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Bester Freund oder Freerider? Deutschlands Image in den USA

Peter Sparding

/ 8 Minuten zu lesen

Seitdem Olaf Scholz angesichts des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine von einer "Zeitenwende" sprach, blicken Deutschlands internationale Partner erwartungsvoll nach Berlin. Wie steht es um das Bild Deutschlands in der Ukraine, Polen, Frankreich und den USA?

Deutschland, das sei Amerikas bester Partner und Freund in der Welt, so befand US-Außenminister Antony Blinken bei seinem Antrittsbesuch in Berlin im Sommer 2021. Auch wenn diese Aussage in London oder Ottawa vermutlich für Verwunderung sorgte, für die Regierung in Berlin waren die warmen Worte aus Washington eine wohltuende Erfahrung nach Jahren der teils hitzigen Auseinandersetzung mit der Trump-Regierung. Ähnlich war es Berlin schon einmal ergangen, als der Hoffnungsträger Barack Obama 2009 die Amtsgeschäfte von George W. Bush übernahm, in dessen Amtszeit die bis dato tiefste Krise zwischen Berlin und Washington seit Ende des Kalten Krieges gefallen war. Dieses dramatische Hin und Her in den deutsch-amerikanischen Beziehungen der vergangenen Jahrzehnte hat eine Art diplomatisches Schleudertrauma ausgelöst. In einer sich rapide verändernden globalen Lage, die trotz des aktuellen US-Engagements in der Ukraine insgesamt von einer Re-Fokussierung der Vereinigten Staaten auf den indo-pazifischen Raum geprägt ist, stellen sich Fragen zum Image und Standing der Bundesrepublik in Washington. Wie blicken die USA auf Deutschland? Welche Erwartungen gibt es in Washington gegenüber Berlin, insbesondere mit Blick auf die Ukraine und die Sicherheitslage in Europa? Und wie stabil und verlässlich ist die amerikanische Position vis-à-vis Deutschland?

Diplomatisches Schleudertrauma

Der aktuelle US-Präsident, Joe Biden, und ein Großteil seines außenpolitischen Teams entstammen dem außenpolitischen Establishment der Demokratischen Partei, für das die Allianz mit Europa historisch und inhaltlich eine Herzensangelegenheit ist. Die meisten – wie etwa auch der schon genannte Außenminister Blinken – waren bereits in der Regierung von Barack Obama in gehobenen außenpolitischen Positionen vertreten. Und es war in der Amtszeit Obamas, als insbesondere Deutschland unter den engsten Verbündeten in Washington zunehmend an Bedeutung gewann. Dies hatte zunächst nicht direkt mit den deutsch-amerikanischen Beziehungen im engeren Sinne zu tun, sondern eher mit den sich häufenden Krisen in Europa. Eigentlich hatte Washington gehofft, sich nach dem Ende des Kalten Krieges und der Kriege im ehemaligen Jugoslawien weniger mit Problemen in Europa befassen zu müssen und sich zunehmend auf den indopazifischen Raum als zentralen geopolitischen Ort der Zukunft konzentrieren zu können. Europa galt als "gelöst". Doch dann kam es infolge der weltweiten Finanzkrise zur Krise im Euroraum, angefangen mit den dramatischen Entwicklungen in Griechenland 2010. Dass diese sich über viele Jahre hinzog und insbesondere im Wahljahr 2012 drohte, auch weltwirtschaftlich negative Konsequenzen nach sich zu ziehen, entsetzte viele US-Ökonomen und beunruhigte die amerikanische Regierung. Denn aus US-Sicht hätte die Krise durch ein entschiedeneres Eingreifen viel schneller gelöst werden können. Deutschland rückte dabei aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe und seiner der amerikanischen Sichtweise oftmals diametral entgegenstehenden wirtschaftspolitischen Ansichten in den Fokus. Für Washington schien die Eurokrise endlich die berühmte Frage Henry Kissingers zu beantworten, wen man anrufen solle, um Europa zu sprechen: Es war nicht Brüssel. Es war Berlin. Und so kam es in dieser Zeit zu ungewohnten Begebenheiten in der sonst so stark in Richtung Washington gewichteten deutsch-amerikanischen Beziehung, wie dem Besuch des US-Finanzministers Timothy Geithner auf der Ferieninsel Sylt 2012, wo er den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble sogar im Urlaub aufsuchte.

In den nächsten Jahren, in denen sich die Krisen in Europa häuften, schien sich Washingtons Orientierung auf Berlin weiter zu bestätigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel übernahm nach Russlands Annexion der Krim 2014 mit der Unterstützung des US-Präsidenten eine Führungsrolle im sogenannten Minsk-Prozess, und auch in der Migrationskrise 2015 stand Deutschland im Fokus. Großbritannien, ohnehin kein Mitglied der Eurozone, war in diesen Jahren zunehmend mit sich selbst und der eigenen Beziehung zu Europa beschäftigt, und in Frankreich war mit François Hollande ein eher unauffällig agierender Präsident im Amt, der auch in den USA kaum wahrgenommen wurde. Aus Washingtoner Sicht weniger erfreulich, aber ebenfalls ein Zeichen des besonderen Status der Beziehung in dieser Zeit, war der diplomatische Streit infolge der Enthüllungen von Edward Snowden 2013 und auch die vor allem in Deutschland heftige und teils anti-amerikanisch gefärbte Opposition gegen das geplante transatlantische Handelsabkommen TTIP. Dennoch war es nicht verwunderlich, dass Barack Obama gegen Ende seiner Präsidentschaft Angela Merkel als seine "engste internationale Verbündete" bezeichnete und sein letztes internationales Telefonat als Präsident mit der deutschen Kanzlerin führte.

Diese besondere Würdigung Merkels hatte allerdings auch innenpolitische Gründe. Denn nach der Wahl Donald Trumps im Herbst 2016 galt Merkel vielen Demokraten und liberalen Amerikanern als eine der wenigen verbliebenen Hoffnungsträgerinnen. Der Blick des progressiven Amerikas auf Merkel war dabei eine Kombination aus echter Bewunderung, insbesondere für ihr Agieren in der Migrationskrise, und Projektionen, die eher mit ihrer vermeintlichen Rolle als Gegenspielerin von Donald Trump zu tun hatten. Trump selbst hatte diese Sichtweise befeuert, als er die Kanzlerin bereits im Wahlkampf mehrfach persönlich anging und ihr vorwarf, Deutschland durch ihre Flüchtlingspolitik zu ruinieren. Auch als Präsident behielt Trump seinen negativen Fokus auf Deutschland bei. Seine erratische, undiplomatische und teilweise widersprüchliche Art des Umgangs erhielt dabei den Großteil der Aufmerksamkeit. Allerdings schoss sich Trump kaum auf neue Themengebiete in den deutsch-amerikanischen Beziehungen ein. Im Gegenteil, die drei Hauptkritikpunkte aus Washington in Richtung Berlin waren unter Trump dieselben wie unter Obama und teilweise bereits unter George W. Bush: Deutschlands niedrige Verteidigungsausgaben, die permanent die Nato-Vorgabe von zwei Prozent des BIP verfehlten, die aus US-Sicht unausgewogene deutsche Handelsbilanz und die geplante Gaspipeline Nord Stream 2.

Der Druck steigt

Auch nach Joe Bidens Amtsantritt bildeten diese Themenfelder die größten Streitpunkte, auch wenn die Herangehensweise Bidens wie schon die Obamas gewiss nicht mit der rabiaten und kontraproduktiven Art Donald Trumps zu vergleichen ist. Als Olaf Scholz wenige Monate nach dem eigenen Amtsantritt und unter dem immensen Schock des russischen Angriffs auf die Ukraine am 27. Februar 2022 in seiner viel beachteten Rede vor dem Bundestag ankündigte, Deutschland werde sich von russischen Gasimporten unabhängig machen und von nun an mindestens zwei Prozent seines BIP für die eigene Verteidigung ausgeben, konnte man dies als ein Eingeständnis der Richtigkeit der amerikanischen Kritik der Vorjahre verstehen. Scholz’ "Zeitenwende-Rede" wurde in Washington entsprechend positiv aufgenommen. Durch ihre Vehemenz und die Konkretisierung der Ankündigungen gelang es dem Kanzler zumindest kurzzeitig, das Narrativ von Deutschland als sicherheitspolitischem "Freerider" und einem zuallererst auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen bedachten Land zu durchbrechen.

Seither hat sich jedoch auch in Washington insbesondere mit Blick auf die Verteidigungsausgaben wieder eine gewisse Ernüchterung eingestellt. Zwar schaffte es Deutschland schneller und problemloser, sich vom russischen Gas unabhängig zu machen, als viele erwarteten, doch nach anfänglichen großen Schritten – etwa dem angekündigten Kauf von amerikanischen F-35-Kampfjets – scheint es bei den gesteigerten Verteidigungsausgaben wieder einmal zu Verzögerungen zu kommen, die auch in Washington bemerkt werden. Das über einen langen Zeitraum entstandene Narrativ, dass Deutschland zwar oft ankündigt, auch sicherheitspolitisch mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, dann aber in der Umsetzung – und insbesondere, wenn es um tatsächliche Ausgaben geht – hinter den Erwartungen zurückbleibt, sorgt nun dafür, dass einzelne Erklärungen für etwaige Verzögerungen aus Berlin oftmals nur als eine weitere Ausrede gewertet werden. Während die Biden-Regierung sich mit öffentlicher Kritik zurückhält, haben einige republikanische Amtsträger und Experten angefangen, sich (wieder) auf Deutschland einzuschießen. So bezeichnete der neugewählte Senator aus Ohio, J.D. Vance, Anfang März Deutschlands Verhalten im Ukraine-Krieg als "schändlich" und bemängelte, dass zu viele Republikaner weiterhin bereit seien, Deutschlands Versprechen Glauben zu schenken. Den Republikanern nahestehende Außenpolitik-Experten wie Elbridge Colby, der unter Trump als Deputy Assistant Secretary im Pentagon arbeitete, verschärfen ihre Kritik an Deutschland zunehmend und bemängeln das aus ihrer Sicht zu nachgiebige Verhalten der Biden-Regierung gegenüber Berlin. Für diese Seite der republikanischen Partei müsste Deutschland viel schneller die Fehler der Vergangenheit ausbügeln und maßgeblich für die eigene und die Verteidigung Europas verantwortlich sein, da die USA sich schneller als erwartet Richtung Asien orientieren werden.

In der öffentlichen Debatte spielt diese Diskussion – wie die Außenpolitik insgesamt – eine geringe Rolle. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass nahezu alle Themen an Relevanz gewinnen können, wenn sie in den Sog des inneramerikanischen Kulturkampfes geraten. Hier besteht auch eine Gefahr für Deutschland und sein Standing. Dass ausgerechnet einige der republikanischen Amtsträger, denen Ambitionen auf höhere Ämter nachgesagt werden – etwa Senator Josh Hawley aus Missouri – sich in jüngerer Zeit mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine und die transatlantischen Beziehungen skeptisch geäußert haben, deutet darauf hin, dass hier politisches Potenzial gesehen wird. Dass darüber hinaus Teile der konservativen Medien verstärkt isolationistische Positionen vertreten, die die USA oft als von ihren Partnern ausgenutztes Land darstellen, deutet auf die Sprengkraft der "Freerider"-Narrative hin, wie sie Trump und andere über Deutschland pflegen. Für ein Land, das die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten seit seiner Gründung als einen außen- und sicherheitspolitischer Grundpfeiler ansieht und durch die russische Invasion der Ukraine soeben wirkungsvoll an die Aktualität der amerikanischen Sicherheitsgarantie erinnert wurde, bedeutet die Entwicklung der US-Parteipolitik somit eine ernstzunehmende Gefahr.

Berlin scheint sich der Erwartungen aus Washington durchaus bewusst zu sein. So kündigte Olaf Scholz Ende 2022 im Fachjournal "Foreign Affairs" an, dass Deutschland danach strebe, "Garant der europäischen Sicherheit zu werden, so wie es unsere Verbündeten von uns erwarten". Dies wäre die Erfüllung einer langgehegten amerikanischen Hoffnung, die bereits Präsident George Bush sr. 1989 zum Ausdruck brachte, als er – noch vor der Wiedervereinigung – Deutschland anbot beziehungsweise es aufforderte, Amerikas "Partner in Leadership" zu werden. Joe Biden und seine Regierung folgen (noch) einer ähnlichen Sichtweise auf Deutschland. Aller Voraussicht nach werden in den kommenden Jahren jedoch Präsident*innen ins Amt kommen, für die die transatlantischen Beziehungen keine solche Herzensangelegenheit sind. Der Blick auf Europa wird sich in jedem Fall ändern und die Erwartungen an die größte europäische Macht werden steigen. Die Frage stellt sich daher, ob Deutschland den notwendigen politischen Willen aufrechterhalten kann, um, wie vom Bundeskanzler angekündigt, ein Garant für die europäische Sicherheit zu werden und somit auch seine Bedeutung als Verbündeter Amerikas zu unterstreichen. Dabei muss die Antwort auf diese Frage unter erhöhtem Zeitdruck gefunden werden, denn die prekäre Entwicklung der US-Politik birgt auch Gefahren für die Bundesrepublik.

ist Transatlantic Fellow beim German Marshall Fund of the United States in Washington, D.C.
E-Mail Link: psparding@gmfus.org