Gewalt gegen Frauen ist eine der größten Bedrohungen für die Gesundheit, das Wohlergehen, die gesellschaftliche Inklusion und die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen auf der Welt. Sie kann als drastischer Ausdruck der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verstanden werden. Etwa jede dritte Frau in der Europäischen Union hat in ihrem Leben schon einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Das gilt auch für Frauen in Deutschland.
Mediale Berichterstattung
Die Art und Weise, wie Nachrichtenmedien Gewalt gegen Frauen darstellen, kann zum Verständnis des Problems in der Gesellschaft beitragen. Themen, die in den Medien sichtbar sind, werden auch von der Öffentlichkeit und von politischen Akteuren als wichtiger empfunden als solche, die es nicht sind.
Von Bedeutung ist in diesem Kontext auch die Nennung der Herkunft von Tatverdächtigen, die in Deutschland insbesondere seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 eine Rolle spielt. Eine stereotype Berichterstattung über nichtdeutsche Täter und deren Hervorhebung im Kontext von Gewalt gegen Frauen kann dazu führen, dass Gewalt gegen Frauen als ein Problem wahrgenommen wird, das "die Anderen" verursachen – statistisch gesehen ist der gefährlichste Kontakt für eine deutsche Frau jedoch immer noch ein deutscher Mann. Schließlich ist auch die Art und Weise der Berichterstattung von Bedeutung dafür, welche Ursachen und Folgen die Öffentlichkeit in Bezug auf ein Ereignis ableitet – wer für eine Problemlösung verantwortlich ist. Entscheidend ist, ob die Medien Gewalt gegen Frauen thematisch aufbereiten und als gesellschaftliches Problem einordnen oder ob es bei einer reinen Einzelfalldarstellung bleibt.
In den vergangenen Jahren lässt sich eine wachsende Zahl von Studien zur Medienberichterstattung über Gewalt gegen Frauen verzeichnen. In ihrer Gesamtheit zeigen diese Studien dominante Muster, die im Zeitverlauf sehr stabil sind und in der Berichterstattung verschiedener Länder sehr ähnlich erscheinen.
Am Anfang jeder Nachrichtenberichterstattung steht die Auswahl dessen, was berichtet werden soll. Nach der Theorie der Nachrichtenfaktoren wählen Journalistinnen und Journalisten Ereignisse aus, die sich durch bestimmte Merkmale auszeichnen, die die Ereignisse berichtenswert machen, beispielsweise ein großer Schaden, Negativität, lokale Nähe oder Unerwartetheit.
Darüber hinaus halten Medienschaffende häufig solche Ereignisse für berichtenswert, die seltener sind. In diesem Zusammenhang ist die Beziehung zwischen der gewaltbetroffenen Frau und dem Täter in den Medien von Bedeutung: Wie bereits erwähnt, ist die Gewalt durch Intimpartner alltäglich. Im Gegensatz dazu werden Gewaltverbrechen gegen Frauen seltener von Personen begangen, die den Frauen fremd sind. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass sie in der medialen Berichterstattung überproportional oft vorkommen.
Dies gilt auch für die Berichterstattung in Deutschland. Vergleicht man die polizeilich gemeldeten Delikte in Abhängigkeit der Beziehung zwischen Opfer und Tatverdächtigem, so zeigt sich, dass in den Medien vor allem Tötungsdelikte stark überrepräsentiert sind. Über alltäglichere Formen von Gewalt gegen Frauen, wie Körperverletzung oder Nötigung, wird dagegen deutlich unterproportional zu ihrem realen Vorkommen berichtet. Während Tötungsdelikte in der Polizeilichen Kriminalstatistik weniger als ein Prozent der Straftaten gegen Frauen ausmachen, sind sie Bestandteil rund jeden zweiten Berichts über Gewalt gegen Frauen in den Medien. Ein Blick auf das Täter-Opfer-Verhältnis zeigt, dass durch Täter aus dem sozialen Nahraum ausgeübte Gewalt in den Medien unterrepräsentiert ist. Dies gilt insbesondere für die Gewalt in (Ex-)Partnerschaften. Intime Partnergewalt macht in der amtlichen Statistik des Bundeskriminalamts etwa ein Drittel der Gewalt gegen Frauen aus. In der medialen Berichterstattung ist es etwa ein Fünftel. Gleichzeitig sind es besonders diese Fälle, die von großer Brutalität sein müssen, um die Schwelle der medialen Berichterstattung zu überschreiten (Abbildung).
Mediale Einordnung
Die Forschung zu Gewalt gegen Frauen zeigt, dass die Gründe für Gewalt und insbesondere Gewalt in Paarbeziehungen in einem Zusammenspiel von individuellen und sozioökonomischen Faktoren liegen. Systemische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sowie individuelle und gesellschaftliche Überzeugungen und Einstellungen spielen eine Rolle. Die Forschung zur Medienberichterstattung zeigt jedoch, dass Gewalt gegen Frauen vor allem als individuelles Problem dargestellt wird, wobei der Fokus auf (individueller) Devianz liegt. Die Medien charakterisieren die Quelle der Gewalt als individuelle Abweichung von der Norm und nicht als strukturelles gesellschaftliches Problem.
Im Gegensatz zum episodischen steht das thematische Framing: Diese Art der Berichterstattung stellt das Thema in einen breiten gesellschaftlichen Kontext und thematisiert beispielsweise das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen über den Einzelfall hinaus, die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt gegen Frauen oder geschlechtsspezifische Machtverhältnisse. Mit anderen Worten: Das episodische Framing konzentriert sich eher auf das "Was", das thematische Framing auf das "Warum". Studien aus verschiedenen Regionen und kulturellen Kontexten zeigen, dass die Medienberichterstattung über Gewalt gegen Frauen übergreifende soziale und gesellschaftliche Kontexte weitgehend ignoriert und Gewalt gegen Frauen in den meisten Fällen als isolierte Einzelfälle darstellt.
Das zeigt sich auch in der deutschen Berichterstattung. Nur ein sehr kleiner Teil der Artikel über Gewalt gegen Frauen berichtet auf rein thematischer Ebene. Im November erscheinen regelmäßig thematische Artikel – ein Viertel aller thematischen Artikel insgesamt entfällt auf diesen Monat. Der 25. November ist der Internationale Tag zur Beendigung von Gewalt an Frauen, gleichzeitig wird um diesen Tag herum die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik über Gewalt in Paarbeziehungen veröffentlicht. Abgesehen davon bleibt es in der überwiegenden Zahl der Artikel bei der reinen Darstellung von Einzelfällen. Dies gilt insbesondere für Gewalt durch (Ex-)Partner. In vier von fünf Artikeln über Gewalt in Paarbeziehungen wird episodisch berichtet. Bei Gewalt gegen Frauen durch Fremde wird häufiger thematisch berichtet – wobei auch hier die episodische Darstellung überwiegt: In etwa drei von fünf Artikeln über Gewalt durch Fremde wird in reiner Einzelfalldarstellung berichtet.
Betrachtet man die von den Medien verwendete Sprache, zeigt sich, dass der Begriff "Femizid" bis 2019 keine große Rolle in den Medien gespielt hat. Er wird nur in rund einem Prozent der untersuchten Artikel verwendet. Verharmlosende Begriffe wie "Familientragödie" oder "Eifersuchtsdrama" kommen ebenfalls eher selten vor, nämlich in rund drei Prozent der Artikel. Vor allem gegen Ende des Untersuchungszeitraums wurde immer weniger auf solche Formulierungen zurückgegriffen. Trotzdem werden sie nach wie vor verwendet. Insgesamt zeichnet die deutsche Medienberichterstattung über Gewalt gegen Frauen und im Kontext von Tötungsdelikten also nach wie vor ein Bild, das auf die Einzeltat und weniger auf den gesellschaftlichen und strukturellen Kontext fokussiert ist. Darüber hinaus zeigt sich, dass im Kontext der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen nur äußerst selten auf Hilfsangebote und -einrichtungen hingewiesen wird. Lediglich in zwei Prozent aller Artikel werden solche Angebote erwähnt.
Nichtdeutsche Täter und nichtdeutsche Betroffene
Migrantinnen und Migranten sind in den Nachrichtenmedien im Verhältnis zu ihrem Anteil in der Bevölkerung in der Regel unterrepräsentiert. Wenn sie jedoch vorkommen, dann meist in einem negativen Kontext.
Die Ereignisse rund um die Silvesternacht 2015/16 haben in Deutschland ein großes Medienecho hervorgerufen. In Köln und anderen deutschen Städten kam es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen sowie Körperverletzungen und Raubüberfällen durch Gruppen junger Männer, die vornehmlich aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum stammten. In der gesellschaftlichen Debatte wurde nicht nur die Vorgehensweise der Polizei kritisiert, sondern auch die späte und zunächst zurückhaltende Berichterstattung durch die Medien. Journalistinnen und Journalisten standen zu diesem Zeitpunkt vor der Herausforderung, abzuwägen, in welchem Kontext eine Herkunftsnennung von Tätern angemessen ist. Der vom Deutschen Presserat vorgelegte Pressekodex sah im Jahr 2016 vor, die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder anderen Minderheit nur dann zu erwähnen, wenn sie in direktem Zusammenhang mit der Straftat stand. Nach der Silvesternacht in Köln wurden jedoch vermehrt Forderungen nach einer Herkunftsnennung laut. Wurde die Herkunft von Täterinnen und Tätern nicht genannt, sahen sich Medienschaffende mit dem Vorwurf konfrontiert, Nichtdeutsche (und insbesondere Geflüchtete) zu schützen. In der Folge erwähnten Medienschaffende zunehmend explizit die Nationalität von Täterinnen und Tätern oder wiesen implizit auf eine nichtdeutsche Herkunft hin. Unterstützt wurde diese Praxis 2018 durch eine Änderung des Pressekodex, wonach Angaben zur Herkunft zulässig sind, wenn ein begründetes öffentliches Interesse besteht.
Nach der Silvesternacht 2015/16 und der Neuformulierung des Pressekodex wurde eine nichtdeutsche Herkunft von Tätern in der Medienberichterstattung deutlich häufiger genannt.
Eine Überrepräsentation nichtdeutscher Tatverdächtiger in den Medien ist bei Gewalt gegen Frauen nicht festzustellen. Allerdings unterscheidet sich die mediale Einordnung: Während die Einzelfalldarstellung nach wie vor überwiegt, sind es vor allem Straftaten nichtdeutscher Tatverdächtiger, die häufiger thematisch berichtet werden: Bei deutschen Tatverdächtigen erfolgt ein episodisches Framing in 76 Prozent der Fälle, beziehungsweise ihre Herkunft wird nicht genannt; bei nichtdeutschen Tatverdächtigen in 64 Prozent der Fälle. Wenn verharmlosende Bezeichnungen wie "Drama" oder "Tragödie" verwendet werden, dann ganz überwiegend im Zusammenhang mit deutschen Tatverdächtigen.
Fazit
Insgesamt zeigt sich sowohl in der internationalen als auch in der deutschen Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen ein recht einheitliches Bild. Gewalt gegen Frauen muss besonders brutal sein, um die Schwelle der medialen Berichterstattung zu überschreiten. Dies gilt insbesondere für Gewalt in Paarbeziehungen. Dass in den Medien vor allem über Tötungsdelikte an Frauen berichtet wird, kann auf den ersten Blick als Sensibilisierung für Femizide verstanden werden. Tatsächlich wird eine solche Sensibilisierung durch die Berichterstattung aber nur dann erreicht, wenn Femizide auch als solche eingeordnet werden. Eine entsprechende Einordnung findet jedoch in den meisten Fällen nicht statt: Die mediale Berichterstattung erfolgt überwiegend in Form von Einzelfallberichten, ohne Bezugnahme auf das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen oder eine Einordnung durch Expertinnen und Experten. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem wird vor allem dann thematisiert, wenn es einen aktuellen Anlass gibt, wie zum Beispiel die jährliche Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik zu Gewalt in Paarbeziehungen.
Obwohl die überproportionale Fokussierung auf Tötungsdelikte der allgemeinen Medienlogik entspricht, erscheint sie im Kontext von Gewalt gegen Frauen besonders problematisch. Studien zu Gewalt in Paarbeziehungen zeigen, dass eine Tötungshandlung häufig nicht spontan erfolgt, sondern der letzte Schritt in einer langen Geschichte von Zwangskontrolle und Gewalt ist. Diese Eskalation verläuft häufig nach ähnlichen Mustern.
Eine thematische Einordnung von Gewalt findet zudem häufiger dann statt, wenn die Gewalt von nichtdeutschen Tätern ausgeübt wird. Dies kann bestehende Stereotype verstärken und suggerieren, dass vor allem im Kontext von nichtdeutschen Tätern politischer Handlungsbedarf besteht. Zwar werden nichtdeutsche Täter in den Medien im Vergleich zu ihrem Anteil in der Bevölkerung nicht überproportional häufig benannt, die in den vergangenen Jahren stetig gestiegene Nennung einer nichtdeutschen Herkunft kann der Öffentlichkeit jedoch suggerieren, dass Gewalt gegen Frauen durch ausländische Täter zugenommen hat. Die Nennung eines Migrationshintergrundes im Zusammenhang mit bestimmten Straftaten kann in der Öffentlichkeit Vorurteile schüren.
Es gibt Anzeichen dafür, dass das Thema Gewalt gegen Frauen langsam bei Medienschaffenden ankommt. Im November 2019 kündigte die Deutsche Presseagentur an, bei der Berichterstattung über Gewalt in Familien und partnerschaftlichen Beziehungen künftig auf verharmlosende Begriffe wie "Familientragödie" oder "Beziehungsdrama" zu verzichten. In der medialen Selbstregulierung spielt das Thema jedoch (noch) keine Rolle. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (die sogenannte Istanbul-Konvention) fordert die Medien in Artikel 17 explizit auf, Richtlinien und Normen der Selbstregulierung festzulegen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten. Es gibt Beispiele für gemeinsame Initiativen von Medienschaffenden und NGOs, die konkrete Empfehlungen für die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen ausgearbeitet haben.
Insgesamt zeigt sich in der deutschen Berichterstattung, dass Gewalt gegen Frauen und insbesondere von (Ex-)Partnern ausgeübte Gewalt von Journalistinnen und Journalisten weitgehend (noch) nicht als politisches Thema wahrgenommen und als solches eingeordnet wird. Hinweise auf Hilfseinrichtungen unter entsprechenden Artikeln, wie beispielsweise üblich bei der Berichterstattung über Suizide, sind ein wichtiger Schritt zur Eindämmung von Gewalt. Das Aufzeigen des Ausmaßes von Gewalt gegen Frauen in Deutschland und von Gewalt in Paarbeziehungen kann größere Sensibilität für das Problem in der Gesellschaft schaffen. Vor allem aber kann die mediale Einordnung von Gewalt gegen Frauen als strukturelles Problem und das Aufzeigen von Mustern hinter den (scheinbaren) Einzelereignissen entscheidend dazu beitragen, dass das Thema nicht als privates, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem erkannt und dessen Lösung in Angriff genommen wird.