Kaum etwas scheint heute selbstverständlicher, als das Digitale mit dem Einsatz der Computertechnik zu verbinden. Sind wir nicht alle Zeugen des Übergangs von der Gutenberg- zur "Turing-Galaxis"
Mediengeschichtlich wissen wir allerdings, dass ein neues Medium das alte nicht einfach ersetzt und verdrängt, sondern das alte Medium zumeist fortlebt in neuer, veränderter Gestalt. So können wir vermuten, dass die Kulturen des Digitalen die Druckwerke nicht ablösen und überflüssig machen, sondern diesen eine Metamorphose widerfährt. Doch wenn etwas Altes im Neuen fortlebt – findet sich dann umgekehrt das Neue vielleicht auch, jedenfalls ansatzweise, bereits im Alten? Wäre also die Blickrichtung umkehrbar, indem wir nicht fragen, wie Digitalität die Schrift- und Buchkultur verändert hat, sondern umgekehrt, wieviel Digitalität bereits in der Schrift- und Buchkultur enthalten ist?
Genau dies ist unser Ansatzpunkt. Das Digitale, so die These, ist vom Computer ablösbar; die Kulturgeschichte der Digitalisierung und die Kulturgeschichte des Computers fallen keineswegs zusammen. Stattdessen gibt es so etwas wie eine embryonale Digitalität bereits im alphanumerischen Zeichenraum.
"Digital", "Digitalität" und Alphabet
Wenn ein Begriff zur Leerformel zu erstarren droht, lohnt ein wortgeschichtlicher Rückblick. "Digital" ist mit dem lateinischen digitus ("Finger", später auch "Zehe") verwandt. Die Finger einer Hand bilden eine abgegrenzte Menge klar unterscheidbarer Einheiten: Diskretheit und Disjunktivität, also eindeutige Unterscheidbarkeit, sind die wesentlichen Attribute. Und doch ist dies ein noch allzu statisches Bild. Erst Finger in ihrem Zusammenspiel bergen das performative Potenzial der Hand, das verkörperte Tätigwerden als Option. Das Digitale ist somit prozessual zu verstehen: Digitalisierung ist ein Vorgang, der auf der Zerlegung eines Kontinuums beruht, die Codierbarkeit dieser Elemente einschließt und auf deren (Re-)Kombinierbarkeit zielt. "Digitalisierung" meint also jene Transformation, bei der etwas, das als relativ kontinuierlich und also "analog" gelten kann, in Einzelelemente beziehungsweise Einzelschritte aufgespalten wird, die ihrerseits eindeutig chiffrierbar sind und zu variablen Strukturen zusammengefügt werden können.
Vor diesem Horizont wird klar, dass bereits das Alphabet einen Prototypus des Digitalen stiftet. Das Alphabet zergliedert den Lautstrom der Rede. Zwar kommen in der Rede zum Beispiel Pausen zum Atemholen vor, doch für die Leerstellen, Lücken und Absätze im alphabetischen Schriftbild findet sich im Mündlichen kein Vorbild. Die Diskretheit und Disjunktivität, die eindeutige Unterscheidbarkeit der Buchstabenschrift digitalisiert sozusagen das Kontinuum des Sprechflusses und bringt eine Vergegenständlichung und Konkretisierung der Sprache als eine Entität überhaupt erst hervor, die in der Schrift sichtbar wird. Die Überzeugung, dass die verbale Sprache ein von Mimik, Gestik, Prosodie und Deixis
Doch das Alphabet ist mehr als die Notierung der Lautsprache. Es ist ein effizientes Ordnungsregister, das neutral bleiben kann gegenüber den jeweils einsortierten Gehalten. Alphabetisch geordnete Wissenskorpora machen Wissen intersubjektiv adressierbar und zugänglich: Enzyklopädien, Lexika, Wörterbücher, aber auch die Bibliothekskataloge, Konkordanzen und Stichwortregister – von den Telefonbüchern (wer kennt die noch?) ganz zu schweigen – beruhen auf der epistemischen Funktion, Wissen durch alphabetische Sortierung adressierbar und "verwertbar" zu machen.
Mit der alphabetischen Auflistung geht die numerische Zählung Hand in Hand. Die Zahl hat immer schon ein Heimatrecht in den Geisteswissenschaften – wie umgekehrt die Interpretation eines in den Naturwissenschaften, den Sciences, hat. Ohne alphanumerische Notierungen in Werkverzeichnissen, Konkordanzen, bibliografischen Angaben, Autorensignaturen oder historischen Datenangaben sind geisteswissenschaftliche Forschungsgegenstände gar nicht zu haben. Es ist ein Selbstmissverständnis der Geisteswissenschaften, ihre Liaison mit der Zahl und dem Zählen zu verkennen. Ihre gelehrten Praktiken zehren vom Medium der Schrift, die eben nicht nur die Buchstaben-, sondern auch die Zahlenschrift des dezimalen Positionssystems einschließt. Seit dem 13. Jahrhundert werden Konkordanzen, alphabetisch sortierte Listen von zentralen Wörtern eines schriftlichen Werks, erstellt, die als Datenbanken avant la lettre deutbar sind.
Wenn wir hier betonen, dass die embryonale Digitalität des Alphanumerischen ein computerunabhängiges Phänomen ist, so gilt es, noch einen weiteren, zumeist übersehenen Sachverhalt zu berücksichtigen: die "Kulturtechnik der Verflachung", das Phänomen der artifiziellen Flächigkeit beziehungsweise – epistemisch gewendet – die konstitutive Diagrammatizität des Alphanumerischen.
Die Rolle der zweidimensionalen Flächigkeit im alphanumerischen Schriftbild ist verallgemeinerbar. Ohne die grafischen Anordnungsformate von Listen, Tabellen, Diagrammen, Graphen und Karten, kurzum: ohne das zweidimensionale Format des Diagrammatischen sind wissenschaftliche Praktiken undenkbar. Was ein Diagramm ist, mag umstritten sein.
Einem Ariadnefaden gleich durchziehen Techniken diagrammatischer Visualisierungen und Operationalität die gesamte Geschichte unserer Wissenspraktiken, sei es mit der erkenntniseröffnenden Rolle Euklidischer Diagramme in der Geometrie,
Digitalität bei Leibniz
Die alphanumerischen Keimformen des Digitalen treten schon in den Arbeiten des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) in erstaunlich konzentrierter und kondensierter Form zutage. Bei Leibniz, das kann hier nur in äußerster Verknappung angedeutet werden, kreuzen sich verschiedenartige Aspekte, die in ihrer Vielfalt vor Augen führen, welche Bestandteile den Nährboden einer Kulturgeschichte der Digitalisierung bilden. Wir bündeln diese Aspekte zu vier Topoi: Kalkülisierung, Binäralphabet, Rechen- und Chiffriermaschine und schließlich – und bis jetzt noch wenig bedacht – Netz und Vernetzung.
Kalkülisierung
Kalküle sind schriftliche Formalsprachen, bestehend aus einem endlichen Repertoire an Elementen und Regeln ihrer Kombinierbarkeit. Da wir – nach Leibniz – nicht denken können ohne den Gebrauch artifizieller Zeichen, bildet die Kalkülisierung eine folgenreiche Technik, die als Werkzeug geistiger Arbeit einsetzbar ist. Ihr Kunstgriff ist die Ablösung der Zeichenmanipulation von der Interpretation: Die Kalkülregeln beziehen sich auf die äußere Gestalt der Symbole, nicht auf deren Gehalt. So entsteht bei Leibniz die Idee einer allgemeinen Kombinatorik, die aus der syntaktischen Verknüpfung, Transformation und Permutation von Zeichen besteht, deren Semantik variabel ist.
Leibniz unterscheidet zwischen partikulären Kalkülen und einem Universalkalkül des Denkens. Partikuläre Kalküle hat er erfolgreich entworfen, exemplarisch sei etwa sein Infinitesimalkalkül genannt, den wir heute noch beim Differenzieren und Integrieren verwenden. Dessen Potenzial besteht darin, dass die Anwendung seiner Rechenregeln für unendlich kleine oder große Größen unabhängig ist von deren Interpretation, etwa der Frage, ob es eine unendlich große/kleine Zahl als aktuale Größe überhaupt geben kann. Allerdings will Leibniz mehr als partikuläre Bereichskalküle: Er ringt mit der Idee einer universalen Denkmaschine. Wäre es möglich, ein "Gedankenalphabet" zu entwickeln, das auf der Kombinatorik einer abgegrenzten Menge von Grundbegriffen beruht, dann könnte eine universale Maschine des Denkens entworfen werden, die alle möglichen wahren Sätze generiert und von jedem vorgelegten Satz entscheidet, ob er wahr – also korrekt gebildet – oder falsch ist.
Binäralphabet
Leibniz erfand auch das Dualzahlensystem und die darauf beruhenden Rechenregeln.
Rechen- und Dechiffriermaschine
Leibniz entwickelte und konstruierte zudem die erste Vier-Spezies-Rechenmaschine, die Berechnungen in allen vier Grundrechenarten ermöglichte und die er als Modell der Royal Society vorstellte.
Kalkülisierung, Codierung und Mechanisierung greifen also ineinander: Alphanumerische Operationalisierung und technische Maschinisierung verschwistern sich. Kein anderer Denker hat die Familienähnlichkeit zwischen dem Symbolischen und dem Technischen so deutlich erkannt und praktisch ausgelotet wie Leibniz. Seine Ideen einer Synthese des Symbolischen und des Technischen, von Sprache und Maschine, liefern entscheidende Grundlagen der Digitalisierung.
Netz und Vernetzung
In einem letzten, allerdings entscheidenden Schritt gilt es, Leibniz‘ Beitrag zum praktischen und theoretischen Einsatz des Netzes als produktive Organisationsform zu beleuchten.
Leibniz rang mit der Frage, wie zwei Prinzipien zu verbinden seien: einerseits sein ontologischer Individualismus, demgemäß stets nur Individuen, also Einzeldinge existieren; und andererseits seine Annahme eines realen Verbundenseins von allem mit allem. Wie also können Individuen in einem Verbund ohne Preisgabe ihrer Individualität überhaupt zusammenwirken? Wie kann – in der damals gängigen philosophischen Diktion – Einheit durch Vielheit entstehen? Leibniz’ Antwort darauf ist die Vision netzförmiger, sich selbst organisierender Verbindungen von individuellen Elementen.
Verdeutlichen wir uns dies an einigen Beispielen: Metaphysisch birgt zum Beispiel seine "Monadenlehre" diese Idee.
Hinsichtlich der Förderung der Wissenschaften verfolgte Leibniz die Vernetzung von Wissen durch die Dynamisierung des Enzyklopädiegedankens. Das Aufklärungszeitalter ist zugleich das Zeitalter der Enzyklopädien. Jedoch ging es Leibniz nicht nur darum, die Enzyklopädie als holistische Wissensrepräsentation zu konzipieren. Vielmehr verband er damit die Vision einer scientia generalis und einer ars combinatoria,
Wissenschaftspolitisch wiederum realisierte Leibniz die Netzwerkidee 1700 in der ersten Akademiegründung auf deutschem Territorium, der Brandenburger Sozietät der Wissenschaften. Weitere Akademien, wie die in Sankt Petersburg, Wien, Leipzig und Mainz, beriefen sich später auf ihn als ihren Inspirator.
Auch in seinen technischen Entwürfen zeigt sich – jenseits von Rechen- und Chiffriermaschine – eine augenfällige Tendenz zur Kreation netzförmiger, sich selbst regulierender Abläufe. In seinen Planungen zur Bergwerksentwässerung im Oberharz konzipierte er zum Beispiel ein Zusammenspiel von Wasser- und Windkraft, das den Bergbau,
In Leibniz‘ Plänen netzförmiger Organisation komplexer Zusammenhänge finden sich also Entwürfe des wechselseitigen Verbindens von Elementen zwecks Selbstorganisation und Selbststeuerung, ob nun in Form einer abstrakten Monadenmetaphysik, des Enzyklopädiegedankens, der Gründung von Akademien oder in technischer Hinsicht in der Bergbauentwässerung. In gewisser Weise wurde Leibniz damit zum Denker des Kybernetischen avant la lettre, indem er das Netz als eine Architektur favorisierte, die nicht dem Stillstand, sondern der Steigerung von Mobilität und Organisationseffizienz dient.
Pionierinnen des Digitalen
Unsere letzte Sondierung wendet sich zwei Frauen zu, die – wenn auch in ganz unterschiedlicher Hinsicht – zu Vorreiterinnen der Digitalisierung geworden sind: Ada Lovelace (1815–1852), die 1843 das erste lauffähige Computerprogramm entwarf und veröffentlichte, lange bevor der Universalcomputer zur physikalisch realisierbare Maschine wurde; und Josephine Miles (1911–1985), die Forschungsansätze der Digital Humanities vorwegnahm, indem sie quantifizierende Methoden in die Literaturwissenschaft einführte und den Computer als konkretes Werkzeug einsetzte, um genuin geisteswissenschaftliche Forschungsfragen zu bearbeiten.
Ada Lovelace
Ada Lovelace, der Tochter des Dichters Lord Byron und der Aristokratin Anna Milbanke, blieb als Frau der Zugang zu öffentlichen Bildungsinstitutionen verwehrt. Allerdings wurde dies ein Stück weit durch ihre privilegierte Herkunft kompensiert: Sie erhielt Privatunterricht von anerkannten Gelehrten ihrer Zeit in Naturwissenschaften, Mathematik, Sprachen und Musik. Öffentliche Bibliotheken waren ihr – wie allen Frauen – verschlossen, doch ihr Ehemann, William King, Earl of Lovelace, vervielfältigte für sie wichtige Literatur. Und der Besuch von Ausstellungen, Vorträgen und intellektuellen Salons ermöglichte ihr Begegnungen, Gespräche und sich daran anschließende Korrespondenzen mit renommierten britischen Gelehrten und Schriftstellern der Zeit, unter anderem Charles Darwin, Augustus de Morgan (dem ersten Präsidenten der London Mathematical Society), Michael Faraday oder Charles Dickens. Schon als Zwölfjährige bastelte sie einen Flugapparat und imaginierte Dampfkraft als dessen Antrieb. Eine Kunstlehre vom Fliegen, eine "flyology", wollte sie entwickeln – und dies noch vor den Flugkonzepten Otto Lilienthals.
1833 lernte Ada Lovelace den Mathematiker, Ingenieur und Philosophen Charles Babbage (1791–1871) kennen, der den Prototypus einer universellen Rechenmaschine, der "Analytical Engine", erdacht und der Öffentlichkeit vorgestellt hatte. Lovelace erkannte das Potenzial des Entwurfs und bot Babbage ihre Mitarbeit an, aus der sich eine enge Arbeitsbeziehung entwickelte. Zur Förderung des Projekts übersetzte Lovelace einen französischsprachigen Artikel über die Analytical Engine ins Englische und ergänzte diesen um eigenhändige Kommentare und Anmerkungen, die in ihrem Umfang den Originaltext um ein Dreifaches übertrafen.
Dieser Aufsatz – es blieb die einzige veröffentlichte Schrift von Ada Lovelace – markiert die Geburtsstunde des ersten lauffähigen Computerprogramms und der für die Technologie der Datenverarbeitung konstitutiven Scheidung von Hardware und Software. Ada Lovelace war die erste Programmiererin.
Doch ging es um mehr als "nur" um ein Programm, das einen Computer – den es als Realmaschine damals noch nicht gab – instruieren konnte. Die Weitsicht von Lovelace bestand darin, zwischen einer Rechenmaschine, die mit Zahlen arbeitet, und einer Universalmaschine, die mit allgemeinen Symbolen arbeitet, zu unterscheiden. In der ideellen Nachfolge des Leibniz-Programms – das Lovelace vermutlich nicht kannte – verstand sie, dass die symbolmanipulierenden Operationen der Maschine deutungsindifferent sind. Diese Symbole können nicht nur Zahlen repräsentieren – wie Babbage noch annahm –, sondern alle möglichen Objekte, die in Gestalt algebraischer Relationen, also formal, beschreibbar sind. Die Analytical Engine, so Lovelace, sei eine Maschine, die "algebraische Muster webt".
Ada Lovelace thematisierte auch bereits die Grenzen einer solchen Maschine: Da Technik menschliche Tätigkeit nicht ersetzt, sondern sie steigert und ihr assistiert, sprach Lovelace der Maschine Denkleistungen im Sinne einer universellen Künstlichen Intelligenz definitiv ab. Diese verfüge nicht über die Fähigkeit zu Originalität, könne uns also nicht überraschen, sondern bleibe ein dienstbares Werkzeug der maschinellen Kombinatorik für alles, was algebraisch notierbar ist.
Heutzutage hat sich um die Figur der Ada Lovelace geradezu ein Hype entwickelt. Sie ist zur Namensgeberin einer Programmiersprache geworden, einer Kryptowährung, eines renommierten Preises der Association of Women in Computing sowie eines jährlich wiederkehrenden Tages zur Förderung weiblicher Arbeit im MINT-Bereich. Auch zur popkulturellen Ikone, gefeiert in Romanen, Filmen und Installationen, avancierte sie. Ihr eigenes Leben blieb jedoch verschattet. Sie litt unter den Spannungen zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen an die Normen weiblicher Existenz einerseits und ihren eigenen, als unweiblich geltenden Ambitionen auf wissenschaftliche Kreativität und technische Konstruktion andererseits. Krankheiten wurden ihre beständigen Begleiter, und chronische Schmerzen verdunkelten ihren von Schmerzmitteln wie Opium oftmals gelinderten und beherrschten Alltag. Mit 37 Jahren starb sie an Krebs.
Josephine Miles
Machen wir einen Sprung ins 20. Jahrhundert. 1947 wurde Josephine Miles in Berkeley als erste Frau auf eine Lebenszeitprofessur für Literaturwissenschaft berufen.
Doch das Konkordanzprojekt war nur der erste Schritt.
Josephine Miles konnte so unter anderem zeigen, dass der literaturwissenschaftliche Gegenwartsblick häufig die Vergangenheit verzerrt, zumal diese Vergangenheit oft nur in selektiv ausgewählten Werken des Kanons berücksichtigt wird. Diese radikale Selektivität trübt den Blick. Sie konnte etwa die Annahme korrigieren, der Dichter William Wordsworth (1770–1850) habe für die Beschreibung von Emotionen vorrangig Metaphern eingesetzt.
Josephine Miles wurde so in der Tat zur Wegbereiterin der Digital Humanities, aber nicht einfach dadurch, dass sie stupende Textarbeit, wie im Konkordanzprojekt, an die Maschine delegierte. Ihre Innovation war eher eine forschungsmethodologische: Sie konnte zeigen, dass quantifizierende, mithin empirische Arbeit an der Wortoberfläche literarischer Texte für genuin geisteswissenschaftliche Fragestellungen fruchtbar sein und wichtige interpretatorische Revisionen bewirken kann. In den herkömmlichen Ursprungsgeschichten wird häufig Roberto Busa (1913–2011) zum Vater der Digital Humanities erklärt.
Wie wir gesehen haben, beginnt die Digitalisierung also nicht erst mit dem Computer. Keimformen des Digitalen existieren bereits in der Schrift- und Buchkultur. Während Leibniz mit seinen Arbeiten zur Kalkülisierung, zum Binäralphabet, zur Rechen- und Chiffriermaschine und zur Vernetzung entscheidende Schritte auf dem Weg der Digitalisierung geht, bereitet Ada Lovelace die Nutzung des Computers auf entscheidende Weise vor. Josephine Miles setzt ihn dann tatsächlich als Werkzeug für die geisteswissenschaftliche Forschung ein und revolutioniert damit die Literaturwissenschaft. Digitalität hat also nicht nur unsere Schrift- und Buchkultur verändert – ohne diese Kultur wäre auch der Siegeszug des Digitalen in dieser Form kaum möglich gewesen.