Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 dominiert die Frage nach der Versorgungssicherheit die energiepolitischen Diskussionen in der Bundesrepublik. Das verbindet unsere Gegenwart mit den 1970er Jahren, in denen die erste Ölpreiskrise 1973/74 die Versorgungssicherheit infrage stellte. Erst in dieser Zeit entstand das Politikfeld "Energie", das somit noch vergleichsweise jung ist. Unter dem Vorzeichen einer zunehmenden Abhängigkeit bei den Öleinfuhren betrachtete die Politik die verschiedenen Energieträger erstmals systematisch in ihren Wirkungen aufeinander. Zuvor hatten sich die politischen Maßnahmen zumeist auf einzelne Energieträger konzentriert.
Kohlepolitik in den 1950er und 1960er Jahren
Die Nachkriegszeit in den Besatzungszonen und der jungen Bundesrepublik stand ganz im Zeichen der wirtschaftlichen Rekonstruktion. Dafür war es vor allem nötig, die Stein- und Braunkohleförderung zügig wieder in Gang zu setzen und auszuweiten. Kohle war in dieser Phase knapp und unterlag der staatlichen Kontrolle. Das oblag nicht nur der Bundesregierung, sondern seit 1952 auch der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Als diese 1956 die Festsetzung eines Höchstpreises abschaffte, verteuerten die Bergbauunternehmen die Steinkohle umgehend. Damit hatten sie sich verkalkuliert, denn 1958/59 geriet die Steinkohle in eine erste Krise. Billigere Importkohle, und vor allem das günstigere Öl, setzten dem Absatz des Energieträgers stark zu. Die Bundesregierung versuchte, die Krise durch sozialpolitische Maßnahmen abzufedern. Zudem förderte sie die Stilllegung unrentabler Zechen und hoffte auf diese Weise die Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Energieressourcen zu sichern.
Mit dem Regierungsantritt der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Dezember 1966 hielten neue Ideen in die staatliche Kohlepolitik Einzug. Aus Sicht des Wirtschaftsministers Karl Schiller (SPD) sollte der Staat stärker steuernd und planend in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen. Als Folge dieses neuen Ansatzes gründeten die wichtigsten Bergbauunternehmen an der Ruhr im November 1968 die Ruhrkohle AG (RAG), für die der Staat als Bürge bei Verlusten bereitstand. In der Folge schloss die RAG mit den an ihr beteiligten Stahlunternehmen den sogenannten Hüttenvertrag ab. Dieser legte fest, dass die RAG ihre Kohle an die Stahlunternehmen zu günstigen Weltmarktpreisen liefern sollte. Der Staat glich die Differenz zu den deutlich höheren Produktionskosten durch die Kokskohlenbeihilfe aus. Parallel dazu regelte ein Kraftwerksvertrag die Lieferung von Kohle an die Stromkraftwerke der an der RAG beteiligten Unternehmen. Trotz dieser Stabilisierungsmaßnahmen ging die Steinkohleförderung in den 1970er Jahren weiter zurück. Sie erlebte erst Ende der 1970er Jahre eine kleine Renaissance, als durch die erste und zweite Ölpreiskrise die einheimische Steinkohle unter Energiesicherheitsaspekten wieder an Attraktivität gewann.
Wandel der Versorgungsstruktur
Der Bedeutungsverlust der Steinkohle schlug sich auch in den Statistiken deutlich nieder. Während sie 1957 noch 69,9 Prozent der Primärenergie in der Bundesrepublik abdeckte, fiel ihr Anteil bis 1972 auf 23,6 Prozent.
Die damit einhergehende Abhängigkeit der Industrieländer vom Erdöl eröffnete den Ölförderländern neue Möglichkeiten. Sie versuchten durch eine verstärkte Zusammenarbeit, die für sie ungünstigen Handelsbedingungen zu beeinflussen. Dazu schlossen sich Saudi-Arabien, Kuwait, der Irak, Iran und Venezuela 1960 zur Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) zusammen.
Seit Ende der 1960er Jahre begannen die Ölförderländer, ihre Position im Markt durch Verstaatlichung, direkte Beteiligung an der Förderung und höhere Preisforderungen deutlich zu verbessern. Die Verbraucherländer konnten dieser Entwicklung wenig entgegensetzen, denn sie waren auf das Öl angewiesen. So betrug 1973 der Anteil der Ölimporte am Gesamtenergieverbrauch Westeuropas 62,7 Prozent, in Japan sogar 85,4 Prozent.
Energiepolitik im Zeichen der Ölpreiskrise 1973
Auslöser für die erste Ölpreiskrise war der Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarländern. Der Krieg begann mit einem ägyptisch-syrischen Angriff auf Israel am 6. Oktober 1973, dem Tag des höchsten jüdischen Festes Jom Kippur. Der Angriff kam für Israel vollkommen überraschend, sodass die Armee einen Tag brauchte, um sich zu organisieren und zurückzuschlagen.
Kurz nach Beginn des Krieges beschlossen die arabischen Ölförderländer ein Embargo gegen die israelfreundlichen USA, Portugal und die Niederlande, was auch den für die Bundesrepublik zentralen Hafen in Rotterdam betraf. Andere Staaten, etwa das Vereinigte Königreich und Frankreich, wurden als befreundete Länder eingestuft und bevorzugt behandelt. Die restlichen Länder galten als neutral. Sie wurden vor allem von der Reduzierung der monatlichen Ölfördermenge um fünf Prozent getroffen. Parallel dazu erhöhte die OPEC den Preis des Öls sukzessive, bis er sich im Januar 1974 auf dem vierfachen Stand des vor der Ölpreiskrise gezahlten Preises stabilisierte.
Damit war das Horrorszenario, vor dem zuvor bereits einige Ölexperten gewarnt hatten, Wirklichkeit geworden.
Auf dieser Basis erließ die Bundesregierung bereits am 19. November ein Fahrverbot für die nächsten vier Sonntage. Zudem galt für Autobahnen eine Höchstgeschwindigkeit von 100 und für alle anderen Straßen von 80 Stundenkilometern. Die Verordnung war für sechs Monate befristet. Die Geschwindigkeitsbeschränkungen wurden nach Ablauf der sechs Monate nicht erneuert, obwohl es durchaus den Versuch gab, diese langfristig gesetzlich festzuschreiben. Die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat erwirkte jedoch, dass das Tempolimit in eine Richtgeschwindigkeit umgewandelt wurde.
Ansonsten setzte die Bundesregierung in der Hochphase der Ölpreiskrise vor allem auf Sparappelle an die Verbraucher. Diese sollten zum Beispiel die Heizung im Haushalt niedriger einstellen. Der Bund ging dabei, etwa in Kasernen oder in öffentlichen Gebäuden, mit gutem Beispiel voran. Die Regierung entschloss sich auch, die hohen Ölpreise nicht zu subventionieren oder niedrigere Ölpreise staatlich festzulegen. Zum einen befürchtete man dann eine geringere Belieferung der Bundesrepublik durch die Ölkonzerne, zum anderen erhoffte man sich von den hohen Ölpreisen auch Sparanreize für die privaten und industriellen Verbraucher. Um die hohen Energiepreise etwas abzufedern, erhielten Wohngeldempfänger im Dezember 1973 einen einmaligen Heizkostenzuschuss von 300 D-Mark.
Mit der Ölpreiskrise veränderte sich auch die Wahrnehmung des Erdöls in der Bundesrepublik. Jetzt rückte die Diskussion der Abhängigkeit, die vorher nur unter Experten stattgefunden hatte, ins Zentrum der politischen Debatte. Über Energie zu reden, bedeutete, über Energiesicherheit und vor allem über Versorgungssicherheit zu sprechen. Damit begann eine "Dekade der Energiepolitik",
Die starke Abhängigkeit von Ölimporten führte dazu, dass die verschiedenen Energieträger erstmals in ein energiepolitisches Gesamtkonzept integriert wurden und nicht mehr nur jeder einzelne Energieträger für sich behandelt wurde. Ausdruck dieses neuen Ansatzes war das erste Energieprogramm, das die Bundesregierung Anfang Oktober 1973 veröffentlichte. Die sich aus den Veränderungen auf dem Weltölmarkt ergebenden Risiken, so hieß es im Programm, seien keine "abstrakte[n] Möglichkeiten", sondern "reale Gefährdungstatbestände", die sofortiges Regierungshandeln erforderten.
Aus der Perspektive der Ölabhängigkeit beurteilte die Bundesregierung seit der Ölpreiskrise auch das zukünftige Potenzial der verschiedenen Energieträger. Kurz- bis mittelfristig erschienen nur Atomenergie, Stein- und Braunkohle oder Erdgas als Alternativen zum Öl. In den erneuerbaren Energien sah die Bundesregierung dagegen kaum eine Möglichkeit, sich aus der Ölabhängigkeit zu befreien – deren Entwicklung würde zu lange dauern.
International abgesichert wurde diese Strategie durch die im November 1974 von den westlichen Industrieländern gegründete Internationale Energieagentur (IEA).
Aufstieg und Krise der Atomenergie
Die im Kontext der Ölpreiskrise entwickelte Weg-vom-Öl-Strategie der Bundesregierung zeigte sich deutlich bei der ersten Aktualisierung des Energieprogramms, welche die Bundesregierung im November 1974 vorlegte. Der bereits 1973 erfolgte Ansatz, vor allem die Atomkraft auszubauen, wurde noch einmal verstärkt. Die Bundesregierung gab als Ziel bis 1985 an, eine Kraftwerkskapazität von 45000 Megawatt zu installieren – zu einem Zeitpunkt, als die Atomkraft gerade einmal 2300 Megawatt zur Stromerzeugung beitrug.
Dieser von der Bundesregierung angedachte massive Ausbau kam in den folgenden Jahren aus verschiedenen Gründen ins Stocken. Zum einen wuchs der Protest in der Bevölkerung gegen die geplanten Atomkraftwerke deutlich an. Insbesondere der erfolgreiche Widerstand gegen das im badischen Wyhl projektierte Atomkraftwerk setzte hier Maßstäbe. Zum anderen kam auch innerhalb der Parteien zunehmend Skepsis auf. So wandelte sich beispielsweise die SPD von einer Atomkraftbefürworterin zu einer gespaltenen Partei, in der einflussreiche Persönlichkeiten wie Bundeskanzler Helmut Schmidt am Ausbau der Atomenergie festhielten, während sich andere Parteimitglieder von der Atomenergie abwandten und einen "sanften Pfad" der Energieerzeugung forderten.
Mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 geriet die Atomkraft endgültig unter Druck. Die mittlerweile amtierende christlich-liberale Koalition veröffentlichte zwar unter Federführung des Wirtschaftsministers Martin Bangemann (FDP) einen Energiebericht, der vor allem der Verteidigung der Atomkraft diente. Trotzdem wurden ab diesem Zeitpunkt nur noch die Atomkraftwerke zu Ende gebaut, deren Bau bereits Anfang der 1980er Jahre begonnen hatte. Neue Atomkraftwerke wurden nicht mehr geplant.
Auf institutioneller Ebene führten die Erfahrungen von Tschernobyl zur Gründung des Bundesumweltministeriums. Dieses übernahm zentrale Kompetenzen aus dem Innenministerium, dem Landwirtschaftsministerium und dem Gesundheitsministerium und war neben dem Umweltschutz auch für die Reaktorsicherheit zuständig. Die entscheidenden energiepolitischen Kompetenzen verblieben jedoch beim Wirtschaftsministerium.
Energie- und Umweltpolitik in den 1980er Jahren
Mit den negativen Einflüssen der Energiegewinnung auf die Umwelt rückte Mitte der 1980er Jahre ein Thema auf die politische Agenda, das über viele Jahre keine Priorität besessen hatte. Unter dem Druck steigender Ölpreise hatte die Diversifizierungsstrategie das energiepolitische Handeln über ein Jahrzehnt dominiert. Dabei hatte Helmut Schmidt, beeinflusst vom Physiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker, bereits 1979 auf den drohenden Klimawandel hingewiesen. Er führte am 13. Juni 1979 im Bundeskabinett aus, dass "mit dem vermehrten Öl- und Kohleverbrauch schwerwiegende Klimaveränderungen einhergehen könnten. (…) Die Erschließung alternativer Energien (…) müsse deshalb mit Nachdruck gefördert werden. Zumindest für die Zwischenzeit sei jedoch der weitere Ausbau der Kernenergie
unverzichtbar."
Im Hinblick auf die langfristigen energiepolitischen Weichenstellungen betonte Schmidt zwar immer wieder die spätere wichtige Rolle der Wind- oder Solarenergie. Die nötigen Konsequenzen, etwa in der Forschungspolitik, blieben allerdings in ihren Ansätzen stecken. Auch die von Finanzminister Hans Matthöfer (SPD) am Ende der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition ins Spiel gebrachte Idee einer stärkeren Besteuerung der fossilen Brennstoffe, um Investitionen in Zukunftstechnologien zu finanzieren, verlief im Sand. Der Widerstand in der FDP und innerhalb der Sozialdemokratie gegen einen ersten Schritt hin zu einer "Ökosteuer" war zu groß.
Der Fokus auf die Reduzierung der Ölabhängigkeit hatte den energiepolitischen Handlungsspielraum eng begrenzt. Erst Mitte der 1980er Jahre konnte diese "Zwangsjacke" abgelegt werden, als der Ölpreis durch ein Überangebot auf dem Markt abstürzte und sich die OPEC zerstritt.
Das kam vor allem den erneuerbaren Energien zugute. Diese profilierten sich zunehmend als ernsthafte Alternative zu den konventionellen Energieträgern. Einen Schub für ihren Ausbau brachte das 1990 vom Bundestag verabschiedete Stromeinspeisungsgesetz. Dabei ging es um die Abnahme des Stroms aus erneuerbaren Energien durch die Energieversorgungsunternehmen (EVU), die bisher die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien eher verhindert hatten. Die Verweigerung war dem CSU-Bundestagsabgeordneten Matthias Engelsberger ein Dorn im Auge, der gemeinsam mit dem Grünen-Politiker Wolfgang Daniels einen Gesetzesvorschlag erarbeitete. Danach sollten die EVU verpflichtet werden, den Strom aus erneuerbaren Energien abzunehmen und eine angemessene Vergütung dafür zu bezahlen.
Das Gesetz wurde zügig durch den Bundestag gebracht, da parallel die Verhandlungen zur deutschen Vereinigung stattfanden und die Abgeordneten davon ausgingen, dass bei einem gesamtdeutschen Bundestag andere Probleme drängender sein würden als die erneuerbaren Energien. Das Gesetz wurde in der letzten Sitzung des allein westdeutschen Bundestages am 5. Oktober 1990 beschlossen und trat zum 1. Januar 1991 in Kraft. Mit der Abnahmeverpflichtung und der an den Strompreis gekoppelten Vergütung sorgte es für eine Aufbruchstimmung in der Branche der erneuerbaren Energien.
Im Jahr 2000 wurde das Stromeinspeisungsgesetz von der 1998 angetretenen rot-grünen Koalition zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ausgebaut. Im Vordergrund stand die Preisgestaltung, denn der Strompreis war in den vorangehenden Jahren aufgrund der europäischen Strommarktliberalisierung gefallen und damit auch die Vergütung des Stroms aus erneuerbaren Energien. Daher wurden jetzt feste Vergütungen vereinbart, die insgesamt 20 Jahre lang gezahlt werden sollten. Gleichzeitig war eine Degression angelegt, sodass der Förderbetrag für neue Anlagen mit jedem Jahr sank. Das sollte die technische Innovation steigern und im Endeffekt dazu führen, dass die Anlagen zur Erzeugung des Stroms langfristig ohne staatliche Förderung auskommen. Genau wie beim Stromeinspeisungsgesetz konnten die Energieversorgungsunternehmen die durch das EEG entstehenden Mehrkosten über die Stromrechnung ausgleichen.
Billig und umweltfreundlich: Erdgas in den 1980er und 1990er Jahren
Lange erschien den Verantwortlichen in der Bundesregierung auch das Erdgas als attraktive Energiequelle. Erdgas hatte in der Bundesrepublik seit Anfang der 1970er Jahre einen großen Aufschwung erlebt. Zur Ausweitung des Erdgasverbrauchs trugen vor allem die sogenannten Erdgas-Röhren-Geschäfte mit der Sowjetunion bei, die seit 1970 betrieben wurden. Diese bestanden aus westlichen Lieferungen von Röhren und Technik an die Sowjetunion, die anschließend mit Erdgaslieferungen bezahlte. Zu Beginn der 1970er Jahre standen diese Deals im Zeichen der Entspannungspolitik. Nach den Erfahrungen der ersten Ölpreiskrise 1973/74 galt Erdgas dann vor allem als Alternative, um die Abhängigkeit von den OPEC-Ländern zu reduzieren und auf diese Weise die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Auch nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979 und der Verhängung des Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 hielt die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt an den Gas-Pipeline-Deals fest. Da keine neuen Abhängigkeiten geschaffen werden sollten, beschloss das Bundeskabinett allerdings im Mai 1980 eine Obergrenze für sowjetisches Gas. Danach sollten nicht mehr als 30 Prozent der westdeutschen Gasimporte aus einem einzigen Land kommen.
Das erschien den USA noch nicht weitgehend genug. US-Präsident Ronald Reagan warf der Bundesrepublik und den anderen an den Gas-Pipeline-Geschäften beteiligten westeuropäischen Ländern vor, die Aufrüstung der Sowjetunion über den Gasbezug zu finanzieren. Zudem würden sich die europäischen Länder in eine gefährliche Abhängigkeit von der kommunistischen Vormacht begeben, die über ihre Gaslieferungen jederzeit in der Lage sei, die amerikanischen Verbündeten zu erpressen. Reagan verhängte daher 1981 Sanktionen gegen US-Firmen sowie ihre Tochterunternehmen in Europa, die an den Gasgeschäften beteiligt waren, und stoppte die Nutzung US-amerikanischer Lizenzen. Auf diese Weise wollte er das bis dato größte Gas-Pipeline-Geschäft aufhalten. Die Sanktionen sorgten für eine massive Verstimmung bei den Verbündeten. Reagan hob die Sanktionen im November 1982 erst wieder auf, als die Westeuropäer zusicherten, gemeinsam mit den USA eine Strategie für eine kohärente Wirtschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion auszuarbeiten. Damit war der Weg für das Erdgas-Röhren-Geschäft wieder frei.
In der Folgezeit diversifizierten die europäischen Energieversorger ihre Bezüge. Sie beteiligten sich insbesondere an der Erschließung norwegischer Gasfelder und importierten Gas aus Algerien über Italien. Da man auf diese Weise meinte, den Sicherheitsaspekt genügend beachtet zu haben, stiegen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die Importe aus der Sowjetunion wieder an. Das lag nicht nur an dem konkurrenzlos günstigen Preis des russischen Gases, sondern auch an den neu aufkommenden Debatten über den drohenden Klimawandel. Erdgas erschien den westdeutschen, aber auch den meisten anderen westeuropäischen Politikern "als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems".
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990/91 sahen Politik und Wirtschaft der westeuropäischen Länder trotz des kurzfristigen Chaos in der russischen Energiewirtschaft ein großes Potenzial. Mithilfe der westlichen Technologie sollten die Pipelines und Netze stabilisiert werden. Zudem erwartete man Direktinvestitionen der westlichen Unternehmen in die östlichen Energieunternehmen. Dazu fixierte man die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investitionen im Energiebereich in einem internationalen Vertrag, für dessen Umsetzung die Energiechartakonferenz sorgen sollte. Im Fokus von Politik und Wirtschaft stand in dieser Phase nicht, die Abhängigkeit durch reduzierte Bezüge zu vermindern, sondern die Abhängigkeit durch Investments und Technologietransfer besser zu managen.
In dieser Zeit wurde das Gas zunehmend als "Brücke" in zwei verschiedenen Kontexten interpretiert. Zum einen sollte es eine Brücke der Verständigung zu Russland bilden, zum anderen sah man das Erdgas als Brücke hin zu erneuerbaren Energien. Solange Letztere noch nicht den Löwenanteil im Energiemix einnahmen, wollte man mithilfe des vergleichsweise sauberen Brennstoffs Erdgas einen ersten Schritt hin zu einer klimaschonenderen Energieerzeugung einleiten.
Aufgrund der seit 1992 regelmäßig wiederkehrenden russisch-ukrainischen Auseinandersetzungen um den Gastransport durch die Ukraine wurde eine Idee wieder aufgewärmt, die bereits zu Sowjetzeiten erstmals diskutiert worden war: eine Pipeline durch die Ostsee, mit der die bisherigen Transitländer umgangen werden konnten. Die damit einhergehende Diversifizierung der Routen würde auch, so das Kalkül, die Energiesicherheit erhöhen. Mit Rückendeckung durch die deutschen und russischen Regierungen beschlossen daher drei Unternehmen 2005 die Gründung der North European Gas Pipeline Company. Der russische Konzern Gazprom hielt 51 Prozent der Firma und die deutschen Firmen Ruhrgas und Wintershall jeweils 24,5 Prozent. 2007 wurde das Unternehmen in Nord Stream AG umbenannt und gleichzeitig der niederländische Gasversorger Gasunie ins Boot geholt. Proteste von Umweltschützern und den umgangenen Transitländern wie der Ukraine, aber auch von Polen, das auf den Ausbau der Landpipelines über das eigene Territorium gehofft hatte, verhallten folgenlos. Im November 2011 wurde die Pipeline Nord Stream 1 offiziell von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in Betrieb genommen. Damit stieg der Bezug von russischem Gas weiter an.
Fukushima und das lange Ende der Atomkraft
Im Gegensatz zum Erdgas erfuhr die Atomkraft in dieser Zeit einen drastischen Bedeutungsverlust. Mit Tschernobyl, der ungelösten Endlagerfrage und den immer weiter steigenden Kosten für den Bau der Kraftwerke ging in der Politik, aber auch in den Energieversorgungsunternehmen, der Glaube an die Zukunftsfähigkeit der Kernenergie zunehmend verloren. Daher besaß der deutsche Atomausstieg, obwohl er nicht zwangsläufig war, durchaus eine gewisse "Folgerichtigkeit".
Dieser vollzog sich in mehreren Schritten. Zentral war zunächst die 2000 erfolgte Vereinbarung zwischen der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und den Kraftwerksbetreibern. Diese sah unter anderem Reststrommengen für die Kraftwerke vor, "die einer Regellaufzeit von 32 Jahren entsprachen".
Als 2009 die schwarz-gelbe Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel die Regierungsgeschäfte übernahm, sahen die Kraftwerksbetreiber ihre Chance gekommen. Die neue Bundesregierung machte allerdings den "Atomkonsens" der rot-grünen Regierung nicht wieder rückgängig, sondern verlängerte lediglich die Laufzeit der Kraftwerke. Die Verlängerung betrug je nach Alter der Kraftwerke zwischen acht und vierzehn Jahren. Ein Teil der dadurch entstehenden zusätzlichen Gewinne sollte durch eine neu einzuführende Kernbrennstoffsteuer abgeschöpft werden.
Dieser Beschluss war jedoch nur von kurzer Dauer, denn die Bundesregierung vollführte 2011 eine Kehrtwende. In der Folge der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima am 11. März 2011 setzte Merkel einen zügigen und – wie man damals glaubte – endgültigen Atomausstieg durch. Acht Atomkraftwerke wurden unmittelbar abgeschaltet und die restlichen peu à peu vom Netz genommen. Die letzten drei Atomkraftwerke sollten Ende 2022 abgeschaltet werden. Mittlerweile hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Basis seiner Richtlinienkompetenz ihren Weiterbetrieb bis April nächsten Jahres angeordnet. Ob diese Entscheidung in Anbetracht der Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine auf die Energieversorgung das letzte Wort ist, wird sich im nächsten Jahr zeigen.
Fazit
In der Energiepolitik haben die Bundesregierungen im Laufe der Zeit unterschiedliche Prioritäten gesetzt. Während nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst die ausreichende Versorgung mit Energie im Vordergrund stand und vor allem die Kohle als Energieressource genutzt wurde, rückte seit Mitte der 1950er Jahre das Ziel einer billigen Energieversorgung in den Fokus. Das versprach vor allem das reichlich sprudelnde Erdöl, das den wirtschaftlichen Boom der Bundesrepublik vorantrieb und den Weg in die "Konsumgesellschaft" ebnete.
Mit der Ölpreiskrise 1973 geriet der Aufstieg des Erdöls zunächst an sein Ende. Energiesicherheitsfragen standen jetzt im Fokus, aus deren Perspektive das Erdöl als problematische Ressource eingestuft wurde. Unter diesen Vorzeichen entwickelte die Bundesregierung erstmals ein energiepolitisches Gesamtkonzept, das vor allem darauf zielte, die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. In der Folge setzte die Bundesregierung auf einen massiven Ausbau der Atomenergie, Energiesparmaßnahmen und eine Stabilisierung der Kohlenutzung. Diese Strategie wurde international durch die IEA abgesichert und gefördert. In der Folgezeit gelang es der Bundesregierung, den Anteil des Öls am Energiemix zu reduzieren, wozu vor allem der hohe Ölpreis mit seinen Einspar- und Umstellungseffekten beitrug.
Die von der Diskussion der Energieabhängigkeit geprägte "Dekade der Energiepolitik" endete Mitte der 1980er Jahre mit dem drastischen Preisverfall des Rohöls. "Energie" rückte damit auf der politischen Agenda in den Hintergrund. Zudem wurde sie jetzt zunehmend aus der Umweltperspektive wahrgenommen. Insbesondere veränderte sich die Sicht auf die verschiedenen Energieträger durch die aufkommende Debatte über den Klimawandel. Vor diesem Hintergrund wurden vor allem erneuerbare Energien und das Erdgas attraktiv. Erdgas galt als vergleichsweise saubere "Brücke" in eine von erneuerbaren Energien geprägte Zukunft. Da es zudem als russisches Pipelinegas günstig zur Verfügung stand, begab sich die Bundesrepublik in ihrer Energieversorgung und Energiepolitik in eine fatale Abhängigkeit. Die Folgen dieser einseitigen Energiepolitik, die Energiesicherheitsfragen jahrelang missachtete, bekommen wir heute zu spüren.