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Fach- und Arbeitskräftemangel ohne Ende? Was dagegen hilft – und was nicht

Bernd Fitzenberger Karolin Hiesinger Julia Holleitner

/ 14 Minuten zu lesen

Noch nie gab es so viele Beschäftigte wie heute. Dennoch bestehen Personalengpässe, die sich in den kommenden Jahren verschärfen könnten. Dies wirkt sich negativ auf den Wohlstand aus und macht wirksame Maßnahmen zur Arbeitskräftesicherung notwendig.

Es klingt paradox: Noch nie gab es in Deutschland so viele Beschäftigte wie heute. Dennoch bestehen Personalengpässe, die in den kommenden Jahren noch schlimmer werden könnten. Zunächst ein Blick auf die Fakten: Woher rührt das Problem des Fachkräftemangels eigentlich, und wie gravierend ist es wirklich?

Steigender Bedarf

Zwischen 2013 und 2022 gab es einen deutlichen Anstieg des Fachkräftebedarfs in deutschen Betrieben, der auch nach einem kurzen Einbruch während der Coronapandemie anhielt. Ein Grund dafür sind strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft, die den Bedarf an gut qualifizierten Arbeitskräften erhöhen. Trends wie die Digitalisierung oder die Dekarbonisierung haben vielfach die Tätigkeitsanforderungen auf dem Arbeitsmarkt erhöht.

Hatte 2013 noch jeder vierte deutsche Betrieb einen Fachkräftebedarf, so stieg dieser Anteil bis 2022 auf 40 Prozent. Damit einhergehend stieg zwischen 2013 und 2022 auch die Nichtbesetzungsquote der angebotenen Fachkräftestellen, also der Anteil der unbesetzten Stellen an allen angebotenen Fachkräftestellen. So konnten im ersten Halbjahr 2022 durchschnittlich 45 Prozent der angebotenen Stellen nicht besetzt werden.

(© IAB-Stellenerhebung)

Der Fachkräfteengpass spiegelt sich in der Zahl der offenen Stellen wider: Wie in Abbildung 1 dargestellt, ist die Zahl der offenen Stellen seit der Coronapandemie deutlich angestiegen und lag im 4. Quartal 2023 – nach einem leichten Rückgang ab 2022 – immer noch auf einem hohen Niveau von über 1,7 Millionen.

Betroffene Unternehmen und Branchen

Nicht alle Betriebe sind gleichermaßen vom Fachkräftemangel betroffen. Mit Blick auf die Größe haben vor allem Kleinstbetriebe, also Betriebe mit bis zu neun Beschäftigten, besondere Schwierigkeiten, ihre offenen Stellen zu besetzen. 2022 konnten Kleinstbetriebe 62 Prozent ihrer angebotenen Fachkräftestellen nicht besetzen. Hinzu kommt, dass kleinere Betriebe häufig nicht ausbildungsberechtigt sind. Da der Ausbildung eine zentrale Rolle bei der zukünftigen Deckung des Fachkräftebedarfs zukommt, drohen sich die Engpässe für kleinere Betriebe dadurch weiter zu verschärfen.

Zudem gibt es große Unterschiede zwischen einzelnen Berufen. Die Bundesagentur für Arbeit identifizierte in ihrer Fachkräfteengpassanalyse 2022 105 von insgesamt 234 Fachkraftberufen als Engpassberufe. Dazu zählen vor allem Pflegeberufe, medizinische Gesundheitsberufe, Handwerksberufe und Bauberufe. Nach Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird sich der Fachkräftebedarf in diesen Berufen in den kommenden Jahren weiter verschärfen.

Beschäftigung auf Höchststand

Trotz der beschriebenen Engpässe steigt die Zahl der abhängig Beschäftigten seit geraumer Zeit von Jahr zu Jahr. So kam es zwischen 2015 und 2023 zu einem deutlichen Anstieg der Beschäftigung um 8,7 Prozent auf nunmehr rund 42 Millionen Beschäftigte – ein neuer Rekordwert. Gründe dafür sind steigende Beschäftigungsquoten, insbesondere bei Frauen und Älteren, Zuwanderung und ein Rückgang der Arbeitslosigkeit. Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist also nicht darauf zurückzuführen, dass grundsätzlich weniger Menschen arbeiten würden. Dennoch gibt es nach wie vor knapp 2,8 Millionen registrierte Arbeitslose und rund 3 Millionen Menschen in der sogenannten stillen Reserve, also Personen, die zwar aktuell keine Arbeit suchen, dem Arbeitsmarkt aber grundsätzlich zur Verfügung stehen.

Diese Gegenüberstellung macht zwei Sachverhalte deutlich: Zum einen gibt es auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein immer größer werdendes Passungsproblem, den sogenannten Mismatch. Die offenen Stellen passen oft nicht zu den Menschen, die arbeiten wollen oder können. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Arbeitsuchende und Arbeitsplätze befinden sich an unterschiedlichen Orten, die Qualifikationen oder Vorstellungen der Arbeitsuchenden passen nicht zu den offenen Stellen oder Arbeitgeber und Arbeitsuchende finden aufgrund von Informationsdefiziten oder mangelnder Markttransparenz nicht zueinander. Zum Teil sind Arbeitslose räumlich nicht so mobil, dass sie passende Stellen annehmen (können) – ein Problem, das sich mit der Alterung der Erwerbspersonen verstärkt, da Ältere im Durchschnitt regional weniger mobil sind.

Zum anderen ist ein Beschäftigungsanstieg nicht notwendigerweise mit einer Sättigung der Arbeitsnachfrage verbunden. Hier sind komplexe Anpassungsreaktionen über den Lohn-Preis-Mechanismus zu berücksichtigen, die die Konsummöglichkeiten in der Gesellschaft erhöhen und damit die Beschäftigungsnachfrage weiter ankurbeln. Der deutschen Wirtschaft geht somit die Arbeit nicht aus, im Gegenteil.

Personal auf Vorrat

Üblicherweise gehen Wirtschaftswachstum und Arbeitskräftebedarf Hand in Hand, in Deutschland ist jedoch seit einiger Zeit eine Entkoppelung zu beobachten. Dies zeigt sich aktuell daran, dass die Beschäftigung trotz negativer Wirtschaftsentwicklung weiter zunimmt und weiterhin Personalengpässe bestehen. 2023 ist das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent geschrumpft, aber die Nachfrage nach Arbeitskräften bleibt hoch. Wie lässt sich das erklären?

Dazu tragen verschiedene Faktoren bei: Zum einen gibt es in den Betrieben einen Trend zum sogenannten labor hoarding, das heißt, angesichts des zunehmenden Fach- und Arbeitskräftemangels tendieren Unternehmen seit Jahren dazu, ihre Arbeitskräfte auch in Krisenzeiten zu halten. Denn sie wissen, dass qualifizierte Arbeitskräfte nur schwer wieder zu gewinnen sind, wenn sich die Geschäftslage bessert.

Zudem führt die rasche Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt, insbesondere durch die Einführung neuer Technologien, dazu, dass Unternehmen Personal einstellen wollen, um in ihre zukünftige Leistungsfähigkeit zu investieren. Wenn Unternehmen jedoch zunehmend versuchen, Personal auch auf Vorrat einzustellen, verschärft dies wiederum den gesamtwirtschaftlichen Personalengpass.

Schließlich besteht unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung ein anhaltend hoher Personalbedarf in den Bereichen Pflege, Erziehung und Gesundheit. Dabei handelt es sich um personalintensive Aufgaben der gesellschaftlichen Grundversorgung mit vergleichsweise geringen Produktivitätsfortschritten. Gründe für den steigenden Personalbedarf sind die Alterung der Gesellschaft, die Herausforderungen im Bildungssystem, die beispielsweise einen hohen Förderbedarf für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler erfordern, und der steigende Kinderbetreuungsbedarf berufstätiger Eltern.

Demografischer Wandel

Die beschriebenen Personalengpässe dürften sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren noch verschärfen, wenn die Generation der Babyboomer in Rente geht. Dadurch sinkt das inländische Erwerbspersonenpotenzial, also die Summe aus Erwerbstätigen, Erwerbslosen und Stiller Reserve. Dies liegt sowohl an dem Rückgang der inländischen Bevölkerung ohne Zuwanderung aufgrund der niedrigen Geburtenrate als auch an der wachsenden Zahl älterer Menschen, die vergleichsweise geringere Erwerbsquoten aufweisen.

2020 lag das Erwerbspersonenpotenzial bei 47,4 Millionen Personen. Geht man von einem Szenario aus, in dem die Erwerbsquoten konstant bleiben und keine Zuwanderung nach oder Abwanderung aus Deutschland berücksichtigt wird, würde die Zahl der Personen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, zwischen 2020 und 2035 um mehr als 7 Millionen Personen sinken. Dieser Trend setzt sich auch fort, wenn ein Szenario zugrunde gelegt wird, in dem die inländischen Erwerbsquoten in den nächsten Jahren weiter ansteigen. In diesem Fall würden dem Arbeitsmarkt zwischen 2020 und 2035 immer noch knapp 4,5 Millionen Personen verloren gehen.

Was hilft?

Stellschraube 1: Zuwanderung zu Erwerbszwecken fördern

Nach IAB-Berechnungen würde das Erwerbspersonenpotenzial bis 2035 nur dann konstant bleiben, wenn es zu einer jährlichen Nettozuwanderung von rund 400.000 Personen käme. Geht man von einer konstanten Abwanderungsquote in Deutschland aus, müsste für einen solchen Wanderungssaldo die jährliche Zuwanderung auf 1,79 Millionen Personen ansteigen, da jedes Jahr auch viele Menschen Deutschland verlassen. Obwohl Freizügigkeit in der EU herrscht, wird die in den 2010er Jahren stark gestiegene Zuwanderung aus anderen EU-Ländern begrenzt sein, da auch dort die Erwerbsbevölkerung altert und mit der besseren wirtschaftlichen Entwicklung auch der Wanderungsdruck aus diesen Ländern abnimmt. Eine hohe gesteuerte Zuwanderung zu Erwerbszwecken auch aus Drittstaaten ist daher ein sinnvoller Weg, den Fachkräftebedarf zu decken. Dies findet bislang jedoch nur in begrenztem Umfang statt. In der ersten Hälfte der 2010er Jahre lag sie bei weniger als 40.000 Personen pro Jahr, stieg dann bis 2019 auf etwas mehr als 60.000 Personen an.

Angesichts dieser Zahlen wird deutlich, dass die gezielte Zuwanderung aus Drittstaaten bislang nur einen sehr kleinen Beitrag zur Stabilisierung des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland leistet. Der überwiegende Teil der Zuwanderung besteht nach wie vor aus der EU-Binnenmigration, die zu einem erheblichen Teil als Erwerbsmigration erfolgt, und der Fluchtmigration. Letztere orientiert sich jedoch nicht am Fachkräftebedarf in Deutschland, und eine erfolgreiche und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erfordert Zeit, Fördermaßnahmen und Qualifizierung.

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2023 soll die Erwerbszuwanderung aus Drittstaaten fördern. Es erleichtert die Zuwanderung bei Vorliegen einer Arbeitsplatzzusage und senkt die Hürden für die Ausübung eines nicht reglementierten Berufs, auch wenn kein in Deutschland anerkannter Berufsabschluss vorliegt. Schließlich ermöglicht es auch die temporäre Arbeitsplatzsuche in Deutschland auf der Basis eines Punktesystems. Insgesamt ist die Reform sinnvoll, sie dürfte aber die Zuwanderung aus Drittstaaten zu Erwerbszwecken nur in geringem Umfang erhöhen, und die Änderungen bedürfen der Ergänzung. So sollte der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt auch durch gute Englischkenntnisse erleichtert werden. Zudem sollten die hohen Hürden für den Zugang zu reglementierten Berufen überprüft und in erweiterter Form eine Probebeschäftigung ermöglicht werden. Schließlich muss auch der starken Abwanderung von Fachkräften aus Deutschland entgegengewirkt werden.

Stellschraube 2: Mehrarbeit von Frauen ermöglichen

(© IAB-Arbeitszeitrechnung/Statistisches Bundesamt)

Obwohl die Beschäftigung auf Rekordniveau liegt, ist das Arbeitsvolumen zwischen 2015 und 2023 nur um 6,4 Prozent gestiegen – und damit weniger stark als die Beschäftigung (plus 8,7 Prozent im gleichen Zeitraum, Abbildung 2). Das heißt: Obwohl zahlenmäßig mehr Menschen einer abhängigen Beschäftigung nachgehen, werden pro Kopf weniger Stunden gearbeitet. Auch deshalb ist das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbsperson in diesem Zeitraum insgesamt nur um 0,5 Prozent gestiegen.

Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Teilzeitquote seit 2015 gestiegen ist und mit 39 Prozent 2023 so hoch war wie nie zuvor, was vor allem auf die höhere Beschäftigungsquote von Frauen zurückzuführen ist. Die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen arbeitet derzeit in Teilzeit, bei den erwerbstätigen Müttern sind es sogar zwei Drittel. Gleichzeitig gibt es unter den Teilzeitbeschäftigten auch den Wunsch, in eine Vollzeitbeschäftigung zu wechseln. Laut Statistischem Bundesamt gaben 2022 7,4 Prozent der teilzeitbeschäftigten Männer und 5,2 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen an, unfreiwillig in Teilzeit zu arbeiten.

Gerade für Frauen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine besondere Herausforderung und führt häufig dazu, dass sie unter ihrer gewünschten Arbeitszeit bleiben. Auch institutionelle Regelungen wie das Ehegattensplitting, die Verdienstgrenze bei Minijobs oder die kostenlose Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung führen dazu, dass sich Mehrarbeit in Paarhaushalten häufig finanziell nicht lohnt. Diese Regelungen tragen dazu bei, das traditionelle Rollenbild eines (meist männlichen) Hauptverdieners und einer (meist weiblichen) Hinzuverdienerin zu zementieren. Nicht zuletzt führt der bereits bestehende eklatante Personalmangel in der Kinderbetreuung und Pflege dazu, dass für viele Erwerbstätige mit Betreuungspflichten eine Ausweitung der Arbeitszeit kaum möglich ist. Dabei wäre eine Ausweitung der Arbeitszeit oft der einfachste Weg, zusätzliche Potenziale zu erschließen: Die Beschäftigten müssen in der Regel nicht erst in ihre Aufgaben eingearbeitet werden, Rekrutierungsprozesse und -kosten entfallen.

Stellschraube 3: Potenzial der Älteren nutzen

Erhebliche zusätzliche Erwerbspotenziale bieten Personengruppen, die bisher nicht erwerbstätig sind, dem Arbeitsmarkt aber grundsätzlich zur Verfügung stehen. Hierzu zählen insbesondere ältere Menschen. Zwar konnte ihre Erwerbsbeteiligung in den vergangenen Jahren bereits deutlich gesteigert werden, dennoch liegen ihre Erwerbsquoten immer noch deutlich unter denen der jüngeren Erwerbspersonen. Berechnungen zufolge könnten allein durch eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung der 60- bis 69-Jährigen bis zum Jahr 2035 2,4 Millionen zusätzliche Erwerbspersonen aktiviert werden.

Welche Maßnahmen sind dafür relevant? Die Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenem Renteneintritt 2023 war ein wichtiger Schritt, um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für Ältere gegenüber einer geringfügigen Beschäftigung attraktiver zu machen. Auch die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre dürfte die Erwerbsbeteiligung Älterer weiter steigern. Neben den institutionellen Rahmenbedingungen ist es wichtig, die betrieblichen Bedingungen so zu gestalten, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dort weiterarbeiten können und wollen. Insbesondere eine Flexibilisierung der Arbeitszeit kann dazu beitragen, Personen im Rentenalter im Unternehmen zu halten.

Eine weitere wesentliche Voraussetzung ist es, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeitenden zu erhalten. Da schwere Erkrankungen und Behinderungen zu einem großen Teil im Laufe des Erwerbslebens auftreten, sind ältere Menschen überproportional von gesundheitlichen Einschränkungen betroffen. Daher ist es besonders wichtig, den Verbleib im Erwerbsleben trotz gesundheitlicher Einschränkungen oder Behinderungen stärker zu ermöglichen, zum Beispiel durch arbeitszeitliche oder berufliche Flexibilität. Dies gelingt bislang jedoch noch zu selten.

Stellschraube 4: Fachkräftenachwuchs sichern

Das deutsche Ausbildungssystem, das seit jeher eine entscheidende Rolle bei der Sicherung und Deckung des Fachkräftebedarfs in den Betrieben spielt, ist in den vergangenen Jahren in eine Krise geraten. Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für eine betriebliche Ausbildung ist seit 2018/19 deutlich zurückgegangen. Auch ist der Anteil ausbildungsberechtigter Betriebe über die Jahre gesunken, während gleichzeitig der Anteil der Betriebe mit unbesetzten Ausbildungsstellen immer weiter steigt. Jugendliche für eine Berufsausbildung zu gewinnen, indem die Berufsorientierung und -beratung gestärkt und der Kontakt zu Ausbildungsbetrieben beispielsweise durch Praktika gefördert wird, sind daher wichtige Schritte. Auch die im Rahmen der Ausbildungsgarantie vorgesehene Stärkung der Berufsorientierung und der außerbetrieblichen Ausbildung kann einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Nicht zuletzt sind aufgrund des technologischen Wandels große Umbrüche innerhalb der Berufe zu erwarten. Um die Auszubildenden für die Zukunft zu rüsten, müssen die Ausbildungsinhalte stetig weiterentwickelt werden, um die neuesten technologischen Entwicklungen aufzugreifen.

Dieser Aspekt betrifft nicht nur die klassische Erstausbildung. Auch das Lernen im Erwerbsleben muss angesichts der Veränderungen in den Berufen zur Normalität werden. Darüber hinaus können Berufswechsel aufgrund des Strukturwandels häufiger notwendig werden und somit Teil der Karriereentwicklung sein. Nur durch eine permanente Anpassung an die aktuellen technologischen Entwicklungen kann langfristig eine gute Passung zwischen Fachkraft und Arbeitsplatzanforderung sichergestellt werden.

Stellschraube 5: Produktivität steigern

Spiegelbildlich zum hohen Arbeitskräftebedarf ist eine schwache Produktivitätsentwicklung festzustellen. Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Beschäftigten wächst kaum noch, und auch pro Arbeitsstunde ist das Wachstum eher gering. Dies überrascht auf den ersten Blick angesichts der starken Veränderungen von Wirtschaft und Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung. Diese hat sich aber bisher nicht als Jobkiller, sondern eher als Instrument für neue oder verbesserte Güter und Dienstleistungen erwiesen.

Durch die eher moderate Lohnentwicklung sind viele Unternehmen eher bereit, Personal für zukünftige Bedarfe einzustellen, für die eine Nachfrage absehbar ist. Gerade bei Dienstleistungen mit intensivem Kundenkontakt sind Neueinstellungen Investitionen in die zukünftige Leistungsfähigkeit. Personalengpässe können dort dazu führen, dass ein kurzfristig steigender Arbeitsbedarf unter Umständen nicht mehr gedeckt werden kann. Darüber hinaus wächst die Beschäftigung vor allem in Bereichen mit geringerer Produktivität, beispielsweise bei personalintensiven Dienstleistungen der sozialen Grundversorgung wie Gesundheit, Erziehung und Pflege. Soll die Versorgungssicherheit in diesen Bereichen weiterhin gewährleistet werden, müssen zusätzliche Beschäftigte für die entsprechenden Tätigkeiten gewonnen werden – was die Personalengpässe weiter verstärkt und die Produktivitätsentwicklung dämpft.

Die Digitalisierung birgt jedoch das Potenzial, den Arbeitskräftebedarf durch Produktivitätssteigerungen zu senken. Dies erfordert jedoch sowohl deutlich höhere private Investitionen in Automatisierungstechnologien als auch deutlich höhere staatliche Investitionen in die Infrastruktur. Dem stehen zugleich hohe bürokratische Hürden, ein ineffizienter Datenschutz, fehlende IT-Sicherheitssysteme zur datenschutzkonformen Nutzung der Automatisierungspotenziale sowie der Fachkräftemangel selbst entgegen.

Der Fachkräftemangel wird diese Entwicklungen forcieren, sei es, weil Stellen nicht besetzt werden können, sei es, weil die Lohnkosten steigen. In vielen Bereichen wird dies auch dazu führen, dass persönliche Kundenkontakte und persönliche Dienstleistungen eingeschränkt werden und die Kundinnen und Kunden vermehrt digitale Kanäle nutzen müssen.

Stellschraube 6: Matching verbessern

Passungsprobleme auf dem Arbeitsmarkt führen häufig dazu, dass offene Stellen nicht besetzt werden können. Berufliche Weiterbildung kann die Passgenauigkeit der offenen Stellen erhöhen. Ebenso wäre es förderlich, wenn Betriebe Arbeitslose einstellen, die aus ihrer Sicht nicht optimal auf die Stellen passen, und dann durch Einarbeitung und Weiterbildung während der Beschäftigung die Passung erhöhen. Ein Grund für mangelnde regionale Mobilität kann auch sein, dass sich die Aufnahme einer Beschäftigung an einem anderen Ort aufgrund der höheren Wohnkosten in Regionen mit besseren Arbeitsmarktchancen finanziell nicht lohnt. Hier gilt es, die Anreize für regionale und berufliche Mobilität zu stärken, insbesondere für Geringverdienende.

Was hilft nicht (unbedingt)?

Arbeitskräfteengpässe erhöhen den Wettbewerb zwischen den Betrieben um die knapper werdenden Arbeitskräfte, sodass vor allem die produktiveren Betriebe die Arbeitsbedingungen verbessern und höhere Löhne zahlen werden. Beschäftigte werden diesen finanziellen Anreizen folgen, wodurch die Beschäftigung in diesen Betrieben steigt. In den Betrieben, die sich die höheren Löhne nicht leisten können, sinkt dagegen die Beschäftigung – die Betriebe schrumpfen oder werden sogar aus dem Markt gedrängt. Gleichzeitig werden sich viele Beschäftigte angesichts höherer Löhne mehr Freizeit wünschen und eine Arbeitszeitverkürzung fordern – zum Beispiel eine Viertagewoche. Eine Lohnerhöhung kann also dazu führen, dass die insgesamt geleistete Arbeitszeit sinkt. Darüber hinaus steigt die gesamtwirtschaftliche Produktion nur dann, wenn dies mit hinreichend starken Produktivitätssteigerungen einhergeht oder wenn es infolge der Lohnerhöhung zu einem starken Zuwachs an Personen kommt, die bereit sind, zu arbeiten. Die Forschung zeigt, dass das gesamtwirtschaftliche Arbeitsangebot kurzfristig nur schwach auf Lohnerhöhungen reagiert. Daher müssten die Lohnerhöhungen kurzfristig sehr stark ausfallen, um einen nennenswerten Anstieg der Beschäftigtenzahl zu bewirken – und dieser Effekt würde gleichzeitig durch Arbeitszeitverkürzungen abgeschwächt.

Lohnerhöhungen ändern zudem kurzfristig nichts am Mismatch zwischen Arbeitslosen und offenen Stellen. Wenn die Arbeitsanreize durch Lohnerhöhungen erhöht werden sollen, müssen diese durch entsprechende Qualifizierungen der Arbeitsuchenden oder Maßnahmen zur Förderung der Mobilität ergänzt werden – sonst wird es nicht gelingen, die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung zu erhöhen.

Bei starken Lohnerhöhungen droht – ohne weitere Maßnahmen zur Verringerung des Mismatch – aus dem Arbeitskräftemangel ein zunehmender Mangel an Gütern und Dienstleistungen zu werden, die bisher von Betrieben erzeugt werden, die sich höhere Löhne nicht leisten können. Im Ergebnis würde sich der Mangel nur verlagern.

Fazit

Der Fachkräftemangel dürfte sich durch die Alterung der Bevölkerung weiter verschärfen, ebenso wird der Arbeitskräftemangel längerfristig ein Thema bleiben. Alle Stellschrauben zur Hebung von Fachkräftepotenzialen und zur Reduzierung des Personalbedarfs sollten genutzt werden: Durch die Erschließung weiterer Potenziale bei Älteren, Frauen und Zuwanderern kann der zu erwartende Beschäftigungsrückgang abgefedert werden. Dringend notwendig ist auch die Sicherung des Fachkräftenachwuchses; hier deutet die Entwicklung der vergangenen Jahre eher auf eine Verschlechterung hin. Die Anreize zur Ausweitung der Arbeitszeit, auch bei bestehenden Betreuungspflichten, müssen gestärkt werden. Digitalisierung und andere Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung können Einkommenseinbußen und eine Unterversorgung mit Gütern und Dienstleistungen, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge, verhindern. Verstärkte berufliche Weiterbildung und Mobilitätshilfen für Beschäftigte und Betriebe können den hohen Mismatch zwischen offenen Stellen und Arbeitsuchenden verringern und damit mehr Beschäftigung ermöglichen.

Der Arbeitskräftemangel wird zu Lohnerhöhungen führen, und produktive Betriebe können durch attraktivere Arbeitsbedingungen mehr Beschäftigte gewinnen. Lohnerhöhungen werden jedoch die Gesamtzahl der Beschäftigten kurzfristig nur geringfügig steigern und dürften zu einer Verkürzung der Arbeitszeit führen, was wiederum die Personalengpässe verschärfen wird, insbesondere in den personennahen Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Erziehung, in denen die Arbeitsproduktivität nur langsam wächst.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Von Fachkräftemangel spricht man, wenn viele Arbeitsplätze über einen längeren Zeitraum nicht besetzt werden können, weil keine entsprechend qualifizierten Arbeitskräfte gefunden werden können. Eine Fachkraft ist eine Person mit einer mindestens zwei- bis dreijährigen Berufsausbildung.

  2. Vgl. Gerd Zika et al., Auswirkung des Strukturwandels für die Bundesländer in der langen Frist. Qualifikations- und Berufsprojektion bis 2040, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), IAB-Forschungsbericht 22/2022.

  3. Vgl. Emanuel Bennewitz et al., Auswirkungen des Angriffskrieges auf die Ukraine auf die Betriebe in Deutschland und weitere Ergebnisse des IAB-Betriebspanels, IAB-Forschungsbericht 15/2023.

  4. Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt – Fachkräfteengpassanalyse 2022, Nürnberg 2023.

  5. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), Fachkräftemonitoring für das BMAS. Mittelfristprognose bis 2027, Forschungsbericht 625/2023.

  6. Vgl. Johann Fuchs/Doris Söhnlein/Brigitte Weber, Demografische Entwicklung lässt das Arbeitskräfteangebot stark schrumpfen, IAB-Kurzbericht 25/2021.

  7. Vgl. Timon Hellwagner et al., Wie sich eine demografisch bedingte Schrumpfung des Arbeitsmarkts noch abwenden lässt, 21.11.2022, Externer Link: http://www.iab-forum.de/wie-sich-eine-demografisch-bedingte-schrumpfung-des-arbeitsmarkts-noch-abwenden-laesst.

  8. Vgl. "Menschen wollen arbeiten und sich integrieren", Interview mit Herbert Brücker und Yuliya Kosyakova, 3.1.2023, Externer Link: https://mediendienst-integration.de/artikel/menschen-wollen-arbeiten-und-sich-integrieren.html.

  9. Unter einem reglementierten Beruf versteht man einen Beruf, dessen Ausübung das Vorliegen einer anerkannten Berufsqualifikation erfordert – eine solche Anerkennung stellt für Zugewanderte häufig eine große Herausforderung dar.

  10. Vgl. Statistisches Bundesamt, Unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte, 2024, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/unfreiwillig-teilzeitbeschaeftige.html.

  11. Vgl. Fuchs/Söhnlein/Weber (Anm. 6).

  12. Vgl. Judith Czepek et al., Halten rentenberechtigter Mitarbeiter in den Betrieben. Vor allem kürzere und flexiblere Arbeitszeiten kommen zum Einsatz, IAB-Kurzbericht 16/2017.

  13. Vgl. zur Erwerbsbeteiligung nach Eintreten einer Schwerbehinderung Matthias Collischon/Karolin Hiesinger/Laura Pohlan, Disability and Labor Market Performance, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, IZA-Discussion Paper 16100/2023.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Bernd Fitzenberger, Karolin Hiesinger, Julia Holleitner für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Professor für Quantitative Arbeitsökonomik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAB.

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