Einsamkeit als gesellschaftliches Problem gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit. Umfragen zufolge fühlten sich in Deutschland 2017 über 14 Prozent der erwachsenen Bevölkerung regelmäßig einsam – ein Wert, der sich im Zuge der Covid-19-Pandemie fast verdreifacht hat.
Lange wurde Einsamkeit überwiegend aus einer psychologischen Perspektive betrachtet, und ihre Ursachen und Folgen wurden entsprechend vor allem auf der individuellen Ebene diskutiert.
Armut ist hierbei ein besonders relevanter Faktor. Ökonomisch prekäre Lebensverhältnisse sind mit erheblichen Ungleichheiten in den Alltagserfahrungen und Lebenschancen von Menschen verbunden.
Zahlreiche Studien stützen die These, dass Faktoren wie Armut, Krankheit oder soziale Marginalisierung die Entstehung von Einsamkeit begünstigen, da sie gesellschaftliche Teilhabe sowie den Aufbau und den Erhalt sozialer Beziehungen erschweren.
Hierfür werden wir zunächst Einsamkeit definieren und von verwandten Phänomenen wie sozialer Isolation abgrenzen; gleichermaßen wird der Armutsbegriff differenziert. Anschließend werden wir auf Basis der einschlägigen Literatur darlegen, wie Armut durch eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten Einsamkeit begünstigt. Darauf aufbauend zeigen wir, wie Einsamkeit ihrerseits über mehrere Mechanismen ein Risikofaktor für Armut sein kann. Unsere theoretischen Argumente untermauern wir mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Dabei nutzen wir den Längsschnittcharakter der Daten, um die Plausibilität der zirkulären Beziehung zwischen beiden Faktoren zu begründen.
Begriffsklärung
Einsamkeit ist ein komplexes Konzept, das im Sprachgebrauch oft fälschlicherweise synonym mit Begriffen wie „Isolation“, „Exklusion“ oder „alleine sein“ verwendet wird. Während sich diese Begriffe in der Regel auf die objektiven Beziehungen einer Person beziehen – sei es nun der körperliche Zustand der Person oder ihre Teilhabe an sozialen Gruppen –, beschreibt Einsamkeit einen subjektiv empfundenen Mangel innerhalb der eigenen Beziehungen, der sich auf die erlebte Qualität oder Quantität der Beziehungen bezieht.
Wie stark das Gefühl der Einsamkeit ist, kann mit einer Reihe von Fragen gemessen werden, sogenannten Fragebatterien, die den subjektiv empfundenen Mangel an sozialen Beziehungen abbilden. Ein verbreitetes Maß ist die UCLA Loneliless Scale, eine Einsamkeitsskala, die 1978 an der University of California in Los Angeles entwickelt und seitdem mehrfach überarbeitet wurde. Ihre Kurzversion basiert auf drei Fragen, durch die erfasst wird, inwieweit die befragten Personen das Gefühl haben, 1) dass ihnen die Gesellschaft anderer fehlt, 2) außen vor zu sein und 3) isoliert zu sein. Die UCLA-Skala ist auch die Grundlage unserer Analysen.
Armut wird in der Regel als Mangel an Ressourcen definiert, der zu einem Ausschluss von der gesellschaftlich akzeptierten Lebensweise führt.
Weit verbreitet ist die Armutsmessung anhand des Einkommens, wobei die Schwelle üblicherweise bei einem Wert von 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens (Medianeinkommen) gesetzt wird: Das heißt, eine Person gilt als armutsgefährdet beziehungsweise einkommensarm, wenn ihr Einkommen darunter liegt.
Auch wir gehen von der 60-Prozent-Schwelle aus und ergänzen diesen Indikator durch Aspekte materiellen Mangels (Deprivation).
Zusammenhang von Armut und Einsamkeit
Die Wirkung von Armut auf Einsamkeit ist über soziale Gelegenheitsstrukturen begründet. Da der Aufbau und die Pflege sozialer Kontakte Zeit und häufig auch ökonomische Ressourcen benötigen, sind Armutsbetroffene seltener in der Lage, ausreichend Kontaktpflege zu betreiben. Zugleich ist Armut mit einem sozialen Stigma versehen, welches das Risiko weiterer sozialer Ausgrenzung erhöht. Entsprechend ist der Einfluss von Armut auf Einsamkeit empirisch gut nachgewiesen.
Solche Querschnittsvergleiche sind zwar informativ, der gefundene Zusammenhang lässt sich potenziell aber durch eine Vielzahl von anderen Eigenschaften erklären, die sowohl mit Einsamkeit, als auch mit dem Einkommen zusammenhängen – beispielsweise durch den (nicht) erzielten Bildungsabschluss. Es ist daher notwendig, sich den Zusammenhang auch längsschnittlich anzuschauen, also anhand von Daten, die auf gleiche Art und Weise für mehrere Jahre erhoben wurden, nicht nur für eins.
Wir haben daher für eine Längsschnittanalyse fünf Einkommensgruppen unterteilt (arm = 0 bis 60 Prozent des Medianeinkommens, Prekariat = 60 bis 80 Prozent, untere Mitte = 80 bis 100 Prozent, obere Mitte = 100 bis 150 Prozent, höhere Einkommen = 150 bis 200 Prozent) und auf Grundlage der SOEP-Daten aus den Jahren 2013, 2017 und 2021 untersucht, ob und wie Einsamkeit und Einkommen im Zeitverlauf zusammenhängen. Dabei zeigte sich, dass Einkommen und Einsamkeit nicht nur im Querschnitt miteinander assoziiert sind, sondern Menschen sich tatsächlich in den Jahren einsamer fühlen, in denen sie ein niedrigeres Einkommen haben. Dieser Effekt gilt nur für die untersten beiden Einkommensgruppen und dabei insbesondere für Armut.
Ein wichtiger Wirkmechanismus, der Armut zu einem Risikofaktor für Einsamkeit macht, ist der Mangel an Zeit und Ressourcen, die soziale Interaktion ermöglichen. Einkommensarmut ist eng mit dem materiellen Lebensstandard verbunden, also mit den Dingen und Aktivitäten, die Menschen sich finanziell leisten können:
Im selben Längsschnitt für die Jahre 2013, 2017 und 2021 haben wir untersucht, wie sich verschiedene Aspekte des materiellen Lebensstandards auf das Einsamkeitsempfinden auswirken. Hierbei zeigte sich, dass nicht nur der unfreiwillige Verzicht auf Güter – etwa auf ein Auto oder neue Kleidung – Einsamkeit verstärken kann, sondern auch die aus finanziellen Gründen fehlenden Möglichkeiten sozialer Teilhabe, etwa Freunde einzuladen oder bestimmten Freizeitbeschäftigungen nachzugehen.
Bidirektionale Beziehung
Die Auswirkungen von Armut auf das Einsamkeitsempfinden sind also theoretisch und empirisch gut etabliert. Wie einleitend bereits erwähnt, ist zudem eine wechselseitige Beziehung zwischen Einsamkeit und Armut wahrscheinlich, auch wenn diese seltener diskutiert wird. Inwiefern Einsamkeit Armutserfahrungen wahrscheinlicher macht oder aber die Überwindung von Armut erschweren kann, erläutern wir im Folgenden.
So lassen sich in den Längsschnittdaten des SOEP deutliche Hinweise auf diesen Zusammenhang finden. Betrachtet man die Einsamkeitserfahrungen in den Jahren 2013 und 2017 und gleicht diese mit den Übergängen aus oder in Armut im Jahr 2021 ab, so zeigt sich, dass die früheren Einsamkeitserfahrungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, später in Armut zu fallen beziehungsweise in ihr zu verharren. Demnach steigt für diejenigen, die 2013 und 2017 einsam waren, das Risiko, aus höheren Einkommenspositionen in Armut zu fallen, im Vergleich zu Menschen ohne Einsamkeitserfahrungen von 6 auf 23 Prozent an. Für Menschen, die 2017 bereits arm waren, steigt das Risiko, in Armut zu verbleiben, bei vorherigen Einsamkeitserfahrungen von 53 auf 76 Prozent.
Um den Einfluss von Einsamkeit auf Armut besser zu verstehen, ist es notwendig, sich die fundamentale kognitive und soziale Funktion von Einsamkeit vor Augen zu führen. Kognitionspsychologische Studien legen nahe, dass Einsamkeit eine ähnliche physiologische Funktionsweise wie körperlicher Schmerz hat. Während Schmerz vor körperlichen Gefahren warnt und eine direkte Schutzreaktion wie Vermeidungsverhalten oder das Ausschütten von Stresshormonen auslöst, signalisiert Einsamkeit ein ungenügendes soziales System, das evolutionär überlebenswichtig war.
Während situativer Stress kurzfristig nicht schädlich sein muss, zieht chronischer Stress eine Reihe körperlicher und kognitiver Folgen nach sich. Sie umfassen eine geminderte Schlafqualität, ein geschwächtes Immunsystem und langfristig sogar eine geringere Lebenserwartung.
Neben dem erhöhten Krankheitsrisiko lässt sich hier ein weiterer Mechanismus identifizieren, der Einsamkeit mit Armut in Verbindung setzt: Langanhaltende Einsamkeit ist mit einer Reihe kognitiver Wahrnehmungsänderungen, geminderter emotionaler Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit sowie mit Pessimismus assoziiert. All dies sind Faktoren, von denen auch schulischer und beruflicher (Miss-)Erfolg abhängt.
Neben dem Krankheitsrisiko und kognitiven Folgen wird in der Literatur auf mindestens einen weiteren Wirkmechanismus hingewiesen. So zeigen empirische Studien einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und sozialem Rückzug.
Wissenschaftliche Arbeiten in der Tradition der Theorie des sozialen Kapitals sowie netzwerkanalytische Arbeiten legen nahe, dass eine gute Einbindung in soziale Netzwerke eine wichtige Ressource auf dem Arbeitsmarkt ist.
Fazit
Ausgehend von der Feststellung, dass Einsamkeit entlang der Bruchlinien sozialer Ungleichheit auftritt, haben wir in diesem Beitrag argumentiert, dass nicht nur Armut durch geminderte Teilhabechancen Einsamkeit auslösen kann, sondern dass Einsamkeit ihrerseits ein Armutsrisiko darstellt. Dieses Argument haben wir durch physische, psychologische und soziale Prozesse begründet.
Einsamkeit kann somit als eine mögliche Ursache und als ein Verstärker sozialer Ungleichheit verstanden werden. Die Wechselwirkung zwischen Einsamkeit und Armut hat wichtige Implikationen für die Relevanz von Einsamkeits- sowie von Armutsprävention. Sie ermöglicht zudem eine Erweiterung des Verständnisses, wie sich Einsamkeit über Armut auf andere Faktoren wie Gesundheit, Bildungschancen, soziales Vertrauen, politischer Teilhabe oder Demokratiezufriedenheit auswirkt.