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Femizid Editorial "Wir leben in einem System, das Gewalt begünstigt" Wie tödlich ist das Geschlechterverhältnis? Name it, count it, end it. Femizide erkennen, erfassen und beenden Wissensvermittlung statt Gesetzesänderung. Beziehungsfemizide in der juristischen Praxis Gewalt gegen Frauen in den Nachrichten Ni Una Menos. Portrait einer feministischen Bewegung Hexenverfolgung. Ein historischer Femizid?

Wissensvermittlung statt Gesetzesänderung Beziehungsfemizide in der juristischen Praxis

Julia Habermann

/ 14 Minuten zu lesen

Beziehungsfemizide sind die bedeutendste Form des Femizids in Deutschland und werden entsprechend häufig vor Gericht verhandelt. Im Rahmen der gerichtlichen Beurteilung werden kritische Entscheidungen getroffen, die nicht selten problematisch sind.

Der Begriff "Femizid" bezeichnet Tötungsdelikte an Frauen, die getötet werden, weil sie Frauen sind. Entscheidend ist, dass das weibliche Geschlecht bei der Tötung eine Rolle spielt. Diese geschlechtsbezogene Motivation der Tat liegt zum Beispiel vor, wenn ein Mann seine Partnerin tötet, weil sie sich von ihm getrennt hat, er dadurch seine Macht- und Besitzansprüche verliert und diese durch die Tötung der ehemaligen Partnerin wiederherstellen will. Eine geschlechtsbezogene Motivation kann man hingegen verneinen, wenn bei einem Anschlag eine Frau zufällig getötet wird, zum Beispiel durch einen Querschläger. Hinzu kommt eine Vielzahl unterschiedlicher Tötungsdelikte – innerhalb der Familie, während Einbrüchen oder Raubüberfällen –, bei denen die geschlechtsbezogene Motivation herauszuarbeiten ist und sich die Frage stellt, inwieweit diese ausschlaggebend gewesen sein muss, um die Tat als Femizid zu klassifizieren.

Da bei Tötungen durch den (ehemaligen) Partner immer von einer geschlechtsbezogenen Motivation ausgegangen wird, steht diese Art der Tötungsdelikte bei der Betrachtung von Femiziden im Mittelpunkt. Hinzu kommt, dass es die in Deutschland, aber auch weltweit häufigste Form des Femizids ist. Im Folgenden werden diese Tötungsdelikte als "Beziehungsfemizide" bezeichnet, und es wird sich auf diese Form des Femizids beschränkt.

Auch innerhalb der Beziehungsfemizide unterscheiden sich die von den Tätern genannten beziehungsweise die von den Gerichten angenommenen Motive: Die Tötung aus Macht- und Besitzstreben, was jedoch teilweise auch als Eifersucht und Ausweglosigkeit ausgelegt wird, wurde bereits erwähnt. Andere Täter begehen die Tat, weil sie den Gesundheitszustand des Opfers als so schlecht einschätzen, dass sie dessen Leben beenden wollen. Wieder andere Taten geschehen als Reaktion auf die jahrelange Demütigung des Täters durch das Opfer.

Über die Sanktionierung von Beziehungsfemiziden durch deutsche Gerichte ist wenig bekannt, da die Strafverfolgungsstatistik, die über die Entscheidungspraxis der Strafgerichte informiert, weder nach Geschlecht des Opfers noch nach Täter-Opfer-Beziehung unterteilt werden kann. Ganz allgemein schätzen einige Autor*innen die Sanktionierung von Trennungsfemiziden – also Femiziden vor dem Hintergrund einer angekündigten oder vollzogenen Trennung der Frau vom Partner – als zu milde ein. In mehreren Ländern gab es bereits Anpassungen des Strafrechts, die eine angemessenere Bestrafung von Tötungsdelikten in oder nach der Paarbeziehung ermöglichen sollen. Prominente Beispiele sind verschiedene lateinamerikanische Staaten, die spezielle Straftatbestände für Femizide erlassen haben. Die Hoffnung auf eine angemessenere Sanktionierung der Taten scheint sich jedoch nicht zu erfüllen.

Welche strafrechtlichen Bewertungen können bei der Sanktionierung von Beziehungsfemiziden eine Rolle spielen und inwiefern besteht hier Verbesserungsbedarf? Bevor dieser Frage nachgegangen werden kann, ist es notwendig, den Forschungsstand zu Beziehungsfemiziden zu betrachten, um häufig auftretende Merkmale zu beschreiben, die auch für die Sanktionierung relevant sind.

Forschungsstand

Bei aller Unterschiedlichkeit, die Beziehungsfemizide aufweisen können und auf die die Rechtspraxis in jedem Einzelfall angemessen reagieren muss, zeigen sich in vielen Fällen Gemeinsamkeiten und wiederkehrende Merkmale. Diese können durch mehrere internationale, aber auch deutsche Forschungsarbeiten beschrieben werden: Die Mehrzahl der Beziehungsfemizide ereignet sich im Kontext einer angekündigten oder bereits vollzogenen Trennung, die von der Frau ausgeht. Regelmäßig erleben die Frauen in der Beziehung Gewalt. Gewalt gegen den Hals, wie zum Beispiel Würgen, ist ein wichtiges Warnsignal für ein mögliches Tötungsdelikt. Sehr häufig reglementieren die Täter im Vorfeld der Taten die Alltagshandlungen der Frauen und schränken ihre Selbstbestimmung ein: Sie kontrollieren, wann und wie lange sich die Frau mit wem trifft, versuchen sie von Familie und Freunden zu isolieren, kontrollieren Chatverläufe oder finanzielle Ausgaben. Begleitet wird dies durch Formen der psychischen Gewalt, die sich unter anderem in Herabwürdigungen, Beleidigungen und Demütigungen äußern.

Die Beziehung besteht zum Teil seit mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten. Der Täter übt durch sein gewalttätiges Handeln Macht, Kontrolle und Besitz über die Frau aus. Mit ihrer Entscheidung, die Beziehung zu beenden, fordert sie diesen Macht- und Besitzanspruch heraus. Er versucht nun, die Frau "zurückzugewinnen", zum Beispiel durch Weinen und Bitten oder auch durch eine Intensivierung der Gewalt. Scheitert er mit diesem Versuch und erkennt, dass die Partnerin nicht zu ihm zurückkehren wird, so entschließt er sich zur Tötung. Damit wird die Frau daran gehindert, selbstbestimmt ihr Leben nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.

Viele der Beziehungsfemizide ereignen sich nach einer gewissen Trennungsdauer – also entgegen der verbreiteten Vorstellung, dass diese häufig direkt im Anschluss an das Aussprechen der Trennungsabsicht auftreten. Ebenso geht vielen Taten eine Vorbereitung und Planung der Tat voraus: Häufig wurde der später getöteten Frau oder Dritten die Tötung angedroht oder eine geeignete Tatsituation geschaffen, indem der Frau auf ihrem regelmäßigen Weg, zum Beispiel zur Arbeit, aufgelauert wurde. Die Taten geschehen also keineswegs "aus heiterem Himmel".

Das Spektrum soziodemografischer Merkmale von Tätern und getöteten Frauen ist breit. Die Taten ereignen sich nicht in bestimmten Altersgruppen oder Milieus. Bei den Tätern lassen sich zwar Persönlichkeitsauffälligkeiten – wie narzisstische, depressive und dependente Persönlichkeiten – feststellen, es ist aber nicht immer klar, inwieweit diese als pathologisch zu bewerten sind. Im Vergleich zu Tätern, die einen anderen Mann töten, werden Täter eines Beziehungsfemizids häufiger als unauffällig beschrieben: Ein Teil der Täter hatte weder eine als schwer zu bewertende Kindheit und Jugend noch sind sie alkohol- oder drogenabhängig oder vorbestraft. Diese angeführten Aspekte, wie vorausgegangene Gewalt, Planung oder Vorstrafenbelastung, können in unterschiedlichen Stufen der Strafverfolgung und der gerichtlichen Sanktionierung der Taten eine Rolle spielen und letztlich Einfluss auf die Höhe der Strafe nehmen.

Sanktionierung von Tötungsdelikten

Um für eine Tat eine Strafe festzusetzen, sind mehrere Entscheidungen notwendig. Ich werde mich im Folgenden auf drei wesentliche Punkte im Prozess der gerichtlichen Sanktionierung konzentrieren: die Bestimmung des Tatbestands, die Bewertung der Schuldfähigkeit und die Berücksichtigung strafmildernder und strafverschärfender Strafzumessungsfaktoren.

Tatbestand

Bei vorsätzlichen Tötungsdelikten wird bei der Bestimmung des Tatbestands festgestellt, ob es sich um einen Mord (§211 Strafgesetzbuch) oder einen Totschlag (§212 Strafgesetzbuch) handelt. Ein Mord liegt vor, wenn mindestens eines der im Gesetz definierten Mordmerkmale erfüllt wird. Ist keines dieser Mordmerkmale erfüllt, liegt ein Totschlag vor. Im Bereich Beziehungsfemizide sind insbesondere die Mordmerkmale der sonstigen niedrigen Beweggründe und der Heimtücke relevant. Sonstige niedrige Beweggründe werden wie folgt definiert: "Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Tötungsbeweggrund niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf Grund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt." Wird die Tötung aus Gefühlen wie Wut oder Ärger begangen, so kommt es darauf an, inwieweit diese aus einer niedrigen Gesinnung herrühren.

Ein Beziehungsfemizid kann als Mord aus sonstigen niedrigen Beweggründen verurteilt werden, wenn die Tat als Ausdruck eines Macht- und Besitzanspruchs verstanden wird, in dem sich der viel zitierte Satz "Wenn ich sie nicht haben kann, soll sie niemand haben" ausdrückt. Sonstige niedrige Beweggründe können aber auch verneint werden, wenn Verzweiflung und Ausweglosigkeit als bestimmende Motive angenommen werden. Sie können auch verneint werden, wenn das Gericht nicht feststellen kann, welches Motiv ausschlaggebend war und eines davon nicht als niedrig anzusehen ist oder das Motiv überhaupt nicht festgestellt werden kann.

Das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe ist ausfüllungsbedürftig: Bei der Entscheidung über das Mordmerkmal muss das Motiv beziehungsweise müssen die Motive des Täters ergründet werden. Da die Motivwelt des Täters von außen nicht ungefiltert betrachtet werden kann, beginnt bereits hier die Herausforderung. Hinzu kommt die Frage, was einzelne Richter*innen unter "allgemeiner sittlicher Würdigung" verstehen. Dies eröffnet den Richter*innen einen Interpretationsspielraum, der dazu führen kann, dass das Mordmerkmal nicht einheitlich und vergleichbar angewendet wird. Die Anwendungsprobleme und explizite Kritik sind mittlerweile von unterschiedlichen Jurist*innen herausgearbeitet worden.

Eine heimtückische Tötung setzt voraus, dass das Opfer arg- und wehrlos ist und der Täter dies in feindseliger Absicht ausnutzt. Gängiges Beispiel ist ein überraschender Angriff aus dem Hinterhalt. Bei Beziehungsfemiziden stellt sich die Frage, ob die Arglosigkeit bei vorangegangener Gewalt und/oder Todesdrohung entfällt. Dies ist nicht zwingend der Fall, sondern hängt vom Einzelfall ab. Das Mordmerkmal der Heimtücke kann in seiner Anwendung kritisiert werden. In einer BGH-Entscheidung vertritt dieser die Ansicht, das Opfer sei nicht wehrlos gewesen, da es noch die Möglichkeit gehabt hätte, den Täter anzuflehen, von der Tötung abzusehen. Diese Auslegung hat Kritik erfahren, wobei einschränkend anzumerken ist, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handeln kann.

Wird ein Tötungsdelikt als Mord gewertet, so führt dies zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Totschlag zieht eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren nach sich. Der Strafrahmen kann sich verschieben, wenn beim Totschlag ein minder schwerer oder ein besonders schwerer Fall vorliegt oder besondere gesetzliche Milderungsgründe wie zum Beispiel verminderte Schuldfähigkeit angenommen werden.

Schuldfähigkeit

Die verminderte Schuldfähigkeit ist, beispielsweise neben einem Tatversuch, ein besonderer gesetzlicher Milderungsgrund. Sie liegt vor, wenn die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit während der Tat eingeschränkt war, etwa wenn die Tat im Rausch begangen wurde. Bei Beziehungsfemiziden ist vor allem die tiefgreifende Bewusstseinsstörung in Form von hochgradigen Affekten von Interesse. Dabei handelt es sich um einen heftigen Erregungszustand in einer Ausnahmesituation.

Zur Bestimmung, inwiefern eine solche hochgradige Affekttat vorliegt, werden Positiv- und Negativmerkmale gegeneinander abgewogen. Für das Vorliegen einer Affekttat spricht beispielsweise, wenn die Tat für den Täter persönlichkeitsfremd ist. Dagegen spricht die Ankündigung der Tat. Vom Gericht werden regelmäßig Gutachter*innen bestellt, die die Schuldfähigkeit des Täters zum Tatzeitpunkt bewerten. Geht das Gericht davon aus, dass die Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt gemindert war, so kann es die Strafe reduzieren.

Strafzumessung

Bei der Strafzumessung werden straferhöhende und strafmildernde Umstände benannt und gegeneinander abgewogen, um die Dauer der Freiheitsstrafe festzulegen. Die Aspekte, die dabei berücksichtigt werden können, sind sehr vielfältig: Die Entstehung des Konflikts, Vorstrafen des Täters, Spontaneität oder Planung der Tat sowie abgeurteilte oder nicht abgeurteilte frühere Gewalttaten sind nur einige Beispiele.

Bei typischen Beziehungsfemiziden können bestimmte Strafzumessungsfaktoren bedeutender sein als andere. So kann zum Beispiel die Rolle vorangegangener kontrollierender Verhaltensweisen straferhöhend in die Strafzumessung einfließen. Inwiefern diese aber tatsächlich berücksichtigt werden, obliegt den jeweiligen Richter*innen. Der Vorgang der Strafzumessung ist recht offen. Auf der einen Seite soll eine dem Einzelfall angemessene und gerechte Entscheidung ermöglicht werden. Auf der anderen Seite kann gleichmäßiges Strafen beeinträchtigt werden.

Bedeutung richterlicher Wertungen

Sei es bei der Feststellung des Tatbestandes, der Entscheidung, ob ein Affekt in Form einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung vorliegt, oder der Abwägung strafmildernder und straferhöhender Faktoren: Die Entscheidungen sind trotz der Berücksichtigung unterschiedlicher Fallgruppen wertungsoffen und müssen mit Interpretationen gefüllt werden. Sozialpsychologische Entscheidungsmodelle wie die Focal Concerns Theory zeigen, wie Stereotype den Prozess der Urteilsfindung beeinflussen können: Die Informationen zu einem Fall, zu dem ein Urteil gesprochen werden soll, können unvollständig und/oder widersprüchlich sein. Diese Lücken können durch stereotype Annahmen gefüllt werden, was sich verstärkt, wenn unter Zeitdruck gehandelt wird. Gleichzeitig kann der oft unbewusste Einfluss von Stereotypen durch bewusste Reflexion minimiert werden.

Übertragen auf Beziehungsfemizide bedeutet dies, dass aufgrund der bestehenden stereotypen Annahme, es handele sich in der Regel um spontane Taten, Hinweise auf vorbereitete Taten weniger beachtet und verfolgt werden könnten. Dies kann bereits bei den polizeilichen Ermittlungen beginnen und sich bis zum Urteil auswirken. Selbst wenn anerkannt wird, dass vor der Tat Todesdrohungen ausgesprochen wurden, können diese als "dahergesagt" aufgefasst und nicht ernst genommen werden.

Ebenso wichtig ist die Frage, inwieweit vorangegangene Gewalt in die Bewertung der Tat einfließt, das heißt tatsächlich als straferhöhender Faktor bei der Strafzumessung berücksichtigt wird. Da die meisten Formen von kontrollierendem Verhalten und psychischer Gewalt nicht strafrechtlich normiert sind, können sie weniger im Fokus stehen als körperliche und sexualisierte Gewalt. Gerade das Kontrollverhalten macht aber deutlich, dass es sich bei der Tötung nicht um ein klar abgrenzbares singuläres Ereignis handelt, sondern um die Steigerung eines bis dahin wiederholten instrumentellen Verhaltens. Wird der Fall aus einer solchen Perspektive betrachtet, kann daraus begründet eine andere Wertung der Tat entstehen.

Selbst die Anwendung körperlicher Gewalt kann unterschiedlich interpretiert werden: So gibt es in meiner Auswertung mindestens ein Urteil, in dem Gewalt gegen den Hals, die so heftig war, dass die Frau das Bewusstsein verlor und sich unkontrolliert einnässte, nicht als Tötungsversuch gewertet wurde. Die Bedeutung der vorangegangenen Gewalt für den Fall kann unterschätzt werden. Solche Wertungen können dazu führen, dass das Strafurteil die Schwere der Tat und die verwirklichte Schuld des Täters nicht widerspiegelt.

Es zeigt sich, dass bestimmte Aspekte der Taten unterschiedlich bewertet werden können. Um diese einordnen zu können, erscheint es notwendig, dass Justizpraktiker*innen über ein erweitertes Wissen verfügen, das sich nicht nur aus der juristischen Lehre speist, sondern auch aus der sozialwissenschaftlichen Forschung und den Erfahrungen von Praktiker*innen, die gewaltbetroffene Frauen unterstützen, wie zum Beispiel Frauenhausmitarbeiter*innen. Mit dem Wissen, beispielsweise um die Rolle von kontrollierendem Verhalten, können Justizpraktiker*innen das Vorliegen eines solchen Verhaltens im Einzelfall prüfen. Dabei bietet sich eine erweiterte Prüfung auch hinsichtlich der Frage an, ob die Tatmotivation eher in der Ausübung von Macht- und Besitzanspruch oder in Ausweglosigkeit und Verzweiflung gesehen werden kann, was die Annahme oder Ablehnung sonstiger niedriger Beweggründe naheliegender erscheinen lässt.

Schluss

Gesetzesänderungen allein können die bestehenden Probleme bei der Sanktionierung von Beziehungsfemiziden – zum Teil uneinheitliche Auslegung von Macht- und Besitzanspruch, zum Teil mangelnde Berücksichtigung vorangegangener Gewalt – nicht lösen. In einigen Gesetzen lateinamerikanischer Länder ist auf Tatbestandsebene vorgesehen, dass eine geschlechtsbezogene Motivation zur Verurteilung der Tat als Femizid führt. Die Erfahrung zeigt bereits, dass an den Gesetzen vorbei gehandelt wird. Wenn die Richter*innen in den Taten nicht die Merkmale eines Femizids erkennen, so wird der entsprechende Femizid-Straftatbestand nicht angewandt. Ein Beispiel für eine Änderung auf der Ebene der Strafzumessung ist der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Durch eine klarstellende Ergänzung der ausformulierten Beispiele für menschenverachtende Beweggründe soll durch die explizite Benennung "geschlechtsspezifischer" Motive die Möglichkeit der strafverschärfenden Berücksichtigung hervorgehoben werden.

Diese Änderung kann jedoch aus meiner Sicht nur dann Wirkung entfalten, wenn der Begriff des "geschlechtsspezifischen Beweggrundes" ausgefüllt wird. Dazu gehört für mich eine begleitende Diskussion darüber, warum die geschlechtsbasierte Motivation stärker berücksichtigt werden soll und wann diese als gegeben angesehen werden kann. Justizpraktiker*innen werden entsprechende Kategorien insbesondere dann verstärkt anwenden, wenn sie ihnen selbst eine große Bedeutung für die Beurteilung des Falles beimessen. Hierfür kann ein verstärkter Austausch auf mehreren Ebenen beitragen: im Studium, in der Fort- und Weiterbildung, über die juristische Kommentarliteratur und über Entscheidungen des Bundesgerichtshofs.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Diana E.H. Russell, Introduction: The Politics of Femicide, in: dies./Roberta A. Harmes (Hrsg.), Femicide in Global Perspective, New York–London 2001, S. 3–11.

  2. Insbesondere bei der statistischen Erfassung wird häufig jedes Tötungsdelikt an einer Frau unabhängig vom Nachweis einer geschlechtsbezogenen Motivation als Femizid gezählt. Vgl. Magdalena Grzyb/Marceline Naudi/Chaime Marcuello-Servós, Femicide Definitions, in: Shalva Weil/Consuelo Corradi/Marceline Naudi (Hrsg.), Femicide across Europe. Theory, Research and Prevention, Bristol–Chicago 2018, S. 17–31.

  3. Vgl. ebd.

  4. Vgl. Statistisches Bundesamt, Rechtspflege. Strafverfolgung, 29.11.2022, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Justiz-Rechtspflege/Publikationen/Downloads-Strafverfolgung-Strafvollzug/strafverfolgung-2100300217004.pdf?__blob=publicationFile.

  5. Vgl. CEDAW-Allianz, Alternativbericht CEDAW, November 2016, Externer Link: http://www.frauenrat.de/wp-content/uploads/2017/06/CEDAW-Alternativebericht_2016_lang_dt.pdf; Deutscher Juristinnenbund e.V., 1. Themenpapier. Istanbul-Konvention: Umsetzungsdefizite bei Femiziden, 25.11.2019, Externer Link: http://www.djb.de/fileadmin/user_upload/presse/stellungnahmen/st19-24_IK1_Femizide.pdf.

  6. Wenngleich ich eine umfassende Evaluation der Gesetze bisher nicht auffinden konnte, so deuten die folgenden Quellen darauf hin: Sabine Kräuter-Stockton, Costaricanischer Impuls für Deutschland: der "Femizid" als eigener Straftatbestand, in: Zeitschrift des Deutschen Juristinnenbundes 4/2012, S. 164f; Michelle Carrigan/Myrna Dawson, Problem Representations of Femicide/Feminicide Legislation in Latin America, in: International Journal for Crime Justice and Social Democracy 2/2020, S. 1–19.

  7. Zu dieser Wertung kommt auch Isabel Grant, Intimate Femicide: A Study of Sentencing Trends for Men Who Kill Their Intimate Partners, in: Alberta Law Review 3/2010, S. 779–822.

  8. Vgl. insbesondere meine Dissertation: Julia Habermann, Partnerinnentötungen und deren gerichtliche Sanktionierung. Eine vergleichende Urteilsanalyse zu Partnerinnentötungen als Form des Femizids, Wiesbaden 2023 (i.E.).

  9. Siehe etwa R. Emerson Dobash/Russell Dobash, When Men Murder Women, Oxford–New York 2015; R. Emerson Dobash et al., Lethal and Nonlethal Violence Against an Intimate Female Partner: Comparing Male Murderers to Nonlethal Abusers, in: Violence Against Women 4/2007, S. 329–353; Monika Schröttle, Sexuelle Gewalt und Gewalt in Paarbeziehungen, in: Nathalie Guzy/Christoph Birkel/Robert Mischkowitz (Hrsg.), Viktimisierungsbefragungen in Deutschland, Bd. 1: Ziele, Nutzen und Forschungsstand, Wiesbaden 2015, S. 181–210.

  10. Dobash et al. (Anm. 9); Jacquelyn C. Campbell et al., Intimate Partner Homicide: Review and Implications of Research and Policy, in: Trauma, Violence & Abuse 3/2007, S. 246–269.

  11. Vgl. Campbell et al., (Anm. 10).

  12. Vgl. New South Wales Domestic Violence Death Review Team, Annual Report 2013–2015, 2015, Externer Link: http://www.coroners.justice.nsw.gov.au/Documents/DVDRT_2015_Final_30102015.pdf; Jane Monckton Smith, Intimate Partner Femicide: Using Foucauldian Analysis to Track an Eight Stage Progression to Homicide, in: Violence Against Women 11/2020, S. 1267–1285.

  13. Campbell et al. (Anm. 10); David Adams, Why Do They Kill? Men Who Murder Their Intimate Partners, Nashville 2007; Monckton Smith (Anm. 12); Brian D. Johnson, The Multilevel Context of Criminal Sentencing: Integrating Judge- and County-Level Influences, in: Criminology 2/2006, S. 259–298.

  14. Vgl. Luise Greuel, Forschungsprojekt "Gewalteskalation in Paarbeziehungen". Abschlussbericht 2009, August 2009, Externer Link: https://polizei.nrw/sites/default/files/2016-11/Gewaltesk_Forschungsproj_lang.pdf; Monckton Smith (Anm. 12).

  15. Vgl. Monckton Smith (Anm. 12); Dobash/Dobash (Anm. 9).

  16. Vgl. Karin Herbers/Heike Lütgert/Jürgen Lambrecht, Tötungsdelikte an Frauen durch (Ex-)Intimpartner. Polizeiliche und nicht-polizeiliche Erkenntnisse zur Tatvorgeschichte, in: Kriminalistik 6/2007, S. 377–385.

  17. Vgl. Karin Herbers, Schwerste Formen der Beziehungsgewalt. Empirische Befunde und Ansätze zur Prävention, in: SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis 3/2008, S. 63–73; Dobash/Dobash (Anm. 9); Greuel 2009 (Anm. 14); Marcus Juodis et al., A Comparison of Domestic and Non-Domestic Homicides: Further Evidence for Distinct Dynamics and Heterogeneity of Domestic Homicide Perpetrators, in: Journal of Family Violence 3/2014, S. 299–313.

  18. Vgl. Andreas Marneros, Intimizid – Die Tötung des Intimpartners. Ursachen, Tatsituationen und forensische Beurteilung, Stuttgart 2018; Greuel 2009 (Anm. 14).

  19. Vgl. Dobash/Dobash (Anm. 9).

  20. Ich schränke in diesem Text stark auf vorsätzliche Taten ein. Allerdings liegt hierin bereits eine kritische Entscheidung, nämlich dass es sich um eine vorsätzliche und eben nicht um eine fahrlässige Tat handelt. Dies kann mitunter unterschiedlich ausgelegt werden. So wird z.B. für Österreich vermutet, dass bei Gewalt gegen die (ehemalige) Partnerin die Vorsätzlichkeit häufiger verneint wird und damit der Tatvorwurf weniger schwer wiegt.

  21. Vgl. Habermann (Anm. 8).

  22. Bundesgerichtshof 47, 128 (Grundlose Tötung als Mord), Urteil v. 19.10.2001.

  23. Vgl. Hartmut Schneider, §§211–213, in: Günther M. Sander (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 4, §§185–262, München 2021, S. 567–873.

  24. Vgl. mit konkreten Beispielen Ursula Schneider, Genderaspekte in Straf- und Strafprozessrecht, in: Tillmann Bartsch et al. (Hrsg.), Gender & Crime. Geschlechteraspekte in Kriminologie und Strafrechtswissenschaft, Baden-Baden 2022, S. 11–31; Julia Habermann, Möglichkeiten der Sanktionierung von Femiziden im deutschen Strafrecht – Ist ein Femizid-Straftatbestand notwendig?, in: Neue Kriminalpolitik 2/2021, S. 189–208.

  25. Vgl. Schneider (Anm. 23).

  26. Vgl. Lena Foljanty/Ulrike Lembke, Die Konstruktion des Anderen in der "Ehrenmord"-Rechtsprechung, in: Kritische Justiz 3/2014, S. 298–315; Inga Schuchmann/Leonie Steinl, Femizide. Zur strafrechtlichen Bewertung von trennungsbedingten Tötungsdelikten an Intimpartnerinnen, in: Kritische Justiz 3/2021, S. 312–327; Hartmut Schneider, Trennungstötungen als Mord, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 6/2021, S. 183–186; Ursula Schneider (Anm. 24).

  27. Vgl. Ingeborg Puppe, Arglosigkeit des Tatopfers bei Heimtückemord, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 4/2009, S. 208f.

  28. Vgl. Marneros (Anm. 18).

  29. Vgl. Henning Saß, Tiefgreifende Bewusstseinsstörung, in: Hans-Ludwig Kröber et al. (Hrsg.), Handbuch der forensischen Psychiatrie, Bd. 2: Psychopathologische Grundlagen und Praxis der forensischen Psychiatrie im Strafrecht, Berlin–Heidelberg 2010, S. 343–371.

  30. Vgl. Habermann (Anm. 8).

  31. Vgl. Gerhard Schäfer/Günther M. Sander/Gerhard van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, München 2017.

  32. Vgl. Richard D. Ashmore/Frances K. Del Boca, Sex Stereotypes and Implicit Personality Theory: Toward a Cognitive-Social Psychological Conceptualization, in: Sex Roles 2/1979, S. 219–248.

  33. Vgl. Darrell Steffensmeier/Jeffery Ulmer/John Kramer, The Interaction of Race, Gender, and Age in Criminal Sentencing: The Punishment Cost of Being Young, Black, and Male, in: Criminology 4/1998, S. 763–798.

  34. Vgl. Lars-Eric Petersen, Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung, in: Hans-Werner Bierhoff/Dieter Frey (Hrsg.), Sozialpsychologie – Individuum und soziale Welt, Göttingen 2011, S. 233–252.

  35. Vgl. Habermann (Anm. 8).

  36. Vgl. Kräuter-Stockton (Anm. 6).

  37. Vgl. Habermann (Anm. 24).

  38. Siehe Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, Drucksache 20/5913, 6.3.2023, Externer Link: https://dserver.bundestag.de/btd/20/059/2005913.pdf.

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ist Sozialwissenschaftlerin mit dem Themenschwerpunkt Gewalt gegen Frauen.
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