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Höhere Löhne gegen den Fachkräftemangel?

Clemens Fuest Simon Jäger

/ 13 Minuten zu lesen

Aus klassischer ökonomischer Sicht gibt es auf eine Situation des Mangels – verstanden als eine Situation, in der die Nachfrage das Angebot übersteigt – eine einfache Antwort: Preiserhöhungen. Sind also Lohnerhöhungen die richtige Antwort auf den Fachkräftemangel?

In Deutschland wird derzeit intensiv über Fachkräftemangel diskutiert. Zunächst ist die Diagnose eines Mangels mit Blick auf die Arbeitsmarktzahlen erstaunlich, da die Anzahl der Beschäftigten in Deutschland mit 45,7 Millionen im März 2024 einen Höchststand erreichte. Gleichzeitig fiel der reale Preis von Arbeit 2022 mit einem Reallohnrückgang um 3,1 Prozent und stagnierte 2023. Der Reallohnrückgang der vergangenen Jahre war in diesem Ausmaß in den Jahrzehnten zuvor nicht zu beobachten. Dennoch sagen nach Umfragen des ifo Instituts knapp 40 Prozent der Unternehmen, sie seien durch Fachkräftemangel eingeschränkt. Das ist ebenfalls nahe am Höchststand.

(© Statistisches Bundesamt)

Zwar sind parallel zum Anstieg in der Zahl der Erwerbstätigen die Arbeitsstunden pro Erwerbstätigen so stark gefallen, dass das in Stunden gemessene Arbeitsvolumen in den vergangenen zehn Jahren ungefähr konstant geblieben ist (Abbildung). Zu einem Rückgang des Arbeitsangebotes, der vor allem wegen der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren unvermeidlich erscheint, ist es aber noch gar nicht gekommen. Umso wichtiger ist es, das Problem des Fachkräftemangels rechtzeitig angemessen zu analysieren und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Arbeitsangebot und -nachfrage

Aus klassischer ökonomischer Sicht gibt es auf eine Situation des Mangels – verstanden als eine Situation, in der die Nachfrage größer ist als das Angebot – eine einfache Antwort: die Preiserhöhung. Wenn die Preise steigen, sinkt die Nachfrage, und das Angebot steigt. Das geht so lange, bis jeder, der bereit ist, den Marktpreis zu zahlen, auch zum Zuge kommt. Das ändert nichts an der Knappheit der Güter – aber es gibt keinen Mangel mehr in dem Sinne, dass Nachfrager nicht zum Zuge kommen, obwohl sie bereit wären, den herrschenden Marktpreis zu zahlen. Preiserhöhungen helfen allerdings insofern gegen Knappheit, als sie üblicherweise das Angebot steigern.

Übertragen auf den Arbeitsmarkt würde das bedeuten, dass man den Mangel schlicht aus der Welt schaffen kann, indem man die Löhne erhöht oder Arbeitsbedingungen verbessert. Dies wirft eine entscheidende Frage auf: Würden wettbewerbsbedingte Lohnerhöhungen in der gegenwärtigen Situation, selbst wenn sie Knappheiten im oben erläuterten Sinn beseitigen, wenig ändern, weil sie lediglich eine Umverteilung von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern bewirken? Oder ergäben sich daraus gesamtwirtschaftliche Vorteile, also eine Vergrößerung des "Kuchens"?

Die übliche Analyse von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt gibt auf diese Frage eine klare Antwort: Wenn Unternehmen zu den herrschenden Löhnen gerne mehr Arbeitskräfte einstellen würden, aber keine finden, dann führt eine Lohnerhöhung in funktionierenden Märkten dazu, dass sich einige Unternehmen aus dem Markt zurückziehen, weil die Löhne höher sind als das, was sie mit zusätzlichen oder vorhandenen Beschäftigten erwirtschaften können. Manche, insbesondere unliebsame, Tätigkeiten fallen weg oder werden automatisiert. Beschäftigte wechseln in Jobs mit höheren Löhnen und höherer Produktivität. Für einzelne Unternehmen, die im Wettbewerb um Arbeitskräfte nicht mehr mithalten können, mag das bitter sein. Gesamtwirtschaftlich ergibt sich daraus aber ein Gewinn.

Hinzu kommt, dass das Arbeitsangebot tendenziell steigt; Menschen, die bei niedrigeren Löhnen lieber weniger oder gar nicht arbeiten, sind nun eher bereit, eine Stelle anzunehmen. Ein gegenläufiger Effekt, den Ökonomen als Einkommenseffekt bezeichnen, besteht darin, dass höhere Löhne mehr Wohlstand bedeuten und manche Menschen darauf mit höherem Freizeitkonsum, also geringerer Arbeitsbereitschaft, reagieren. Empirische Studien legen allerdings nahe, dass der positive Effekt höherer Löhne auf das Arbeitsangebot überwiegt. Aus Sicht der klassischen Ökonomie ist somit klar, dass höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in der aktuellen Situation der Knappheit von Arbeitskräften zu gesamtwirtschaftlichen Vorteilen führen.

Kein vollkommener Markt

Der These, dass Lohnerhöhungen die richtige Antwort auf den Fachkräftemangel seien, halten einige Ökonomen entgegen, dass der Arbeitsmarkt eben kein voll funktionierender Markt sei und die Schlussfolgerung daher in die Irre führe. Aus Perspektive der evidenzbasierten Arbeitsmarktforschung ist dies richtig und falsch zugleich.

Richtig ist, dass der Arbeitsmarkt kein Markt mit perfektem Wettbewerb in dem Sinne ist, dass keinerlei Friktionen auftreten und alle Akteure Löhne und Arbeitsbedingungen als gegeben, also von ihnen nicht beeinflussbar ansehen. Falsch ist die Schlussfolgerung, dass deshalb Lohnerhöhungen nicht zur Lösung des Fachkräftemangels beitragen könnten. Denn: Friktionen sind am Arbeitsmarkt nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Viele Beschäftigte haben spezifische Fähigkeiten und langjährige Erfahrung und sind nicht ohne Weiteres austauschbar. So verursacht der Verlust langjähriger Mitarbeiter für Unternehmen große Kosten. Zugleich wollen oder können Arbeitnehmer oft nicht mühelos von einem zum anderen Arbeitgeber wechseln. Nach Verlust des Arbeitsplatzes ist es oft nicht leicht, einen vergleichbaren Arbeitsplatz zu finden, sodass der Wegfall einer gut bezahlten Stelle mit langfristigen Lohneinbußen einhergeht. Gleichzeitig sind Beschäftigte im Niedriglohnbereich nicht ausreichend über ihre Alternativen und die Entlohnung bei anderen Arbeitgebern informiert.

Aus diesen Faktoren entsteht eine gewisse Marktmacht von Arbeitgebern und auch von manchen Arbeitnehmern, die anders als im perfekten Wettbewerb nicht Preisnehmer sind, sondern selbst Löhne mit beeinflussen. Ein Symptom für diese Marktmacht besteht darin, dass das Gesetz des einheitlichen Preises am deutschen Arbeitsmarkt nicht gilt. Für gleich qualifizierte Arbeitnehmer kann es je nach Arbeitgeber deutliche Unterschiede in der Entlohnung geben. Produktivere Firmen zahlen dabei tendenziell höhere Löhne. Selbst bei einfachen Dienstleistungen gibt es einigen Spielraum für Lohnunterschiede.

Diese Perspektive hilft dabei, viele überraschende Befunde besser zu verstehen, wie beispielsweise die Gleichzeitigkeit von offenen Stellen und Arbeitslosigkeit; in Deutschland gibt es zurzeit 1,7 Millionen offene Stellen und 2,75 Millionen Arbeitslose. Oder dass der Mindestlohn in Deutschland zumindest bislang nicht zu starken Beschäftigungsverlusten geführt hat und sich durch den Mindestlohn stattdessen die Beschäftigung von weniger produktiven in produktivere Betriebe verlagerte.

Wettbewerb um Arbeitskräfte

Nun zur entscheidenden Frage: Bedeutet die Tatsache, dass der Arbeitsmarkt kein perfekter Markt ist, dass Wettbewerb und Lohnsteigerungen in der aktuellen Lage lediglich Umverteilung bedeuten oder sogar schädlich sind? Aus der Perspektive der modernen Arbeitsmarktökonomik spricht viel dafür, dass das Gegenteil richtig ist. Arbeitskräftemangel ist demnach Ausdruck der Tatsache, dass – anders als im perfekten Wettbewerb – die angebotenen Löhne geringer sind als die Produktivität, also als das, was der Arbeitnehmer für das Unternehmen erwirtschaften könnte. Gerade die Friktionen am Arbeitsmarkt sorgen dafür, dass Arbeitskräfte nicht dort eingesetzt werden, wo sie am produktivsten sind und im Zuge des Strukturwandels gebraucht werden. Man stelle sich vor, ein hochproduktives E-Mobility-Startup kann sich nicht entwickeln, weil die benötigten Ingenieurinnen aufgrund von Friktionen bei einem etablierten Zulieferer für Verbrennungsmotoren bleiben. Solche Arbeitsmarktrigiditäten können zu gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsverlusten führen, die für Deutschland erheblich sein dürften.

Mehr Wettbewerb um Arbeitskräfte ist daher auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht vorteilhaft: Arbeitskräfte werden vermehrt dort eingesetzt, wo sie produktiver sind, und Löhne sowie Arbeitsbedingungen verbessern sich insbesondere dort, wo sie aus marktwirtschaftlicher Sicht zu niedrig waren. Sofern Beschäftigte mit niedrigen Einkommen überproportional profitieren, sinkt zusätzlich die Ungleichheit, es ergibt sich also eine Art doppelte Dividende in Form von Effizienzverbesserungen und sinkender Ungleichheit.

Genau diesen Schluss legt eine aktuelle Studie der Ökonomen David Autor, Arindrajit Dube und Annie McGrew aus den USA nahe, wo trotz günstigerer demografischer Struktur ebenfalls ein Fachkräftemangel beklagt wird. Während der Pandemie hatten sich dort viele Arbeitnehmer beruflich oder geografisch neu orientiert. Diese erhöhte Mobilität verschärfte den Wettbewerb um Arbeitskräfte, führte zu Abwanderung aus relativ schlecht bezahlten Jobs und zu Lohnzuwächsen insbesondere im Niedriglohnbereich. Die Ungleichheit nahm ab.

Kritische Einwände

Kritiker eines stärkeren Wettbewerbs um Arbeitskräfte führen an, dass damit zumindest für Teilbereiche der Wirtschaft auch Kosten einhergehen können. Eine Sorge besteht darin, dass höhere Löhne zu höheren Preisen führen, sodass Reallöhne stagnieren oder sogar sinken. Mit solchen Preissteigerungen ist zu rechnen. Allerdings legt beispielsweise die Studie von Autor, Dube und McGrew nahe, dass stärkerer Wettbewerb um Arbeitskräfte zu steigenden Reallöhnen für einen großen Teil der Beschäftigten führt. Dies ist nicht überraschend, da die Löhne eben nur einen Teil des gesamtwirtschaftlichen Einkommens ausmachen. Wenn alle Einkommen in einer Volkswirtschaft proportional erhöht werden, kann der Effekt neutral sein in dem Sinne, dass die Preise in gleichem Maße steigen. Lohnsteigerungen, um die es hier geht, bedeuten aber eine Einkommensverschiebung zugunsten des Faktors Arbeit sowie eine Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktion aufgrund von Produktivitätssteigerungen und eines höheren Arbeitsangebots.

Sofern Löhne durch vermehrten Wettbewerb insbesondere im Niedriglohnbereich steigen, kommt eine weitere wichtige Überlegung hinzu: In Deutschland wird der Niedriglohnbereich durch staatliche Transfers wie etwa Aufstocken oder das Wohngeld subventioniert – eine Zeche, die durch Steuern und Sozialabgaben an anderer Stelle gezahlt wird. In dieser Situation kann ein großer Niedriglohnsektor hohe gesellschaftliche Kosten haben, die zum Teil verdeckt sind, vor allem dann, wenn produktivere Arbeitsplätze vorhanden sind, aber nicht besetzt werden. Damit ist das vom App-Fahrer ausgelieferte Essen schon heute gesamtgesellschaftlich teurer als es die Rechnung ausweist – es gibt also eine Arbeitsmarktverzerrung. In einer Welt mit umverteilendem Steuer- und Transfersystem sind bestimmte Arbeitsmarktverzerrungen unvermeidlich. Wenn Beschäftigte aber wegen rigider Arbeitsmärkte nicht in die bestmögliche Verwendung gelangen, entsteht ein Wohlfahrtsverlust. Vor diesem Hintergrund kann ein verstärkter Wettbewerb um Arbeitskräfte, der hier zu Lohnsteigerungen führt, gesellschaftlich wünschenswert sein, da dann die ausgewiesenen Preise auch eher den gesellschaftlichen Kosten entsprechen.

Auch in einer Welt ohne Subventionen kann es aufgrund von Friktionen zu einem großen Niedriglohnsektor kommen. Auch vor diesem Hintergrund können Lohnerhöhungen in diesem Bereich die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigern – außerdem würden sie zudem zu stärkeren Anreizen führen, dass Firmen in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren. Höhere Löhne können auch zu Innovationsschüben führen, die zwar teilweise Arbeit durch Automatisierung ersetzen, aber die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigern.

Eine weitere Befürchtung ist, dass ein verstärkter Wettbewerb um Arbeitskräfte zu einer Abwanderung von Arbeitskräften aus Bereichen wie Kinderbetreuung oder Pflege führen könnte. Diese Bereiche sind nicht marktwirtschaftlich organisiert, haben aber eine große gesamtwirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung. In diesen Sektoren bestimmen politische Entscheidungen und nicht die Marktkräfte, wie Leistungen bewertet werden und wie die Löhne und Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten gestaltet werden. Hier hat die Politik die Aufgabe, Bezahlung und Arbeitsbedingungen so anzupassen, dass genügend Arbeitskräfte verfügbar sind. Zum Beispiel legt für die Pflegebranche eine aktuelle Studie nahe, dass viele Arbeitskräfte bei höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen sogar mehr arbeiten würden oder aus anderen Sektoren zurückkehren würden. In jedem Fall wäre es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv, die Löhne an anderer Stelle niedrig zu halten, nur um die Arbeitskräfte in diesen Bereichen zu halten.

Politische Maßnahmen

Unsere Analyse führt zu dem klaren Befund, dass mehr Wettbewerb um Arbeitskräfte und damit verbundene Verbesserungen von Löhnen und Arbeitsbedingungen signifikant zur Lösung des Fachkräftemangels in Deutschland beitragen können. Dies heißt keineswegs, dass andere Maßnahmen zur Bekämpfung der Fachkräfteknappheit überflüssig oder auch nur nachrangig sind. Reformen des Einwanderungssystems, der Kinderbetreuung, des Bürgergelds oder des Ehegattensplittings sollten nicht auf die lange Bank geschoben werden. Aber gerade weil sich durch den demografischen Wandel eine weitere Verknappung des Arbeitskräfteangebots abzeichnet, ist eine wettbewerbliche Anpassung an diese Verknappung besonders wichtig.

Was kann die Politik dazu beitragen? Ein Hebel ist der Abbau von Wettbewerbshemmnissen am Arbeitsmarkt. In den USA hat die Administration von Präsident Joe Biden hierzu ein breites Maßnahmenpaket angekündigt, das per Erlass mit Instrumenten des Wettbewerbs- und Kartellrechts für stärkeren Wettbewerb um Arbeitskräfte sorgen soll. Die geplanten Maßnahmen umfassen ein Verbot nachvertraglicher Wettbewerbsverbote, ein stärkeres Vorgehen gegen Lohnabsprachen sowie gegen Abwerbeverbote. Marktmacht im Arbeitsmarkt entsteht allerdings nicht nur durch kartellähnliche Absprachen zwischen Arbeitgebern, sondern auch bereits durch eine horizontale Differenzierung von Stellen und heterogene Präferenzen sowie durch Mobilitäts- und Informationsfriktionen.

Vor diesem Hintergrund plant die Biden-Administration auch eine Liberalisierung der Berufszulassungen. In Deutschland gibt es entsprechende Diskussionen beispielsweise mit Blick auf den Meisterzwang sowie die reglementierten Berufe. Bei den aktuellen Forderungen nach besserer Berufsorientierung und Stärkung des Ausbildungssystems sollte berücksichtigen werden, dass eine Berufsausbildung im Vergleich zu einem Hochschulstudium langfristig mit einer geringeren Anpassungsfähigkeit und damit in Zeiten ökonomischen Wandels mit höheren Beschäftigungsrisiken und einer geringeren beruflichen Mobilität im späteren Leben verbunden ist, was ein zukünftiges Mismatch begünstigen könnte. Eine Antwort darauf könnte eine Aufwertung der dualen Ausbildung durch akademische Ausbildungselemente wie etwa in dualen Studiengängen sein.

Ein weiteres Instrument, das auf eine Wettbewerbsstärkung durch Verringerung der Informationsfriktionen abzielt, ist die Stärkung der Entgelttransparenz. Ein entscheidender Faktor ist hierbei – anders als bei dem in Deutschland 2017 eingeführten Entgelttransparenzgesetz – die Stärkung der Transparenz über Entgeltunterschiede bei unterschiedlichen Arbeitgebern. Mehrere europäische Länder wie Österreich oder die Slowakei führten beispielsweise die Pflicht ein, bei Stellenausschreibungen Löhne auszuschreiben. Dies führte zu einem Anstieg der Bewerbungen bei besser zahlenden Unternehmen sowie einem Anstieg der Löhne in Bereichen, in denen vor Einführung der Transparenzpflicht wenig Entgelttransparenz herrschte. In Deutschland ist es zudem durch den Rückgang der Tarifbindung aus Arbeitnehmerperspektive schwerer geworden, etwaige Lohnunterschiede zwischen Betrieben und Branchen festzustellen. Eine Stärkung der Transparenz kann auch über Branchen hinweg zu einer Reallokation von Beschäftigten zu höher zahlenden Branchen und Betrieben führen, wie eine Untersuchung zur Transparenzwirkung branchenspezifischer Mindestlöhne verdeutlicht.

Als weiteres Instrument zur Stärkung des Wettbewerbs kann die Bundesregierung auch Maßnahmen wie die Kurzarbeit, die Arbeitsplatzwechseln möglicherweise entgegenwirken, überprüfen. Trotz rund 1,7 Millionen offener Stellen erhalten derzeit über 200.000 Beschäftigte in Deutschland Kurzarbeitergeld. Das Kurzarbeitergeld kann gerade in Krisenzeiten zu einer Sicherung von Arbeitsplätzen beitragen. Allerdings sorgt es auch dafür, dass Beschäftigungsverhältnisse, die in einem Unternehmen gesichert werden, Arbeitskräfte binden, die anderen Arbeitgebern naturgemäß nicht zur Verfügung stehen können. Somit wird Strukturwandel behindert. Zudem deutet eine aktuelle Studie aus Italien darauf hin, dass Kurzarbeitsregelungen insbesondere von weniger produktiven Arbeitgebern in Anspruch genommen werden und zu negativen Spillovers auf das Beschäftigungswachstum produktiver Firmen führen. Insofern könnte auch durch eine Überprüfung der Kurzarbeitsregelungen, die sich beispielsweise dynamisch an branchenspezifischen Personalengpässen oder Produktivitätsentwicklungen orientieren könnten, zu einer doppelten Dividende durch mehr Wettbewerb um Arbeitskräfte führen.

Neben diesen Instrumenten zur Stärkung des Wettbewerbs um Arbeitskräfte, die in der Hand des Gesetzgebers und der Bundesregierung liegen, gilt aber vor allen Dingen: die Tarifparteien haben es selbst in der Hand, dort, wo Arbeitskräfte fehlen, der Knappheit durch Lohnerhöhungen und Verbesserungen von Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken.

Dieser Beitrag ist eine überarbeitete und aktualisierte Fassung von Clemens Fuest/Simon Jäger, Können höhere Löhne zur Überwindung des Fachkräftemangels beitragen?, in: Wirtschaftsdienst 4/2023, S. 253–258.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Anstieg der Erwerbstätigkeit schwächt sich im März 2024 weiter ab, 30.4.2024, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/04/PD24_171_132.html.

  2. Vgl. Reallöhne im Jahr 2022 um 3,1% gegenüber 2021 gesunken, 1.3.2023, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_078_62321.html; Reallöhne im Jahr 2023 um 0,1% gegenüber 2022 gestiegen, 29.2.2024, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/02/PD24_076_62321.html.

  3. Hier ist zu berücksichtigen, dass die steigenden Energiepreise 2022 wichtiger Treiber des Reallohnrückgangs waren. In energieimportierenden Ländern wie Deutschland hat dieser Anstieg zur Folge, dass die mit dem Konsumentenpreisindex deflationierten realen Einkommen stärker sinken als das mit dem BIP-Deflator gemessene reale Bruttoinlandsprodukt. Siehe dazu Wolfgang Nierhaus, Realwert des Bruttoinlandsprodukts und Terms of Trade: Ergebnisse für das Jahr 2022, ifo Schnelldienst 2/2023, S. 47–53.

  4. Vgl. Mangel an Fachkräften hat leicht abgenommen, 20.3.2024, Externer Link: http://www.ifo.de/fakten/2024-03-20/mangel-fachkraeften-hat-leicht-abgenommen.

  5. Vgl. Raj Chetty et al., Are Micro and Macro Labor Supply Elasticities Consistent? A Review of Evidence on the Intensive and Extensive Margins, in: American Economic Review 3/2011, S. 471–475; Olivier Bargain/Andreas Peichl, Own-Wage Labor Supply Elasticities: Variation Across Time and Estimation Methods, in: IZA Journal of Labor Economics 5/2016, S. 1–31.

  6. Vgl. Bert Rürup, Mit Geld allein lässt sich das Fachkräfte-Problem nicht lösen, 17.2.2023, Externer Link: http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-der-chefoekonom-mit-geld-allein-laesst-sich-das-fachkraefte-problem-nicht-loesen/28986400.html; "Der flexibelste Arbeitsmarkt löst nicht alle Probleme." Handelsblatt Economic Challenges Podcast mit Michael Hüther und Bert Rürup, 10.2.2023, Externer Link: http://www.handelsblatt.com/audio/economic-challenges-podcast/handelsblatt-economic-challenges-der-flexibelste-arbeitsmarkt-loest-nicht-alle-probleme-/28970204.html.

  7. Vgl. Simon Jäger/Jörg Heining, How Substitutable Are Workers? Evidence From Worker Deaths, National Bureau of Economic Research Working Paper 30629, November 2022, Externer Link: https://dx.doi.org/10.3386/w30629.

  8. Vgl. Johannes F. Schmieder et al., The Costs of Job Displacement Over the Business Cycle and Its Sources: Evidence From Germany, in: American Economic Review 5/2023, S. 1208–1254.

  9. Vgl. Simon Jäger et al., Worker Beliefs About Outside Options, in: The Quarterly Journal of Economics, 10.1.2024, Externer Link: https://doi.org/10.1093/qje/qjae001.

  10. Vgl. Alan Manning, Monopsony in Motion: Imperfect Competition in Labor Markets, New Jersey 2003; ders., Monopsony in Labor Markets: A Review, in: ILR Review 1/2021, S. 3–26; David Berger et al., Labor Market Power, in: American Economic Review 4/2022, S. 1147–1193.

  11. Vgl. David Card et al., Workplace Heterogeneity and the Rise of West German Wage Inequality, in: The Quarterly Journal of Economics 3/2013, S. 967–1015.

  12. Vgl. Simon Jäger et al., Labor in the Boardroom, in: The Quarterly Journal of Economics 2/2021, S. 669–725.

  13. Vgl. Deborah Goldschmidt/Johannes F. Schmieder, The Rise of Domestic Outsourcing and the Evolution of the German Wage Structure, in: The Quarterly Journal of Economics 3/2017, S. 1165–1217.

  14. Vgl. Arbeitsmarkt im April 2024, 30.4.2024, Externer Link: http://www.arbeitsagentur.de/presse/2024-17-arbeitsmarkt-im-april-2024.

  15. Vgl. Marco Caliendo et al., The Short-Run Employment Effects of the German Minimum Wage Reform, in: Labour Economics 53/2018, S. 46–62; Christian Dustmann et al., Reallocation Effects of the Minimum Wage, in: The Quarterly Journal of Economics 1/2022, S. 267–328.

  16. Vgl. Rüdiger Bachmann et al., Monopsony Makes Firms Not Only Small but Also Unproductive: Why East-Germany Has Not Converged, CESifo Working Paper 9751/2022.

  17. Vgl. Daron Acemoglu, Good Jobs Versus Bad Jobs, in: Journal of Labor Economics 1/2001, S. 1–21.

  18. Vgl. ders./Jörn-Steffen Pischke, Beyond Becker: Training in Imperfect Labour Markets, in: The Economic Journal 453/1999, S. 112–142.

  19. Vgl. Daron Acemoglu, When Does Labor Scarcity Encourage Innovation?, in: Journal of Political Economy 6/2010, S. 1037–1078.

  20. Vgl. Denise Becka et al., Fachkräftepotenziale für die Pflege: 300.000 Vollzeitkräfte ließen sich aktivieren, Forschungsförderung Policy Brief 8/2023.

  21. Vgl. David Card et al., Firms and Labor Market Inequality: Evidence and Some Theory, in: Journal of Labor Economics 1/2018, S. 13–70; Berger et al. (Anm. 10); Manning 2003 (Anm. 10); Jäger et al. (Anm. 12).

  22. Vgl. Morris M. Kleiner/Evan J. Soltas, A Welfare Analysis of Occupational Licensing in U.S. States, in: The Review of Economic Studies 5/2023, S. 2481–2516.

  23. Vgl. Petrik Runst et al., Handwerksordnung: ökonomische Effekte der Deregulierung von 2004, in: Wirtschaftsdienst 5/2018, S. 365–371; Jörg Thomä/Petrik Runst, Pro & Contra Wiedereinführung der Meisterpflicht, in: Wirtschaftsdienst 8/2018, S. 534–535.

  24. Vgl. Meister statt Master: Politiker wollen berufliche Bildung stärken, 29.8.2022, Externer Link: http://www.deutsche-handwerks-zeitung.de/politiker-wollen-berufliche-bildung-staerken-256104; Eric A. Hanushek et al., General Education, Vocational Education, and Labor-Market Outcomes Over the Lifecycle, in: Journal of Human Resources 1/2017, S. 48–87.

  25. Vgl. Zoë Cullen, Is Pay Transparency Good?, in: Journal of Economic Perspectives 1/2024, S. 153–180.

  26. Vgl. Samuel Škoda, Directing Job Search in Practice, Universität Zürich Working Paper, November 2022.

  27. Vgl. Simon Jäger et al., The German Model of Industrial Relations. Balancing Flexibility and Collective Action, in: Journal of Economic Perspectives 4/2022, S. 53–80.

  28. Vgl. Gökay Demir, Labor Market Frictions and Spillover Effects from Publicly Announced Sectoral Minimum Wages, Ruhr Economic Papers 985/2022.

  29. Vgl. IAB-Stellenerhebung, Externer Link: https://iab.de/das-iab/befragungen/iab-stellenerhebung; Arbeitsagentur (Anm. 14).

  30. Vgl. Giulia Giupponi et al., Should We Insure Workers or Jobs during Recessions?, in: Journal of Economic Perspectives 2/2022, S. 29–54.

  31. Vgl. Giulia Giupponi/Camille Landais, Subsidizing Labor Hoarding in Recessions: The Employment and Welfare Effects of Short Time Work, in: The Review of Economic Studies 4/2023, S. 1963–2005.

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ist Präsident des ifo Instituts und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

ist Associate Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA.