Am 25. März 1957 unterzeichneten die sechs in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zusammengeschlossenen Staaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Italien und die Niederlande die Verträge zur Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und einer Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom), die die Grundlage für die mehr als 30 Jahre später gegründete Europäische Union (EU) bildeten. Um die Bürger Europas Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre vom Sinn und der Notwendigkeit dieses neuen Europaprojekts zu überzeugen, wurden die politischen Entscheidungen von einer intensiven Werbekampagne begleitet, zu der neben Zeitungsartikeln, Broschüren und Plakaten auch Filme gehörten. In einigen der zu diesem Zweck produzierten Animationsfilme wurde das Bild einer von starken Mauern umgebenen Staatengruppe (EWG-Staaten) gezeichnet, deren innere Mauern (Grenzen) nach und nach bröckelten und schließlich ganz verschwanden (siehe Abbildung).
Die hohen, dicken, an eine Festung erinnernden Außenmauern, die die sechs Staaten umgaben, symbolisierten den Schutz dieses neu geschaffenen grenzfreien Raumes vor dem Eindringen "unliebsamer Faktoren". Sie wurden seinerzeit durchaus positiv konnotiert und sollten die Furcht vor dem Abbau innereuropäischer Grenzen infolge der geplanten Zollunion mindern. Anders als damals ist das Bild einer "Festung Europa" heute überwiegend negativ konnotiert und wird, gerade vonseiten einiger EU-kritischer Gruppierungen aus dem linken politischen Spektrum, als Anklage gegen die Abschottung des "reichen Europas" gegenüber ärmeren Teilen der Welt und ihren Bewohnern verwandt.
Anfänge
Dem Prozess der europäischen Integration, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gründung europäischer Institutionen einsetzte, lagen verschiedene Motive zugrunde. Die durch den Marshallplan 1948 geschaffene Organization for European Economic Cooperation (OEEC) sollte nach US-amerikanischer Vorstellung den Wiederaufbau und den Wohlstand Europas durch freien Warenaustausch garantieren, den USA damit als Absatz- und Handelspartner dienen und zugleich ein Bollwerk gegen den Kommunismus bilden. Abschottung war nur gegenüber dem kommunistischen Osten geplant, während in Bezug auf die westliche Welt eine Liberalisierung des Handelsverkehrs durchgesetzt werden sollte. Wenngleich die Europäer auch den amerikanischen Vorstellungen nur begrenzt entgegenkamen und weder bereit waren, eine Zollunion noch eine supranationale Institution zu errichten, verfolgte die OEEC doch erste Ansätze zu einer Liberalisierung des europäischen Handels- und Zahlungsverkehrs. Der ein Jahr später auf Anregung der nicht-staatlichen "Europabewegung" gegründete Europarat verstand sich als eine – mit Ausnahme der Verteidigungspolitik – sämtliche Bereiche umfassende Organisation, die den Frieden sichern, das Zusammenwachsen der Europäer auf wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet fördern und insbesondere das kulturelle Erbe Europas bewahren sollte.
Der auf britisches Drängen hin lediglich intergouvernemental strukturierte Europarat konnte allerdings das französische Bedürfnis nach dauerhafter Sicherheit vor Deutschland nicht befriedigen. Aus diesem Grund präsentierte der französische Außenminister Robert Schuman im Mai 1950 den Plan zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die die französische und deutsche Kohle- und Stahlproduktion sowie die weiterer europäischer Staaten unter der Aufsicht einer supranationalen "Hohen Behörde" zusammenfassen und somit die französische Stahlindustrie vor deutscher Konkurrenz schützen sowie den französischen Modernisierungsplan der Wirtschaft retten sollte. Wenngleich dieser Plan und die daraus entstehende EGKS sich vornehmlich auf die westeuropäischen Staaten bezogen, hatte Schuman in seiner Rede gleichwohl den über Europa hinausweisenden Charakter dieser Gemeinschaft betont, indem er hervorhob, dass diese Produktion "der gesamten Welt ohne Unterschied und Ausnahme zur Verfügung gestellt werden [wird], um zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung der Werke des Friedens beizutragen".
Zwischen weltoffener Handelspolitik und Protektionismus
Nach den Anfang der 1950er Jahre gescheiterten Versuchen, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sowie eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) zu errichten,
Widerstand gegen den Plan einer auf die sechs Staaten begrenzten Wirtschaftsgemeinschaft kam unter anderem vonseiten des deutschen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard, der eine solche, von ihm als protektionistisch und dirigistisch bezeichnete Gemeinschaft als unvereinbar mit den weltweiten Handelsinteressen Deutschlands ansah. Erhards Ziel war die Schaffung eines von autarken Tendenzen, Isolationismus und Protektionismus befreiten Welthandels in einer offenen internationalen Gesellschaft,
Kern der EWG war die Zollunion, die durch den Wegfall der Binnenzölle und mengenmäßigen Beschränkungen sowie aller sonstigen den freien Warenverkehr beeinträchtigenden Maßnahmen innerhalb von 12 bis 15 Jahren einen gemeinsamen Markt etablieren sollte. Zugleich war ein gemeinsamer Außenzoll vorgesehen, der sich aus dem arithmetischen Mittel der bisherigen Außenzölle aller sechs Staaten errechnete. Für Staaten mit einem zuvor niedrigen Außenzoll, wie die Bundesrepublik und die Niederlande, bedeutete dies eine Erhöhung des Außenzolls gegenüber Drittstaaten und damit eine potenzielle Beeinträchtigung des Handels mit diesen. In den Gemeinsamen Markt wurden auch die Landwirtschaft sowie der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen einbezogen, wobei konkrete Vereinbarungen hierzu erst später getroffen wurden. Ferner sah der EWG-Vertrag neben dem freien Warenverkehr auch den ungehinderten Austausch von Dienstleistungen, den freien Personen- und Kapitalverkehr (die "vier Freiheiten") sowie eine schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten vor. Weitere Bestimmungen des Vertrags betrafen die Koordinierung der Verkehrs-, Konjunktur-, Wirtschafts-, Währungs- und Außenhandelspolitik, die Angleichung der Sozialpolitik sowie die Außenbeziehungen der Gemeinschaft.
Da in den folgenden Jahrzehnten die Mitgliedstaaten aufgrund wirtschaftlicher Probleme immer wieder zu protektionistischen, den freien Handel begrenzenden Maßnahmen griffen, um ihre jeweils heimische Volkswirtschaft zu schützen, und wenig europäischen "Gemeinschaftsgeist" zeigten, schienen neue Reformanstrengungen nötig, um die Ziele des Gemeinsamen Marktes umzusetzen. Diese erfolgten mit der Verabschiedung der "Einheitlichen Europäischen Akte" (EEA) im Jahre 1986, die am 1. Juli 1987 in Kraft trat und eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Europäischen Union darstellte. Hauptziel der EEA
Wenngleich sich der Charakter der EWG durch die neue Vereinbarung nicht grundsätzlich änderte, wurden doch gerade jetzt Stimmen laut, die vor einer "Festung Europa" warnten.
Im Zentrum des EWG-Vertrags stand, wie erwähnt, der Gemeinsame Markt beziehungsweise der Binnenmarkt, der den Wohlstand der EG-Mitglieder mehren und zugleich durch außenhandelspolitische Instrumente wie Zölle und Kontingentierungen Schutz vor unliebsamer Konkurrenz bieten sollte. Diese Schutzinstrumente bargen einerseits durchaus die Gefahr, zum Zwecke des Protektionismus missbraucht zu werden; andererseits aber war die EG als wichtigster Handelspartner der Welt an einer möglichst liberalen Ausgestaltung der Handelspolitik gegenüber Drittstaaten interessiert. Die EG bewegte sich damit ständig "auf einem schmalen Grat zwischen 'protection' einerseits und 'protectionism' andererseits".
Verhältnis zu Drittstaaten
Dass sich Europa, in diesem Fall die Europäische Gemeinschaft, keineswegs von der restlichen Welt abschottete, geht auch aus anderen Bestimmungen des EWG-Vertrags hervor. Hier ist insbesondere auf das Instrument der Assoziierung hinzuweisen, das die Beziehungen zu Drittstaaten regelt. Laut EWG-Vertrag war der Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften nur "europäischen" Staaten vorbehalten, wobei das Kriterium "europäisch" aus gutem Grund nicht definiert wurde – unterlag doch die Vorstellung davon, was Europa ist und wo seine Grenzen liegen, im Laufe der Geschichte einem stetigen Wandel.
Eine besondere Rolle spielten die sogenannten Entwicklungsassoziationen, die sich auf die außereuropäischen Kolonien bezogen, über die 1957/58 noch mehrere EG-Mitgliedstaaten, insbesondere Frankreich, verfügten. Frankreich hatte bei den Verhandlungen zu den Römischen Verträgen auf eine solche Einbeziehung seiner überseeischen Gebiete gedrängt, nicht zuletzt, um sich die Kosten für die Entwicklung dieser Gebiete mit den anderen EG-Staaten teilen zu können. Als Ziel der Assoziierung nannte Artikel 131 des EWG-Vertrags die "Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Länder und Hoheitsgebiete und die Herstellung enger Wirtschaftsbeziehungen zwischen ihnen und der gesamten Gemeinschaft", wobei explizit betont wurde, dass "die Assoziierung in erster Linie den Interessen der Einwohner dieser Länder und Hoheitsgebiete dienen und ihren Wohlstand fördern" sollte.
Nach der Dekolonialisierung wandelten sich diese sogenannten konstitutionellen Assoziierungen in "vertragliche Assoziierungen" mit den unabhängig gewordenen AKP-Staaten (afrikanische, karibische, pazifische Staaten) gemäß Artikel 238 des EWG-Vertrags. In der Folge wurden verschiedene Abkommen mit diesen Staaten geschlossen, wie etwa Yaoundé I und II in den Jahren 1963 beziehungsweise 1969 sowie Lomé I (1975), II (1979), III (1984) und IV (1989). Assoziationen wurden unter anderem auch mit den Mittelmeeranrainerstaaten des Maghreb (Marokko, Algerien, Tunesien) und des Maschrek (Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien) vereinbart.
Schutz oder Abschottung? Asyl- und Migrationspolitik
Die 1986 verabschiedete Einheitliche Europäische Akte, die den EWG-Vertrag in Teilen änderte und ergänzte, stellte eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Europäischen Union dar. Die Arbeit am Binnenmarktprojekt hatte erneut die Vorteile einer verstärkten Integration, vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik, deutlich gemacht. Die Anfang der 1970er Jahre bereits anvisierte Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion ("Werner-Plan", benannt nach dem damaligen luxemburgischen Premierminister Pierre Werner) war an den unterschiedlichen Interessen der EG-Staaten gescheitert; Ende der 1980er Jahre strebte Frankreich unter Präsident François Mitterrand eine Wiederaufnahme des Werner-Plans an, um die geld- und währungspolitische Dominanz der deutschen Bundesbank in Westeuropa zu überwinden. Dieser Plan erhielt einen wesentlichen Schub durch die politische Entwicklung in Mittel- und Osteuropa 1989/90 und die sich abzeichnende Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Alle EG-Staaten, einschließlich der Bundesrepublik, waren bestrebt, das wiedervereinigte Deutschland politisch und wirtschaftlich eng in Europa einzubinden. Infolgedessen gab der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, der keinen Zweifel an der europäischen Bindung des wiedervereinigten Deutschlands aufkommen lassen wollte, nicht nur seinen anfänglichen Widerstand gegen die Bildung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) auf, sondern drängte zugleich auch auf die Bildung einer Politischen Union Europas. In der Folge wurden zwei Regierungskonferenzen eingesetzt, deren Ergebnisse in den 1992 in Maastricht unterzeichneten und am 1. November 1993 in Kraft getretenen "Vertrag über die Europäische Union" (EUV) mündeten.
Dieser "Mantelvertrag" änderte und ergänzte die bisherigen Verträge über die Europäischen Gemeinschaften sowie die Einheitliche Europäische Akte und führte die bestehenden Gemeinschaften mit den neuen Bereichen einer Politischen Union zusammen. Illustriert wurde dies in Form eines Tempels, der auf drei Säulen ruht, die mit unterschiedlichen Aufgabenfeldern und Entscheidungsverfahren versehen und lediglich durch das Dach der Europäischen Union verbunden sind. Die dritte Säule enthielt den neu aufgenommenen Regelungsbereich der "Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres", der unter anderem die Asyl- und Einwanderungspolitik sowie die Angleichung der Kontrollen an den Außengrenzen der Gemeinschaft umfasste. Waren diese Bereiche bislang alleinige Angelegenheit der Mitgliedstaaten gewesen, so wurden sie jetzt auf Gemeinschaftsebene, wenn auch zunächst nur im intergouvernementalen Entscheidungsverfahren, geregelt.
Der Vorwurf einer "Festung Europa", die sich vor fremden "Eindringlingen" schützt, entzündete sich jetzt vor allem an diesem Regelungsbereich, der mit den EU-Folgeverträgen (Amsterdam 1999, Nizza 2003, Lissabon 2009) weiter vertieft und mit neuen Aufgaben und Strukturen versehen wurde. So wurden unter anderem die Bereiche Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik mit dem Vertrag von Amsterdam von der dritten in die erste Säule überführt und unterlagen damit der supranationalen Entscheidungsmethode. Auch das 1985 außerhalb der EG-Verträge von einigen Staaten ausgehandelte Schengener Abkommen zum Wegfall der Personenkontrollen an den Binnengrenzen wurde in den EU-Vertrag integriert. Regelungen zum Asylanspruch und Asylverfahrensrecht sowie zur Anerkennung und zum Schutz von Flüchtlingen wurden ebenso erlassen wie solche zum Einwanderungsrecht. 2004 schließlich wurde mit "Frontex" eine Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache geschaffen, die in Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten für die Kontrolle der Außengrenzen der EU zuständig ist.
Die Notwendigkeit einer EU-weiten Regelung der Asyl- und Einwanderungspolitik war eine direkte Folge der Verwirklichung des Konzepts der vier Grundfreiheiten im Binnenmarkt, des freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehrs, sowie des Wegfalls der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen durch das Schengener Übereinkommen. Diese Integrationsschritte erforderten als Kompensation für die Freizügigkeit im Inneren eine gemeinsame Politik gegenüber Nicht-Unionsbürgern an den EU-Außengrenzen.
Bislang hat sich jedoch noch keine umfassende europäische Migrationspolitik herausgebildet. Vielmehr haben sich die Teilbereiche der Asyl- und Einwanderungspolitik deutlich unterschiedlich entwickelt, und für einheitliche Regelungen ist noch viel zu tun.
Festung Europa?
Als Resümee bleibt festzuhalten, dass die Europäischen Gemeinschaften beziehungsweise die Europäische Union insgesamt ein ambivalentes Bild abgeben. Einerseits hat sich die EU in der Vergangenheit stets dem Prinzip der weltweiten Handelsliberalisierung verpflichtet gefühlt, andererseits haben ihre Mitgliedstaaten regelmäßig protektionistische Politiken zum Schutz ihrer eigenen Wirtschaft implementiert. Auch Nicht-EU-Bürgern gegenüber zeigte sich die EU, unter dem Vorbehalt des Schutzes der eigenen Grenzen und Prinzipien, prinzipiell offen, in der Praxis kam es gleichwohl mitunter zu Regelungen und Vorfällen, die ihr aus durchaus nachvollziehbaren Gründen den Vorwurf einbrachten, eine "Festung" zu sein. Doch wie dem auch sei: Europa als eine undurchdringbare, sich nach außen abschottende und lediglich dem eigenen Wohl und Schutz verpflichtete Festung zu zeichnen, negiert nicht nur die skizzierten Ziele und Ansprüche europäischer Politik, wie sie sich in den Verträgen niederschlagen und im Grundsatz auch die europäische Politik leiten, sondern wird auch der europäischen Integrationsgeschichte im Ganzen nicht gerecht.