Miteinander reden zu können, ist nicht nur eine Voraussetzung für gelingende soziale Beziehungen im Privaten, sondern auch für das Funktionieren ganzer Gesellschaften. Insbesondere für pluralistische Demokratien ist es keineswegs gleichgültig, ob die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen miteinander kommunizieren können oder nicht. Wer Bürgerinnen und Bürger als zentrale Legitimationsinstanzen in der Demokratie begreift, muss voraussetzen, dass sie gemeinsam über ihre konkurrierenden Auffassungen von guter demokratischer Politik sprechen und streiten können – und bereit sind, sich gegebenenfalls vom besseren Argument der Gegenseite überzeugen zu lassen. Das zumindest ist die Grundidee des „herrschaftsfreien Diskurses“, wie ihn der Philosoph Jürgen Habermas weit über wissenschaftliche Kreise hinaus bekannt gemacht hat.
Doch steht es um die demokratische Diskurskultur derzeit nicht zum Besten. Nicht nur scheinen es sich Teile der Gesellschaft in ihren jeweiligen Diskursblasen und Echokammern bequem gemacht zu haben, auch ganz grundsätzlich stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Konflikten zwischen Meinungsfreiheit und diskriminierender Rede, dem vermeintlichen oder tatsächlichen „Canceln“ unliebsamer Positionen, der populistischen Infragestellung bislang geteilter Normen und Werte und der mitunter vorhandenen Sprachlosigkeit zwischen unterschiedlichen Gruppen in der Gesellschaft. Ob es angesichts des digitalen (Struktur-)Wandels der Öffentlichkeit und eines mutmaßlichen Verlustes an Verständigungsorientierung und Kompromissbereitschaft überhaupt eine Lösung für diese Probleme gibt, scheint völlig offen.
Der vergleichende Blick auf die liberalen Demokratien des Westens zeigt, dass der Verlust von gesellschaftlicher Kommunikationsfähigkeit oft mit einem Verlust an demokratischer Qualität einhergeht. Tief gespaltene Gesellschaften sind meist keine gut funktionierenden Demokratien. Wer dem entgegenwirken will, wird kommunikative und andere Arten der Spaltung überwinden und dabei auch diejenigen einbeziehen müssen, die sich aus dem demokratischen Diskurs zu verabschieden drohen, rationalen Argumenten aber noch zugänglich sind. Im Gespräch zu bleiben ist, hier trifft das Wort tatsächlich einmal zu, alternativlos.