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Schrittweise Öffnung. Fachkräftemangel und Migration

Dietrich Thränhardt

/ 14 Minuten zu lesen

Aufgrund der rückläufigen Zuwanderung aus der EU sucht Deutschland weltweit Fachkräfte und hat seine Gesetzgebung liberalisiert, auch Flüchtlingen wird die Arbeitsaufnahme erleichtert. Komplexe Verfahren erschweren jedoch die Umsetzung dieser Öffnung.

Der Fachkräftemangel hat sich in den vergangenen Jahren immer stärker bemerkbar gemacht. Es fehlen nicht nur Spezialisten, sondern vor allem auch Handwerkerinnen und Handwerker sowie Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Dass Deutschland Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben muss, wird heute nicht mehr kontrovers diskutiert – wohl aber die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Zahl der Flüchtlinge übersteigt die Zahl der Zuwanderer zum Zweck der Erwerbstätigkeit bei Weitem. 2022 kamen rund 73.000 Drittstaatsangehörige "zum Zweck der Erwerbstätigkeit" nach Deutschland, im Jahr 2021 waren es rund 40.000. Es wäre widersinnig, nur diese Gruppe zu betrachten und die Potenziale der Flüchtlinge zu vernachlässigen, zumal viele von ihnen über eine gute Schulbildung verfügen. Daher werden im Folgenden alle Zuwanderergruppen unter dem Gesichtspunkt des Arbeitskräftebedarfs betrachtet, und es wird aufgezeigt, wie sich die Anwerbeperspektiven in Deutschland in den vergangenen Jahren sukzessive erweitert haben.

EU-Zuwanderung und Öffnung für Drittstaaten

In Europa lassen sich zwei Regelungsformen der Zuwanderung unterscheiden: die Mobilität innerhalb der offenen EU und die bürokratisch geregelte Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten. Quantitativ haben beide an Bedeutung gewonnen. Mit der schrittweisen Erweiterung der EU auf 27 Staaten ist ein offener Mobilitätsraum entstanden. Gleichzeitig hat die Zuwanderung aus Drittstaaten zugenommen, und das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2023 eröffnete Menschen aus aller Welt die Möglichkeit, sich um einen Arbeitsplatz in Deutschland zu bewerben.

Während EU-Bürger sich in allen Mitgliedstaaten frei niederlassen und arbeiten können, benötigen andere Zuwanderer eine Arbeitserlaubnis. Innerhalb der EU werden zudem Berufsabschlüsse gegenseitig anerkannt, und es gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung, der auch durch die europäische Rechtsprechung abgesichert wird. Die EU hat sich in vielen Einzelschritten erweitert und vertieft. Es ist ein offener Raum von 450 Millionen Menschen entstanden, in dem vielfältige Bewegungen stattfinden, auch unter Einbeziehung der Schweiz, Norwegens und Islands. Mit den EU-Osterweiterungen von 2004, 2007 und 2013 sind Länder mit geringerem Lebensstandard hinzugekommen, deren Einwohner höhere Löhne erzielen können, wenn sie in wohlhabenderen Ländern arbeiten.

Für Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten wurden die gesetzlichen Voraussetzungen für die Arbeitsaufnahme in Deutschland in den vergangenen Jahren gelockert. Während die Bundesrepublik noch 2008/09 bei den Beratungen zur europäischen Blauen Karte zur Anwerbung von Hochqualifizierten eine eher bremsende Rolle einnahm, setzt sie dieses Instrument seit der Implementierung 2011 stärker als andere EU-Staaten ein. Im Jahr 2022 hat Deutschland 63.342 der insgesamt 81.846 Blauen Karten in der EU ausgestellt. So wurden im Laufe der Jahre die Tore für Hochqualifizierte immer weiter geöffnet, die Gehaltsschwellen gesenkt und auch mittlere Qualifikationsniveaus einbezogen. Bewerber können zur Arbeitssuche einreisen, und schließlich wurde ein Punktesystem eingeführt. Dieses ist zwar relativ funktionslos geblieben, kann aber als Symbol der Öffnung nach kanadischem Vorbild angesehen werden. Probleme gibt es allerdings auf administrativer Ebene. Jede einzelne Arbeitsaufnahme von außerhalb der EU muss mehrere Verwaltungsschritte durchlaufen, was die Arbeitsaufnahme erschwert.

Auch wenn sich die Zahl der Arbeitskräfte aus nichteuropäischen Ländern in den vergangenen Jahren verdoppelt hat, sind die Zahlen im Vergleich zu den innereuropäischen Wanderungs- und Mobilitätsströmen sowie den Flüchtlingszahlen insgesamt noch gering. Die stärkste Dynamik weist die Zuwanderung aus Indien auf. Die Beschäftigungsquoten unterscheiden sich deutlich zwischen den einzelnen Herkunftsländern, wobei die Quote der qualifiziert Beschäftigten bei allen Ländern relativ hoch ist.

Starke Zuwanderung aus EU-Beitrittsländern

Zusätzliche Arbeitskräfte kamen in den vergangenen Jahrzehnten vor allem aus den "neuen" Mitgliedstaaten der Europäischen Union. 2004 wurden Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und die baltischen Staaten aufgenommen, die 2011 die volle Freizügigkeit erhielten. 2007 folgten Rumänien und Bulgarien mit Freizügigkeit ab 2014 und 2015 schließlich Kroatien. Zusammen wird diese Staatengruppe auch als EU-11 bezeichnet.

Die Integration der Arbeitsmärkte erfolgte schrittweise, um Wirtschaft und Arbeitswelt allmählich zusammenzuführen und Schocks zu vermeiden. 1991 wurde zunächst die Visafreiheit eingeführt, bis dahin gab es noch polnische Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Deutschland. Seit den 1990er Jahren können Polen saisonal arbeiten, vor allem in der Landwirtschaft. Seitdem werden regelmäßig ausländische Erntehelfer im Obst- und Gemüseanbau eingesetzt, zunächst vor allem aus Polen, später auch aus Rumänien und neuerdings ebenfalls aus Georgien.

In der Übergangszeit zwischen Beitritt und voller Freizügigkeit konnten die neuen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger zwar frei reisen und sich als Selbstständige niederlassen, aber keine Arbeitsverträge abschließen. Die Übergangszeit war nicht einfach und brachte Verwerfungen mit sich, weil Arbeitswillige nach Wegen suchten, um doch irgendwie in Arbeit zu kommen, und dabei auch bereit waren, schwierige oder irreguläre Arbeitsverhältnisse einzugehen. Dies prägte zeitweise auch das Bild in Deutschland – zwischen 1995 und 1997 unterhielt der Entertainer Harald Schmidt das Publikum mit klischeehaften "Polenwitzen". 2013 wurde unter dem politischen Schlagwort "Sozialtourismus" eine öffentliche Debatte um rumänische und bulgarische Zuwanderer geführt.

(© Statistik der Bundesagentur für Arbeit.)

Mit der Einführung der vollen Arbeitsrechte setzte ein starker Zuzug nach Deutschland ein, und die Arbeitsverhältnisse normalisierten sich. Auf dem Höhepunkt der EU-Zuwanderung 2015 kamen per Saldo 332.511 Personen aus EU-Staaten nach Deutschland. 2022 waren es per Saldo noch 87.320 Zuwanderer. Im selben Jahr überholte Rumänien Polen bei der Nettozuwanderung. Der Zustrom ebbt allmählich ab, da auch in den Beitrittsländern die Geburtenzahlen in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen sind und die Wirtschaft aufgeholt hat. Nach der Einstufung der Bundesagentur für Arbeit in Berufsniveaus sind 46 Prozent der Personen aus den EU-Beitrittsländern als Helfer, 45,1 Prozent als Fachkräfte und 8,8 Prozent als Spezialisten oder Experten beschäftigt (Tabelle 1). Die höchsten Eingruppierungen finden sich bei Menschen aus Estland, die niedrigsten bei Bulgarien.

Eine Nachwirkung der schwierigen Übergangszeit waren die Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie. Dort hatte sich ein profitables System etabliert, das auf Subunternehmertum, Arbeitsausbeutung und Niedriglöhnen beruhte. Der Gesetzgeber unternahm mehrere Anläufe, diese Missstände zu beseitigen. Erst im Zusammenhang mit einem bundesweit in die Schlagzeilen geratenen Coronaausbruch in einem Fleischbetrieb wurden sie endgültig beseitigt. Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung wurden in der Branche weitgehend verboten.

Ehemalige Anwerbeländer

Anders verlief die Entwicklung in den Ländern, aus denen Deutschland zwischen 1955 und 1973 sogenannte Gastarbeiter angeworben hatte. Viele von ihnen und ihre Nachkommen werden in der Erwerbstätigenstatistik noch als Ausländer geführt, weil sie sich nicht eingebürgert haben.

Die Finanzkrise 2008 hat in den südeuropäischen Ländern zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Jüngere und gut ausgebildete Menschen wanderten in der Folge nach Deutschland aus, allerdings unter völlig anderen Bedingungen als fünfzig Jahre zuvor. Sie arbeiten in der IT-Branche und anderen Dienstleistungsbranchen, aber auch in der Gastronomie. Die Abwanderung war deutlich geringer als bei den Personen aus den Beitrittsländern. Der Berufsstatus ist höher, aber die Beschäftigungsquote niedriger als in den Beitrittsländern.

(© Statistik der Bundesagentur für Arbeit)

In Richtung Türkei gab es zwischen 2010 und 2015 einen Auswanderungsüberschuss. Nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 kehrte sich diese Entwicklung um und hat seitdem an Dynamik gewonnen. Ähnlich wie nach dem Anwerbestopp 1973 stieg zunächst der Familiennachzug nach Deutschland, seit 2021 stellen Türkinnen und Türken vermehrt Asylanträge. Ihre Zahl verdreifachte sich vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Krise in der Türkei von 23.938 im Jahr 2022 auf 62.624 im Jahr 2023. Zwar sind die Bindungen nach Deutschland vielfältig und eng, doch ist es schwierig und langwierig, ein Arbeitsvisum zu erhalten. Ein Asylantrag ist daher eine naheliegende Alternative. Er bringt sofortige Versorgung und Legalität, bleibt aber angesichts niedriger Anerkennungsquoten und langwieriger Verfahren für alle Beteiligten unbefriedigend.

Westbalkanregelung

Als "Westbalkan" werden seit 1998 die südosteuropäischen Länder Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien bezeichnet. Mit Ausnahme Albaniens gehörten sie früher zu Jugoslawien und waren als solche zwischen 1968 und 1973 Anwerbegebiete. Nach dem Zerfall Jugoslawiens 1991/92 nahm Deutschland vorübergehend Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo auf und beherbergte viele Asylbewerber aus diesen Ländern, deren Anerkennungschancen in der Regel gering sind. Aufgrund der langjährigen Beziehungsgeschichte sind Deutschkenntnisse relativ weit verbreitet. Die sechs Länder sind seit langem EU-Beitrittskandidaten und genießen Visafreiheit, ein EU-Beitritt ist vorerst jedoch nicht in Sicht. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation nach dem Zerfall Jugoslawiens kamen viele Asylanträge aus diesem Raum. Sie hatten wenig Aussicht auf Erfolg, wurden aber häufig gestellt, oft in den Wintermonaten. Hauptzielland war Deutschland mit seinen langwierigen Asylverfahren.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 wurde daher die Westbalkanregelung als Alternative entwickelt. Seit 2016 können Menschen aus den sechs Ländern in Deutschland arbeiten, wenn sie einen Arbeitgeber finden und die Bundesagentur für Arbeit zustimmt. Die Regelung war zunächst befristet, wurde mehrfach verlängert und ist 2023 entfristet worden, die Höchstzahl wurde von 25.000 auf 50.000 Arbeitskräfte verdoppelt. Jeder Bewerber muss ein Visum beantragen und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit einholen. Damit ist eine Öffnung hin zu produktiver Beschäftigung gelungen.

Die meisten Arbeitskräfte sind als Facharbeiter tätig, vor allem im Baugewerbe. Durch die Freigabe der Arbeitsaufnahme und die Aufhebung der quantitativen Beschränkung könnten die Beschäftigungszahlen weiter erhöht, die Belastung verringert und die Zahl der Asylanträge voraussichtlich weiter gesenkt werden. 2023 wurden noch 7.680 Erstanträge gestellt. Vom Verwaltungsaufwand her ist es derzeit immer noch einfacher, einen Asylantrag zu stellen als einen Antrag auf Arbeitserlaubnis.

Arbeit für Flüchtlinge

Im Sommer 2015 wurden Flüchtlinge von Medien und Wirtschaftsvertretern zunächst euphorisch als "Fachkräfte von morgen" begrüßt. Bei der Beschäftigung zeigte sich jedoch, dass Großunternehmen kaum Flüchtlinge einstellten und die Hälfte der Flüchtlinge nach rund fünf Jahren in kleinen und mittleren Unternehmen eine Beschäftigung fand. Damit wiederholte sich ein Phänomen, das bereits 2001 bei der Einstellung von IT-Fachkräften zu beobachten war: Großunternehmen meldeten zwar einen hohen Bedarf an, stellten aber niemanden ein, weil sie andere Rekrutierungsmöglichkeiten hatten.

"Flüchtling ist kein Beruf", sagte Handwerkskammerpräsident Hans Peter Wollseifer 2015. "Diese jungen Leute werden hier untergebracht und können normalerweise nichts tun, bis womöglich nach etlichen Monaten ihr Asylantrag bearbeitet wird. Ich sage: Sie müssen vom zweiten Tag an Deutsch lernen und sinnvoll beschäftigt werden." Das damit angesprochene Problem ist bis heute nicht gelöst. Nach wie vor dauern die Asylverfahren lange, und die Eigeninitiative der Betroffenen wird in dieser Zeit blockiert. Es entsteht eine lähmende Situation, die die psychischen Belastungen der Flucht noch verstärken kann.

Auch die Bundesregierung beklagte 2016, dass die Asylverfahren zu lange dauerten und die Betroffenen deshalb "geraume Zeit" bräuchten, "bis sie sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen können". Die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren hat sich bis heute nicht verkürzt, auch nicht in den Jahren mit deutlich geringeren Antragszahlen. Sie betrug stets mehr als sechs Monate. Die anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren dauern noch länger. In dieser Zeit bleibt die Zukunft der Betroffenen ungewiss, und Arbeitgeber haben wenig Anreiz, Personen einzustellen, die sich noch im Verfahren befinden. Die überwiegende Mehrheit der Asylsuchenden bleibt jedoch in Deutschland, und die lange Unsicherheit hemmt die Arbeitsaufnahme. Wenn es gelänge, Asylverfahren zügig und qualitativ hochwertig zu bearbeiten, könnten Kosten gespart und die Integration in Arbeit beschleunigt werden.

(© Statistik der Bundesagentur für Arbeit)

Die Bundesagentur für Arbeit führt eine Statistik über Arbeitskräfte aus den acht wichtigsten nichteuropäischen Asylherkunftsländern (Tabelle 3). Es zeigt sich, dass hier ein großes Arbeitskräftepotenzial brach liegt. Ebenso wird deutlich, dass die Mehrheit der Erwerbstätigen aus dieser Gruppe qualifizierte Tätigkeiten ausübt, die von der Bundesagentur für Arbeit als Fachkräfte, Spezialisten oder Experten eingestuft werden. Bei iranischen und pakistanischen Staatsangehörigen sind die Anteile hoch, bei eritreischen, nigerianischen und somalischen Personen niedrig. Auch wenn diese Werte nicht ohne weiteres auf die Gesamtheit der Nichterwerbstätigen übertragen werden können, geben sie doch einen Anhaltspunkt für die Einschätzung, dass hier ein großes Erwerbspotenzial besteht. Ähnliches zeigen auch die Analysen des BAMF zum Bildungs- und Erwerbshintergrund von Asylbewerbern.

Zur Integration langjährig in Deutschland lebender Asylbewerber, die geduldet oder gestattet sind oder eine Aufenthaltserlaubnis haben, hat der Bundestag Ende 2022 das Chancenaufenthaltsgesetz beschlossen. Die Betroffenen erhalten auf Antrag einen Rechtsstatus für 18 Monate, um in dieser Zeit die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland nachzuweisen. Dazu gehören die Sicherung des Lebensunterhalts durch eigene Erwerbstätigkeit, Kenntnisse der deutschen Sprache und der Nachweis der Identität. Arbeit wird damit zur Voraussetzung für die Legalisierung des Aufenthalts, Anfang 2024 waren 55.000 Anträge eingegangen.

Schutzsuchende aus der Ukraine

Die Fluchtbewegung aus der Ukraine nach der russischen Invasion am 24. Februar 2022 wurde in Deutschland zum Teil auch mit positiven Erwartungen begleitet. Optimistisch schrieb DIW-Präsident Marcel Fratzscher, "wir in Deutschland" hätten "aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt" und könnten den Ukrainerinnen "eine wirkliche Chance geben, sich in unserem Land zu integrieren". "So groß der Verlust dieser Menschen für die Ukraine ist, so groß ist das Glück dieser Zuwanderung für Deutschland, auch wirtschaftlich."

Es zeigte sich jedoch, dass die Arbeitsaufnahme in Deutschland schleppender verlief als in den westlichen und östlichen Nachbarländern. Während in Deutschland inzwischen 26 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge Arbeit gefunden haben, sind es in Polen und Tschechien zwei Drittel und in Schweden und den Niederlanden die Hälfte. Die deutsche Zivilgesellschaft hat die ukrainischen Flüchtlinge aufgenommen, der Staat unterstützt sie mit Bürgergeld, aber vielfältige bürokratische Hürden erschweren die Arbeitsaufnahme, vor allem in Berufen mit hoher formaler Qualifikation, aber beispielsweise auch für LKW- und Busfahrer, für die das Bundesverkehrsministerium die europäischen Öffnungsregelungen nicht umgesetzt hat.

Als die EU-Staaten als Reaktion auf den russischen Überfall am 24. Februar 2022 die "Vorläufige Aufnahme" für ukrainische Flüchtlinge beschlossen, verzichteten sie auf Asylverfahren und räumten den Schutzsuchenden das Recht auf Arbeit ein. Da die Ukrainerinnen – ganz überwiegend flohen Frauen und Kinder – zu zwei Dritteln über einen Hochschulabschluss verfügten, verband sich damit die Hoffnung, dass sie in qualifizierten Berufen arbeiten könnten. Trotz des vorläufigen Charakters der Aufnahme verfolgte die Bundesagentur für Arbeit die Strategie, zunächst allen Ukrainerinnen Integrationskurse anzubieten beziehungsweise sie dazu zu verpflichten. Allerdings gab es viele Kursabbrüche, nur 129.360 von 340.438 Personen nahmen an Prüfungen teil. Der Bundesrechnungshof kritisierte die Ineffizienz des Integrationskurssystems.

Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev fragte in einem Interview, ob für einen "ausgebildeten Lehrer aus der Ukraine Deutschkenntnisse auf dem Level C1" notwendig seien, um in Integrationsklassen als Zweitlehrer zu arbeiten? Es sei "typisch deutsch, solchen Regeln stur zu folgen". Es bleibt eine wichtige Aufgabe, die gut ausgebildeten Ärztinnen, Lehrerinnen und Ingenieurinnen angemessen in Arbeit zu bringen. Bei den Lehrkräften sind die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt erfolgreich. Insgesamt ist die deutsche Diskussion defizitorientiert, Berichte über kreative Berufswege geflüchteter Ukrainerinnen in Deutschland gibt es bislang kaum – andere Länder sind da schon weiter.

Fazit

Bei der Problemanalyse treten zunehmend bürokratische Schwierigkeiten in den Vordergrund, sowohl in der Asylverwaltung als auch bei der Anwerbung von Fachkräften. Von der Visumserteilung über die Anerkennung von Zeugnissen, die Anmeldung bei der Stadt und die Anerkennung von Führerscheinen bis hin zur Einbürgerung kommt es zu Wartezeiten und Staueffekten. In einer Anhörung im Bundestag haben die Wissenschaftsorganisationen die gravierenden Verzögerungen bei der Visumserteilung kritisiert. Gleichzeitig sehen sich viele Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen, die auf die Entscheidung über ihren Asylantrag oder die Anerkennung ihrer Abschlüsse warten und zu einem großen Teil nicht oder nicht entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten, am Rande ihrer Möglichkeiten. An den Schnittstellen von Zuwanderung und Integration wächst der Regelungsbedarf, gleichzeitig werden die Regelungen immer komplexer. "Das Vertrauen in die Regelungsfähigkeit des Staates in einem der emotionalsten Politikfelder unserer Zeit schwindet", heißt es in einer Studie über die Ausländerbehörden.

Die EU-Zuwanderung ist deutlich weniger regulierungsbedürftig und löst keine Spannungen aus. Die Dynamik, die von der europäischen Integration ausgeht, hat sich jedoch nicht von selbst ergeben, sondern wurde in einem langen und oft umstrittenen Prozess erreicht. Diesen Weg gilt es fortzusetzen. Naheliegende Kandidaten für eine arbeitsmarktpolitische Öffnung sind die Menschen aus den südosteuropäischen Ländern. Sie fügen sich gut in den deutschen Arbeitsmarkt ein und kommen aus kompatiblen Ausbildungssystemen. Die Bau- und Pflegewirtschaft würde profitieren, und Deutschland könnte stabilisierende Wirkungen in Südosteuropa erzielen. In der Visumsverwaltung würden Ressourcen frei, die anderweitig eingesetzt werden könnten. Gemäß den Leitbildern der Menschenwürde und der Sozialen Marktwirtschaft sollten Migrationsprozesse so gestaltet werden, dass Zuwanderer ihre Energien auf den Aufbau einer neuen Existenz konzentrieren können, statt sie in der Auseinandersetzung mit restriktiven Regelungen zu verbrauchen. Dann helfen sie auch dem Aufnahmeland.

Die Arbeitsmigration aus Ländern wie der Türkei und dem Iran, aus denen besonders gut ausgebildete Menschen kommen, sollte erleichtert werden. Wenn legale Zuwanderungswege offenstehen, werden weniger Menschen gefährliche Fluchtrouten wählen. Die hier vorgestellten Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen nicht nur für Südosteuropäer, sondern auch für andere Zuwanderergruppen eine breite Überschneidung von Flucht- und Erwerbsmigration hinsichtlich der Qualifikation. Arbeitskräfte aus Südosteuropa und aus Fluchtherkunftsländern arbeiten zu einem hohen Anteil als Fachkräfte, Experten oder Spezialisten. Jenseits aller tagesaktuellen Aufregung sollten alle Zuwanderer in die Arbeitswelt integriert werden. Wenn die rechtlichen Hürden, administrativen Komplikationen und mentalen Barrieren abgebaut werden, kann das besser gelingen.

ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Münster mit den Schwerpunkten Vergleichende Politikwissenschaft und Migration.