Die militärische Invasion Russlands in die Ukraine hat zahlreiche kollektive Fehlannahmen von Politik und Wirtschaft bezüglich der deutschen Russlandpolitik sowie der (vermeintlichen) Energiepartnerschaft mit Russland offengelegt. Seitdem werden sowohl die hohe Gasimportabhängigkeit Deutschlands als auch der unzureichend berücksichtigte Faktor der Versorgungssicherheit als außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitisch problematisch bewertet. Im Zuge des Ukraine-Krieges hat der Kreml wiederholt versucht, Deutschland politisch zu erpressen, indem immer weniger Gas über die Pipeline Nord Stream 1 geliefert wurde und größere Gaslieferungen vom Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine sowie der Aufhebung aller Wirtschaftssanktionen gegen Russland abhängig gemacht wurden. Bereits im Sommer 2021 hatte Russland zusätzliche Gaslieferungen zur Auffüllung der deutschen Gasspeicher an eine schnelle Zertifizierung von Nord Stream 2 und den Abschluss neuer Langfristverträge gebunden.
Diese Gasexportdrosselung zwingt die EU kurzfristig dazu, entgegen ihrer ursprünglichen Pläne auf dem Weltmarkt sehr teures Pipelinegas aus Norwegen, Aserbaidschan und Algerien und vor allem Flüssiggas insbesondere aus den USA oder Katar zu Spot-Markt-Preisen einzukaufen und in neue Importterminals zu investieren. Die plötzliche Nachfrage nach zusätzlichen 100 bis 150 Milliarden Kubikmetern Flüssiggas pro Jahr für die EU kann aber auf dem Weltmarkt so schnell und ohne zusätzliche Investitionen in neue Gasförderfelder und Gasinfrastrukturen nicht gedeckt werden. Dies hat auf den globalen Gasmärkten zu einem Bieterwettstreit und Gas- sowie Strompreisexplosionen geführt. Diese historisch beispiellos hohen Kosten können jedoch weder die Privathaushalte noch die Industrie langfristig tragen.
Darüber hinaus hat der aktuelle Sabotageverdacht bei den Gaslecks an den beiden Nord-Stream-Pipelines die Frage nach einem möglichst effektiven Schutz kritischer (Energie-)Infrastrukturen nicht nur unter Wasser aufgeworfen.
Vor diesem Hintergrund muss das deutsche Energiesicherheitskonzept kritisch analysiert und neu ausgerichtet werden. Angesichts der traditionellen Herausforderungen der Energiesicherheit seit den 1970er Jahren, die eng mit Importrisiken von Rohöl und ab 2006, im Zuge des ersten russisch-ukrainischen Gaskonfliktes, auch mit Pipelinegas verbunden sind, gilt dies umso mehr. Die Dekarbonisierung und der Ausbau der erneuerbaren Energien werden die Importrisiken zwar perspektivisch verringern, diese aber zugleich durch neue Versorgungs- und Sicherheitsrisiken ablösen, beispielsweise bei kritischen Rohstoffen und Wasserstoffimporten oder in Bezug auf Cyberangriffe auf kritische Energieinfrastrukturen.
Im Folgenden wird zunächst danach gefragt, wie Energiesicherheit bisher definiert und konzipiert wurde. In einem zweiten Schritt werden die neuen Dimensionen und Sicherheitsherausforderungen einer künftigen deutschen Energiesicherheit thematisiert. Hierzu gehören der Schutz kritischer Energieinfrastrukturen sowohl gegen physische als auch gegen Cyberangriffe, aber auch neue geopolitische Abhängigkeiten bei kritischen Rohstoffen.
Traditionelle Energie(versorgungs-)sicherheit
Traditionell wird unter Energiesicherheit "die ununterbrochene Verfügbarkeit von Energieressourcen zu einem bezahlbaren Preis" verstanden.
Zudem muss bei der Analyse berücksichtigt werden, dass das Verständnis von Energiesicherheit in Produzenten- und Transitstaaten unterschiedlich zu dem in den Verbraucherländern ist. Während letztere primär an Versorgungssicherheit (supply security) interessiert sind, spielt für die Produzentenländer vor allem die Nachfragesicherheit (demand security) die ausschlaggebende Rolle. Demgegenüber sind Transitstaaten wie die Ukraine bei Gas mit Blick auf hohe Transiteinnahmen bei fossilen Energietransporten über ihr Territorium, etwa von russischem Gas nach Europa, sowohl an Versorgungssicherheit als auch an Nachfragesicherheit interessiert. Das jeweilige Konzept der nationalen Energiesicherheit hängt aber ebenso von der spezifischen geografischen Lage des Landes ab wie von seiner Innenpolitik sowie den staatlichen und privatwirtschaftlichen Beziehungen zu ausländischen Partnern.
Der zunehmende weltweite Transport von konventionellem Rohöl und dessen Endlichkeit sowie die Ressourcenabhängigkeit des weltweiten Transportsektors und der Chemieindustrie haben diesem Energieträger seit der Ölkrise im Oktober 1973 eine hohe strategische Bedeutung für die globale Wirtschafts-, aber auch für die Außen- und Sicherheitspolitik vieler Staaten beschert. So haben in der Vergangenheit immer wieder politische Konflikte in Öl- und Gasproduzentenstaaten vor allem bei Rohöl die Versorgungssicherheit auf den Weltmärkten beschränkt und zu wirtschaftlichen Verwerfungen sowohl aufseiten der Verbraucherstaaten als auch bei den Produzentenländern selbst, etwa bei stark sinkenden Ölpreisen, geführt.
Die Verfügbarkeit auf dem Weltrohölmarkt kann auch durch Störungen auf den internationalen Seefahrtswegen und in den Nadelöhren der Schifffahrtsstraßen wie der Straße von Hormus oder dem Suezkanal durch Piraterie, Terrorismus, zwischenstaatliche Konflikte oder technische Defekte massiv beeinträchtigt werden. Infolge des "Arabischen Frühlings" und der anhaltenden politischen Instabilitäten durch politische Unruhen und regionalen Terrorismus in Nordafrika und im Mittleren Osten (Syrien, Irak, Libyen), aber auch durch die Krim-Annexion durch Russland 2014 und die iranischen Raketenangriffe auf Ölförderanlagen in Saudi-Arabien 2019, wurde die internationale Energiesicherheit wiederholt gefährdet, mit volatilen Preisentwicklungen und wirtschaftlichen Verwerfungen als Folgen.
Auch Terrorgefahren für die globale Energieinfrastruktur haben seit 2001 stark zugenommen und schließen Öl- und Gaspipelines ebenso ein wie Raffinerien, Offshore-Ölplattformen oder Öl- und Gastanker. Mit dem globalen Ausbau von Offshore-Windparks, neuen Offshore-Öl- und Gasplattformen, Unterwasserförderanlagen und -pipelines sowie Internet- und Stromleitungen unter Wasser haben auch die Bedrohungen und geopolitischen Risiken für diese maritimen kritischen Infrastrukturen seit mehr als einem Jahrzehnt zugenommen – zumal diese nicht ähnlich schnell repariert werden können wie jene an Land.
Zudem spiegelt sich beim "Ressourcenfluch" westlicher Energieabhängigkeit nicht nur ein enger Zusammenhang zwischen hohen Ölpreisen und Rentierökonomien wider, sondern auch jener zwischen hohen Ölpreisen, unzureichender Reformbereitschaft, mangelnder Demokratisierung und konfrontativer Außenpolitik vieler wohlhabender Produzentenstaaten. Trotz der Förderkürzungen bei Rohöl und Erdgas infolge der jeweiligen Preisstürze seit 2014, verschärft durch die globale Pandemie 2020, den weltweiten Wirtschaftseinbruch und die damit weiter sinkende Nachfrage nach Rohöl und Erdgas sowie Flüssigerdgas, gefährdete das niedrige Preisniveau bis Ende 2020 die sozioökonomische und politische Stabilität vieler Öl- und Gasförderländer. Mit dem weltweit beschleunigten Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung infolge neuer internationaler Klimaschutzmaßnahmen droht eine politisch-wirtschaftliche Destabilisierung dieser Länder und Regionen, mit weitreichenden geopolitischen Auswirkungen aufgrund einer fehlenden oder bisher völlig unzureichenden Diversifizierung ihrer Ökonomien.
Je mehr jedoch die eigene Energieversorgung von autoritär-diktatorischen Machthabern, Paria-Staaten oder unsicheren Exporteuren abhängig ist, desto mehr droht auch die eigene außenpolitische Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit Schaden zu nehmen. Auch die aus der Abhängigkeit entstehende Selbstabschreckung kann die außenpolitischen Optionen begrenzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die steigende Importabhängigkeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu Devotion, Korruption oder Vetternwirtschaft mit derartigen Regimen führt. Gerade die deutsche Russland- und Energiepolitik bis 2021 ist ein Paradebeispiel hierfür.
Gleichzeitig hat die Schieferöl- und Gasrevolution in den USA die Verfügbarkeit der weltweiten Öl- und Gasreserven seit 2010 deutlich erhöht und bis 2020 zu einer globalen Öl- sowie Gasschwemme geführt, die deutlich niedrigere Weltmarktpreise nach sich zog.
Dies spiegelt sich auch in neueren quantitativen Untersuchungen zur weltweiten Energiesicherheit wider, auch wenn hierbei einerseits zwischen Öl- und Gasversorgungssicherheit unterschieden werden muss und andererseits die Sicherheitslage sich keineswegs in allen Staaten positiv darstellt. Gleichwohl kamen die Untersuchungen zum weltweiten "Energietrilemma" zu dem Ergebnis, dass sich die internationale Energiesicherheit – im Wesentlichen als Folge der US-Schiefergas- und Schieferölrevolution – bis etwa 2020 durchaus verbessert hatte, auch wenn dies zeitweise mit Blick auf Regionen wie den Persischen Golf oder Nordafrika nur mit Einschränkungen galt.
Erneuerbare Energien und Dekarbonisierung
Zwar können erneuerbare Energien als heimische Energiequellen angesehen werden, die die Abhängigkeiten von fossilen Rohstoffimporten künftig verringern. Daher ist auch ihr weltweiter Ausbau und eine damit verbundene Dekarbonisierung sowie Dezentralisierung der zukünftigen globalen Energieversorgung prinzipiell zu begrüßen. Doch entstehen dabei zahlreiche neue Sicherheitsherausforderungen, wie die folgenden beiden Beispiele verdeutlichen.
Cybersicherheit und kritische (Energie-)Infrastrukturen
Die Allgegenwärtigkeit von Cyberangriffen stellt die traditionelle Auffassung von nationaler und kollektiver Sicherheit sowie von Verteidigung und Abschreckung zunehmend infrage. Mit der weiteren Digitalisierung des Energiesektors und anderer kritischer Infrastrukturen nehmen auch die Risiken und Gefahren für deren Sicherheit zu – insbesondere, je komplexer und vernetzter die Steuerung und Kontrolle beispielsweise von Kraftwerken oder Energie- und Datennetzen ausgeprägt sein wird. Auch die breite Einführung intelligenter Stromzähler (smart meter) und anderer Smart-Home-Technologien, intelligenter Stromnetze (Smart-Grid-Systeme) sowie die generelle Vernetzung von Lebens- und Arbeitswelt ("Internet der Dinge" und "Industrie 4.0") schaffen viele neue Angriffspunkte.
Als besonders problematisch gelten Cyberangriffe, die mit geheimdienstlicher Unterstützung erfolgen und mit politisch-wirtschaftlichen Zielsetzungen verbunden sind. Diese richten sich vermehrt gegen kritische Infrastrukturen, die besonders sensitiv für das Überleben des Staates sind und die Aufrechterhaltung seiner vitalen staatlichen Funktionen gewährleisten.
Kritische Infrastrukturen schließen Informations- und Telekommunikationssysteme ebenso ein wie die Sektoren Energieversorgung, Transport und Verkehr, Gesundheitswesen, Finanz- und andere sensible Dienstleistungen. Diese kritischen Infrastrukturen sind durch ein hohes Maß an interner Komplexität und einer hochgradigen gegenseitigen Abhängigkeit sowie Verwundbarkeit gekennzeichnet. Gleichzeitig ist die Vernetzung aller kritischen Infrastrukturen in modernen Industriegesellschaften von einer stabilen Stromversorgung und dem Internet abhängig.
Im Falle einer längerfristigen Unterbrechung der Stromversorgung – der Hauptschlagader moderner industrieller Staaten, hochvernetzter Gesellschaften und des Internets – sind lebenswichtige staatliche Aufgaben wie die Energie- und Wasserversorgung und das Funktionieren vieler anderer kritischer Infrastrukturen nicht mehr gewährleistet.
Daher müssen kritische Infrastrukturen auch gegen immer raffiniertere Cyberangriffe (advanced persistent threats) robuster und widerstandsfähiger werden, wenn eine Abkoppelung vom Internet und der Aufbau von parallelen Intranets nicht möglich erscheint oder nicht gewollt ist. Eine redundante Stromversorgung und Reservekapazitäten werden künftig mehr denn je von zentraler strategischer Bedeutung für die Energieversorgungssicherheit sein, um für qualitativ völlig neue Cybergefahren und die Risiken großflächiger Stromausfälle gewappnet zu sein. Doch wie der jüngste Stresstest zur Stromversorgungssicherheit in Deutschland vom September 2022 zeigt, finden geopolitische Risiken wie ein russischer Cyberangriff auf das deutsche und europäische Stromsystem nicht hinreichend Beachtung, weil dies im Resultat größere Reservekapazitäten der Stromerzeugung (durch Kernkraft- und Kohlekraftwerke) erfordert
hätte.
Jede Art der Störung des Elektrizitätssektors kann sich auf andere Orte, Branchen oder Sektoren auswirken – auch über EU-Landesgrenzen hinaus. Unternehmen, ebenso wie Staaten, benötigen daher umfassende, mehrschichtige und integrierte In-depth-Sicherheitskonzepte, die zudem Teil eines übergeordneten europäischen Sicherheitskonzepts werden müssen. Auch die Einführung der neuen 5G-Netzwerktechnologie wird – auch unabhängig von der Frage, ob der chinesische Konzern Huawei hierfür als Partner infrage kommt – viele zusätzliche Cybersicherheitsrisiken schaffen.
Die Schädigung oder Unterbrechung sensitiver Funktions- und Kommunikationsprozesse innerhalb von und zwischen kritischen Infrastrukturen kann weitreichende politische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen haben, die sich zudem kaskadenartig schnell auf andere (Nachbar-)Staaten erstrecken können. Dabei gilt mehr denn je: Je stärker eine Industriegesellschaft sowie deren kritische Infrastrukturen von einer stabilen Stromversorgung abhängen und über das Internet vernetzt sind, desto stärker sind auch die potenziellen Risiken und Verwundbarkeiten.
Kritische Rohstoffe und Energiesicherheit
Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien kann zu geopolitischen Verwundbarkeiten und Importabhängigkeiten führen. Doch sind diese anders gelagert als bei fossilen Energieträgern. So nehmen die Risiken bei erneuerbaren Energien tendenziell zu, weil für den Bau und den Betrieb von Windkraftanlagen, Solarzellen, Batteriespeichern und anderen "grünen Technologien" kritische (nicht-energetische) Rohstoffe und Mineralien benötigt werden – beispielsweise seltene Erden, Lithium und Kobalt.
Die Palette kommerzieller und militärischer Einsatzgebiete dieser kritischen Rohstoffe ist vielfältig und reicht weit über den Bereich der erneuerbaren Energien hinaus: von Mobiltelefonen über Computerfestplatten, Batterien für Elektrofahrzeuge bis hin zu Präzisionslenkwaffen und High-tech-Munition.
In Deutschland versuchte vor allem der Bundesverband der Deutschen Industrie ab 2004, auf die zunehmende Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von einer stabilen Versorgung mit kritischen Rohstoffen hinzuweisen, und schlug gemeinsame politisch-wirtschaftliche Gegenstrategien vor. Doch dauerte es bis 2010, bis sich die Bundesregierung mit der Wirtschaft auf ein erstes Rohstoffkonzept einigen konnte.
Während einerseits eine Verbesserung der Versorgungssicherheit mit kritischen Rohstoffen für die deutsche und europäische Wirtschaft konstatiert werden kann, sind andererseits auch Rückschritte zu verzeichnen. Ein Beispiel dafür ist der Vorschlag deutscher Unternehmen von 2012 zur Gründung einer Rohstoffallianz, zu der sich die deutsche Wirtschaft aber nicht durchringen konnte und die 2015 offiziell aufgegeben wurde. Noch immer besteht in Teilen der Wirtschaft und auch auf der politischen Ebene ein zu großes Vertrauen in die selbstregulierenden Kräfte des Marktes. Dies nimmt jedoch weder die Tendenzen eines internationalen Ressourcennationalismus noch die langfristige merkantilistische Strategie Chinas, komplette Wertschöpfungsketten bei künftigen Schlüsseltechnologien zu kontrollieren, ausreichend zur Kenntnis.
Diese Thematik wurde vor 2020 weitgehend isoliert betrachtet und wird erst seit wenigen Jahren als integraler Bestandteil künftiger Energiesicherheit begriffen. Erst die Pläne von Deutschland und der EU zur Einrichtung einer "Batterieallianz" ab 2017 und der Aufbau von Gigafabriken für Batterien für Elektrofahrzeuge haben dazu geführt, dass erstmals die Schaffung von kompletten industriell-technologischen Wertschöpfungsketten in Angriff genommen wird. In diesem Zusammenhang wird die Ressourcensicherheit für die Batterieherstellung im Kontext der Elektromobilität auch von der Energiepolitik forciert.
In Deutschland und der EU entfallen rund 80 Prozent der Importe von kritischen Rohstoffen und weiterverarbeiteten Rohstoffprodukten allein auf China. Während große Unternehmen in Deutschland ihre Rohstoffe und weiterverarbeiteten Produkte direkt in China einkaufen und auf langfristige Lieferverträge setzen, sind kleinere Unternehmen meist von Zwischenhändlern und deren Bevorratung abhängig. Auch sie sind damit letztendlich dem guten Willen Beijings unterworfen und abhängig von der möglicherweise unsicheren Selbsteinbindung Chinas in die Weltwirtschaft sowie international fairen, arbeitsteiligen Wertschöpfungsketten. So setzen die Beijinger Strategie "China 2025" sowie der selbst proklamierte Aufstieg zur globalen technologischen Führungsmacht auf die strategische Kontrolle von technologischen Schlüssel-Wertschöpfungsketten auf globaler Ebene. Demgegenüber basiert die westliche Industrie- und Rohstoffpolitik weiterhin auf einem Best-case-Szenario, obwohl weder China noch die USA unter Präsident Donald Trump ("America First") sich in den vergangenen Jahren von Ansätzen multilateraler Nutzenvorteile haben leiten lassen. China hatte infolge eines maritimen Ressourcenkonfliktes mit Japan schon 2010 versucht, Tokio durch einen Lieferstopp von seltenen Erden politisch zu erpressen.
Die internationalen Herausforderungen haben sich in den vergangenen Jahren durch den weltweiten Ausbau der erneuerbaren Energien und anderer grüner Technologien, der Digitalisierung aller Industriesektoren sowie bei Batterietechnologien weiter verschärft, da all diese neuen Technologien sehr materialintensiv sind und mehr denn je kritische Rohstoffe benötigen. Zwar gibt es keine wirklichen geologischen Beschränkungen der Ressourcenverfügbarkeit – weder bei seltenen Erden noch bei anderen kritischen Rohstoffen –, wohl aber bei der konkreten Förderung, Weiterverarbeitung oder dem Recycling. Beschränkungen entstehen vor allem durch instabile Förderländer, restriktive Umweltregulierungen, fehlende Good Governance oder Ressourcennationalismus.
In den vergangenen 30 Jahren hat sich der weltweite metallische Rohstoffbedarf um mehr als 50 Prozent erhöht und beträgt inzwischen mehr als 60 Milliarden Tonnen pro Jahr. Dieser Bedarf wird sich als Folge der weiter ansteigenden Weltbevölkerung, des Wirtschaftswachstums vor allem in den Schwellenländern und der sich beschleunigenden Technologierevolutionen in Zukunft weiter erhöhen. Die wachsende Besorgnis und die geoökonomische Bedeutung spiegeln sich auch in der Liste der benötigten kritischen Rohstoffe der Europäischen Kommission wider, deren Anzahl von 14 kritischen Rohstoffen im Jahr 2011 auf 30 im Jahr 2020 gestiegen ist.
Strategische Perspektiven
Der Schwerpunkt der aktuellen Debatten über die zukünftige globale Energiesicherheit liegt auf der Dekarbonisierung, also dem Übergang vom fossilen in ein "grünes" Zeitalter auf der Basis von erneuerbaren Energien. Doch ist der Fokus dieser Diskussionen in hohem Maße auf ein Nachfragemanagement und die Integration von erneuerbaren Energien gerichtet, verbunden mit einer eher dezentralen Ausrichtung des künftigen Energiesystems sowie damit verbundener Technologieinnovationen, technokratischer Lösungs- und Regulierungsansätze sowie neuer Marktdesigns. Vielfältige politische Dimensionen einer Dekarbonisierung des Weltenergiemix – wie die strategischen Interessen der Öl- und Gasförderländer – werden in diesen Diskussionen häufig entweder ganz ausgeblendet oder marginalisiert. Dies gilt auch für eine Vielzahl von Sicherheitsfragen infolge der Einführung neuer Digitalisierungstechnologien und einer zunehmenden Vernetzung von staatlichen, kommerziellen und privaten Energieinfrastrukturen.
Damit relativieren sich auch viele der bisherigen Grundannahmen der europäischen und vor allem der deutschen Energiepolitik. Deren Kernpunkt, der Ausbau erneuerbarer und dezentraler Energien, wird dadurch zwar nicht infrage gestellt. Doch das bislang oft mit apodiktischer Sicherheit vorgetragene Argument, dass geopolitische Risiken nur mit fossilen Energien verbunden seien, ist einer der vielen ideologischen Mythen in dieser Diskussion. Für die Energiepolitik des Übergangs in eine dekarbonisierte Energieversorgung wird es im nächsten Jahrzehnt vielmehr darauf ankommen, eine ausgewogene Mischung aus global gehandelten, heimischen fossilen, erneuerbaren Energien und Wasserstoff zu finden. Diese Mischung wird sich im weiteren Zeitverlauf mehr und mehr zugunsten "grüner Energien" verschieben. Doch auch erneuerbare Energien sind mit geopolitischen Risiken und Importabhängigkeiten verbunden, die gegenwärtig sogar noch höher sind als bei der deutschen Gasimportabhängigkeit. Insofern ist schon jetzt festzuhalten, dass ein neues nicht-fossiles, auf erneuerbaren Energien basierendes Zeitalter der internationalen Energiepolitik und -sicherheit nicht das Ende von Geopolitik, Sicherheitsrisiken und Verwundbarkeiten bedeutet. Gleichzeitig werden die traditionellen geopolitischen Risiken der Versorgungssicherheit vorerst ebenfalls nicht verschwinden. In einigen Fällen, wie den maritimen Sicherheitsdimensionen und neuen machtpolitischen Rivalitäten (beispielsweise USA-China, China-Indien, China-Japan), könnten diese sogar noch weiter zunehmen.