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Editorial | Fokus Ostdeutschland | bpb.de

Fokus Ostdeutschland Editorial Vom "Wir" zum "Ich". Plädoyer für ein Ende pauschaler Ostdeutschland-Debatten Ausgebremste Demokratisierung Von der Exklusion zur Entfremdung? Realitäten und Folgen der Unterrepräsentation Ostdeutscher in den Eliten seit 1990 "Trotzdem Heimat". Ostdeutsche Identitäten zwischen Trotz und Aufbruch Was wäre, wenn …? Zur Verwundbarkeit der Demokratie in Thüringen Gefährliche Entpolitisierung. Warum Peripherisierung der extremen Rechten in die Hände spielt Weltoffenes Sachsen. Rechtspopulismus als Herausforderung für die Wirtschaft

Editorial

Sascha Kneip

/ 2 Minuten zu lesen

35 Jahre nach der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 hat die Bundesregierung erstmals einen "Gleichwertigkeitsbericht" veröffentlicht, der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Lebensverhältnisse in Deutschland erfassen und abbilden soll. Auf Basis objektiver Indikatoren und subjektiver Einschätzungen zeichnet er ein Bild regionaler Entwicklung, das sehr viel differenzierter ist, als es die öffentliche Diskussion mitunter vermuten lässt. Zwar zeigen die Daten für viele sozioökonomische und gesellschaftliche Bereiche nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West, zugleich wird aber auch deutlich, dass merkliche Angleichungsprozesse stattgefunden haben. Strukturschwache und -starke Regionen in Ost- und Westdeutschland weisen zuweilen mehr Gemeinsamkeiten auf als geografisch benachbarte Gebiete, manche der vermeintlichen Ost-West-Unterschiede sind eher solche zwischen Zentrum und Peripherie.

Weshalb aber halten sich dann Debatten über die Ungleichheit zwischen Ost und West so hartnäckig? Neben den nach wie vor vorhandenen – und wohl auch nicht so schnell verschwindenden – objektiven Unterschieden scheinen vor allem subjektive Perzeptionen, Identitätsfragen und auch Abwertungserfahrungen eine Rolle zu spielen. Der in mancherlei Hinsicht unbefriedigend verlaufene Einigungsprozess wirkt hier ebenso nach wie die noch immer verbreitete Ignoranz vieler Westdeutscher gegenüber ostdeutschen Lebensrealitäten, die Nichtanerkennung ostdeutscher Lebensläufe oder die pauschale "Zwangskollektivierung" Ostdeutscher, sobald etwas "im Osten" kritikwürdig erscheint.

Allzu schnell gerät dann aus dem Blick, dass es "den Osten" genauso wenig gibt wie "den Westen" – und viele gesellschaftliche Entwicklungen nach 1989 nur wenig mit der DDR und ihrem Erbe zu tun haben. Die Wahl rechtspopulistischer Parteien etwa ist weder ein ostdeutsches Phänomen noch handelt es sich dabei um das Wahlverhalten einer Mehrheit. Dass die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst 2024 gleichwohl besondere Aufmerksamkeit erregen, hat mit Ermüdungserscheinungen der Demokratie zu tun, die uns alle angehen – in Ost wie West.