In Zeiten, in denen sich mehrere Großkrisen zu einer als existenziell wahrgenommenen Polykrise zusammenbrauen, verbreiten sich Ängste vor den politischen Konsequenzen dieser Wahrnehmung. Der spektakulärste Fall des Zusammenbruchs einer Demokratie – der Kollaps der Weimarer Republik im Januar 1933 – wird daher immer wieder in der Hoffnung durchkämmt, Lehren für die Gegenwart zu entdecken.
Ein Paradebeispiel hierfür ist seit einigen Jahren das Geschehen in den Vereinigten Staaten: Seit der "New York Times"-Kolumnist Roger Cohen im Dezember 2015 seine Leser mit "Welcome to Weimar America" begrüßte,
Es verwundert daher nicht, dass Adolf Hitler im öffentlichen Diskurs heute dominanter ist als noch vor einer Generation. Zwischen 1995 und 2018 stieg die Häufigkeit, mit der Hitler in englischsprachigen Büchern erwähnt wurde, um erstaunliche 55 Prozent. In spanischsprachigen Büchern stieg die Frequenz im gleichen Zeitraum sogar um mehr als 210 Prozent.
Doch nicht überall beruft man sich auf die 1933 entstandene Welt, um die heutige Situation zu verstehen und zu deuten. Seltsamerweise hat ein Land im Herzen Europas eine andere Richtung eingeschlagen: Deutschland selbst. Hier nämlich sank die Häufigkeit, mit der Hitler in Büchern genannt wurde, zwischen 1995 und 2018 um mehr als zwei Drittel. Der gleiche Trend gilt für andere Begriffe, die auf das dunkelste Kapitel der deutschen Vergangenheit verweisen, etwa "Nationalsozialismus" und "Auschwitz".
Neuer "Sonderweg"
In Deutschland wurde wohl auch deshalb nicht mehr so viel explizit über den Nationalsozialismus publiziert, weil man meinte, das Land habe aus der Vergangenheit gelernt und ein vorbildliches politisches System mit einer entsprechenden Gesellschaft aufgebaut, die die Lehren aus dem Nationalsozialismus verinnerlicht habe. Das vorherrschende Narrativ der frühen Berliner Republik lautete, Deutschland habe im 19. und frühen 20. Jahrhundert einen "Sonderweg" in Richtung Diktatur und Völkermord eingeschlagen. Mit der Wiedervereinigung 1990 habe das Land diesen jedoch endgültig verlassen und sei vollständig im Westen angekommen.
Die unterschiedliche Häufigkeit, mit der in Deutschland und im Ausland in Büchern auf Hitler, Auschwitz und den Nationalsozialismus verwiesen wird, zeigt jedoch, dass Deutschland 1990 den Sonderweg nicht verlassen, sondern vielmehr neu eingeschlagen hat. Deutschlands eigentlicher Sonderweg ist der seiner zweiten (Nachkriegs-)Republik, die 1990 gegründet wurde und, wenn man der Argumentation des Journalisten und Historikers Nils Minkmar folgt, im Zuge von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine zusammengebrochen ist. Deutschlands zweite Republik, schreibt Minkmar, "nahm sich Ferien von der Geschichte, konnte endlich wie Faust den Augenblick genießen und schloss dazu, auch wie Faust, einen Pakt – mit Putin und mit bösen Folgen".
Der faustische Pakt war nicht aus Böswilligkeit geboren – Deutschlands zweite Republik war mit den besten Absichten gegründet und regiert worden. Es hatte vielmehr eine gewisse Kurzsichtigkeit geherrscht, die viele Deutsche daran hinderte, das zu sehen, was viele ihrer internationalen Partner nach den früheren Invasionen Russlands oder dem Abschuss von MH17 – dem Malaysia-Airlines-Flugzeug, das im Juli 2014 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur von einer russischen Rakete im ukrainischen Luftraum abgeschossen wurde – längst erkannt hatten. Und diese Kurzsichtigkeit ist eng mit den normativen Schlüssen verbunden, die die Protagonisten der zweiten deutschen Republik aus der Erfahrung des Landes mit dem Nationalsozialismus gezogen hatten und die sich recht drastisch von denen, die andere Länder daraus gezogen hatten, unterschieden.
Infolgedessen setzten viele Deutsche auf soft power und hatten wenig für hard power übrig – ohne sich klarzumachen, dass Ersteres nur heiße Luft ist, wenn es mit Letzterem nicht einhergeht. Zugleich wurde vielfach nicht erkannt, dass Putins aggressives Vorgehen seit dem Tag seiner Amtsübernahme in der Tradition früherer Phasen der russischen Geschichte steht. Dies spiegelt sich auch in einem steilen Rückgang der Verweise in deutschsprachigen Publikationen auf Begriffe wider, die mit den dunklen Seiten der russischen Vergangenheit in Verbindung gebracht werden, wie "Gulag", "Stalin", "Prager Frühling" oder "Volksaufstand".
Die Illusionen, die man sich in Deutschland machte, standen letztlich sowohl einer noch erfolgreicheren europäischen Integration als auch der Schaffung einer noch haltbareren Sicherheits- und Friedensarchitektur im Weg. Minkmar meint daher, dass aus den Ruinen der zweiten eine dritte Republik entstehen müsse: eine, die weniger kurzsichtig auf die Welt um sie herum blickt und die "Naivität" des Denkens über die Welt hinter sich lässt.
Historische Missverständnisse
Der kurzsichtige Blick auf die Vergangenheit beschränkt sich jedoch nicht auf Deutschland. Tatsächlich beruhen viele Lehren, die weltweit aus dem Jahr 1933 für die Krisenbewältigung der 2020er Jahre gezogen werden, auf historischen Missverständnissen. So gibt es zwar unzählige Bücher über das "Dritte Reich" und seine Schrecken, vielfach aber, und ohne es zu merken, reproduzieren sie Klischees, die auf NS-Propagandaminister Joseph Goebbels zurückgehen, oder sie stellen Hitler und die Nationalsozialisten nur als von Hass, Rassismus und Antisemitismus getriebene Wahnsinnige dar. Solche Ansätze werden jedoch nie erfassen, warum sich so viele Anhänger des Nationalsozialismus als Idealisten verstanden. Und sie werden nicht erklären können, warum laut Hitler Vernunft, nicht Emotion, das Handeln des Nationalsozialismus bestimmen sollte.
Ein reduktionistischer Ansatz in der Frage, was Hitler und andere Nationalsozialisten ausmachte, ist gefährlich. Er verleitet uns nämlich, in der heutigen Welt nach falschen Warnzeichen Ausschau zu halten und an den falschen Orten nach Hitler-Wiedergängern und Nationalsozialisten zu suchen. So sei die Lektüre von Thomas Manns Essay "Bruder Hitler" aus dem Jahr 1938 empfohlen, in dem er den Diktator als ein Produkt derselben Traditionen darstellt, in denen er selbst aufgewachsen war. Er öffnet damit die Augen für die Erkenntnis, dass es nicht die wütenden Schreihälse, sondern vor allem Menschen "wie wir" sind, die sich in Krisenzeiten für eine Demontage der Demokratie offen zeigen. Tatsächlich wird, sobald wir die Ideenwelt der Nationalsozialisten ernst nehmen, in verstörender Weise deutlich, dass viele Menschen diese Politik in der Zeit von den 1920ern bis in die 1940er Jahre aus nahezu denselben Gründen unterstützten, aus denen wir heute den Nationalsozialismus so vehement ablehnen – nicht zuletzt aus der Überzeugung heraus, dass politische Legitimität vom Volk ausgehen soll und dass Gleichheit ein Ideal ist, für das es sich zu kämpfen lohnt.
Es gilt daher, verschiedene Missverständnisse in Bezug auf den Tod der Demokratie im Jahr 1933 auszuräumen, wie sie noch heute an deutschen Schulen gelehrt werden, darunter die Vorstellung, dass die Saat der Selbstzerstörung Weimars bereits 1919 gelegt wurde, dass die "instabile Weimarer Verfassung (…) letztlich zur Selbstauflösung der ersten deutschen Demokratie" führte, dass "regierungsfähige Koalitionen unmöglich [wurden], da es zu viele Splitterparteien gab",
Die Überzeugungen der Nationalsozialisten und die Anziehungskraft ihrer Ideen können nicht verstanden werden, wenn wir die zentralen scheinbaren Widersprüche im Kern des Nationalsozialismus nicht ernst nehmen, nämlich dass die Nationalsozialisten die Demokratie und den Sozialismus im Namen der Überwindung einer allumfassenden, existenziellen Megakrise und der Schaffung einer angeblich besseren und wahreren Demokratie und eines wahreren Sozialismus zerstörten. Die Nationalsozialisten predigten, dass alle Macht vom Volk ausgehen müsse, nicht aus unaufrichtigem und opportunistischem Machiavellismus, sondern weil sie daran glaubten. Das Versprechen einer nationalsozialistischen illiberalen "Volksgemeinschaftsdemokratie" als kollektivistische und ausgrenzende Auffassung von Selbstbestimmung fand breiten Anklang und versprach, die angeblich seit Jahrhunderten größte Krise zu überwinden. Dies hat 1933 ermöglicht und schließlich die Welt vor die Tore der Hölle gebracht.
Versteht man den Nationalsozialismus also als eine Erscheinungsform der illiberalen Demokratie, sehen wir, dass die heutigen Varianten der illiberalen Demokratie in Krisenzeiten sehr leicht in etwas noch viel Schlimmeres abgleiten könnten, als wir es gegenwärtig an vielen Orten der Welt erleben. Wenn wir auf eine reduktionistische Darstellung des Nationalsozialismus verzichten, werden wir erkennen, dass die Parallelen zwischen Gegenwart und Vergangenheit in erster Linie in den Gefahren liegen, die von der illiberalen Demokratie und der allgemeinen Krisenwahrnehmung ausgehen.
Wenn wir außerdem den Nationalsozialismus als politische Religion verstehen, können wir verstehen, warum die Deutschen seinem Sirenengesang massenhaft folgten. Hitlers politische Religion verlangte von Konvertiten eine doppelte Verpflichtung: zum einen zur nationalsozialistischen Orthodoxie – dem Festhalten an "korrekten" Überzeugungen und der Ausübung von Ritualen – und zum anderen zur nationalsozialistischen Orthopraxie – dem von der Orthodoxie vorgeschriebenen "ethischen" Verhalten. Auf diese Weise wurde Gewalttaten und Kriegshandlungen gegen innere und äußere "Volksfeinde" eine moralische und sogar heroische Bedeutung verliehen – weil sie vermeintlich einem "höheren" Zweck, dem Wohl der eigenen "Volksgemeinschaft", dienten. Die Glaubenssysteme des Nationalsozialismus sind daher untrennbar mit der Gewalt und den Schrecken des "Dritten Reiches" verbunden. Anders ausgedrückt: Während es durchaus zutreffen mag, dass die liberale Demokratie eine "Friedensdividende" mit sich bringt, kann die illiberale Demokratie – jedenfalls in ihren totalitären, messianischen Inkarnationen – leicht eine "Genozid- und Kriegsdividende" generieren, wenn die Menschen meinen, eine existenzielle Krise auf diese Weise überwinden zu können.
So, wie die nationalsozialistische Gedankenwelt als ein Haupttreiber für gewalttätiges und extremes Verhalten ernst zu nehmen ist, sollten auch die Nationalsozialisten selbst als politische Akteure mit einem klaren Plan für die Zukunft verstanden werden. Zwar sah es oftmals so aus, als würden sie lediglich auf andere reagieren, doch genau dieser reaktive Charakter des nationalsozialistischen Handelns war eine Taktik – und zwar eine sehr erfolgreiche, die nicht nur die Entwicklungen 1933, sondern auch die Dynamik der zwölfjährigen NS-Herrschaft erklärt. Der Weg von der Machtübernahme zur Siedlungspolitik im Osten, zum totalen Krieg und zu einer Kriegspolitik der Ausrottung und des Völkermords war keineswegs lang und verschlungen – in der Selbstwahrnehmung seiner Akteure war er der Weg zur Überwindung einer existenziellen Polykrise.
Was lehrt uns 1933?
Die Art und Weise, wie es den Nationalsozialisten gelang, die Macht zu ergreifen, zu festigen und schließlich eine radikale Politik zu verfolgen, hat mehr mit der Gewieftheit von Frank Underwood, dem fiktiven US-Präsidenten aus der Netflix-Serie "House of Cards", gemein als mit vielen der Darstellungen, die infrage stellen, dass ihr Aufstieg ein kühl kalkulierter war. Der Politikstil und das Illusionsspiel der Nationalsozialisten, die Aushöhlung und Zerstörung von Normen und Institutionen sowie das Verfolgen einer versteckten Agenda werden immer mehr zu Merkmalen von Politik auch in unserer Zeit. Das Jahr 1933 zu verstehen, sollte daher helfen, auch heutige Herausforderungen besser zu verstehen.
Wir brauchen daher eine wehrhafte Demokratie mit starken Leitplanken, um der Wahrnehmung einer existenziellen Polykrise begegnen zu können. Dazu gehören starke parteipolitische Organisationen, die – anders als in Tagträumen von der Umwandlung von Parteien in "Bewegungen" – die interne Übernahme durch Radikale verhindern. Entscheidend ist, dass starke Parteistrukturen auch ein Instrumentarium bieten, um mit polarisierten Gesellschaften umzugehen, indem sie Spaltungen sowohl repräsentieren als auch eindämmen. Hierbei ist vor allem das Verhalten konservativer Parteien von Bedeutung. Der deutsche Konservatismus spielte beim Sturz der Weimarer Demokratie eine zentrale Rolle, allerdings auf kontraintuitive Weise, nämlich nicht durch seine Stärke, sondern durch seine Schwäche und die Zersplitterung seiner Organisationen.
Leitplanken bieten jedoch wenig oder gar keinen Schutz, wenn sie schlecht positioniert sind. So offenbart ein Blick über den deutschen Tellerrand, dass wir beim Versuch, unsere eigene Demokratie wetterfest und krisenresistent zu machen, möglicherweise mehr von Fällen, in denen 1933 die Demokratie überlebte, lernen können als vom Tod der Demokratie in Deutschland. Die Niederlande beispielsweise hatten eine widerstandsfähige politische Struktur beziehungsweise eine wehrhafte Demokratie avant la lettre etabliert, die fähig war, mit einem breiten Spektrum von Schocks für ihr System umzugehen und flexibel auf Krisen zu reagieren. Infolgedessen mussten die Niederländer die spezifischen Bedrohungen von 1933 nicht vorhersehen, da ihre Krisenpräventions- und -reaktionskapazitäten groß genug waren, um die Etablierung einer einheimischen Diktatur zu vermeiden. Der Vergleich zeigt auch, dass manche vermeintliche Leitplanken der heutigen Demokratie in Deutschland – wie die Fünfprozenthürde bei Wahlen – weitgehend nutzlos sind und nur scheinbar Sicherheit bieten.
Das Problem der Betrachtung spezifischer Fälle des Zusammenbruchs der Demokratie, inklusive des deutschen Falles 1933, birgt eine Gefahr: dass die wichtigsten Variablen nur unzureichend erkannt werden und zu enge Schlussfolgerungen gezogen werden. Der genaue historische Kontext des Zusammenbruchs einer politischen Ordnung wird immer unterschiedlich sein, ebenso wie die Wahrnehmung einer existenziellen Polykrise und ihrer politischen Folgen. Deshalb ist es sinnvoll, Staaten und Gesellschaften aus der Vergangenheit zu identifizieren, die gegenüber einer möglichst großen Bandbreite von Schocks resilient waren. Oder wie es der Historiker Niall Ferguson ausdrückt: "Alles, was wir aus der Geschichte lernen können, ist, wie man soziale und politische Strukturen aufbaut, die zumindest widerstandsfähig und bestenfalls antifragil sind (…), und wie man den Sirenenstimmen widersteht, die eine totalitäre Herrschaft oder eine Weltregierung als notwendig für den Schutz unserer unglücklichen Spezies und unserer verletzlichen Welt vorschlagen."
Dennoch ist der Fall der Weimarer Republik 1933 eine Warnung, wohin nicht eingedämmte Krisenwahrnehmungen führen können. Schließlich waren es das Polykrisenbewusstsein Hitlers und die damit einhergehende individuelle und kollektive Existenzangst, die den Kern der Entstehung von Hitlers politischem und genozidalem Antisemitismus ausmachten. Hinzu kamen die Identifizierung der Juden mit dieser Krise sowie die Umsetzung dieser Identifizierung in ein Programm totaler Lösungen, um sich dauerhaft zu "schützen".
Die vielleicht wichtigste Warnung, die das vergangene Jahrhundert für uns bereithält, ist somit, dass die größten und schrecklichsten Krisen der Welt überhaupt erst entstehen, wenn wir kopflos und ohne Maß und Mitte versuchen, tatsächliche oder vermeintliche Krisen einzudämmen.
Dieser Beitrag ist ein überarbeiteter Auszug aus Thomas Weber (Hrsg.), Als die Demokratie starb. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten – Geschichte und Gegenwart, Freiburg/Br. 2022.