In den vergangenen Jahren ist Einsamkeit verstärkt in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. So wird sie beispielsweise als Risikofaktor für die Gesundheit benannt, den es zu bekämpfen gilt. Dabei gerät oft ihre komplexe Bedingtheit in den Hintergrund, also die Tatsache, dass sie nicht „aus dem Nichts“ entsteht, sondern aus dem Zusammenspiel von Person und jeweiliger Situation, in der sich die Person befindet. Hierunter ist jeweils der private wie auch der größere gesellschaftliche Kontext zu verstehen. So wird Einsamkeit der sogenannten Diskrepanzdefinition folgend als quälende Erfahrung aufgefasst, die aus einer subjektiv wahrgenommenen Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlich vorhandenen sozialen Beziehungen resultiert.
Empirische Untersuchungen haben im Einklang mit dieser Definition gezeigt, dass das individuelle Einsamkeitsempfinden nicht nur von bestimmten Persönlichkeitseigenschaften beeinflusst ist,
In der Literatur dargestellte psychologische Wechselbeziehungen (Korrelate) legen einen gemeinsamen Kern von chronischer Einsamkeit und geringer gesellschaftlicher Solidarität nahe: So hängt Einsamkeit mit Gefühlen sozialer Bedrohung zusammen,
Wenn private oder gesellschaftliche Krisen das individuelle Vermögen überfordern, mit Unsicherheiten umzugehen, kann dies den Wunsch nach eindeutigen Lösungen verstärken. Autoritäre Strukturen erscheinen dann als besonders attraktiv, da sie den kognitiven Anforderungen einer pluralistischen und komplexen Gesellschaft einfache Erklärungen und hierarchische Ordnung entgegenstellen, beispielsweise indem die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme externalisiert und auf Sündenböcke projiziert wird, die nicht als Teile eines Ganzen gesehen werden und als solche nicht mit-mentalisiert werden.
Schon Hannah Arendt argumentierte, dass eine „atomisierte Gesellschaft“, in der Individuen voneinander isoliert sind, den Boden für die Entstehung totalitärer Herrschaft bereite, da kollektive Identitäten und stabile soziale Beziehungen fehlen.
Trotz der beobachteten Überschneidungen zwischen demokratiefeindlichen Haltungen und mit Einsamkeit im Zusammenhang stehenden Affekten und Auffassungen, fehlt es an empirischen Untersuchungen, die diese Zusammenhänge in quantitativ-statistische Forschungsfragen übersetzen. In diesem Beitrag analysieren wir auf Basis einer repräsentativen Erhebung den Zusammenhang von Einsamkeit mit Autoritarismus, Gewaltbereitschaft, Rechtsextremismus und Verschwörungsmentalität. Dies geschieht zunächst ohne und dann mit statistischer Kontrolle soziodemografischer Faktoren. Anschließend werden interpersonales Vertrauen und Mentalisierungsfähigkeit als psychologische Einflussfaktoren überprüft und die Ergebnisse diskutiert.
Methode und Vorgehen
Die zugrunde liegenden Daten stammen aus der „Leipziger Autoritarismus Studie 2020“, einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung, für die im Mai/Juni 2020 insgesamt 2503 Personen interviewt wurden.
Darüber hinausgehende, qualitätsgesicherte Fragebogeninstrumente wurden eigenständig schriftlich beantwortet. Einsamkeit wurde anhand der Einsamkeitsskala der University of California (UCLA Loneliness Scale, kurz UCLA-LS) erhoben, die in ihrer Kurzform auf drei Fragen beruht: Die Teilnehmer*innen wurden gefragt, wie oft es ihnen an Gesellschaft mangelt, wie oft sie sich ausgeschlossen fühlen und wie oft sie sich von anderen isoliert fühlen. Das Antwortformat war dabei fünfstufig, von 0 (= nie) bis 4 (= sehr oft).
Die postulierten psychologischen Einflussfaktoren wurden wie folgt erhoben: Die Fähigkeit zur Mentalisierung wurde mit dem 15 Fragen umfassenden Mentalization Questionnaire erfasst.
Politische Haltungen und Einstellungen wurden wie folgt erhoben: Autoritarismus wurde mit der Authoritarianism – Ultrashort Skala ermittelt, bei der die Befragten drei Aussagen gewichten sollen, zum Beispiel „Bewährte Verhaltensweisen sollten nicht in Frage gestellt werden.“ Das Antwortformat war auch hier fünfstufig, von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“.
In den statistischen Analysen wurden die Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und der interessierenden politischen Einstellung/Haltung untersucht, unter Kontrolle von dritten Variablen (zum Beispiel Einkommen). Dieses Vorgehen wurde gewählt, um potenzielle Einflüsse soziodemografischer Unterschiede auf die untersuchten Zusammenhänge herauszurechnen. Auch eine multiple lineare Regression kam zum Einsatz – eine statistische Methode, mit der in diesem Fall versucht wurde, die Unterschiede zwischen den befragten Personen, zum Beispiel bezogen auf rechtsextreme Einstellungen, auf Basis ihrer Unterschiede in anderen Merkmalen zu erklären, etwa durch das Bildungsniveau oder Einsamkeitsgefühle. „Multipel“ bedeutet hierbei, dass alle Merkmale zusammen auf ihre statistische Erklärungsfähigkeit geprüft wurden. So wird für jedes Merkmal sichtbar, wie relevant es ist, unabhängig davon, ob es mit den anderen Merkmalen zusammenhängt.
Ergebnisse
Mit Blick auf die Frage, inwiefern Einsamkeit mit politischen Haltungen zusammenhängt, zeigt sich in unseren Daten, dass es Korrelationen mit allen interessierenden Maßen gibt: Einstellungen zu Autoritarismus, Gewaltbereitschaft, Rechtsextremismus und der Hang zu Verschwörungserzählungen werden durch Einsamkeit verstärkt. Bezogen auf die drei Facetten der Einsamkeit, wie sie in der UCLA-LS abgefragt werden, zeigten sich jeweils mit dem Gefühl, außen vor zu sein, die stärksten Zusammenhänge. Die beobachteten Korrelationen waren bei Männern tendenziell stärker ausgeprägt als bei Frauen, mit dem größten Unterschied hinsichtlich der Gewaltbereitschaft.
Bei der Berücksichtigung soziodemografischer Merkmale wie Einkommen und Bildungsniveau schwächen sich manche Korrelationen ab (etwa mit Autoritarismus, Gewaltbereitschaft, Rechtsextremismus sowie Verschwörungsmentalität), jedoch nicht alle. Die unterschiedliche Relevanz der drei Einsamkeitsfacetten zeigte sich nach dieser Berechnung ähnlich, und auch die Unterschiede zwischen Männern und Frauen fielen wieder vergleichbar aus.
In den Regressionsmodellen wurde zuerst untersucht, wie Einsamkeit und die soziodemografischen Faktoren Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Einkommen bestimmte Haltungen und Einstellungen erklären. Danach wurden zwei weitere Faktoren hinzugefügt: die Fähigkeit zur Mentalisierung und das Vertrauen in andere Menschen. Diese Ergänzung führte dazu, dass die Modelle eine bessere statistische Erklärung für die Haltungen und Einstellungen lieferten – dass Einsamkeit als Einflussfaktor also besser identifiziert werden konnte. Zum Beispiel wurden der Autoritarismus und die Billigung von Gewalt um etwa 6 Prozent besser erklärt, der Rechtsextremismus um 19 Prozent. Auch die verschiedenen Subkategorien des Rechtsextremismus wie Chauvinismus und Sozialdarwinismus wurden besser erklärt. Im Fall der eigenen Gewaltbereitschaft und der Verschwörungsmentalität spielte Einsamkeit allerdings keine zusätzliche Rolle, nachdem die anderen Faktoren eingeführt wurden. Das heißt, Einsamkeit konnte in diesen Modellen nicht besser erklären, warum Menschen bestimmte Haltungen oder Einstellungen haben. Wir prüften auch, ob diese Zusammenhänge über Altersgruppen hinweg und bei Männern und Frauen signifikant unterschiedlich waren – was jedoch nicht der Fall war.
Diskussion
Die Ergebnisse liefern empirische Einblicke zum Zusammenhang zwischen Einsamkeit und demokratiefeindlichen Haltungen in der deutschen Bevölkerung, bezogen auf mehrere Facetten wie Autoritarismus, Gewaltbereitschaft, Rechtsextremismus und Verschwörungsmentalität. Nach unseren Erkenntnissen ist Einsamkeit mit all diesen Einstellungen signifikant assoziiert. Die leichte Abschwächung des Zusammenhangs durch statistische Kontrolle soziodemografischer Unterschiede verweist auf die Relevanz dieser Unterschiede, die auch bei der regionalen Verteilung der Einsamkeit eine Rolle spielen dürften.
Die Tatsache, dass der Effekt von Einsamkeit jedoch nach wie vor statistisch nachweisbar ist, legt nahe, dass dieses quälende Gefühl – insbesondere der Eindruck, außen vor zu sein – das Potenzial hat, extremistische und autoritäre Haltungen zu fördern. Die Wahrnehmung, ausgeschlossen zu sein, ist der Aspekt des Fragebogens, der konzeptionell am engsten mit erlebter Ablehnung oder Zurückweisung durch andere verbunden ist (während die anderen Aspekte eher auf eine objektiv feststellbare soziale Isolation abzielen).
Frühere Studien, etwa mit dem sogenannten Cyberball-Paradigma, bei dem Proband*innen einen unangekündigten Ausschluss aus einem virtuellen Ballspiel erleben, konnten belegen, dass Zurückweisung starke negative Affekte mobilisiert und einen weniger freundlichen Umgang mit anderen zur Folge hat.
Eine andere Studie von 2023 zeigt, dass Menschen auch Wahlniederlagen der von ihnen unterstützten Partei als Ausgrenzung verarbeiten und dadurch zu ungünstigem Sozialverhalten motiviert sind. Das heißt, sie zeigen sich weniger kooperativ und solidarisch und haben eine geringere Bereitschaft, sich für das Gemeinwohl einzusetzen.
Interessanterweise zeigen unsere Ergebnisse bei Männern tendenziell stärkere Korrelationen von Einsamkeit mit demokratiegefährdenden Einstellungen als bei Frauen, insbesondere in Bezug auf Gewaltbereitschaft. Dies könnte auf sozial erwünschtes Antwortverhalten oder auf sozialpsychologische Mechanismen hindeuten, bei denen Männer eher zu extremen Handlungen greifen, etwa um Kontrolle oder Macht wiederzuerlangen. Darüber hinaus ist der Befund aufschlussreich, dass der Zusammenhang zwischen Einsamkeit und den untersuchten Haltungen auch in den Analysen bestehen bleibt, in denen die soziodemografischen Unterschiede statistisch kontrolliert werden. Dies deutet darauf hin, dass Einsamkeit eben doch ein Stück weit ein eigenständiger Hinweis (Prädiktor) für extreme Einstellungen ist, der nicht allein durch strukturelle soziale Faktoren erklärt werden kann.
Gleichzeitig stehen eine schlechtere Mentalisierungsfähigkeit und ein geringeres interpersonelles Vertrauen nicht nur eindeutig mit stärkeren demokratiefeindlichen Haltungen in Verbindung – diese psychologischen Merkmale erklären teilweise auch den Effekt, der zunächst der Einsamkeit zugeschrieben wurde. Einsamkeit könnte somit ihre Wirkung auf extremistische Einstellungen durch Beeinträchtigungen in der Fähigkeit zur Mentalisierung und einen Mangel interpersonellen Vertrauens entfalten.
Trotz dieser Erkenntnisse bleibt unklar, ob die beschriebenen psychischen Realitäten die ausgedrückten politischen Haltungen bedingen – oder ob es andersherum ist und die politischen Haltungen verallgemeinernde Denkweisen und Gefühle fehlender Zugehörigkeit hervorbringen. Auch sich wechselseitig verstärkende Zusammenhänge sind denkbar. Diese Überlegung ist insofern besonders relevant, da die Mentalisierungsfähigkeit des Menschen allgemein Schwankungen unterliegt. Menschen unterscheiden sich zwar grundsätzlich in der Ausprägung dieser Fähigkeit,
Eine zunehmende politische Polarisierung und Radikalisierung könnte also Mentalisierungsdefizite fördern, etwa durch die Erzeugung starker negativer Affekte, zum Beispiel durch die Verbreitung von Bedrohungsszenarien, die komplexere Denk- und Einfühlungsvorgänge erschweren. Zudem kann die politische Polarisierung auch etablierte soziale Beziehungen belasten, wenn etwa enge Bezugspersonen die eigene politische Orientierung nicht teilen und dadurch das wohltuende Gefühl von Unterstützung und Verständnis seltener wird. Auch auf diese Weise können politische Haltungen direkt relevant für subjektiv erlebte Einsamkeit werden.
Mit der vorliegenden Untersuchung möchten wir weder Einsamkeit noch bestimmte politische Haltungen in die Nähe psychischer Pathologien rücken. Aber sie verdeutlicht, dass sowohl Gefühle individueller Zugehörigkeit als auch demokratierelevante Einstellungen von unseren Fähigkeiten und unserer Bereitschaft abhängen, uns unvoreingenommen und mitfühlend unseren Mitmenschen und ihren Perspektiven und Empfindungen zuzuwenden.