Am 30. Januar 1933 marschierten 15.000 SA-Männer durch das Brandenburger Tor und bejubelten Adolf Hitler, der gegen Mittag zum Reichskanzler ernannt worden war. Gleichzeitig protestierten Kommunisten, Sozialdemokraten und Republikaner.
gehoben.
Sobald die Nationalsozialisten staatliche Schaltstellen innehatten, nutzten sie diese zur Machtsicherung und zum Umbau des Staates. Gewalt staatlicher und nicht-staatlicher Akteure unterstützte dieses Ziel. Bis zum Jahresende 1933 nahmen die Nationalsozialisten wohl mehr als 80.000 Personen in Haft. 500 Menschen, vielleicht doppelt so viele, wurden umgebracht oder starben an ihren Misshandlungen.
Rechtlicher Umbau des Staates
Am 30. Januar 1933 notierten Willy Cohn, jüdischer Lehrer und Sozialdemokrat aus Breslau, und Matthias Joseph Mehs, katholischer Gastwirt aus der Eifel, die gleiche Befürchtung: Sie erwarteten einen Bürgerkrieg, danach eine kommunistische Revolution.
Am 1. Februar löste Reichspräsident Paul von Hindenburg den Reichstag auf und setzte für den 5. März Neuwahlen an, die Hitler gefordert hatte. Dieser erwartete eine durch das Volk legitimierte Mehrheit für die NSDAP. Bisher handelten alle Beteiligten formal noch im Rahmen der durch die Praxis des Notverordnungsrechts seit 1930 bereits stark ausgehöhlten Verfassung. Das änderte sich, als der Reichstag am 27. Februar in Flammen stand. Die Regierung nutzte die Gunst der Stunde: Sie beschuldigte die Kommunisten und verhängte mit der "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat", der sogenannten Reichstagsbrandverordnung, den Ausnahmezustand.
Trotz allem war in Deutschland Wahlkampf. Bei den Reichstagswahlen am 5. März wählten 41,8 Prozent der Deutschen die SPD, das Zentrum und die KPD. Die von Hitler sicher geglaubte Mehrheit erreichte die NSDAP (43,9 Prozent) nur mithilfe der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Hitler hielt sich nicht lange mit dem Wahlergebnis auf. Er erklärte seinem Kabinett, es sei nun ein Ermächtigungsgesetz nötig.
Am 23. März verabschiedete der Reichstag mit 444 von 538 Stimmen das Ermächtigungsgesetz ("Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich"). Die SPD lehnte geschlossen mit 94 Stimmen ab. Die KPD-Abgeordneten waren zu diesem Zeitpunkt verhaftet oder untergetaucht und fehlten bei der Abstimmung. Die katholischen Parteien Zentrum und Bayerische Volkspartei stimmten aus Angst und geködert von Hitlers Versprechungen für das Gesetz, ebenso die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) und die Deutsche Staatspartei. Die NSDAP und die Deutschnationalen votierten vorbehaltlos für die gesetzliche Vorlage. Mit der Verabschiedung des Gesetzes war die Gewaltenteilung aufgehoben, die Reichsregierung konnte jetzt ohne Zustimmung des Reichstages regieren. Das Parlament hatte sich selbst ausgeschaltet. Die mutige Ablehnung durch die SPD war eine Tat für die Geschichtsbücher. Die Sozialdemokraten wussten, dass sie das Gesetz nicht verhindern konnten, doch "[d]as Nein zum Ermächtigungsgesetz rettete die Ehre nicht nur der Sozialdemokratie, sondern der deutschen Demokratie überhaupt".
Zwei Wochen später, am 7. April 1933, erließ die Reichsregierung das erste antisemitische Gesetz – bis 1945 sollten 1.400 weitere antijüdische Vorschriften folgen. Das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" verlangte die Entlassung sogenannter "Nicht-Arier" aus dem öffentlichen Dienst und erlaubte die Zwangspensionierung "politisch unzuverlässiger Beamter". Ein am gleichen Tag erlassenes Rechtsanwaltsgesetz ermöglichte es zudem, jüdischen Rechtsanwälten die Zulassung zu entziehen.
Im Sommer 1933 endete der Parteienpluralismus in Deutschland. Kommunisten, die der NS-Verfolgung hatten entkommen können, waren im Untergrund oder im Ausland, ebenso einige Sozialdemokraten. Am 22. Juni untersagte Reichsinnenminister Wilhelm Frick der SPD die weitere politische Betätigung. Alle anderen Parteien lösten sich zwischen dem 27. Juni und 5. Juli auf. Symbolträchtig verboten die Nationalsozialisten am 14. Juli, dem Jahrestag des Sturms auf die Bastille, die Neugründung politischer Parteien und erlaubten nur die NSDAP als einzige Partei im Führerstaat.
Gewalt "von oben" und "von unten"
Gewalt ermöglichte den Nationalsozialisten die Machtsicherung. Damit schalteten sie die Opposition aus, schüchterten die Bevölkerung ein und forcierten den administrativen Druck hin zu radikalen Lösungen.
Besonders hemmungslos gingen die SA-Schläger gegen Kommunisten vor. Rudolf Diels, der Chef der politischen Polizei in Berlin, bekannte Anfang März, dass die Polizei keinen Zugriff mehr auf die Orte hatte, wo die SA politische Gegner festhielt und folterte.
Im März 1933 entstanden die ersten offiziellen Konzentrationslager, unter anderem in Dachau, um überfüllte Gefängnisse zu entlasten. Diese KZs gab es im ganzen Land, sie standen unter Führung der SS, SA oder der entsprechenden Landesregierung. Hier wurden nicht nur Kommunisten, sondern auch andere NS-Gegner interniert und misshandelt. Anders als die späteren Vernichtungslager befanden sich die frühen KZs direkt vor den Haustüren der Deutschen. Die Presse berichtete zur Abschreckung darüber und wollte dabei auch zeigen, wie effektiv gegen vermeintliche Feinde vorgegangen wurde. Inhaftierung, kurzfristige Entlassung und erneute Inhaftierung gehörten zu den willkürlichen Methoden, mit denen die NSDAP ihre Gegner und deren Umfeld zermürbte.
Die Arbeiterbewegung zahlte in der Frühphase des NS-Regimes den höchsten Preis. Verhaftungen, Razzien und das brutale Vorgehen der SA zerschlugen kommunistische Netzwerke in kurzer Zeit. Von Ende Februar bis April 1933 wurden in Berlin 1.500 Kommunisten eingesperrt, in Leipzig kamen 476 Personen in "Schutzhaft", im Rheinland und im Ruhrgebiet verhafteten Polizei und SA 8.000 kommunistische Parteifunktionäre, in Bayern 3.000, im Bezirk Halle 1.400 und in Baden 900.
Auch die sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften blieben von der Gewalt der SA nicht verschont. Überfälle auf Gewerkschaftsführer häuften sich. Selbst die Versuche des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, sich von der SPD abzugrenzen, um näher an das NS-Regime zu rücken, blieben erfolglos. Die Nationalsozialisten führten die Gewerkschaften gnadenlos vor. Zuerst wurde der 1. Mai aufwendig als gemeinsamer "Tag der nationalen Arbeit" gefeiert. Dieses gekonnt inszenierte Schauspiel, das die alte Forderung der Arbeiterbewegung nach dem 1. Mai als einem Feiertag erfüllte, sollte demonstrieren, dass die Arbeiterschaft in das NS-Regime integriert war. Am 2. Mai zerschlugen SA und SS die Gewerkschaften, verhafteten und misshandelten ihre Funktionäre und besetzten Gewerkschaftshäuser und Redaktionen von Gewerkschaftszeitungen. Am 6. Mai kündigten die Nationalsozialisten die Gründung der Deutschen Arbeitsfront an, einer korporativen Zwangsorganisation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Ein Beispiel für eine lokale Gewalteskalation, die für die NS-Führung problematisch wurde, ist die "Köpenicker Blutwoche" Ende Juni 1933 in Berlin. Der Sozialdemokrat Anton Schmaus erschoss in Notwehr drei SA-Männer, worauf SA-Truppen aus Köpenick und Charlottenburg mit einem Rachefeldzug antworteten. Bis zu 500 Personen wurden verschleppt, durch Wohngebiete gejagt, misshandelt und gefoltert. Mindestens 23 Menschen starben. Die Obduktionsberichte zeugen von Gewaltexzessen. Opfer und Täter kannten sich in vielen Fällen. Die "Blutwoche" versetzte die Bevölkerung in Angst und Schrecken, schädigte das Image von SA und NSDAP und steigerte den Druck auf die Parteiführung, das Problem der unkontrollierten Gewalt zu lösen.
Die Gewalt hatte, abhängig von ihrem Ziel, unterschiedliche Funktionen. Antisemitische Gewalt war zur nationalsozialistischen Machtsicherung nicht notwendig, sondern sollte Juden demütigen, verletzen und verunglimpfen, und das in aller Öffentlichkeit.
Schon im März begannen im Ruhrgebiet Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte, die sich rasch ausbreiteten. Um den Druck von unten in eine nationale Aktion zu kanalisieren, entschied sich die NS-Führung zu einem Boykottaufruf am 1. April gegen jüdische Geschäfte und Warenhäuser. Überall in Deutschland standen SA-Männer vor Geschäften mit jüdischen Inhabern, pöbelten Kunden an, beschmierten Schaufenster mit antisemitischen Parolen und scheuten auch vor physischer Gewalt nicht zurück. Manche Geschäfte blieben vorsorglich geschlossen, bei anderen postierten sich deren Besitzer demonstrativ vor der Ladentür. Obwohl viele Deutsche und die internationale Presse die Boykottaktion missbilligten, war sie letztlich ein "Erfolg": Die Unterteilung der deutschen Bevölkerung in jüdische und nicht-jüdische Menschen war damit öffentlich vollzogen.
Die Gewalteskalation in der Frühphase des nationalsozialistischen Regimes war ein zweischneidiges Schwert. Die NS-Führung hatte damit einerseits die Opposition zerschlagen, die Gleichschaltung der Länder betrieben und die eigene Basis motiviert. Lokale Gewalt diente außerdem der Selbstermächtigung von Akteuren und Zuschauern. Andererseits erzeugte die exzessive Gewalt in der internationalen Presse ein negatives Echo und führte zur Verunsicherung bürgerlicher Kreise, wie die "Köpenicker Blutwoche" gezeigt hatte. Die NS-Führung konnte Gewalt nicht einfach an- und ausschalten,
Selbstgleichschaltung
Die NSDAP baute die staatliche Ordnung um und mobilisierte Gewalt gegen politische Gegner sowie die als "rassisch minderwertig" stigmatisierten Juden. So gesehen lässt sich trotz der pseudo-legalen Machtübergabe an die Nationalsozialisten durchaus von einer nationalsozialistischen "Machtergreifung" sprechen.
Diese vollzog sich in einer Reihe von Ritualen und Medien der öffentlichen Zustimmung. Rituale markierten etwa die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler als einen Moment der nationalen Einheit. Ein Beispiel dafür waren die öffentlichen Fackelzüge der NS-Verbände, die nicht nur direkt am 30. Januar in Berlin, sondern in den folgenden Tagen auch in anderen Städten stattfanden. Am Abend des 6. Februar gab es einen Fackelzug der uniformierten Mitglieder von NSDAP und Stahlhelm in Hamburg, an dem etwa "20.000 Braunhemden" teilnahmen. Die gelernte Lehrerin und Hausfrau Luise Solmitz notierte in ihrem Tagebuch den Eindruck, dass dies ein "wunderbar erhebendes Erlebnis" sei. Solmitz hatte 1930 die NSDAP gewählt, aber in den Wahlen 1932 wieder zur DNVP zurückgefunden, die sie zuvor unterstützt hatte. Sie freute sich besonders darüber, dass sich nach dem Vorbeimarsch der SS-Männer, die am Schluss des Zuges standen, eine "harmlos vergnügte Menschenmenge" anschloss und mit "Fackelresten" ihren "eigenen Fackelzug" veranstaltete, "froh des Augenblicks." Ein anderes Medium der kollektiven Eingliederung in den NS-Staat war das Radio. Am 10. Februar hörten Solmitz und ihr Ehegatte Friedrich bei einem befreundeten Ehepaar die Übertragung von Hitlers Rede im Berliner Sportpalast. "Es standen uns vier Menschen die Tränen in den Augen." Am Tag darauf lauschte man in derselben Runde einer Kundgebung der "Kampffront Schwarz-Weiß-Rot", der früheren DNVP. Am Ende der Sendung folgte ein weiteres Ritual, mit dem sich nicht nur das Ehepaar Solmitz in die nationalsozialistische "Volksgemeinschaft" einreihte: "Beim Deutschlandlied standen wir alle auf u. sangen tief ergriffen mit."
Ein weiteres Ritual der Selbstgleichschaltung war die Beflaggung von Häusern. Das Ehepaar Solmitz hängte am 31. Januar die schwarz-weiß-rote Fahne des Kaiserreiches heraus. Am Tag der Reichstagswahlen, dem 5. März, fragte sich Luise Solmitz verwundert, "was für Leute" wohl in einer Straße wohnten, die "in ihrer ganzen Länge" noch gar nicht beflaggt war. Für Luise Solmitz war es eine "unendliche Wohltat", nicht mehr das Schwarz-Rot-Gold der verhassten Republik oder die "3 Pfeile" der sozialdemokratischen Eisernen Front sehen zu müssen. Bereits am 8. April konnte sie zufrieden notieren: "Ich persönlich fühle mich unter der Diktatur außerordentlich
wohl."
Tempo und Form der Selbstgleichschaltung hingen neben institutionellen Faktoren von den politischen Mentalitäten in verschiedenen Sozialmilieus ab. Am schnellsten und umfassendsten erfolgte sie im Milieu der kirchennahen Protestanten. Nicht nur für die 1932 gegründete Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC) – eine Gruppe völkischer Pfarrer, die die NSDAP unterstützten – war die Machtergreifung ein "protestantisches Erlebnis".
Von Ambivalenzen geprägt war die Haltung der bürgerlichen Frauenbewegung zur NS-Machtergreifung. Auf der einen Seite standen Frauen wie Gertrud Bäumer, die ihre politische Heimat in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei hatte. Als langjähriges Mitglied – und von 1910 bis 1919 als Vorsitzende – prägte sie die Politik des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF), der Dachorganisation der Frauenbewegung. Bäumer hatte vor 1933 die NSDAP öffentlich kritisiert. Zugleich definierte sie die Aufgabe der Frauenbewegung im Sinne einer "Verantwortung für das Volkstum". Vor diesem Hintergrund war es nicht überraschend, dass sie nach dem 30. Januar 1933 die Form des politischen Systems als nachrangig ansah. Es sei "vollkommen gleichgültig, wie der Staat beschaffen ist, in dem heute die Frage der Einordnung der Frauen besteht: ob es ein parlamentarischer, ein demokratischer, ein faschistischer Staat ist".
Die Universitäten waren von der "Normalität der Anpassung" an die neuen Machthaber geprägt, standen doch sowohl Professoren wie Studenten bereits vor 1933 in ihrer großen Mehrheit der Republik ablehnend gegenüber. Dabei gilt es zu differenzieren. Ein Teil der Professoren vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften vollzog eine "illusionäre Selbstgleichschaltung", die sich aus falschen Erwartungen über die tatsächlichen Absichten der Nationalsozialisten speiste. Daneben gab es eine "identifizierende Selbstgleichschaltung" vor allem durch Naturwissenschaftler, die dem neuen Regime durch fachspezifische Programme wie die "Rassenhygiene" zuarbeiten wollten. Eine kleinere Gruppe von Professoren schließlich zielte auf eine "Selbstbehauptung" der Universität durch "Distanz zur Politik".
Insgesamt ging die Selbstgleichschaltung vor allem von den bürgerlich-protestantischen Mittelschichten aus. Hinzu kam, dass auch bürgerliche Liberale, die die NSDAP eigentlich ablehnten, der nationalsozialistischen Machtergreifung keinen Widerstand entgegensetzten. Ein Beispiel dafür ist der Reichstagsabgeordnete und spätere Bundespräsident Theodor Heuss, der – nach kontroversen Debatten in der Fraktion der Deutschen Staatspartei – im Parlament für das Ermächtigungsgesetz stimmte. In seinen Briefen aus dem Frühjahr 1933 wird deutlich, dass Heuss die antisemitischen Maßnahmen des neuen Regimes ablehnte, aber antisemitische Vorbehalte gegenüber einer "Handvoll entwurzelter Literaten" durchaus teilte. Und nicht nur in Bezug auf die Gleichschaltung der Länder war Heuss bereit, in den Maßnahmen des neuen Regimes auch "das Positive zu sehen".
Fazit
Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, glaubten seine konservativen Steigbügelhalter, ihn in einem Kabinett bürgerlich-nationaler Fachleute eingerahmt zu haben. Franz von Papen, der Hitlers Ernennung eingefädelt hatte, fungierte als Vizekanzler. Neben Hitler gab es nur zwei weitere Nationalsozialisten als Reichsminister im Kabinett: Wilhelm Frick und Hermann Göring. Doch spätestens mit der Zustimmung des Reichstages zum Ermächtigungsgesetz und der parallel erfolgenden Gleichschaltung der Länder erwies sich die Hoffnung auf eine Zähmung Hitlers als eine Illusion. Entscheidend dafür war nicht nur die Rücksichtslosigkeit, mit der die Nationalsozialisten den Umbau des Staates vorantrieben und Gewalt anwandten. Wichtig war auch, dass die bürgerliche Öffentlichkeit und die bürgerliche Presse die SA-Gewalt weithin akzeptierten, da sie sich aus ihrer Sicht gegen den "richtigen" Gegner wandte, die sozialistische und kommunistische Arbeiterbewegung.