Fleisch und Männlichkeit sind in der Krise. Aus der einstigen Bastion des Mannes, dem Grillen von Fleisch, ist ein "Puppenfest", ein "Barbie-Q" geworden. In dieser Dramatik skizziert es der Werbefilm "Herren des Feuers" von Edeka aus dem Jahr 2017. Das Gartenfest mit einer breiten Palette an Speisen wird in letzter Konsequenz von einer Armee niedergerissen, um zu dem zurückzukehren, "was von Natur gegeben, man als Mann nur will": Fleisch, das auf offener Flamme auf einem Grill zubereitet wird. Dieses von der Werbeagentur Jung von Matt aufwendig produzierte "Heldenepos" – so das Marketingmagazin "Horizont" – zeichnet eine Männlichkeit, die von der aktuellen "Food-Obsession" befreit werden müsse, die dem Mann andere Speisen als gegrilltes Fleisch aufdränge, obwohl das ja gar nicht das sei, was der "richtige" Mann essen wolle.
Kaum ein Lebensmittel löst derart hitzige Debatten aus wie Fleisch. Die Kritik an dem Lebensmittel ist dabei vielschichtig und weitreichend: Fleisch wird mit negativen Folgen für das Klima und die menschliche Gesundheit verbunden, und auch ethische Aspekte der (Massen-)Tierhaltung und des Tierwohls bringen Fleisch immer wieder in die Kritik. Angesichts derartiger Nachteile des Fleischkonsums ist erklärungsbedürftig, warum nach wie vor so große Mengen konsumiert werden – insbesondere von Männern. Laut "Nationaler Verzehrsstudie II" essen Männer etwa doppelt so viel Fleisch wie Frauen. Darüber hinaus liegen die ermittelten Konsummengen bei Männern deutlich über den Empfehlungen: "Männer überschreiten die für die Beurteilung zugrunde gelegte Menge von 300g bis 600g (…) pro Woche um fast das Doppelte (1092g). Bei Frauen liegt die Verzehrmenge mit durchschnittlich 595g/Woche (…) an der oberen Grenze dieser Werte." Differenziert man die Gruppe der Männer nach sozialem Status, fällt auf, dass Männer in niedrigeren gesellschaftlichen Schichten mehr Fleisch konsumieren als andere.
Die in dem Werbefilm dargestellte Verbindung von Fleisch und Männlichkeit lässt sich also ganz deutlich statistisch belegen. Aber die Werbung zeigt eben noch mehr. Denn der Werbeclip behauptet den Fleischhunger der Männer und illustriert damit aktuelle gesellschaftliche Diskurse und Debatten, in denen Fleisch nicht nur vehement kritisiert, sondern auch genauso beherzt verteidigt wird. Geschlecht und mithin Männlichkeit sind, so werde ich in diesem Text zeigen, ein wesentlicher Faktor für den Fleischkonsum. Umgekehrt spielt aber auch der Fleischkonsum eine wesentliche Rolle in der Konstruktion von Männlichkeiten. Ausgehend von dieser Diagnose unternehme ich im Folgenden eine Spurensuche nach den Ursprüngen dieser Verbindung und beleuchte, welche Entwicklungen sich gegenwärtig abzeichnen.
Kraft, Arbeit, Männlichkeit
Ein Blick auf die historischen Prozesse rund um das Verhältnis von Fleisch und Männlichkeit eröffnet eine Perspektive auf das Gewordensein der gegenwärtigen Verhältnisse.
Mit einem kulturhistorischen Ansatz hat der Soziologe Norbert Elias in seinen Arbeiten zum "Prozess der Zivilisation" anhand der Untersuchung von Benimmhandbüchern das gesellschaftliche Verhältnis zu Fleisch nachgezeichnet. Ihm zufolge können für das Mittelalter anhand der Konsummengen drei Gruppen unterschieden werden: die weltlichen Oberschichten, die sehr große Mengen Fleisch konsumierten; die klerikalen Schichten, die asketisch auf Fleisch verzichteten; und die untere Schicht der Bauern, die aus Mangel kaum Fleisch aßen. Die Konsummenge war folglich eher eine Frage der sozialen Schichtung als des Geschlechts. Letzteres spielte vor allem in der Beziehung zum Fleisch eine Rolle. Denn in dieser Zeit wurde zumeist das ganze Tier bei Tisch zerlegt und verteilt – "eine besondere Ehre. Sie steht meist dem Herrn des Hauses zu." Mit der Zeit verlagerte sich aber die Zerteilung der Tierkörper zunehmend vom Tisch weg in weniger sichtbare Bereiche, und damit verschwand auch das Prestige dieser Tätigkeit: "Ganz allmählich hört in der französischen Oberschicht im 17. Jahrhundert das Zerlegen des Tieres bei der Tafel auf, ein unentbehrliches Können des Mannes von Welt, wie Jagen, Fechten und Tanzen, zu sein." Elias argumentiert, dass dieser Prozess, in dem allmählich eine immer größere Distanz zwischen dem Lebensmittel Fleisch und dem getöteten und geschlachteten Tier entsteht, auch Folge einer gesellschaftlichen Veränderung der Haushaltsstrukturen sei. Mit der Auflösung des "ganzen Hauses" wurde auch das Töten von Tieren an spezialisierte Betriebe ausgelagert, an handwerkliche und zunehmend auch industrialisierte Schlachtereien.
Mit der Industrialisierung setzte die zunehmende Verbreitung des Fleischkonsums ein. Der Sozialhistoriker Hans-Jürgen Teuteberg hat auf der Grundlage von Schlachtzahlen einen signifikanten Anstieg der Fleischproduktion ab Mitte des 19. Jahrhundert nachgewiesen. Er kommt zu dem Schluss, dass "der Anstieg des Fleischverbrauches in Deutschland erstaunlich parallel mit der Industrialisierung" verlief. Der Anstieg des Fleischkonsums sei ein Indikator für die neuen technologischen Möglichkeiten sowie eine allgemeine Wohlstandssteigerung. Mit der Industrialisierung und der Entstehung der kapitalistischen Moderne setzte auch die weitere Differenzierung der Konsummuster ein.
Der Historiker Ole Fischer hat zu der Frage, wer wieviel Fleisch aß, eine Analyse des ernährungswissenschaftlichen Fachdiskurses des 19. Jahrhunderts vorgenommen. Die ersten Spuren finden sich um 1850: Ab diesem Zeitpunkt wurde Männern aufgrund physiologischer Eigenschaften zugeschrieben, eher in der Lage zu sein als Frauen, das zähe Lebensmittel Fleisch zu verdauen. Dies sei eine parallele Entwicklung zwischen der wissenschaftlichen Bewertung des Fleischkonsums und dem Aufkommen des naturwissenschaftlichen Diskurses über Geschlecht, mit dem Geschlecht zu einer "natürlichen Tatsache" wurde und Eigenschaften mit der physiologischen Wesenhaftigkeit von Männern und Frauen begründet wurden. Eine bis heute relevante Verschiebung erfuhr der Diskurs um Fleischkonsum mit der aufkommenden Dominanz des chemischen Wissens über Ernährung, durch die sich der Fokus auf die Nährwerte und Kalorien von Lebensmitteln und deren Verarbeitung im Körper verschob. Fischer arbeitet heraus, dass "sich zunehmend die Vorstellung durch[setzte], dass es einen direkten Weg vom Fleischkonsum über den Muskelaufbau zur männlich interpretierten Energie und Leistungsfähigkeit gibt". Vor allem Arbeiter und Soldaten seien demnach besonders mit Fleisch versorgt worden. Diese Verbindung eines starken Körpers mit Männlichkeit hing auch mit der einsetzenden zunehmenden Sphärentrennung und Arbeitsteilung zusammen, die zumindest in bürgerlichen Schichten als Ideal verbreitet war: Frauen wurde die häusliche Sphäre der Reproduktionsarbeit zugeschrieben, Männern die öffentliche Sphäre der Produktion – körperlich anstrengende Arbeit galt somit als männlich.
Das naturwissenschaftliche Ernährungswissen war und ist eng mit politischen Zielen verknüpft. Während große Teile der arbeitenden Klassen verelendeten, sollte die Wissenschaft eine Wissensgrundlage dafür bereitstellen, wie viel Nahrung die Arbeiter*innen "wirklich" bräuchten. Wer von einem solchen Lohn nicht überleben könne, sei selbst schuld: "Die Argumentation entpolitisierte die Magenfrage als soziale Frage und individualisierte die Verantwortung für Hunger und Mangelernährung." In den sogenannten Kostsätzen, in denen die zur körperlichen Reproduktion vermeintlich notwendige Nahrung definiert wurde, spiegelte sich so dann auch die oben skizzierte Verbindung von Fleisch, Männlichkeit und körperlicher Stärke: Am Beispiel der "Kostmaße" des Physiologen Carl Voit (1831–1908) zeigt die Sozialwissenschaftlerin Lisa Mense, dass "mittleren Arbeitern" ein extrem hoher Eiweißbedarf zugeschrieben wurde, der nur durch Fleisch zu decken gewesen sei. Die Kostmaße waren also "keineswegs geschlechtsneutral, denn im Grundsatz sollte dabei das Fleisch den Männern vorbehalten sein". In den Kostmaßen zeigt sich nicht zuletzt auch die Analogie zwischen der Dampfmaschine, der zu dieser Zeit alles dominierenden technischen Errungenschaft, und dem Bild des männlichen arbeitenden Körpers, der die Kalorien der Nahrung "verbrennt". Das naturwissenschaftliche Wissen drückte ein bürgerliches Verständnis von Männlichkeit aus, denn es "nährte sich mithin aus einer sozialen Praxis von Männlichkeit, die durch Kraft und Arbeit charakterisiert sowie an der Optimierung des Verhältnisses beider im Rahmen einer industrialisierten Produktionsweise und Erwerbstätigkeit ausgerichtet war".
Fleischkonsum als Distinktion
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Fleischkonsum breiten gesellschaftlichen Schichten erschwinglich und damit zu dem Massenphänomen geworden, wie wir es heute kennen. Fleisch kommt dabei im Speiseplan eine besondere Stellung zu. Der Anthropologe Nick Fiddes beschreibt die Stellung von Fleisch in der Gegenwart so, dass es nahezu gleichbedeutend ist mit Essen, dass eine "richtige" Mahlzeit Fleisch enthalten müsse. Fleisch zu essen, sei daher eine "von den meisten Menschen nicht hinterfragte Grundregel".
Eine der umfassendsten Untersuchungen des Fleischkonsums in der Industriegesellschaft hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seiner berühmten Studie "Die feinen Unterschiede" 1979 vorgelegt. Er erarbeitete die These, dass der "Geschmack" für bestimmte Speisen auf für die jeweilige soziale Position spezifisch erworbenen Dispositionen des "Habitus" basiert. Ein "legitimer Geschmack" diene so der Distinktion, also der symbolischen Abgrenzung zwischen verschiedenen Klassenpositionen und zwischen den Geschlechtern. Zwischen den unteren und oberen Klassen unterscheiden sich Essenspraktiken nach ihrer zentralen Funktion "Form" oder "Substanz": "Substanz" zu konsumieren, bedeute, reichlich stärkende Lebensmittel zu konsumieren, die vor allem den Männern unbegrenzt zustehen, während "Form" als asketische Praxis die ästhetische Komponente durch Essen einschließe. Die sozial differenzierte Nahrungspraxis hänge weiterhin mit sozial differenzierten Körperbildern zusammen und resultiere schlussendlich in sozial differenzierten Körpern: "Der Geschmack für bestimmte Speisen und Getränke hängt (…) sowohl ab vom Körperbild, das innerhalb einer sozialen Klasse herrscht, und von der Vorstellung über die Folgen einer bestimmten Nahrung für den Körper, das heißt auf dessen Kraft, Gesundheit und Schönheit." Das Resultat sei daher die "Körper gewordene Klasse" beziehungsweise das "Körper gewordene Geschlecht", wie die Soziologin Monika Setzwein ergänzt. Der Geschmack für Fleisch spielt bei der Distinktion zwischen den Geschlechtern dann eine herausragende Rolle: "Fleisch, die nahrhafte Kost schlechthin, kräftig und Kraft, Stärke, Gesundheit, Blut schenkend, ist das Gericht der Männer, die zweimal zugreifen, während die Frauen sich mit einem Stückchen begnügen."
Die in der Industrialisierung entstandene Verbindung von Kraft und Stärke, Fleisch und Männlichkeit hat sich demzufolge durch das Einschreiben in habituelle Handlungsmuster in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kulturell stabilisiert. Allerdings ist diese Norm vor allem in unteren Schichten wirksam und nimmt nach oben hin im sozialen Raum ab. In einem Vergleich der Koch- und Konsumpraktiken von vier unterschiedlich situierten Paaren zeigen die Sozialwissenschaftlerinnen Petra Frerichs und Margarete Steinrücke, wie Fleisch zwischen den Klassen "eine Art Scheidemarke [ist] (…). [F]ür das Arbeiterpaar [ist] Fleisch als traditionelle Kraftnahrung nach wie vor von großer Bedeutung." In einer aktuelleren Analyse von verschiedenen Lebensmittelwerbungen bestätigen die Geschlechterforscherinnen Sabine Flick und Lotte Rose, dass Fleisch eher "in einem männlichen Milieu verortet wird, das nicht hegemonial ist". Die Rolle, die Fleisch in der Konstruktion von Männlichkeiten einnimmt, unterscheidet sich folglich stark nach der jeweiligen Klassenposition. Je höher die Position, desto stärker nimmt die Wichtigkeit der Fleischmenge ab und die Qualität beziehungsweise das symbolische Prestige des verzehrten Fleisches zu.
Nicht nur der Verzehr von Fleisch ist geschlechtlich strukturiert, auch die Zubereitung ist unterschiedlich verteilt – entsprechend der "traditionellen" Arbeitsteilung, die der Frau in heterosexuellen Partnerschaften die Reproduktionsarbeit zuschreibt. Frerichs und Steinrücke zeichnen nach, dass in oberen Klassenfraktionen die Frauen eher die alltägliche Kocharbeit leisten, während Männer die aufwendigen Gerichte für Gäste zubereiten. Die Autorinnen folgern, dass Männer "sich auf das Feld des Kochens in Form öffentlicher Selbstdemonstration und Selbstbehauptung (…) begeben. Sofern Kochen zu einem ‚männlichen Spiel‘ konstituiert ist, lohnt es sich für sie, sich daran zu beteiligen." Wie auch das Eingangsbeispiel des Edeka-Spots zeigt, ist das Grillen von Fleisch eine über die Klassengrenzen hinweg sehr stark männlich codierte Praxis. Grillen von Fleisch auf offenem Feuer als besondere Zubereitungsart existiert in seiner heutigen Form seit den 1960er Jahren und ist damit auch als Folge der Elektrifizierung des Kochens im Haus zu betrachten. Dass Männer am Grill stehen, ist damit einerseits an die vergeschlechtlichte Aufteilung der Sphären von innen und außen gebunden und andererseits als Folge davon zu betrachten, dass das Zubereiten auf offenem Feuer zu einer besonderen Tätigkeit wurde, die sich von der alltäglichen Kocharbeit unterscheidet. Erst so erlaubt Grillen die Konstruktion einer Männlichkeit, in der sich "der Mann als mutiger Urmensch inszeniert", sowie die "Vorstellung einer traditionellen Gesellschaft (…), in der der Mann Oberhaupt und Ernährer" ist.
Fleisch, Sexismus und die "Neuen Karnivoren"
Neben der Verbindung von Fleisch und Männlichkeit über körperliche Kraft und Stärke, die die Geschlechterdifferenz körperlich inszeniert, glaubhaft macht und die Position des Mannes als vermeintlich "starkes Geschlecht" reproduziert, gibt es noch eine weitere relevante Verbindungslinie: Aufgrund der Eigenschaft, dass Fleisch notwendigerweise das Produkt des Tötens eines Tieres ist, ist es ein "natürliches Symbol der Macht". Fleisch symbolisiert aber nicht nur die Herrschaft des Menschen über die Natur, sondern auch die patriarchale Herrschaft des Mannes über die Frau. Die Einverleibung des getöteten Tieres erzeuge eine "karnivore Virilität". Das zeigt sich auch darin, dass die "Assoziationen zwischen Fleischerei und Sexualität (…) eine lange Tradition" haben. Es "erweckt den Eindruck, als ob Frauen von Männern so wahrgenommen würden, als seien sie mit gejagtem oder gezüchtetem Fleisch vergleichbar". In ihrer berühmten Studie zur "Geschlechterpolitik des Fleisches" zeigte die Feministin und Tierrechtlerin Carol J. Adams, wie die Sprache der Fleischerei sich auf Felder einer männlich-dominierten Sexualität, der Pornografie bis hin zu sexualisierter Gewalt erstreckt: "‚Fleisch‘ wird zu einem Begriff, der die Unterdrückung von Frauen zum Ausdruck bringt, und wird in diesem Sinn genauso vom Patriarchat wie von Frauen verwendet, die sagen, eine Frau ist ein 'Stück Fleisch'." In aller Deutlichkeit zeigt sich der Zusammenhang von Sexismus und Fleisch in der Werbung. Die Germanistin Nicole Wilk demonstriert anhand eines Wiesenhof-Spots, in dem Dieter Bohlen und eine Frau im Bikini zu sehen sind, ein "Changieren zwischen Sex- und Essbegehren (…) in sprachlich und bildlich wechselnder Bezugnahme vom Tier- auf den Frauenkörper".
Diese Bildsprache nutzt auch das vieldiskutierte Magazin "Beef!". Als erste explizit an Männer gerichtete Ernährungszeitschrift orientiert es sich in der Darstellung von Fleisch an pornografischen Inszenierungen, wie der Chefredakteur Jan Spielhagen selbst erklärt: "In derselben Art und Weise, wie der 'Playboy' Frauen darstellt, stellen wir Cuts von Fleisch dar." Sexistische Referenzen werden in dieser Zeitschrift gepaart mit einer scheinbar widersprüchlichen Kombination aus hochgradig technologisierten Zubereitungswegen wie Knochensägen oder Weber-Grills und der Darstellung von Ursprünglichkeit in Form von offenem Feuer – in dieser Verbindung eine Distinktionspraxis höherer Klassenpositionen. Bemerkenswert ist dabei auch, dass nicht nur die Zubereitung und das Essen von Fleisch behandelt werden, sondern auch das eigenhändige Zerteilen des Tieres für den "Mann von Welt" eine Renaissance erfährt: "Der Mann, den BEEF! konstruiert, kauft nicht das abgepackte Steak im Discounter, sondern fährt mit seinem Landrover selbstverständlich 100km weit, um beim Galloway-Züchter ein halbes Rind zu kaufen, das er in seiner 50 qm großen Küche selbst entbeint." Diese Rückkehr zum "richtigen" Fleischkonsum grenzt sich in dieser Form von dem Massenkonsum unterer Schichten ab. Diese Art der "neuen Karnivoren" ist dabei auch eine offensive Verteidigung von Männlichkeit und der Herrschaft über die Natur.
Vegetarismus, Veganismus und Männlichkeit
Diese Position wird herausgefordert von Entwicklungen, in deren Zuge Fleischkonsum zugunsten einer veganen, vegetarischen oder flexitarischen Ernährungsweise aufgegeben oder bewusst reduziert wird. Vegetarische Ernährung ist aber kein neues Phänomen. Vielmehr ging mit der Zunahme des Fleischkonsums ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch eine entsprechende Gegenbewegung einher: Mit der Lebensreformbewegung kam auch die vegetarische Ernährung als antimoderne Protesthaltung auf. Bemerkenswert ist, dass die damals überwiegend männlichen Vegetarier große Anstrengungen unternahmen, um zu demonstrieren, dass die damals neue, dominierende Männlichkeit, die sich durch körperliche Stärke und Leistungsfähigkeit auszeichnet, auch ohne Fleisch möglich ist. Diese Strategie zeigt, wie wichtig Fleisch und körperliche Stärke für die Verkörperung einer "echten" Männlichkeit war und bis heute ist, denn der Fleischverzicht galt und gilt als weiblich codiert: "Vegetarisch lebende Männer gelten vielfach als verweichlichte Schwächlinge."
Der Vegetarismus war nach seiner Hochphase mit der Lebensreformbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eher ein Randphänomen. Der Anteil der Vegetarier*innen in Deutschland lag Anfang der 1980er Jahre bei unter einem Prozent, ist seitdem aber konstant gestiegen und liegt mittlerweile bei etwa zehn Prozent. Der Anstieg der fleischfreien Ernährung hat sicherlich mit den zunehmenden Problematisierungen von Fleisch zu tun. Allerdings lässt sich auch ein allgemeiner ernährungskultureller Wandel beobachten, der diesen Anstieg begünstigt und bei dem auch Männlichkeiten eine wichtige Rolle spielen. Mit dem "neoliberalen" Um- beziehungsweise Abbau sozialer Sicherungssysteme einerseits und der Prekarisierung in der Arbeitswelt, mit der auch die vermeintliche Sicherheit der Position des Mannes als "Ernährer" der Familie verschwindet, wird die individuelle Sorge um den Körper und dessen "Fitness" immer bedeutender: "In diesem Sinne wäre die Anerkennung von Körpern, auch der Geschlechtskörper, nicht mehr gerahmt als Verkörperung einer ontologischen Natur, sondern als Willen zur sichtbaren Körperarbeit. Wer diesen Willen nicht verkörpert, gilt zunehmend, so ließe sich warnend sagen, als nicht inklusionsfähig." Die eigene Ernährung verliert damit an Selbstverständlichkeit und bedarf einer zunehmenden Rechtfertigung – mit dem Effekt, dass der Verzicht auf Fleisch an Legitimität gewinnt, wenn er als Selbstoptimierung verstanden wird.
Die enge Verbindung von Fleisch, körperlicher Stärke und Männlichkeit sowie die weibliche Konnotation pflanzlicher Kost sind aber nach wie vor wirkmächtige kulturelle Leitbilder. Dies zeigt sich daran, dass männliche Veganer Strategien entwickeln, ihre Männlichkeit abzusichern: Wie schon zu Zeiten der Lebensreformbewegung werden reale oder vermeintliche Leistungsvorteile beim Sport hervorgehoben. Besonders eindrücklich zeigt sich das an der Dokumentation "The Game Changers", in der Stars wie Arnold Schwarzenegger oder Lewis Hamilton auftreten. Auffällig ist, dass mit der Betonung von körperlichen Vorteilen veganer Ernährung die ethischen Motive weniger im Vordergrund stehen. Der Historiker Ole Fischer kann belegen, dass diese historisch eher als weiblich gelten, und auch heute gibt es ähnliche Tendenzen, wie etwa die Bewegung der "Hegans" zeigt. Mit dieser Wortschöpfung aus "He" für health und "vegan" grenzen sich Männer von ethischen Überzeugungen ab. Diese Bewegung ist aber nicht die einzige Art, wie die Verbindung von Fleisch und Männlichkeit herausgefordert wird. Während dort eher Fleisch als Quelle von Körperkraft zurückgewiesen und das Konzept starker Maskulinität nicht angegriffen wird, gibt es in Verbindung mit Fleischverzicht auch alternative und "hybride" Männlichkeitskonzepte, die als Form einer "empathischen Männlichkeit" ethische und moralische Überzeugungen als Abgrenzung zur naturbeherrschenden Männlichkeit der "neuen Karnivoren" ins Feld führen.
Die Frage, ob und wenn ja welches Fleisch konsumiert wird und in welcher Menge, ist damit zu einer gesellschaftlichen Kampfarena um die "richtige" Verkörperung von Männlichkeit geworden. Eine starre Zuweisung – Fleisch und nur Fleisch ist männlich – wird zunehmend von anderen Männlichkeitskonzepten herausgefordert, woraufhin wiederum eine Männlichkeit zu verzeichnen ist, die sich zurück in eine Position des patriarchalen "Herren des Feuers" imaginiert – auch, wenn es nur für das Gartenfest mit der Nachbarschaft ist.