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Wie soll die Union wachsen? Zur aktuellen Erweiterungspolitik

Michael Kaeding

/ 13 Minuten zu lesen

Die notwendigen Reformen der EU und die Entwicklung der Beitrittskandidaten zu liberalen Demokratien brauchen Zeit – Zeit, die angesichts der akuten geopolitischen Herausforderungen kaum vorhanden ist. Dieses Dilemma beeinflusst auch die Erweiterungspolitik der EU.

Während wir in Europa noch dabei sind, die Erweiterungsrunden der vergangenen Jahrzehnte und den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zu verarbeiten, erfordern die aktuellen geopolitischen Zwänge rasche und neue politische Antworten auf die Erweiterungsfragen der EU. Gleichzeitig brauchen die notwendigen Reformen und die Modernisierung der EU nach innen sowie die Entwicklung der Beitrittskandidaten zu liberalen Demokratien Zeit. Dieses offensichtliche Dilemma ist der Ausgangspunkt für eine notwendige Diskussion darüber, wie die Erweiterungspolitik der EU reformiert werden muss, um die Zukunft der Europäischen Union selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Dabei sind die jeweiligen nationalen Besonderheiten innerhalb der EU, aber auch die der Beitrittskandidaten zu berücksichtigen. Die Wählerinnen und Wähler müssen überall mit ins Boot geholt werden, und das ist vielleicht eine der wichtigsten Aufgaben.

Überkommene Erweiterungsmethodik

Die Bilanz der EU-Erweiterungspolitik der vergangenen 15 Jahre ist ernüchternd: Weder in Sachen Demokratie noch bei der Erweiterung selbst gab es nennenswerte Fortschritte. Doch der Krieg Russlands in der Ukraine hat dem Erweiterungsprozess neuen Schwung verliehen. Der Europäische Rat hat in der Folge mutige Entscheidungen getroffen, sodass heute zehn Länder vor dem EU-Beitritt stehen. Die Gefahr besteht, dass all dieser Mut verloren geht, wenn wir einfach zu den alten Methoden zurückkehren beziehungsweise eine Erweiterungsmethodik beibehalten, die in den vergangenen 15 Jahren nicht wirklich funktioniert hat. Denn Beitrittsverhandlungen allein sind, wie wir aus den Erfahrungen mit den Ländern des Westbalkans und der Türkei wissen, keine Garantie für eine rasche EU-Mitgliedschaft. Und mit der Ukraine, Georgien, Moldau und den westlichen Balkanstaaten haben wir es mit Ländern zu tun, deren Zivilgesellschaften es weniger an Mut und Willen fehlt, Reformen auf dem Weg zur liberalen Demokratie umzusetzen, als vielmehr mit dem schwierigen Erbe umstrittener staatlicher Selbstständigkeit und verfestigtem Klientelismus zu kämpfen haben.

Der Erweiterungsprozess der EU darf jedoch nicht wieder ins Stocken geraten, indem wir die alten Debatten, die frühere Erweiterungsrunden begleitet haben, wieder aufleben lassen: Wer soll wann und wie der EU beitreten? Wer wann beitreten wird, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Können die EU-Institutionen eine höhere Mitgliederzahl überhaupt verkraften? Kann sich die EU die Kosten für die Aufnahme von Ländern leisten, die viel ärmer als der EU-Durchschnitt sind und deren Wirtschaft weitgehend von der Landwirtschaft abhängt? Klar ist, dass die Erweiterung die Disparitäten zwischen den Staaten und Regionen der EU erheblich vergrößern wird. Folglich wird sie unweigerlich Anpassungen des auf dem Bruttoinlandsprodukt basierenden EU-Haushalts erfordern. Entweder wird der Kuchen größer und das Gesamtbudget steigt – oder jeder bekommt ein kleineres Stück. Folglich wird es zu einer tiefgreifenden Umverteilung von EU-Mitteln zwischen den Mitgliedstaaten kommen. Und selbstverständlich führt die Erweiterung in geografischer und strategischer Hinsicht zu einer neuen Außengrenze und einer Verlagerung des territorialen Schwerpunkts der Union weg vom Atlantik und hin zum Schwarzen Meer. Die Gestalt der Union und damit auch die Art der potenziellen Bedrohungen werden sich verändern. Und wenn die EU-Mitgliedstaaten nicht gemeinsam ihre Verteidigungskapazitäten erheblich ausbauen, wird die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten in Sicherheitsfragen höchstwahrscheinlich weiter zunehmen. Die Frage ist also nicht, ob sich die Europäische Union und ihre Funktionsweise verändern werden, sondern wie dieser Wandel zu einer Reform der EU-Erweiterungspolitik führen kann, die von den Bürgerinnen und Bürgern der EU mitgetragen wird.

Unwissenheit und Skepsis

„Wir vereinigen keine Staaten, wir vereinen Menschen“, sagte Jean Monnet, einer der Wegbereiter des europäischen Einigungsprozesses, 1952. Die öffentliche Unterstützung für diese Vereinigung kann allerdings nicht als selbstverständlich angesehen werden. Unwissenheit und Skepsis gegenüber der Erweiterung herrschen in vielen Teilen der Union immer noch vor. Die Unterstützung in den 2000er Jahren wich schnell der Erweiterungsmüdigkeit, der wachsenden Sorge um Arbeitsplätze und Löhne, der Angst vor zunehmender Migration innerhalb der EU und dem Schreckgespenst des „Sozialdumpings“, dem berüchtigten „polnischen Klempner“, der viele misstrauisch gegenüber neuen EU-Mitgliedern werden ließ. Der Zuzug von Arbeitskräften aus Osteuropa wird von vielen auch direkt mit den Wahlerfolgen vor allem rechtspopulistischer und europaskeptischer Parteien und dem Brexit-Votum im Vereinigten Königreich in Verbindung gebracht.

Im Hinblick auf die aktuellen Erweiterungsfragen ist beispielsweise unklar, wie lange sich die seit zwei Jahren anhaltende Solidarität mit der Ukraine in einer Unterstützung der EU-Erweiterung niederschlagen und nach dem Ende des Krieges anhalten wird. Der aktuelle Streit zwischen Warschau, einem der treuesten Verbündeten der Ukraine, und Kyjiw über den Import billigen ukrainischen Getreides und dessen Auswirkungen auf den Lebensunterhalt polnischer Landwirte gibt einen Vorgeschmack darauf, wie brisant die Erweiterungsdebatten werden können.

Um den potenziellen neuen Mitgliedern der EU eine Heimat im „Haus Europa“ zu bieten, müssen die Staats- und Regierungschefs der EU Wege finden, ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen. Hier liegt vielleicht eine der größten Aufgaben, vor denen die Union derzeit steht. Denn es gibt nicht den einen Weg, das eine Instrument, die eine Lösung, sondern es geht um einen Werkzeugkasten, den es in den kommenden Monaten gemeinsam zu entwickeln gilt. Ein Werkzeugkasten, der aufzeigt, wie eine reformierte EU-Erweiterungspolitik dazu beitragen kann, die Zukunft Europas widerstandsfähiger zu machen, indem die Menschen mit dem abgeholt werden, was sie mit dem europäischen Integrationsprozess verbinden: Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand, aber auch die Zurückgewinnung nationaler Souveränität, ein Modell gelebter Solidarität und wehrhafter Demokratie.

Mithilfe des Werkzeugkastens müssen daher unter anderem die unterschiedlichen nationalen Debatten rund um die Themen „EU-Erweiterung“ und „Zukunft Europas“ identifiziert und miteinander verknüpft werden, um gemeinsam politische Mehrheiten für ein erweitertes Europa zu finden – und um gemeinsam ein für die Zukunft gestärktes Europa zu gestalten.

Erweiterung als Notwendigkeit?

Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Frage, wie die EU erweitert werden soll, für ganz Europa zu erfassen, trägt dazu bei, das gegenseitige Verständnis der Menschen in Fragen der künftigen EU-Erweiterung und des Zusammenlebens in der EU zu verbessern.

Bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine konzentrierte sich die Erweiterungspolitik der meisten Länder aufgrund der geografischen Nähe vor allem auf den Westbalkan. Dieser Region wurde aus verschiedenen Gründen strategische Bedeutung beigemessen. In Österreich beispielsweise leben rund 600000 Menschen, die familiäre Wurzeln auf dem Balkan haben. Da österreichische Unternehmen in den Bereichen Finanzwesen, Telekommunikation, Bauwesen und Tourismus zu den wichtigsten Investoren in ihren „Heimatmärkten“ zählen, gehen die wirtschaftlichen Interessen Hand in Hand mit der grundsätzlichen Bereitschaft, Südosteuropa zu unterstützen. Für Slowenien sind die westlichen Balkanländer die zweitwichtigsten Handelspartner, auf die 2022 14 Prozent der slowenischen Exporte entfielen. Es ist auch die Region, in die die meisten slowenischen Auslandsinvestitionen geflossen sind (70 Prozent). Die meisten ausländischen Arbeitskräfte in Slowenien stammen aus den Westbalkanländern, was die historischen Bindungen der slowenischen Bevölkerung zu den anderen ehemaligen jugoslawischen Republiken widerspiegelt.

Die Mehrheit der EU-Mitglieder ist der Ansicht, dass die Übernahme der EU-Standards und -Werte der einzige Weg zu langfristiger Stabilität und Wohlstand in den Ländern des Westbalkans und damit von zentraler Bedeutung für die Stabilität und Sicherheit der gesamten EU ist. Die EU-Erweiterung wird hier als Garant für Wohlstand und gemeinsame Werte gesehen.

Polen und Schweden stehen dagegen exemplarisch für jene Gruppe von EU-Staaten, die nicht spezifisch an den Westbalkan denken, sondern traditionell zu den Befürwortern der EU-Osterweiterung gehören und sich daher federführend an der EU-Initiative Östliche Partnerschaft von 2009 beteiligt haben, um die Integration der Länder in der östlichen Nachbarschaft der Union stärker zu unterstützen, vor allem, um die Stabilität in der Region zu sichern. Der Krieg Russlands in der Ukraine hat bei ihnen zu einer spürbaren sicherheitspolitischen Präferenzverschiebung in Richtung Erweiterung geführt. Mit dem Krieg sind aber auch die Werte, die mit der Zugehörigkeit zum „Westen“ verbunden werden, wichtiger denn je geworden. War die Unterstützung der Erweiterung früher vor allem durch wirtschaftliche Interessen motiviert, so hat heute der Sicherheitsaspekt in Kombination mit einer wertebasierten Haltung an Bedeutung gewonnen.

Darüber hinaus gibt es Länder wie Portugal, die trotz ihrer geografischen Entfernung am westlichen Rand der Union die Erweiterungsrunden als eine Form der Solidarität und der Begleichung einer „Schuld der Dankbarkeit“ unterstützt haben. Hier wird die Erweiterung der EU um den Westbalkan, die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien im Kontext eines Prozesses der europäischen integrativen Solidarität verstanden.

Die portugiesische Haltung steht zugleich aber auch exemplarisch für gesellschaftliche und politische Veränderungen innerhalb eines Landes – und dafür, dass sich nationale Diskurse verändern können. Tatsächlich sprechen in Portugal nur sehr wenige Menschen über die EU-Erweiterung. Obwohl Portugal der Ukraine und der Republik Moldau den Kandidatenstatus zuerkannt hat, war es eines der letzten Länder, das seine Unterstützung öffentlich bekräftigte. Sowohl der westliche Balkan als auch die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien sind aus portugiesischer Sicht nicht nur geografisch, sondern auch historisch, kulturell und emotional weit entfernt. Am 21. November 2022 erklärte der portugiesische Premierminister António Costa, dass die EU in ihrem derzeitigen institutionellen und budgetären Rahmen nicht über ausreichende Kapazitäten verfüge, um den Erwartungen der vorgeschlagenen Erweiterung gerecht zu werden. Er warnte sogar davor, dass falsche Versprechungen dramatische Folgen haben könnten, und betonte, dass die EU zwar sehr klare Kriterien für den Beitritt neuer Mitgliedstaaten habe, aber keine Kriterien für ihre eigene Fähigkeit, andere Mitglieder zu integrieren.

Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist die Erweiterung für viele zu einer geopolitischen Notwendigkeit geworden, da jede wahrgenommene Verlangsamung des EU-Erweiterungsprozesses den Einfluss anderer Akteure – insbesondere Russlands und Chinas, aber auch der Türkei – zu stärken droht. Dänemark befürchtet wie viele andere Mitgliedstaaten, dass sich die Westbalkanländer China, der Türkei und Russland zuwenden könnten, wenn die EU sie zu lange außen vor lässt. Auch der damalige schwedische Minister für EU-Angelegenheiten, Hans Dahlgren, vertrat die Ansicht, dass die EU-Erweiterung eines der besten geopolitischen Instrumente der Union und ein Weg zur Schaffung von Sicherheit und Stabilität in Europa ist. Der Westbalkan ist daher für viele auch eine Schlüsselregion in Bezug auf Energie, Migration und Sicherheit. Aus diesem Grund hat unter anderem die Tschechische Republik ein Finanzpaket zur Verringerung der Energieabhängigkeit der Region von Russland nachdrücklich unterstützt und erwartet im Gegenzug von den Westbalkanstaaten, dass sie die außenpolitischen Wertvorstellungen der EU gegenüber Russland teilen.

Andere Länder bringen die Erweiterungsfrage aber auch mit bestehenden Grenzproblemen in Verbindung, die zunächst gelöst werden müssten. Kroatien macht seit seinem Beitritt 2013 von seinem Vetorecht bei der Eröffnung neuer Verhandlungskapitel im EU-Beitrittsprozess von Serbien und Montenegro Gebrauch und erinnert damit an das Verhalten Sloweniens gegenüber Kroatien rund 15 Jahre zuvor.

Schließlich werden einige Mitgliedstaaten die Diskussion über die Rechtsstaatlichkeit mit Nachdruck vorantreiben und sich entschieden gegen jeden demokratischen Rückschritt innerhalb der Union wehren. Manche Länder haben bereits deutlich gemacht, dass neue EU-Mitglieder vor ihrem Beitritt alle Regeln der Union einhalten müssen. Hier muss allerdings selbstkritisch angemerkt werden, dass die EU zunächst selbst ihre Hausaufgaben machen muss. Wir sollten ehrlich mit unseren eigenen Problemen in der EU umgehen und offen ansprechen, dass auch wir uns tagtäglich für die Prinzipien einer liberalen Demokratie, für einen funktionierenden Rechtsstaat einsetzen müssen. Nur so können wir einen ehrlichen Dialog führen und langfristig überzeugen: Wie kann man liberale Demokratie lernen? Handelt es sich dabei um einen linearen Prozess? Wie kann der Fortschritt aufrechterhalten werden? Welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es gegen demokratische Rückschritte? Wir haben in der EU insgesamt – nicht nur in Ungarn – Probleme mit der Umsetzung einer gelebten freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die zum Teil existenziell bedrohten Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine, der Republik Moldau, Georgien und den sechs Balkanstaaten ziehen?

2024 versus 1999

Die Situation im Europawahljahr 2024 ist nicht vergleichbar mit der Situation im Jahr 1999, als die letzte große Erweiterungsrunde vorbereitet wurde. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat den Kontext der EU-Erweiterungspolitik und die Funktionsweise der Union grundlegend verändert. Mit verschiedenen Mitteln versetzt die neoimperiale Kontrolle Russlands über die Staaten der ehemaligen Sowjetunion alle Länder in höchste Alarmbereitschaft und in eine Position größter Verwundbarkeit, von der insbesondere die Länder in der östlichen Nachbarschaft der EU und auf dem westlichen Balkan betroffen sind. Diese Mittel reichen von wirtschaftlicher und politischer Einflussnahme über Desinformation und Wahlbeeinflussung bis hin zu Cyberangriffen und militärischer Gewalt. Russland stellt die Grundprinzipien einer regelbasierten internationalen Ordnung und damit die Werte und Interessen der EU permanent infrage.

Der große Unterschied zu 1999 besteht heute darin, dass eine Reform des EU-Erweiterungsprozesses mit einer Neutralisierung der Bedrohung durch den Kreml einhergehen muss. Oder kann die EU realistischerweise erwarten, dass sich die Ukraine, Moldau, Georgien und die sechs Balkanstaaten in den kommenden Jahren zu vollwertigen liberalen Demokratien entwickeln, wenn der Kreml jeden Tag unerbittlich gegen sie und ihre Bevölkerungen vorgeht? Wir haben in der EU auch ohne eine allgegenwärtige Bedrohung durch Russland bereits Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit in manchen Mitgliedstaaten. Welche Integrationsfortschritte können wir also in den nächsten Jahren tatsächlich erwarten?

Die Beitrittskandidaten gehen existenzielle Sicherheitsrisiken ein, wenn sie sich für uns, für die Demokratie, für die EU entscheiden. Vieles wird daher auch davon abhängen, welche Sicherheitsgrundlagen wir, die EU, die freie Welt, in den Regionen der Balkanstaaten und Osteuropas schaffen wollen, schaffen können und schaffen werden.

Schluss

Die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Europäischen Union und ihrer Nachbarn ist in einer Zeit großer Unsicherheit, die sich aus wachsenden Sicherheitsherausforderungen wie geopolitischen Rivalitäten, militärischen Bedrohungen und der Erosion und den täglichen Angriffen auf demokratische Werte ergibt, von entscheidender Bedeutung.

Deshalb muss jede Debatte über die Zukunft der Union nicht nur eine gründliche Diskussion, sondern auch entschlossene Schritte zur Reform und Erweiterung der europäischen Integration einschließen, wobei die nationalen Besonderheiten aller EU-Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten zu berücksichtigen sind, um die EU-Bürgerinnen und -Bürger sowie die Wählerinnen und Wähler mitzunehmen. Denn derzeit wissen viele Menschen in Europa nur wenig über die Erweiterung und die gegenseitigen Sorgen und Hoffnungen.

Den Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union müssen die Kosten der Nicht-Erweiterung aufgezeigt werden, in Anlehnung an den 1988 von Paolo Cecchini vorgelegten Bericht über die „Kosten des Nicht-Europa“. Sie müssen verstehen, wie hoch die Kosten sind, wenn wir die Beitrittskandidaten von uns fernhalten. Die Menschen in den EU-Mitgliedstaaten und in den Beitrittsländern müssen verstehen, worin die Unterschiede zu 1999 bestehen, welche Vorteile sich 2024 ergeben und inwiefern eine differenzierte und/oder schrittweise reformierte Erweiterungspolitik die Zukunft Europas widerstandsfähiger macht. Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten und insbesondere in den Beitrittsländern ist dabei von entscheidender Bedeutung.

Das Zeitfenster ist eng: Im Juni 2024 wird der Europäische Rat seine nächste Strategische Agenda für den Zeitraum 2024 bis 2029 verabschieden, Anfang 2025 wird die Europäische Kommission ihr neues Arbeitsprogramm danach ausrichten, ebenfalls 2025 wird ein erster Vorschlag für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2028 bis 2034 erwartet, und im Frühjahr 2027 finden voraussichtlich die französischen Präsidentschaftswahlen statt. Viel Zeit für eine abgestimmte Politik bleibt nicht.

ist Professor für Europapolitik und Europäische Integration am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen und Koordinator des Horizon Europe Projekts "InvigoratEU".