Eine Festung ist laut Duden eine "stark befestigte, strategischen Zwecken dienende Verteidigungsanlage". Sie dient vor allem dem Schutz vor Gefahren von außen. Zugleich schwingt in dem Begriff der Stolz auf etwas Errungenes mit; das lateinische "fortis" bezeichnet etwas, das stark und dauerhaft, mutig, energisch und einflussreich ist. Von einer "Festung Europa" ist heute vor allem in der ersten Bedeutung die Rede – eher anklagend vonseiten der Kritikerinnen und Kritiker europäischer Migrationspolitik, eher affirmativ von jenen, die sich eine noch stärkere Sicherung von Europas Grenzen wünschen.
Während die "Festung Europa" zu Beginn der europäischen Integration Frieden, Freiheit und Wohlstand verhieß, ist das Bild heute ein ambivalentes: Trotz mancher protektionistischer Tendenzen gehört die EU wirtschaftlich zu den offensten und am stärksten in den Weltmarkt integrierten Regionen – zum Wohle ihrer Mitglieder und Handelspartner. Ihre Flüchtlings-, Asyl- und Migrationspolitik hingegen steht in dem Ruf, vor allem der Abschottung nach außen zu dienen: Stacheldrahtbewehrte Grenzzäune an mindestens 18 europäischen Grenzen, moralisch wie rechtlich fragwürdige Einsätze ihrer Grenzschutzagentur Frontex und mehr als 24000 seit 2014 im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge werfen kein gutes Licht auf das Migrationsmanagement der EU. Vielleicht lässt die bemerkenswerte Aufnahme so vieler Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hier ja ein Umdenken erkennen.
Möchte Europa eine "Festung" im positiven Sinne sein, ein starker und einflussreicher Akteur in Zeiten weltpolitischer Unwägbarkeiten, muss es wohl mutiger werden: in der Verteidigungspolitik, im gemeinsamen, menschenrechtskonformen Umgang mit freiwilliger und erzwungener Migration, auch in der solidarischen Mehrung und Verteilung wirtschaftlichen Wohlstands. Wann, wenn nicht in Zeiten der Krise, wäre eine gute Gelegenheit dafür?