Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wie der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow mit seiner "Bedürfnispyramide" veranschaulicht hat, gehören körperliche, seelische oder materielle Sicherheit zu den anthropologischen Bedürfniskonstanten von Individuen, gleich nach Nahrung, Wasser oder Schlaf. Doch auch nach Freiheit und Unabhängigkeit sehnt sich der Mensch. Wie die empirischen Daten des "World Values Survey" zeigen, bedingen sich Freiheit und Sicherheit gegenseitig: Die Wertschätzung für Freiheit und Chancengleichheit verbreitet sich offenbar umso stärker, je größer die sozioökonomische Sicherheit in einer Gesellschaft ist. Umgekehrt ist soziale Sicherheit dort am umfassendsten, wo Freiheitswerte weit verbreitet sind.
Die Herrschaftsform, die beiden Bedürfnissen in der Vergangenheit am ehesten gerecht werden konnte, ist die liberale Demokratie. Dem mit dem Gewaltmonopol ausgestatteten sozialen und demokratischen Rechtsstaat ist es seit dem Zweiten Weltkrieg in vielen Teilen der Welt gelungen, die physische und soziale Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, ohne ihre Freiheiten über Gebühr zu beschneiden. Es ist ihm, mit anderen Worten, eine Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gelungen, deren konkrete Ausgestaltung zwar hin und wieder strittig war, die aber nie grundsätzlich infrage stand.
Diese Balance scheint zunehmend gestört. So zeichnen einerseits die zum Teil überschießenden Reaktionen des Staates auf neue Herausforderungen im Bereich der Terrorismus- oder der Pandemiebekämpfung das Bild eines "nervösen Staates", der Sicherheit präventiv auch dort herstellen will, wo dies empfindlich auf Kosten von Freiheit und Grundrechten geht. Andererseits ist dieser nervöse Staat nicht zuletzt eine Reaktion auf unsere eigenen Ängste, Erwartungen und artikulierten Sicherheitsbedürfnisse, auf die demokratische Politik reagiert. Letztlich ist es also auch an uns, die Balance zwischen zwei Werten zu halten, die für die Demokratie konstitutiv sind.