Staatliche Neugründungen pflegen über ihre Entstehungsdaten tradiert zu werden. Die USA und die Französische Republik begehen seit bald 250 Jahren den 4. beziehungsweise 14. Juli, und in Deutschland besetzt der 9. November als Tag des Revolutionsausbruchs bis heute den Gedächtnisort für den Umbruch vom Kaiserreich zur Republik. Aber die Erinnerung an den historischen Umbruch von der Barbarei zur Zivilisation nach dem Zweiten Weltkrieg bildet eine Ausnahme – sie würdigt ungleich stärker das Ende als den Anfang. Der 8. Mai als Tag des Untergangs Hitlerdeutschlands ist fest im öffentlichen Gedächtnis verankert; der Neubeginn nach 1945 ist es nicht, er erscheint eigentümlich ortlos und zeitverloren.
An seine Stelle ist die zeitweilig sehr umstrittene Rede von der „Stunde Null“ getreten, die allzu leicht die vielen Kontinuitätslinien von der NS-Zeit nach Nachkriegsdeutschland überdeckt, aber doch das zeitgenössische Empfinden eines totalen Bruchs mit dem Gewesenen von der staatlichen Verfassung über den gesellschaftlichen Denkhorizont bis zur eigenen Lebensgeschichte in prägnanter Weise zum Ausdruck bringt.
Gründungsakte
Das Ende dieser „Niemandszeit“ oder „Wolfszeit“ (Harald Jähner) wird gern auf die Gründung der beiden deutschen Staaten im Mai beziehungsweise Oktober 1949 datiert. Unterschiedlicher hätten beide Ereignisse allerdings nicht begangen werden können. Der Gründungsakt der Bundesrepublik und die Wiederanknüpfung an ihre helle, wenngleich kurzlebige demokratische Tradition von 1848 beziehungsweise 1919 bis 1933 fand unter denkbar nüchternen Umständen statt, und nichts von dem, was 75 Jahre später dem Tag der Verkündung des Grundgesetzes an Pathos beigelegt werden sollte, prägte das Geschehen am 23. Mai 1949. „Mit der entscheidenden Abstimmung im nordrhein-westfälischen Landtag ist das ‚Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland‘ angenommen worden und bedarf zu seiner Inkraftsetzung nur noch der Verkündigung durch den Parlamentarischen Rat“, berichtete die Tagespresse eher beiläufig darüber, dass tags zuvor die Bundesrepublik gegründet worden war. Sie wich auch in ihrer Berichterstattung über die Akklamation der Länder nicht von ihrer kühlen Berichterstattung ab, die in denkbar stärkstem Kontrast zu jener von Anton von Werner im triumphalen Bild festgehaltenen Szene stand, mit der ein knappes Dreivierteljahrhundert zuvor die deutschen Bundesfürsten im Spiegelsaal von Versailles den preußischen König Wilhelm zum Deutschen Kaiser gekürt hatten.
Von Jubelstimmung und Zukunftszuversicht war an diesem bewölkten und leicht regnerischen Geburtstag der zweiten deutschen Demokratie nichts zu lesen. Weit wichtiger erschien der Publizistik in diesen Tagen die Aufhebung der Berlin-Blockade und die Suche nach einer einheitlichen Position der Westmächte zur „deutschen Frage“. Damit folgte sie allerdings nur einer in der Bevölkerung weitverbreiteten Stimmung. Den Parlamentariern war durchaus bewusst, dass sich der „Mann auf der Straße“ kaum darum kümmerte, was in Bonn beraten wurde;
Gänzlich anders vollzog sich die nachholende Staatsgründung, die am 7. Oktober 1949 die SBZ in die DDR verwandelte. „In einer Atmosphäre, die von dem Bewußtsein des historischen Augenblicks erfüllt war, konstituierte sich am Freitagnachmittag 17.30 Uhr im großen Festsaal des Hauses der DWK [Deutschen Wirtschaftskommission] die Provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik“, ließen die ostdeutschen Tageszeitungen ihre Leser an der Geburt des zweiten deutschen Staates teilhaben. Zum zeremoniellen Pathos trat die vorgespiegelte Einmütigkeit, die sich markant von den Zwistigkeiten abhob, unter denen wenige Monate zuvor das Bonner Grundgesetz verabschiedet worden war: „Die Provisorische Volkskammer nahm einstimmig ein Gesetz an, durch das die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft gesetzt wird.“
In den folgenden vier Jahrzehnten blieb der Jahrestag der Staatsgründung in der DDR ein Legitimationsfaktor ersten Ranges, dem eine entsprechend herausgehobene Rolle im Feierkalender zukam. Jahr um Jahr wurde der „Republikgeburtstag“ zu Leistungsschauen genutzt, in denen Erfolgsbilanz und Mobilisierungsappell Hand in Hand gingen
Auf der anderen Seite der deutsch-deutschen Grenze hingegen fanden die Jahrestage der Grundgesetzunterzeichnung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit über Dezennien kaum Erwähnung, wie die DDR-Presse etwa 1969 selbstzufrieden notierte: „Warum hat Bonn nicht gefeiert? Es gibt bei uns kaum jemanden, der nicht Anteil nähme am 20. Jahrestag der Republik. Unser ganzes Volk in der DDR feiert den Geburtstag seines Staates. Die meisten werden gar nicht daran gedacht haben, daß der 20. Jahrestag des westdeutschen Staates schon vorbeigegangen ist. Man hat es nicht bemerkt, denn er wurde nicht gefeiert. Da überhaupt kein Staatsfeiertag an die Gründung der Bundesrepublik erinnert, weiß man nicht so recht, welches Datum man eigentlich nennen soll. Den 8. Mai 1949, als der Parlamentarische Rat das Grundgesetz annahm? Oder den 23. Mai, an dem es in Kraft gesetzt wurde? Oder den 7. September, als der Bundestag in Bonn zusammentrat? Meistens wird das letzte Datum genannt. Doch dieser Tag ging unbeachtet vorbei, kaum daß diese oder jene Zeitung das Datum erwähnte.“
Urknall und Umbrüche
Doch gleichviel, ob bombastisch inszeniert oder weitgehend marginalisiert – die Erinnerung der Nachkriegsdeutschen an den Wiederaufstieg haftete hüben wie drüben weniger an staatlichen Traditionsdaten denn an sozialen Einschnitten. Für die Westdeutschen wurde die am 20. Juni 1948 in Kraft getretene Währungsreform im Rückblick zum mythischen „Urknall“, und er verband sich mit der Erfahrung der vier Tage später beginnenden Berlin-Blockade und der Luftbrücke. Zusammen vermittelten beide Ereignisstränge den Bewohnern der Westzonen und der Westsektoren die Erfahrung, wieder in die zivilisierte Welt aufgenommen zu sein. „Neue Preise – Neue Währung“,
Einen gleichermaßen prägnant erfahrenen und erinnerten „Urknall“ kannte der Neubeginn in Ostdeutschland nicht, dafür aber gleich zwei einschneidende Zäsuren, deren erste sich mit dem Begriff der „neuen Zeit“ verbindet: In der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschte in Ostdeutschland sehr viel dezidierter als in den Westzonen das durch die sowjetische Besatzungsmacht gestützte Empfinden vor, dass es nun gelte, das Schicksal wieder in die eigene Hand zu nehmen und mit der Katastrophenvergangenheit des NS-Regimes vorbehaltlos abzurechnen. Mit der Roten Armee kam nicht nur die Repression in das auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 festgelegte sowjetische Besatzungsgebiet, sondern auch die Hoffnung auf die Schaffung einer neuen, besseren Gesellschaft. Der Wille zum antifaschistischen Neuaufbau des verheerten Landes trieb die aus den Zuchthäusern und Konzentrationslagern befreiten Häftlinge an, die unverzüglich in ihre Heimatstädte oder nach Berlin strömten, um dort auf ihren Einsatz für die neue Zeit zu warten oder auf eigene Faust – alsbald aufgelöste – antifaschistische Komitees und Büros zu gründen. Für viele Nachkriegsdeutsche und insbesondere für zahlreiche in der NS-Zeit ins Exil Getriebene wurde die SBZ zum Hoffnungsort eines neuen und besseren Deutschlands. Der Glaube, dass nicht in den westlichen Besatzungszonen, sondern im sowjetisch beherrschten Gebiet der bessere deutsche Staat entstünde, fand Nahrung in einer sowjetischen Kulturpolitik, die sich zumindest bis 1947 durch „erstaunliche Liberalität“ und „bemerkenswerte Zurückhaltung“ (so der Historiker Maximilian Becker) auszeichnete und auf Befehl der sowjetischen Militäradministration bereits am 16. Mai 1945 für die Öffnung der Berliner Theater sorgte. Bereits im Juni wurde der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung“ gegründet. Nicht zur künstlerischen Avantgarde, sondern zum klassischen Bildungsschatz als „Wiederbelebung des humanistischen deutschen Geistes“
Theodor Fontanes Wort „Ich fang erst an!“ ging dem befreiten KZ-Häftling Fritz Selbmann durch den Kopf, als er in Leipzig die sowjetischen Soldaten auf Panjewägelchen lachend in die Stadt einziehen sah, die bis Ende Juni 1945 von den Amerikanern besetzt war. Denen aber hatte sich Selbmann verweigert: „Wir müssen und werden mit Ihnen zusammenarbeiten, wenn … ja, wenn Sie uns die Möglichkeit geben, mit dem Alten vollständig aufzuräumen und ein neues, wirklich demokratisches Leben in Deutschland aufzubauen.“
Den zweiten Umbruch markiert der seit 1947/48 immer stärker werdende Anpassungsdruck an die stalinistische Doktrin, nachdem im Frühjahr 1947 letzte aussichtsreiche Bemühungen um eine deutsche Einigung auf Länderebene gescheitert waren und die Siegermächte sich im Herbst desselben Jahres in London nicht mehr auf eine gemeinsame Deutschlandpolitik einigen konnten. An ihre Stelle trat die bipolare Blockkonfrontation und mit ihr die Zwei-Lager-Theorie, die sich aus westlicher Sicht als Konkurrenz von demokratischem und totalitärem System darstellte und in östlicher als Kampf zwischen imperialistischer und antiimperialistischer Hemisphäre. Die SED entwickelte sich zu einer Partei neuen, nämlichen sowjetischen Typs, ihr Vordenker Anton Ackermann widerrief nach einer entsprechenden Entschließung des SED-Parteivorstandes vom September 1946 die von ihm selbst propagierte These vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“,
Weniger der im Feierkalender der DDR verankerte Gründungstag des zweiten deutschen Staates prägte die Erinnerung an den Neubeginn als vielmehr jene Parteikonferenz der SED, auf der Walter Ulbricht im Juni 1952 den planmäßigen Aufbau eines Sozialismus verkündete, dessen Härte geradewegs in den Juni-Aufstand 1953 führte. Die Niederschlagung dieses mit Ausnahme der Intellektuellen in breiten Schichten der DDR-Bevölkerung offen oder heimlich unterstützten Aufbegehrens gegen die Macht wurde von der SED-Führung als feindlicher Putsch und faschistische Provokation denunziert und führte doch unverhüllt den Zwangscharakter des sozialistischen Regimes vor Augen. Anders als in der Bundesrepublik, die den gescheiterten Aufstand als allmählich in Ritualisierung erstarrenden Feiertag der deutschen Einheit und der eigenen demokratischen Identität beging, blieb der 17. Juni in der DDR „ein traumatisch besetztes Datum“,
Sinnstiftung in der Systemkonkurrenz
Doch niemals beruhte Herrschaft in der DDR allein auf Repression. Immer stand hinter ihr das Credo einer Diktatur, die ihre Macht auf die in permanenten Konsensritualen beglaubigte Zustimmung der Bevölkerung zu gründen glaubte, der sie gleichwohl bis zum Ende nicht über den Weg traute. Vor diesem Hintergrund blieb der „Legitimationsantifaschismus“ (Jürgen Danyel) die sich durch alle politischen Wandlungen hindurch gleichbleibende Raison d’Être des zweiten deutschen Staates. Er war fraglos machtgeschützt und wurde instrumentell verwendet, aber er besaß als sinnstiftender Denkhorizont dennoch bis über das Ende der DDR hinaus ein glaubwürdiges Legitimationspotenzial, das weit über die Anziehungskraft des Marxismus-Leninismus oder sozial- wie nationalstaatliche Abgrenzungsversuche gegenüber der Bundesrepublik hinausreichte. Im Glauben an die moralische Überlegenheit der als antifaschistischer Staat gegründeten DDR über die als restaurativ begriffene Bundesrepublik und ihre unbewältigte Vergangenheit suchte Christa Wolf rückblickend die Antwort, warum es die Demokratiebewegung in der DDR so schwer gehabt habe: „Weil wir als sehr junge Menschen, aufgewachsen im Faschismus, erfüllt waren von Schuldgefühlen und denen dankbar waren, die uns da herausgeholt hatten. Das waren Antifaschisten und Kommunisten, die aus Konzentrationslagern, Zuchthäusern und aus der Emigration zurückgekehrt waren und die in der DDR mehr als in der Bundesrepublik das politische Leben prägten. Wir fühlten eine starke Hemmung, gegen Menschen Widerstand zu leisten, die in der Nazizeit im KZ gesessen hatten.“
Als spiegelbildlicher Basiskonsens der Bundesrepublik diente das Antitotalitarismus-Konzept, in dem auf der anderen Seite das antikommunistische und demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik in der Zeit der stillen Modernisierung seinen Ausdruck fand und sie von der DDR abzugrenzen half. Der Logik des Kalten Krieges folgend, erlaubte es, der Abrechnung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nur geringe Aufmerksamkeit zu schenken, aber umso mehr dem Bemühen, die historische Erfahrung der NS-Diktatur umstandslos gegen die kommunistische Linke ins Feld zu führen: „Wenn die Bundesregierung entschlossen ist, dort, wo es ihr vertretbar erscheint, Vergangenes vergangen sein zu lassen, in der Überzeugung, daß viele für subjektiv nicht schwerwiegende Schuld gebüßt haben, so ist sie andererseits doch unbedingt entschlossen, aus der Vergangenheit die nötigen Lehren gegenüber all denjenigen zu ziehen, die an der Existenz unseres Staates rütteln, mögen sie nun zum Rechtsradikalismus oder zum Linksradikalismus zu rechnen sein“, erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung vom 20. September 1949.
Seine tabuisierende Kraft bewies der bundesdeutsche Antitotalitarismus, indem er das Bild des christlichen und konservativen Widerstands ebenso von unwillkommenen Zügen zu reinigen erlaubte, wie es der Antifaschismus in Bezug auf den kommunistischen Widerstand vermochte. Die von kritischen Zeitgenossen wie Dolf Sternberger schon früh als „vitale Vergeßlichkeit“
Seit den frühen 1960er Jahren wich das mit dem Neubeginn nach 1945 verknüpfte Glück des Wirtschaftswunders und der stillen Integration in die Nachkriegsordnung einer immer nachdrücklicheren Neubefragung. „Daß Antikommunismus keine Politik ist, weiß jeder, der von seinem Gehirn Gebrauch zu machen versteht“, befand Hans Magnus Enzensberger 1967
1958 kam das Schlagwort von der „unbewältigten Vergangenheit“ auf; im selben Jahr störte die Schändung der Kölner Synagoge durch nazistische Schmierereien Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik nachhaltig auf. Der Prozess gegen den in seinem argentinischen Versteck vom israelischen Geheimdienst aufgespürten Adolf Eichmann in Jerusalem 1961, der sogenannte Ulmer Einsatzgruppenprozess und der Frankfurter Auschwitzprozess in den darauffolgenden Jahren ließen mit dem wachsenden zeitlichen Abstand das Bewusstsein für die Ungeheuerlichkeiten des Nationalsozialismus in der Öffentlichkeit deutlicher werden. Am Ende desselben Jahrzehnts und unter dem Eindruck der Studentenbewegung, die die Frage nach der „Schuld der Väter" stellte, wich dann allmählich die Abwehr durch Marginalisierung einer in Schüben immer weiter ausgreifenden Bereitschaft, sich der Vergangenheit zu stellen. Befördert durch Medienereignisse wie die im Januar 1979 ausgestrahlte Fernsehserie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“,
Herausgeforderte Erfolgsgeschichte
Mit der partei- und lagerübergreifenden Durchsetzung eines kathartischen Geschichtsdenkens, das die Shoah gleichsam zum negativen Gründungskonsens der zweiten deutschen Republik werden ließ, wandelte sich der Wirtschaftspatriotismus der Westdeutschen zu einem Verfassungspatriotismus, der durch den Zusammenbruch des SED-Regimes 1989 weiter gestärkt wurde. An das Ende des Kalten Krieges und die hoffnungsvolle Sprengung der inneren und äußeren Grenzen im zusammenwachsenden Europa schloss sich die dreißigjährige Ära einer Zeitgeschichtserzählung an, die die doppelte deutsche Zeitgeschichte vom Fluchtpunkt ihres liberaldemokratischen „Überraschungssiegers“
Das in der Systemkonkurrenz materiell und moralisch unterlegene andere Deutschland hingegen sah sich in dieser Erzählung zum historischen Irrweg und gescheiterten Experiment reduziert, in dem es ein richtiges Leben allenfalls im falschen hatte geben können. Aus dieser Perspektive blieb dem historischen Selbstbehauptungsanspruch der Ostdeutschen kaum mehr, als für eine Unterscheidung von Systemcharakter und Lebenswirklichkeit zu werben, um die eigene Biografie nicht entwertet zu wissen. Stellvertretend für 18 Millionen ehemaliger DDR-Bürger bemühte sich etwa Wolfgang Thierse, dem Leben in der DDR einen Sinn abzugewinnen, der den Vergleich mit dem im Westen nicht zu scheuen brauche: „Es bleibt weiterhin notwendig, was ich seit acht Jahren gewissermaßen als ‚politischer Wanderprediger‘ einfordere“, erklärte Thierse 1998 nach seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten, „nämlich einen Unterschied zu machen zwischen dem Urteil über das gescheiterte System und dem Urteil über die Menschen, die in ihm gelebt haben, leben mußten, und die nicht alle gescheitert sind, gescheitert sein dürfen!“
Bis vor kurzem fand diese Geschichtserzählung wenig Widerspruch, sondern führte lediglich zum Auseinanderklaffen von Diktatur- und Arrangementgedächtnis in der ostdeutschen Erinnerung an die vier Jahrzehnte des Lebens in der DDR.
So verschwand aus dem Blickfeld, dass dem vorherrschenden Denkansatz einer teleologisch angelegten Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik bis zum Ende der deutschen Teilung auch im Westen im Hintergrund immer das Gegenmodell einer ebenso einseitigen Misserfolgsgeschichte gegenübergestanden hatte. Es hatte die Weststaatsgründung in eine repressive Kontinuitätslinie der deutschen und transatlantischen Geschichte eingeordnet, deren bleierne Verhältnisse erst von der Studentenbewegung der sechziger Jahre zum Tanzen gebracht worden seien.
Der Untergang der DDR 1989/90 entzog allen konvergenzorientierten Überlegungen zur deutsch-deutschen Parallelgeschichte den Boden. Erst die mit dem Begriff der „Zeitenwende“