbedürfnissen.
Das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit ist daher nicht nur ein Thema für Verfassungsrechtler und politische Denker, sondern es durchdringt auch die tagespolitischen Diskussionen in verschiedenen Politikfeldern. Die zentrale Frage dabei ist, wie die erkämpften und eingeräumten Freiheitsrechte im Verhältnis zur Sicherheit abgewogen und verteidigt werden können. Vor diesem Hintergrund finden sich in der Literatur zahlreiche Kontroversen, die zumeist von einer Überbetonung der Sicherheit zulasten der Freiheit ausgehen und die Aufgabe oder Einschränkung von Freiheitsrechten zur Gewährleistung und Bereitstellung größerer Sicherheit kritisieren. Dies wird zum Beispiel am Diskurs über die sogenannte Versicherheitlichung deutlich.
Das Besondere an der Debatte zum Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit nach 9/11, während der Coronapandemie und nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs ist, dass der Staat nicht mehr nur als Widerpart der Bürger erscheint. Vermehrt rückt (wieder) ins öffentliche Bewusstsein, dass er als Wächter zahlreiche Gefahren abzuwehren hat, die dem Gemeinwesen drohen.
Wie diese Einordnung verdeutlicht, wird die Abwägung von Freiheit und Sicherheit in Politik, Medien und Öffentlichkeit intensiv diskutiert. Dies bleibt nicht ohne Wirkung auf die Aufmerksamkeit, die Meinungen und die Einstellungen der Bürger in Bezug auf Freiheitsrechte und die Fragen innerer wie äußerer Sicherheit. Im Folgenden setze ich mich mit der öffentlichen Meinung zur Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit und insbesondere den Haltungen zu ihrer Verteidigung auseinander. Unter Verwendung eines engen Sicherheitsbegriffs, der sich auf Fragen der inneren wie der äußeren Sicherheit
Werteorientierungen
Wegen ihrer Konzentration auf Freiheits- und Sicherheitswerte und ihrer zentralen Verankerung in den Einstellungen der Bürger werden zunächst die Werteorientierungen auf Basis der weitverbreiteten und seit den 1970er Jahren etablierten Fragen des Sozialwissenschaftlers Ronald Inglehart betrachtet.
Weiterführende Analysen zu den Werteorientierungen zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auf politische Ereignisse mit einer Veränderung ihrer Werteprioritäten reagieren. So zeigt sich etwa nach den Terroranschlägen des 11. September durch die verursachten Verunsicherungen und Ängste ein verstärktes Bedürfnis nach Sicherheit. In der Folgezeit gewinnen sicherheitsbezogene Werteorientierungen an Bedeutung in den individuellen Wertesystemen. Insbesondere die "Generation 9/11" der nach 1987 Geborenen neigt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit sicherheitsbezogenen Werteorientierungen zu als andere Generationen.
Bedrohungswahrnehmungen und Sicherheitsgefühl
Wie sicher fühlen sich die Bürger und wovon fühlen sie sich persönlich bedroht? Die Bedeutung einer Vielzahl wahrgenommener Bedrohungen lässt sich sehr schön auf Basis der Ergebnisse der Bevölkerungsbefragungen des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) zeigen. Nach diesen Daten sind in den Augen der Deutschen in den vergangenen Jahren besonders Bedrohungen ökonomischer und ökologischer Art relevant gewesen.
Ein Blick auf die Entwicklung der Bedrohungswahrnehmungen seit 2015 zeigt für viele der abgefragten Bedrohungen graduelle Veränderungen. So schwankt der Anteil derjenigen, die sich durch steigende Preise sehr oder eher bedroht fühlen, im Zeitraum von 2015 bis 2021 zwischen 39 und 53 Prozent. Von Zuwanderung nach Deutschland fühlen sich im selben Zeitraum zwischen 41 und 54 Prozent sehr oder eher bedroht. Einen Krieg in Europa halten zwischen 15 und 21 Prozent der Befragten für sehr oder eher bedrohlich. Stärkere Verschiebungen sind für solche Aspekte zu verzeichnen, bei denen die Befragten auf konkrete Ereignisse oder Katastrophen reagieren. Ein Beispiel ist die Bedrohung durch eine weltweite Pandemie – 2018 fühlten sich 14 Prozent sehr oder eher bedroht, 2020 waren es nach Ausbruch der Coronapandemie 44 Prozent. Zudem ist der weltweite Klimawandel zu nennen. 2015 sahen sich noch 28 Prozent hierdurch sehr oder eher bedroht, 2019 waren es 54 Prozent. Bei der Bedrohung durch Terroranschläge in Deutschland zeigt sich eine deutliche Reaktion auf den Weihnachtsmarktanschlag in Berlin 2016. 2017 liegt die Bedrohungswahrnehmung mit 53 Prozent auf dem höchsten Wert im Zeitraum zwischen 2015 und 2021.
Geht man von konkreten Bedrohungen zum eher abstrakten Sicherheitsempfinden und seinen Dimensionen über, so bewerten im Jahr 2021 nur 24 Prozent der Bevölkerung die weltweite Sicherheitslage als sehr oder eher sicher. Die Sicherheitslage in Deutschland wird hingegen von 61 Prozent als sehr oder eher sicher eingeschätzt. Noch positiver ist der Blick auf die eigene Situation: 72 Prozent der Bürger bewerten ihre eigene Sicherheitslage als sehr oder eher sicher.
Hinsichtlich der Bedrohungswahrnehmungen sind deutliche Veränderungen wegen des Krieges in der Ukraine zu erwarten, insbesondere eine stärkere Bedeutung von Faktoren der äußeren und der wirtschaftlichen Sicherheit für das Bedrohungsempfinden. Zudem sollte sich die Bewertung der Sicherheitslage verschlechtert haben. Dies gilt umso mehr, als ein Vergleich über die Jahre zeigt, dass die Werte 2021 für alle drei Dimensionen die höchste Ausprägung im gesamten Zeitraum seit Beginn der 2000er Jahre erreichten. Die eindeutige Verknüpfung der vielfältigen Bedrohungswahrnehmungen mit dem Sicherheitsgefühl kann als Erklärung für das ausgeprägte Sicherheitsbedürfnis der Deutschen interpretiert werden.
Haltungen zur Landes- und Bündnisverteidigung
Die Bundeswehr ist ein zentrales Instrument der deutschen Politik mit dem Kernauftrag, die äußere Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Die Bürger sprechen sich in der ZMSBw-Bevölkerungsbefragung 2021 dafür aus, dass die Bundeswehr eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen soll.
Diese Muster sind seit Jahren weitgehend stabil und werden wenig von Ereignissen und Kontextveränderungen beeinflusst. Weiterführende Analysen mit Daten der ZMSBw-Bevölkerungsbefragung 2017 belegen, dass sich die Zustimmung zur Bündnisverteidigung sowie die Einstellungen zu den beiden laufenden Einsätzen der Bundeswehr im Baltikum weitgehend aus einer grundlegend wohlwollenden Sicht auf die deutschen Streitkräfte und die Zusammenarbeit in der Nato speisen.
Haltungen zu den Aufgaben der Bundeswehr im Inland
Dass die Deutschen die Sicherheit der Freiheit vorziehen, zeigt sich deutlich bei der Frage eines potenziellen Einsatzes der Bundeswehr innerhalb Deutschlands und den Einstellungen der Bevölkerung zu dieser verfassungsrechtlich wie politisch heiklen Frage. Die Ergebnisse der Bevölkerungsbefragungen des ZMSBw der vergangenen Jahre belegen, dass die Bürger eine große Bandbreite verschiedenster Einsatzformen mit großer Mehrheit unterstützen. So sprachen sich 2021 85 Prozent der Befragten dafür aus, dass die Bundeswehr zur Katastrophenhilfe innerhalb des Landes eingesetzt werden soll. Jeweils etwa 75 Prozent wünschen sich den Einsatz der Bundeswehr, um Vermisste zu suchen oder zu retten, die deutschen Grenzen gegen illegale Einwanderung zu sichern, öffentliche Gebäude vor Terroranschlägen zu schützen oder die Behörden bei der Eindämmung von Krankheiten und Seuchen zu unterstützen. Mehr als die Hälfte der Bürger spricht sich dafür aus, dass die Bundeswehr auch eingesetzt wird, um bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen oder Internetangriffe auf öffentliche Einrichtungen oder Infrastruktur zu verhindern.
Das Unterstützungsniveau für alle der genannten potenziellen Einsätze ist im Zeitverlauf seit Mitte der 2000er Jahre relativ stabil und folglich wenig von Ereignissen wie Terroranschlägen, Katastrophen oder anderen sicherheitspolitisch relevanten Ereignissen beeinflusst. Die mehrheitliche Skepsis und verbreitete Zurückhaltung im politischen Diskurs zum Einsatz der Bundeswehr im Inland spiegelt sich in den Positionen der Bürger nicht wider. Die Bevölkerung betrachtet die Streitkräfte als wichtiges Instrument zur Gewährleistung sowohl der äußeren als auch der inneren Sicherheit.
Unter den Erklärungsfaktoren für diese Haltungen stechen die generelle Einstellung zur Bundeswehr, die Bewertung der Leistungen der Streitkräfte, die Nähe zu einem Bundeswehrstandort, normative Überlegungen und wiederum Bedrohungswahrnehmungen heraus.
Haltungen zur Höhe der Verteidigungsausgaben
Eine entscheidende Frage für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Freiheit ist die Ressourcenausstattung der Streitkräfte. Die Bevölkerung positioniert sich in der Bevölkerungsbefragung des ZMSBw 2021 eindeutig zur Höhe des Verteidigungsetats: 41 Prozent der Befragten sind für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, 40 Prozent stimmen dafür, die Ausgaben gleich zu halten und lediglich 13 Prozent plädieren für eine Verringerung des Verteidigungsbudgets. Damit ist, wie in allen Jahren seit 2015, eine deutliche Mehrheit der Bürger für eine Erhöhung der Ausgaben für Verteidigung oder wenigstens für die Erhaltung des Status quo.
Blickt man auf die längere zeitliche Entwicklung seit dem Jahr 2000, so ist 2021 über den gesamten Zeitraum hinweg der sechsthöchste Zustimmungswert für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu verzeichnen. Insgesamt verhält sich die Haltung der Bevölkerung im Zeitverlauf im Wesentlichen spiegelbildlich zur Entwicklung der sicherheitspolitischen Lage. 44 bis 60 Prozent der Bürger sprechen sich in den Jahren 2000 bis 2013 dafür aus, die Höhe der Verteidigungsausgaben beizubehalten und stellen damit entweder eine relative oder sogar eine absolute Mehrheit. 2001 zeigt sich als Reaktion auf die Terroranschläge von 9/11 ein starker Anstieg des Anteils derjenigen, die mehr Verteidigungsausgaben befürworten. 2014 ist mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine, dem Erstarken des sogenannten Islamischen Staates in Syrien und im Irak sowie einem verstärkten Elitendiskurs in Deutschland über die gewachsene Verantwortung des Landes (etwa während der Münchner Sicherheitskonferenz) ein Wendepunkt hinsichtlich der Einstellungen zur Entwicklung des Verteidigungsetats erreicht: 32 Prozent der Befragten sprechen sich für erhöhte Verteidigungsausgaben aus (das entspricht einem Anstieg von 13 Prozentpunkten im Vergleich zu 2013), während mit 46 Prozent die relative Mehrheit zumindest für einen Erhalt des Ausgabenniveaus plädiert. Ab 2015 ist dann die relative beziehungsweise absolute Mehrheit der Bürger für mehr Ausgaben für die Streitkräfte. Die Bürger reagieren also offenkundig auf die sicherheitspolitische Gefahrenlage – ein Beleg für das Konzept der "rationalen Öffentlichkeit", das besagt, dass die öffentliche Meinung auf der Aggregatebene rational und objektiv nachvollziehbar auf politische Ereignisse und Entscheidungen der Eliten reagiert (rational public).
Wechselwirkungen zwischen Einstellungen
Stärkere Bedrohungswahrnehmungen insbesondere der inneren und äußeren Sicherheit führen zu einer größeren wahrgenommenen Unsicherheit bei Bürgerinnen und Bürgern. Die Auswirkungen dieser Bedrohungswahrnehmungen und des Sicherheitsempfindens auf die Präferenzen der Bevölkerung hinsichtlich politischer Maßnahmen in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie hinsichtlich der Einsätze der Bundeswehr sind nicht kohärent. Sie deuten aber interessanterweise nicht darauf hin, dass ein verstärktes außen- und sicherheitspolitisches Engagement etwa der Bundeswehr in Afghanistan oder Mali von den Bürgern als Instrument gesehen würde, um die Sicherheitslage zu verbessern und wahrgenommene Bedrohungen einzudämmen.
Gleichzeitig stehen die Bürger Sicherheitsmaßnahmen innerhalb wie außerhalb Deutschlands (Bündnisverteidigung) grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Selbst politisch und medial äußerst kontrovers diskutierte Eingriffe in Freiheitsrechte oder der Einsatz der Streitkräfte im Inneren werden von einem Großteil der Befragten gutgeheißen.
Dies untermauert letztlich aber nur die in fast allen hier beschriebenen Aspekten der öffentlichen Meinung deutlich werdende Präferenz der Deutschen für die Aufrechterhaltung und Verteidigung der (eigenen) Sicherheit. Auch wenn in den Werteorientierungen mitunter anderes zum Ausdruck kommt: Im Zweifel sind die Deutschen doch immer für die Sicherheit.