In der öffentlichen Wahrnehmung werden Einsamkeitsgefühle und soziale Isolation insbesondere mit älteren Menschen in Verbindung gebracht. Erst in den vergangenen Jahren scheint sich ein stärkeres Bewusstsein zu entwickeln, dass Einsamkeitsgefühle unabhängig vom Lebensalter auftreten können. Insbesondere die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, dass sich die wissenschaftliche, politische und öffentliche Aufmerksamkeit nun auch stärker den Ursachen und Folgen von Einsamkeit bei jungen Menschen zuwendet. Abstandsregelungen, Schließungen von Bildungseinrichtungen und der damit einhergehende Verlust von sozialen Kontakten zu Altersgleichen haben junge Menschen belastet. Etwa ein Drittel von ihnen fühlte sich in dieser Zeit besonders einsam.
Junge Menschen können aber auch unabhängig von Pandemien von Einsamkeit betroffen sein.
Vor diesem Hintergrund gehen wir in diesem Beitrag der Frage nach, welche lebenslagen- und lebensphasenspezifischen Merkmale zum Einsamkeitsgefühl junger Menschen beitragen: Nimmt Einsamkeit unter jungen Menschen zu? Wer ist besonders von Einsamkeitsgefühlen betroffen? Welche Rolle spielt soziale Eingebundenheit als Schutzfaktor?
Einsamkeit im Jugendalter
Dass junge Menschen bisher kaum als von Einsamkeit Betroffene wahrgenommen wurden, ist auch darauf zurückzuführen, dass sie durch Schulbesuch, Ausbildung und Studium als sozial gut eingebunden gelten. Aber viele Gelegenheiten zum Austausch mit Gleichaltrigen oder Lehrenden zu haben, heißt nicht, dass sie jedem und jeder gleichermaßen offenstehen. Soziale Beziehungen in Schule und Ausbildung, im Studium oder unter Gleichaltrigen werden zudem nicht immer als positiv erlebt. Einsamkeit entsteht auch dann, wenn man sich von den anderen nicht akzeptiert und geschätzt fühlt.
Allerdings ist es gerade für junge Menschen nicht immer einfach, soziale Beziehungen einzugehen und zu gestalten. Im 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung etwa wird das Ausbalancieren zwischen individueller Freiheit und sozialer Zugehörigkeit zu den Kernherausforderungen des Jugendalters gezählt. Zu den Herausforderungen, die das Jugendlich-Sein wie auch das Erwachsen-Werden mit sich bringen, zählt zudem, sich vom Elternhaus zu lösen und erste Partnerschaftserfahrungen zu sammeln.
Gerade Letzteres zeigt, dass das Gefühl von Einsamkeit als Ausdruck notwendiger sozialer Anpassungen verstanden werden kann. Das gilt nicht nur für einzelne soziale Szenenwechsel, sondern auch für die normativen Erwartungen vom Erwachsensein selbst, wie etwa auf eigenen Beinen zu stehen oder für sich selbst sorgen zu können. In diesem Sinne lässt sich zunächst einmal festhalten, dass mit Einsamkeitsgefühlen verbundene persönliche Krisen und Veränderungen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter gewissermaßen „an der Tagesordnung“ sind. Es lässt sich aber auch festhalten, dass zwischen Einsamkeit und Normalitätserwartungen ein Zusammenhang besteht. Als gesellschaftliche Newcomer:innen repräsentieren junge Menschen auch soziale Nonkonformität. Anders zu sein als andere, auch anders wahrgenommen zu werden als andere, kann einsam machen. So wundert es nicht, dass Zugewanderte, Menschen mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen oder auch Angehörige der LSBTIQ*-Community eher von Einsamkeit berichten als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft.
Zu langfristigen Entwicklungen des Einsamkeitserlebens von Jugendlichen in Deutschland gibt es bislang allerdings keine Studien, und bis auf wenige Ausnahmen werden in aktuellen bevölkerungsrepräsentativen Untersuchungen nur über-18-jährige junge Menschen in den Blick genommen. Es fehlt bisher außerdem ein einheitlicher Schwellenwert, der festlegt, ab wann jemand grundsätzlich als einsam gilt. Dadurch gibt es auch keine allgemeingültige Vorgehensweise der empirischen Analyse von Einsamkeit bei jungen Menschen, was zur Folge hat, dass Angaben zur Häufigkeit von Einsamkeitsgefühlen zwischen Studien stark schwanken können.
Das Einsamkeitsbarometer, das auf Datengrundlage des Sozio-oekonomischen Panels längerfristige Entwicklungen von Einsamkeitsbelastungen für Personen ab 18 Jahren beschreibt, zeigt für verschiedene Altersgruppen, dass im Zeitraum zwischen 1992 und 2013 Menschen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren im Vergleich zu allen anderen Altersgruppen die geringste Einsamkeitsbelastung aufwiesen. Mit moderaten Schwankungen erhöhter Einsamkeitsbelastungen von jungen Erwachsenen – im Zeitraum zwischen 1992 und 2008 fühlten sich mal knapp über, mal knapp unter 5 Prozent dieser Altersgruppe einsam – lag die Häufigkeit 2013 bei einem vergleichsweise geringen Anteil von 2,9 Prozent.
Der Anstieg der Einsamkeitsbelastungen zwischen 2013 und 2021 verdeutlicht, dass Covid-19 nicht nur als Infektionskrankheit Auswirkungen hatte. Zwar ist das Einsamkeitsempfinden während des Pandemie-Jahres 2020 in allen Altersgruppen sprunghaft angestiegen, es waren aber insbesondere die jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren, die sich in dieser Zeit mit knapp einem Drittel (31,8 Prozent) besonders einsam fühlten. Der Anteil lag damit sogar signifikant über dem von Personen, die älter als 75 Jahre waren (22,8 Prozent). 2017 hatten die Anteile bei beiden Altersgruppen noch auf einem deutlich niedrigeren Niveau annähernd gleichauf gelegen (älter als 75 Jahre: 9,1 Prozent; 18 bis 29 Jahre: 8,6 Prozent). 2021, als Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch die Corona-Maßnahmen noch bestanden, war der Wert bei den jungen Erwachsenen mit 14,1 Prozent zwar bereits wieder deutlich niedriger als 2020, aber noch lange nicht auf vorpandemischem Niveau. Der Anteil von Personen älter als 75 Jahre lag im selben Jahr bei 10,2 Prozent, also nur etwas höher als vor der Pandemie.
Junge Erwachsene bis 29 Jahre werden allerdings auch weiterhin als eine besonders von Einsamkeit belastete Gruppe identifiziert.
Insgesamt deuten die vorhandenen Daten zwar an, dass die Corona-Pandemie für viele junge Menschen mit Einsamkeit verbunden war; es gibt jedoch keine Hinweise auf eine „Einsamkeitsepidemie“ oder eine weiterhin steigende Einsamkeitsbelastung. Nichtsdestotrotz gibt es junge Menschen, die sich einsam fühlen, und es stellt sich die Frage, wer hier besonders betroffen ist beziehungsweise wer ein besonderes Risiko hat.
Lebenslagen einsamer junger Menschen
Mit Blick auf die Häufigkeit des Einsamkeitsempfindens unter jungen Menschen zeigen Selbstauskünfte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 12 und 32 Jahren im Survey AID:A 2023 des Deutschen Jugendinstituts (DJI), dass sich insgesamt rund ein Viertel (27 Prozent) in dieser Altersgruppe „selten“ einsam fühlt. Die höheren Angaben auf der Einsamkeitsskala („manchmal“ und „oft“) werden von einem zunehmend geringeren Anteil junger Menschen angegeben
Nur noch 2 Prozent der jungen Menschen antworten, sich „oft“ einsam zu fühlen. Junge Frauen fühlen sich in der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen und der 26- bis 32-Jährigen einsamer als junge Männer. Bei den 18- bis 25-Jährigen sind die Einsamkeitswerte der jungen Männer ähnlich hoch wie bei den gleichaltrigen Frauen, sodass hier keine geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr sichtbar sind.
Junge, von Einsamkeit betroffene Menschen sind sehr unterschiedlich; und mit Blick auf die Lebenslagen Jugendlicher und junger Erwachsener gibt es nicht „den einen“ Risikofaktor. Soziale Ungleichheit in ihren unterschiedlichen Facetten und damit ungleiche Teilhabechancen in verschiedenen Kontexten spielen jedoch eine zentrale Rolle für das Wohlbefinden im Allgemeinen – und damit auch für Einsamkeitsgefühle: Gerade junge Menschen in prekären und marginalisierten beziehungsweise vulnerablen Lebenslagen sind tendenziell häufiger von Einsamkeit betroffen.
Dies zeigt sich beispielsweise an jungen Menschen, die in finanziell schwierigen Lebenslagen aufwachsen, oder Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit eigener Zuwanderungsgeschichte oder Zuwanderung beider Elternteile. Aber auch Diskriminierungserfahrungen, beispielsweise aufgrund finanzieller Engpässe in der Familie, einer Behinderung oder körperlichen Beeinträchtigung oder der eigenen sexuellen Orientierung, gehen bei jungen Menschen signifikant häufiger mit Einsamkeitsgefühlen einher als bei Gleichaltrigen, die keine Diskriminierungserfahrungen machen (Abbildung 1). Sowohl eine nicht-cisgeschlechtliche Identität als auch eine queere, nicht cis-heterosexuelle Orientierung führen dazu, sich überdurchschnittlich einsam zu fühlen.
Macht Erwachsenwerden einsam?
Obwohl Jugendliche und junge Erwachsene in vielen Lebensbereichen noch nicht dieselben zeitlichen Verpflichtungen haben, wie es bei Erwachsenen aufgrund von Familiengründung und Berufstätigkeit der Fall ist, stehen junge Menschen dennoch vor wichtigen Herausforderungen, die von Stressgefühlen und subjektiv empfundenem Zeit- und Leistungsdruck begleitet sein können.
Abbildung 2 zeigt den nach Altersgruppen differenzierten Zusammenhang zwischen drei Aspekten von wahrgenommenem Druck und dem Einsamkeitsempfinden. Im AID:A-Survey wurden junge Menschen gefragt, wie stark sie das Gefühl haben, sich mit dem Erwachsenwerden beeilen oder schnell Karriere machen zu müssen oder sich Auszeiten oder Zeiten des Nichtstuns leisten zu können. In der Tendenz zeigt sich über alle drei Aspekte hinweg, dass junge Menschen, die verstärkt unter Druck stehen, auch häufiger von Einsamkeit belastet sind. Die höchsten Einsamkeitswerte weisen diejenigen auf, die das (sehr) starke Gefühl haben, sich mit dem Erwachsenwerden beeilen zu müssen.
Vor allem junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren befinden sich in einer Phase, die von Unsicherheiten und Instabilität geprägt ist, wobei zumindest ein Drittel der jungen Erwachsenen – und vor allem diejenigen in offenen und „atypischen“ Lebenslagen – von dem Gefühl eines „Sich-Dazwischen-Fühlens“ (zwischen Jugendlich- und Erwachsen-Sein) berichten.
Soziale Eingebundenheit als Schutzfaktor
Grundsätzlich gilt, dass gute soziale Beziehungen, insbesondere zur Familie und zu Gleichaltrigen, für junge Menschen im Aufwachsen von zentraler Bedeutung sind. Das wurde durch die Corona-Pandemie sehr deutlich ins Bewusstsein gebracht. Zwar blieben Eltern und Freund:innen während des ersten Lockdowns 2020 die wichtigsten Ansprechpersonen, aber gute Freund:innen lernen Jugendliche überwiegend in Bildungssettings wie Schule, Ausbildung oder Studium kennen. Online hingegen werden echte Freundschaften eher selten geschlossen. Durch die Schließungen von Bildungseinrichtungen war es jedoch kaum möglich, (neue) freundschaftliche Beziehungen zu etablieren.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass das Thema Einsamkeit unter jungen Menschen insbesondere im Zuge und infolge der Pandemie besondere Aufmerksamkeit erfahren hat. Der verhältnismäßig kurzfristige und punktuelle Blick auf das Phänomen (in Krisenzeiten) verleitet zu der Annahme, dass Einsamkeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen insgesamt zunimmt, es liegen jedoch keine empirischen Erkenntnisse vor, die sie untermauern.
Im Schnitt haben junge Menschen vier bis fünf gute Freund:innen.
Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene, die zu gesellschaftlich marginalisierten Gruppen gehören – etwa LSBTIQ*, mit Behinderung, Zuwanderungsgeschichte oder von Armut betroffene –, berichten von häufigeren Einsamkeitsgefühlen. Um Einsamkeit unter jungen Menschen zu bekämpfen, braucht es daher lebenslagenspezifische Maßnahmen, die die genannten Risikofaktoren berücksichtigen; etwa niedrigschwellige Unterstützungsangebote und eine Sensibilisierung gegenüber den besonderen Bedürfnissen der jeweiligen Gruppen junger Menschen.
Darüber hinaus zeigt sich, dass die Lebensphase des Jugend- und jungen Erwachsenenalters, die durch zahlreiche Umbrüche und Veränderungen geprägt ist, für junge Menschen insgesamt mit vermehrten Risikopotenzialen für (vorübergehende) Einsamkeit einhergeht. In der Auseinandersetzung mit Einsamkeit unter jungen Menschen bleibt es daher eine zentrale Frage, inwieweit diese zum Erwachsenwerden „dazugehört“ und als eine Art „Entwicklungsaufforderung“ zu verstehen ist, die es zu akzeptieren und selbstwirksam zu bewältigen gilt. Bezugs- und Unterstützungspersonen wie Eltern, Gleichaltrige und Lehrpersonen sind elementar, um jungen Menschen die nötigen Freiräume und zugleich Rückhalt zu geben und damit der Gefahr entgegenzuwirken, dass sich Einsamkeitsgefühle manifestieren und langfristige negative Konsequenzen nach sich ziehen.