Das Thema Einsamkeit hat in den vergangenen Jahren immens an Aufmerksamkeit gewonnen. In Wissenschaft und Gesellschaft werden Ursachen, Gefahren und Folgen einer zunehmenden Vereinsamung diskutiert. Dabei wird teilweise eine alarmierende Metaphorik bemüht: So wird Einsamkeit beispielsweise als „Monster der Moderne“ oder „größte Volkskrankheit“ unserer Zeit bezeichnet, die sich wie eine „stille Epidemie“ ausbreite.
Zeitdiagnose der Moderne
Über zunehmende Einsamkeit als Zeitdiagnose wird nicht das erste Mal diskutiert. Bereits 1950 veröffentlichte der Soziologe David Riesman seinen Bestseller „The Lonely Crowd“ („Die einsame Masse“, 1958), und der Philosoph Odo Marquard schrieb Anfang der 1980er Jahre von einem „Zeitalter der Einsamkeit“.
Zugleich haben Autorinnen wie die Philosophin Hannah Arendt schon früh darauf hingewiesen, dass Einsamkeit nicht per se ein belastender Zustand sein muss und etwa von Alleinsein zu unterscheiden sei.
Da Menschen als soziale Wesen grundlegend auf andere Menschen angewiesen sind, ist Einsamkeit gerade in modernen Gesellschaften so virulent: Nie zuvor war der Anspruch, individuell und unabhängig zu sein, so stark ausgeprägt, und nie zuvor wurde der Selbstverwirklichungsimperativ gesellschaftlich so stark gefördert: „Sei Du selbst, sei besonders, sei einzigartig!“ Zugleich sind unsere sozialen Beziehungen inzwischen so komplex, dass die gegenseitigen Abhängigkeiten nicht mehr erkannt werden. Es ist eine paradoxe Situation: Je enger wir heute vernetzt sind, desto stärker ist das individuelle Gefühl der Vereinzelung. Es wäre dennoch ein Trugschluss, davon auszugehen, dass die Moderne das Zeitalter der Einsamkeit ist; möglicherweise reduziert die Moderne aufgrund ihrer Individualisierungsangebote und Möglichkeiten, Beziehungen frei zu gestalten, sogar das Risiko für Einsamkeit.
Kritik und Desiderate der Einsamkeitsforschung
Die jüngere Forschung hat sich der Entwicklung von Einsamkeit vor allem unter epidemiologischen Aspekten gewidmet, also mit Blick auf die Verbreitung und Verteilung unter der Bevölkerung. Dem Einsamkeitsbarometer 2024 zufolge sank das Einsamkeitsempfinden in Deutschland zwischen 1992 und 2017 tendenziell, ehe die Werte 2020 während der Covid-19-Pandemie in die Höhe schnellten. Im Folgejahr sanken sie zwar wieder, blieben aber etwas höher als vor der Pandemie. Was die Verteilung angeht, zeigt sich im Einsamkeitsbarometer unter anderem, dass sozioökonomische Faktoren wie Einkommen und Alter für das Einsamkeitsempfinden eine Rolle spielen und das Einsamkeitsempfinden selbst negative Auswirkungen auf die Gesundheit, aber etwa auch auf das Vertrauen in politische Institutionen haben kann.
Trotz solcher umfassenden Berichte mangelt es im Forschungsfeld insgesamt aber noch an Zeitreihenanalysen und repräsentativen Daten – sowie an einer umfassenden Betrachtung des Phänomens über die Frage der Häufigkeit hinaus. So wäre wünschenswert, die Ursachen für Einsamkeit stärker in den Blick zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund lassen sich weitere Herausforderungen für die Einsamkeitsforschung anführen. Auf begrifflich-konzeptioneller Ebene zeigt sich, dass je nach Fachrichtung unterschiedliche Begriffsverständnisse kursieren. Am häufigsten wird die Definition der Psycholog*innen Daniel Perlman und Letitia Anne Peplau verwendet: „In our view loneliness is the unpleasant experience that occurs when a person’s network of social relations is deficient in some important way, either quantitatively or qualitatively.“
Kritische Überlegungen lassen sich auch zu den methodischen Standardverfahren anstellen, die sich am Differenzverständnis orientieren. Unter diversen Messinstrumenten wird zur Erfassung der Häufigkeit von Einsamkeit in der Regel auf die Einsamkeitsskala der University of California (UCLA Loneliness Scale) zurückgegriffen. Diese wird beispielsweise im Sozio-oekonomischen Panel verwendet, einer groß angelegten, repräsentativen Wiederholungsbefragung der deutschen Bevölkerung. Häufig wird aber nur eine Kurzform der Skala mit lediglich drei Frage-Items eingesetzt („Wie oft haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Gesellschaft anderer fehlt?“; „Wie oft haben Sie das Gefühl, außen vor zu sein?“; „Wie oft haben sie das Gefühl, dass sie sozial isoliert sind?“) und anhand von berechneten Schwellenwerten auf Einsamkeit geschlossen. Diese Standardverfahren dienen dann oft als Kronzeugen für die Feststellung, dass das Gefühl von Einsamkeit stark verbreitet sei. Doch schon die Formulierungen der Fragen legen eine Vermengung von Einsamkeit, Isolation und Alleinsein nahe und dienen wenig dazu, die Qualität von sozialen Beziehungen zu erfassen. Irritierend ist zudem, dass der Begriff, um den es eigentlich geht, in den Fragen gar nicht vorkommt. Das indirekte Vorgehen wird damit begründet, dass der emotional aufgeladene und potenziell stigmatisierende Begriff „Einsamkeit“ Abwehrhaltungen und Antwortverzerrungen begünstigen könnte.
Ein letzter Kritikpunkt bezieht sich auf die allgemeine Stoßrichtung der Einsamkeitsforschung, über quantitative Methoden und statistische Verfahren vor allem auf die Ermittlung der Einsamkeitsbetroffenheit zu fokussieren. Ähnlich wie bei wissenschaftlichen Diskursen zu Angst oder Burnout reicht die Feststellung einer zahlenmäßigen Zu- oder Abnahme nicht aus, um das Problem zu erfassen. Vielmehr müssen dahinterliegende Kontexte und Prozesse, die potenziell zu Einsamkeit beitragen, nachvollzogen werden. Das heißt, es ginge nicht mehr nur um das „Was“, sondern auch um das „Wie“ – also zu den Fragen, was Einsamkeit hervorruft, wie sie erlebt wird, welche Funktion sie hat und inwieweit die verstärkte Aufmerksamkeit für das Phänomen selbst eine Rolle spielt. Unsere folgenden Ausführungen sind ein Versuch in diese Richtung.
Kontexte und Formen des Einsamkeitserlebens
In den vergangenen drei Jahren haben wir mehrere qualitative Studien zur Einsamkeit in der digitalen Lebens- und Arbeitswelt sowie zur Rolle von Wohnformen und sozialen Netzwerken für das Einsamkeitsempfinden erstellt.
Gefühl inneren Verlorenseins
„Es kann aber auch sein, dass man in einem total guten Umfeld ist und trotzdem sich einsam fühlt. Und diese innere Zerrissenheit oder die Probleme, die man gerade so hat, nicht so annehmen zu können, also so verloren in den eigenen Gefühlen vielleicht.“ (Enna, 21 Jahre)
Diese Form des Einsamkeitserlebens zeigt sich vor allem bei befragten jungen Menschen, die sich selbst als chronisch einsam bezeichnen oder intensiv empfundene Einsamkeitsepisoden kennen. Typisch für die Lebensphase der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die Ablösung vom familiären Herkunftsmilieu und der Übergang in die höhere Bildung beziehungsweise ins Erwerbsleben. Im Übergang zum Studium zum Beispiel sehen sich junge Menschen sowohl mit neuen milieuspezifischen Normen und Erwartungen der Selbstverwirklichung und Autonomie als auch mit Herausforderungen der sozialen beziehungsweise beruflichen Positionierung konfrontiert. Es ist eine Zeit des Probierens und Neuorientierens mit dem Risiko, dass soziale Leerräume entstehen.
So sieht Maggy (20 Jahre) den Ausgangspunkt ihrer Einsamkeitsempfindungen etwa darin, „dass so ne Art Basis weggebrochen ist“. Auch Prüfungs- oder andere Bewährungsphasen werden mit Einsamkeit assoziiert, liegen doch im hohen Leistungsethos auch Potenziale des Scheiterns, die sich auf die eigene Entwicklung auswirken. So bedeutet Einsamkeit für Enna (21 Jahre) „einfach die Schwierigkeiten, die man so hat, nicht als Vorteil für seine persönliche Entwicklung zu sehen, sondern halt irgendwie da so stecken zu bleiben“. Sie ist in dieser Zeit geplagt von Selbstzweifeln und -vorwürfen: „Du schaffst nie, was du dir vornimmst, du musst mehr schaffen, du musst früher aufstehen!“
Es zeigt sich, dass Statuspassagen zunehmend selbstgesteuert sind. Bei Lara (23 Jahre) sind diese Prozesse beispielsweise mit „Overthinking“ und negativen Gedankenspiralen verbunden, die „dann irgendwann tatsächlich in Einsamkeit übergehen“. Das Einsamkeitsempfinden zielt hier also nicht auf das soziale Netzwerk, wie es gängige Einsamkeitsdefinitionen nahelegen würden, sondern ist nach innen gerichtet und entsteht in gedanklichen Auseinandersetzungen zwischen eigenen Wünschen, Erwartungen und Bedürfnissen sowie äußeren und institutionellen Erwartungen oder Anforderungen. Wichtig ist dabei auch, dass Einsamkeit mit der tiefen Angst verbunden ist, dass Identitätsentwürfe ins Leere laufen. Die betroffenen Personen haben das Gefühl, nicht authentisch zu leben, nicht sie selbst sein zu können oder dass andere ein besseres, erfüllteres Leben führen.
Insbesondere der digitale Raum steigert die Möglichkeiten des sozialen Vergleichs und wird deswegen als Gefahrenquelle für Einsamkeit antizipiert. Entsprechend lassen sich Formen des „Digital Detox“ als Bewältigungsstrategie ausmachen. Außerdem zielen therapeutisch angeleitete Interventionen auf einen bewusste(re)n Umgang mit eigenen Bedürfnissen.
Stigmatisierung und Selbstisolation
„Ich war für mich einsam unter Menschen gewesen, weil eigentlich hätte ich doch schon mal Lust gehabt, mit einigen Leuten dann zu reden oder sowas. Aber meine eigene Angst war da zu stark.“ (Clemens, 27 Jahre)
Eine andere Bedeutung kommt Einsamkeit im Kontext von erlebter Stigmatisierung oder Diskriminierung zu. So berichten Betroffene von Mobbing und Ausgrenzung aufgrund von Armut, körperlicher Beeinträchtigung oder Rassismuserfahrungen. Zentral ist hier, dass Einsamkeit nicht primär an Zeiten, Häufigkeiten oder Kontaktdichte geknüpft ist, sondern sich als vertrautes Lebensgefühl erweist, das zu einem Bestandteil der eigenen Biografie geworden ist. „Ich kann viel von Einsamkeit erzählen. Mein halbes Leben ist von Einsamkeit geprägt“, berichtet Lucas (21 Jahre).
In dieser Variante wird insbesondere die Nicht-Achtung und Abwertung der eigenen Person durch andere als Einsamkeit erlebt. Wenn Clemens (27 Jahre) das Gefühl hat, „dass dich niemand ernst nimmt“, Benisha (25 Jahre) das offenkundige Desinteresse anderer Menschen an ihrer Person beschreibt („I’ve not encountered any German young person who has at least given a smile when we’re walking by“) oder Kai (39 Jahre) berichtet, mit welchem Abscheu man ihm aufgrund einer sichtbaren Behinderung begegnet, dann scheint die „Gefühlsbrücke“ zwischen ihnen und den anderen Menschen nachhaltig eingerissen zu sein. Als Konsequenz droht die Gefahr der Selbstisolation.
Kai hatte immer Schwierigkeiten, „Leute kennenzulernen“, denn „je mehr schlechte Erfahrungen man macht, desto mehr versucht man’s ja erst gar nicht“. Die Flucht ins Alleinsein ist eine notgedrungene Bewältigungstechnik zum Schutz der eigenen Person, wie es zum Beispiel bei Benishas Erfahrungen und Vorsätzen zum Ausdruck kommt: „I feel like I get isolated and I feel I don’t belong there … so I stopped doing that and now I’m trying to be more alone and happy with it“.
Berufliche (Anerkennungs-)Krisen
„Ich war 40 Jahre im Unternehmen, ich habe das [die Arbeit im Gesundheitssektor, Anm. d. Aut.] auch nach der Wende, auch nach Trägerwechseln gern gemacht. Und ich habe eben auch da jeden gekannt. Ja, und meine Meinung war gefragt. Und dann wird man krank, und dann rutscht man auf einmal ganz nach unten. Und das tut weh. Und das macht einsam.“ (Bettina, 59 Jahre)
Eine weitere spezifische Ausprägung des Einsamkeitserlebens bezieht sich auf Erfahrungen in der Arbeitswelt. Einsamkeitserfahrungen wirken sich negativ auf Arbeitsleistung, Arbeitszufriedenheit sowie das Verhältnis zwischen Arbeitenden und Vorgesetzten aus und erhöhen das Potenzial krankheitsbedingter Ausfälle durch mentale Belastungen deutlich.
Aber auch die krankheitsbedingte Beendigung einer langjährigen und gern ausgeübten Tätigkeit kann Einsamkeit zur Folge haben. „Da kann man lernen, einsam zu sein“, berichtet Anneliese (58 Jahre) in Bezug auf ihre Erfahrungen nach einer Krebserkrankung und erzwungenen beruflichen Neuorientierung.
Einsamkeit ist aber auch Ausdruck von fehlender Anerkennung und Entpersonalisierung, wenn Berufstätige befürchten, auf ein funktionelles Arbeitssubjekt reduziert zu werden. Bettina (59 Jahre) bedauert etwa, dass durch technische Innovationen und Digitialisierungsprozesse der „Mensch nicht mehr wertgeschätzt“ werde, „sondern einfach nur die Zahl, die dahinter steht“.
Im Umgang mit der Bedrohung der beruflichen Identität und infolge einsamkeitsfördernder Anerkennungskrisen suchen Betroffene vermehrt therapeutische Beratung. Psychologische Diagnostiken, etwa Burnout oder Depression, ermöglichen die Annahme einer sozial tolerierten Krankenrolle als befristete Exit-Strategie,
Freiheiten des Alters und deren Grenzen
„Ich bin immer einsam, ich wohne hier ganz alleine … aber ich bin nicht todkrank einsam. Ich habe einen stressigen Beruf gehabt und finde, das ist jetzt alles so irgendwie in Ordnung mit meinem hohen Alter.“ (Martha, 83 Jahre)
Eine von Ambivalenzen geprägte Variante des Einsamkeitserlebens zeigt sich schließlich bei älteren meist verwitweten Frauen. Sie befinden sich in der Phase des Rentenalters, in der die Ausgestaltung von freier Zeit als Herausforderung empfunden werden kann. Vor dem Hintergrund antizipierter Erwartungen an Selbstständigkeit, gesundheitliche Stabilität und Nicht-Sorgebedürftigkeit wird Einsamkeit und das Alleinsein als erwartbare Folge dieser Lebensphase gedeutet. So erzählt Martha (83 Jahre) mit Blick auf ihre im Berufsleben stehenden Enkel, sie könne „doch nicht erwarten, dass sie sich irgendwie kümmern“. In der Folge lassen sich Bemühungen erkennen, Einsamkeit vehement abzuwehren und von sich zu weisen. „Wenn ich einsam bin, das lasse ich nicht zu, ich will das nicht“, stellt Vera (81 Jahre) unmissverständlich klar. Sie müsse „eben nach Möglichkeiten suchen, wo ist heute eine Veranstaltung, wo kannst du hingehen?“ In ähnlicher Weise sieht es Martha als eine „Frage der Disziplin“, Einsamkeit zu begegnen, und aktiviert alte Bekanntschaften.
Mitunter wird das Alleinsein im Zuge der Ent-Bindung und Freisetzung aus beruflichen und ehelichen Rollenkonstellationen mit neuen Möglichkeiten der Individualisierung in Verbindung gebracht und im Kontext von Handlungsfreiheit und -mächtigkeit positiv besetzt. So hat sich Vera entschieden, in die Stadt zu ziehen, schließlich möchte sie „Kultur erleben“.
Die Vorteile gewonnener Freiheiten stoßen allerdings an Grenzen, wenn die familiären Beziehungen sowie die ohnehin raren Rollenangebote – etwa als Großmutter – zu erodieren drohen und Kinder und Enkel die eigenen Initiativen ablehnen. So beklagt Heidi (94 Jahre): „Und, wenn du keinen hast, und der Rest hat Besuch, dann gehst du in dein Zimmer und heulst nur.“
Gleichzeitig bergen auch gesundheitlich und körperlich bedingte Mobilitätseinschränkungen Vereinsamungsgefahren. So können sich selbst gut gemeinte Initiativen wie Mehrgenerationenhäuser zu „Einsamkeitshotspots“ entwickeln. Eva (86 Jahre), Bewohnerin einer solchen Einrichtung, hatte „früher besseren Kontakt“, doch schafft sie es heute infolge eines Beckenbruchs „nicht mehr so zu anderen zu gehen … es geht einfach nicht mehr“. Angesichts von Personalmangel und Überlastung hilft häufig auch der Kontakt mit dem Pflegepersonal nicht, Einsamkeitsgefühle einzudämmen. „Früher sind sie öfter ins Zimmer reingekommen und haben mal geguckt … aber ist eben nicht mehr so“, berichtet Heidi.
Empirische Orte der Einsamkeit
Die vorgestellten Schlaglichter und Beispiele für unterschiedliches Einsamkeitserleben sollten eines verdeutlicht haben: Um die Einsamkeit in unseren Tagen besser verstehen zu können, lohnt es sich, die Logiken des Einsamkeitserlebens je nach Lebensalter, -situation und normativer Orientierung zu erschließen. Die Beispiele zeigen, dass Einsamkeit viele Facetten hat und mit unterschiedlichen Gefühlslagen, Bedeutungsgehalten und Kontexten assoziiert wird. Einsamkeit kann unter anderem eine Folge von Selbstisolation sein, in die man sich geflüchtet hat, um sich vor sozialer Missachtung zu schützen; sie kann aus einem Gefühl der Fremdheit oder fehlender Geborgenheit resultieren; und sie kann schließlich als elementarer Bestandteil des eigenen Lebens angenommen, aber auch vehement abgewehrt werden.
Trotz der Vielschichtigkeit des Einsamkeitserlebens zeigen sich bestimmte Muster und Gemeinsamkeiten. So verweisen die bisherigen Erkenntnisse darauf, dass Einsamkeit vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung, Bewahrung und Bedrohung von individueller wie sozialer Identität sowie unter dem Aspekt von Anerkennung und Wertschätzung im persönlichen wie beruflichen Kontext thematisiert wird. Es lässt sich somit festhalten: Menschen beschreiben Einsamkeit erstens nicht immer als unerwünschten Zustand. Zweitens werden Begriffe wie „Einsamkeit“, „Alleinsein“ oder „Isolation“ nur unscharf getrennt und je nach Sprecher oder Sprecherin unterschiedlich verwendet. Drittens können Einsamkeitserfahrungen trotz eines stabilen sozialen Netzwerks entstehen.
Wenn Einsamkeit, wie in der Forschungsliteratur angenommen, ein subjektives Gefühl ist, dann ist von einer Bandbreite unterschiedlicher Bedeutungs- und Erfahrungsgehalte auszugehen, die sich in modernen Gesellschaften durchaus überlagern. Das (subjektive) Gefühl der Einsamkeit ist von einer einsamen Lebensführung zu unterscheiden – so wie wir analytisch Glück von einem gelingenden Leben unterscheiden. Menschen können unter dem negativen Gefühl der Einsamkeit leiden, müssen aber dennoch kein einsames Leben führen.
Diese Veränderung des Blickwinkels – weg von punktuellen Messungen, hin zu einer prozesshaften Perspektive auf die Lebensführung –, könnte eine Tür zu neuen Erkenntnissen öffnen. Unabhängig davon, ob wir tatsächlich im Zeitalter der Einsamkeit leben oder nicht: Erst in einer umfänglichen Betrachtung der gesellschaftlichen Realität, in der sämtliche Aspekte des sozialen Miteinanders berücksichtigt werden, lässt sich das Phänomen Einsamkeit verstehen und den Betroffenen besser helfen.