Nach der Enthüllung rechtsextremer "Remigrationspläne" durch das Rechercheteam von Correctiv im Januar 2024
Völkische und rechtsextreme Vorstellungen fallen offenkundig in Teilen der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden. Zu den Studien, die dies schon seit etlichen Jahren belegen, gehört auch die "Mitte-Studie" zur Verbreitung demokratiegefährdender und rechtsextremer Einstellungen in der Bevölkerung, die seit 2006 in zweijährigem Rhythmus im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) durchgeführt wird. Die jüngste Studie der Reihe, deren Erhebung schwerpunktmäßig im Januar und Februar 2023 erfolgte, zeigt einen dramatischen Anstieg demokratiedistanter bis demokratiefeindlicher Haltungen,
Auch die 2023 gestiegenen Zahlen insbesondere rechtsmotivierter Straf- und Gewalttaten und von Hasskriminalität
Für den Rechtsruck verantwortlich gemacht werden regionale, nationale und globale Krisen, soziale Ungleichheit und Abstiegsängste, bisweilen auch eine Überforderung des "kleinen Mannes" durch Veränderungen, die von linksliberal-progressiver Seite vorangetrieben werden. Auch die Demokratie selbst wird als Ursache genannt, die zu intransparent, verkrustet und abgehoben sei und nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der Bürger:innen eingehe. Die gut organisierte und vernetzte äußerste Rechte weiß dies für sich zu nutzen, indem sie das Gefühl der Verunsicherung durch Krisen weiter anheizt und auf die "korrupten Eliten" oder die "fremden Anderen" als die wahren Schuldigen zeigt. Der Rechtsruck wiederum verweist auf eine Krise der Mitte selbst: Verliert sie im Krisenmodus die demokratische Orientierung? Dieser Frage gehen wir im Folgenden mit Blick auf demokratiedistante und -gefährdende Einstellungen genauer nach.
Die "Mitte" und die Demokratie
Die "Mitte" ist im politischen Diskurs und Wettbewerb ein Ort, der Orientierung zu bieten scheint; sie verspricht einen Modus des Interessenausgleichs zur demokratischen Konfliktregulation. Zugleich ist sie nur vage bestimmt, also ein "Fuzzy"-Konzept.
Sozialwissenschaftliche Ansätze definieren die Mitte vor allem sozialstrukturell nach ökonomischen Kriterien und orientieren sich dabei zumeist an einem Schichtmodell. Empirisch wird in der Regel das mittlere Einkommen herangezogen, ergänzend in manchen Definitionen auch das (mittlere) Bildungsniveau und/oder der Berufsstatus. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) etwa fasst unter "Mittelschicht" Personen mit einem Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen, das 70 Prozent über oder unter dem Median-Einkommen liegt. 2023 handelte es sich hierbei um Personen, die über mehr als 1283 Euro, aber weniger als 2750 Euro Haushaltsnettoeinkommen im Monat verfügten. Dies traf auf 48 Prozent der Befragten der Mitte-Studie zu. Auf einer Skala von 1 ("ganz unten") bis 10 ("ganz oben") stufte sich 2022/23 knapp die Hälfte der Befragten mit den Werten 5 und 6 ein, den erweiterten Bereich um die Mitte herum (Werte von 4 bis 7) wählten drei Viertel der Befragten. 2014 zählten sich noch 62 Prozent zur Mitte, 90 Prozent in der Tendenz. In der Selbsteinschätzung ordneten sich hingegen 80 Prozent der Mittelschicht zu.
Aus politikwissenschaftlicher Perspektive interessiert die "Mitte" vor allem hinsichtlich ihrer politischen Orientierung, meist gemessen über die Parteipräferenz auf einer Links-Rechts-Skala. Folgt man der "Hufeisentheorie des Extremismus", werden extreme beziehungsweise demokratiefeindliche Positionen an den politischen Rändern verortet. Dies suggeriert – neben der Assoziation, "extrem Rechts" und "extrem Links" seien gleich demokratiegefährdend –, dass die Mitte per se demokratisch ist.
Die Sympathie für die AfD liegt in der Mitte-Studie 2022/23 bei insgesamt 15 Prozent. Zwölf Prozent geben auf die "Sonntagsfrage" offen an, die AfD wählen zu wollen, weitere drei Prozent sagen auf Rückfrage, sie hätten schon einmal darüber nachgedacht. Fast die Hälfte derjenigen, die mit der AfD sympathisieren, verorten ihre Ansichten politisch "genau in der Mitte". Offen ist, warum sich diese Personen dort sehen. Möglicherweise kennen sie schlicht viele andere Personen mit ähnlichen Positionen oder sind der Überzeugung, tatsächlich Positionen der "politischen Mitte" zu vertreten. Vielleicht steckt dahinter aber auch die strategische Überlegung, die eigenen Überzeugungen gezielt als Positionen der Mitte verharmlosen und als "normal" darstellen zu wollen. Von denjenigen, die sich selbst der politischen Mitte zuordnen, sympathisierten zum Zeitpunkt der Befragung 13 Prozent mit der AfD. 23 Prozent aller Befragten hielten die AfD für "eine Partei wie jede andere auch".
Zunehmend mehr Personen positionieren ihre politischen Ansichten also offen rechts der Mitte, sei es über die politische Selbstpositionierung und/oder die Sympathie für die Rechtsaußenpartei AfD.
Distanz zur Demokratie
"Demokratiedistanz" zeigt sich nach unserem Begriffsverständnis in Verunsicherung und mangelnder Zufriedenheit mit der Demokratie, einem Vertrauensverlust in Regierung und Institutionen und einem Abrücken von demokratischen Grundwerten. Diese Demokratiedistanz kann zwar theoretisch zu progressiver Verbesserung von Demokratie motivieren, öffnet aber de facto die Tür vor allem für demokratiegefährdende Positionen – Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die Neigung zu (Rechts-)Populismus und Verschwörungsmythen und eine völkisch-autoritär-rebellische Haltung – bis hin zu demokratiefeindlichen Ansichten, zu denen wir rechtsextreme Einstellungen und die Billigung politischer Gewalt rechnen. Demokratiedistante und demokratiefeindliche Einstellungen lassen sich in einem "Radikalisierungsmodell" als aufeinander aufbauend, mit Wirkungen in beide Richtungen, beschreiben. Politische Akteure von Rechtsaußen nutzen das, indem sie gezielt Misstrauen in die Demokratie säen, populistische Stimmungsmache betreiben und Verschwörungsmythen streuen, die sie mit ihrer Ideologie verknüpfen. Was zunächst vielleicht unbedarft nachgeplappert wird, verfestigt sich irgendwann zu Meinungen und übersetzt sich am Ende mitunter in Handeln, wenn man den Eindruck gewinnt, andere teilten diese "normalen Meinungen". Wahrscheinlicher wird dies, wenn sich Gelegenheiten bieten, beispielsweise Wahlkämpfende oder Angehörige sozialer Minderheiten auf der Straße anzugreifen und zu ungeschützten Opfern aufgestauter, sich legitimiert fühlender Wut zu machen. Die jüngste Mitte-Studie zeigt einen deutlichen Anstieg demokratiegefährdender bis demokratiefeindlicher Einstellungen über das gesamte Spektrum hinweg (Abbildung 2, Abbildung 3).
Die abnehmende Zufriedenheit mit der Demokratie ist ein globales Phänomen und zeichnet sich auch in Deutschland im längerfristigen Trend ab, unterliegt aber deutlichen Schwankungen.
Heute vertraut nur rund die Hälfte der Bevölkerung auf das Funktionieren der Demokratie, vor allem im Osten Deutschlands ist das Vertrauen deutlich gesunken.
Dieser Vertrauensverlust scheint in der letzten Phase der Großen Koalition unter Angela Merkel zunehmend in übergreifendes, destruktives Misstrauen umgeschlagen zu sein, begleitet von einer erhöhten Bereitschaft zu Protest.
Parallel zu dem deutlichen Verlust des Vertrauens in die Demokratie ist auch das Gefühl politischer Machtlosigkeit gewachsen beziehungsweise der Eindruck politischer Selbstwirksamkeit gesunken. So meinen 43 Prozent der erwachsenen Befragten der jüngsten Mitte-Studie: "Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut." Gut 27 Prozent halten es für "sinnlos, sich politisch zu engagieren".
Misstrauen öffnet die Tore für eine populistische Weltsicht. Gleichzeitig säen populistische Akteure gezielt das Misstrauen in demokratische Repräsentation, Institutionen und Prozesse, etwa in die Rechtmäßigkeit von Wahlen. Sie verbreiten die populistische Kernerzählung von den "korrupten Eliten", die sich gegen das "moralisch reine Volk" wenden.
Der Aussage "Die regierenden Parteien betrügen das Volk" folgten 2022/23 30 Prozent der Befragten; weitere 23 Prozent stimmten ihr "teils-teils" zu. Zwei Jahre zuvor, im Winter 2020/21, taten dies lediglich 15 Prozent der Befragten, knapp 20 Prozent antworteten "teils-teils". Inzwischen teilt rund ein Drittel der Bevölkerung eine populistische Logik, 38 Prozent stimmen Verschwörungsmythen zu. Mit den völkisch-rebellisch-autoritären Einstellungen erfasst die Mitte-Studie zusätzlich ideologische Facetten, wie sie die Neue Rechte verbreitet.
Demokratie wird besonders instabil, wenn in der Mitte der Gesellschaft Gewalt zur Durchsetzung politischer Interessen legitimiert und das Gewaltmonopol des Staates ignoriert wird. Die Billigung politischer Gewalt hat sich 2022/23 im Vergleich zu den Vorjahren verdoppelt. Damals stimmten 13 Prozent der Befragten der Aussage zu, "[e]inige Politiker [hätten] es verdient, wenn die Wut gegen sie schon mal in Gewalt umschlägt". Weitere 15 Prozent stimmten teilweise zu.
Rechtsextreme Einstellungen werden in der Mitte-Studie über sechs ideologische Subdimensionen mit politisch-historischen und sozial-völkischen Positionen erfasst: Befürwortung einer Diktatur, nationaler Chauvinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Sozialdarwinismus. Zur Erfassung werden jeweils drei Aussagen verwendet, die so oder ähnlich auch in anderen Befragungsstudien genutzt werden.
Dies gilt beispielweise für die Forderung "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert", der Anfang vergangenen Jahres 24 Prozent der Befragten ganz und weitere 19 Prozent teilweise zustimmten. Der Forderung "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert", schlossen sich 14 Prozent ganz und weitere 12 Prozent teilweise an. 12 Prozent meinten, "der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten" (12 Prozent antworteten hier "teils-teils"), ebenso viele vertraten die Auffassung, es gebe "wertvolles und unwertes Leben".
Ein geschlossen rechtsextremes Weltbild wird Befragten erst dann attestiert, wenn sie allen 18 Aussagen "überwiegend" oder "voll und ganz" zustimmen. Die Mitte-Studie 2022/23 verzeichnet einen sprunghaften Anstieg rechtsextremer Einstellungen: 8,3 Prozent der Befragten teilen inzwischen ein solch geschlossen rechtsextremes Weltbild, dreimal mehr als in den Jahren zuvor. Weitere 20 Prozent liegen mit ihren Einstellungen in einem Graubereich zwischen demokratischen und rechtsextremen Positionen, auch dieser ist gewachsen (Abbildung 3). Rechtsextreme Einstellungen sind im Osten Deutschlands noch weiter verbreitet als im Westen,
Lange Zeit waren rechtsextreme, darunter auch antisemitische Einstellungen unter Älteren weiter verbreitet als unter Jüngeren. Nun zeigt sich: Während die Zustimmungsrate unter den Älteren kaum zugenommen hat, zieht die junge Generation der 18- bis 35-Jährigen in den vergangenen Jahren nach und überholt inzwischen die ältere. Verwandte Studien belegen ebenfalls diesen Trend.
Über das gesamte Spektrum demokratieferner wie -feindlicher Einstellungen hinweg fallen die (potenziellen) Wähler:innen der AfD durch ihre vergleichsweise hohen Zustimmungswerte auf. Dies gilt auch für rechtsextreme Einstellungen: 21 Prozent derjenigen, die Anfang 2023 mit der AfD sympathisierten, haben ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, weitere 47 Prozent liegen mit ihren Einstellungen im Graubereich zwischen rechtsextrem und demokratisch. Die Rede von den "Protestwählern" der AfD verstellt den Blick auf den durchaus politischen Charakter dieses Protests, der sich mit demokratiefeindlichen Positionen vermischt.
Je weiter rechts die Befragten sich von der Mitte verorten, desto häufiger neigen sie zu rechtsextremen Einstellungen. Unter den "eher rechts" platzierten Personen teilen knapp 20 Prozent ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, unter den wenigen, die sich "ganz rechts" verorten, fast 40 Prozent. Doch auch unter jenen, die sich selbst "ganz links" positionieren, sind rechtsextreme Einstellungen mit gut 12 Prozent doppelt so weit verbreitet wie unter jenen Befragten, die sich "genau in der Mitte" platzieren. Besonders niedrig ist die Zustimmungsrate unter den "eher linken" Befragten (3,3 Prozent). Unter Anhänger:innen der Linkspartei waren rechtsextreme Einstellungen bislang selten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das sozialistische Botschaften mit Polemiken gegen das Gendern, der Forderung nach einer Kürzung der Leistungen für Asylbewerber und nationalistischen Untertönen mischt, Personen mit rechtsextremen Einstellungen für sich zu gewinnen vermag.
Einfluss des Krisendiskurses
Globale, längerfristige Trends wie die Globalisierung, der Klimawandel und die Digitalisierung, erst recht aber Ausnahmephasen wie die Corona-Pandemie, der Krieg Russlands gegen die Ukraine oder der nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel erneut eskalierte Nahostkonflikt bringen Veränderungen mit sich, die auch national und regional spürbar sein können. Dies gilt auch für den zunächst jahrelang positiven, seit einigen Jahren jedoch wieder gebrochenen weltweiten Trend hin zu mehr Demokratie,
Veränderungen werden zu Krisen, wenn sie sich zuspitzen. Krisen wiederum können Wahrnehmungen des Kontrollverlustes und der Bedrohung hervorrufen – ungeachtet der Tatsache, dass diese Veränderungen überhaupt erst durch unsere Art zu leben geschehen und zu Krisen werden, weil wir so verzögert auf sie reagieren. Faktische Herausforderungen können, müssen aber individuell nicht zwangsläufig als Krise erlebt werden. Betroffenheiten sind unterschiedlich und übersetzen sich keineswegs automatisch in Verunsicherung. In der jüngsten Mitte-Studie gaben lediglich 31 Prozent der Befragten an, sie seien persönlich stark oder sehr stark von den aktuellen Krisen betroffen, 39 Prozent meinten dies mit Blick auf Menschen wie sie selbst und 55 Prozent in Bezug auf Deutschland – je weiter die Krise von der eigenen Person entfernt ist, desto größer ist die wahrgenommene Betroffenheit. Und längst nicht alle Befragten fühlen sich von den Krisen und Herausforderungen verunsichert. Dies war nur bei 42 Prozent der Fall. Fakten, (gefühlte) Betroffenheit und Verunsicherung sind also nicht das Gleiche, bieten aber Raum für Populismus. Befragte, die sich durch die derzeitigen Herausforderungen und Krisen betroffen und verunsichert fühlten, neigten signifikant häufiger zu demokratiedistanten oder demokratiefeindlichen Einstellungen (Abbildung 4).
Hier kommen mehrere Faktoren zusammen, die eine Spirale der Radikalisierung befeuern. Seit jeher schlummern Ressentiments gegen "die Fremden" und "die Anderen" in der Bevölkerung, die sich in Zeiten der Krise aufgreifen lassen und durch die Menschen leicht und ohne eigene Kosten zu Sündenböcken gemacht werden können. Der lauter und aggressiver werdende Populismus weiß das Rad zu drehen und nutzt Krisen und Konfliktlagen gezielt für sich aus, indem er das Gefühl der Bedrohung anheizt – online wie offline. Er weist auf vermeintlich Verantwortliche – die "korrupten Eliten" und die gefährlichen "Fremden und Anderen" – und nimmt damit, seiner Kernerzählung folgend, das "moralisch reine, betrogene Volk" aus der Verantwortung. Der Ruf nach individueller, egoistischer Freiheit und der Wunsch, möglichst vom Staat nicht behelligt zu werden und sich an keine sozialen Spielregeln halten zu müssen, verbindet sich mit hohen Erwartungshaltungen darüber, was der Staat alles tun müsse und Politik zu verantworten habe – und geht einher mit der Klage, der Staat tue ohnehin nicht das Richtige.
Alter und neuer Rechtsextremismus und Populismus vermischen sich, auch auf Einstellungsebene.
Wähler:innen der AfD fallen einerseits durch ein ausgeprägtes Gefühl der kollektiven relativen Deprivation auf, also der gefühlten Benachteiligung von "uns" gegenüber "denen", andererseits durch Orientierungslosigkeit ("Anomia") sowie eine ausgeprägte Anspruchshaltung und neoliberale Orientierung. So beurteilen beispielsweise mit 38 Prozent doppelt so viele der AfD-Sympathisant:innen "die wirtschaftliche Lage der Deutschen im Vergleich zu der der hier lebenden Ausländer" als schlechter; unter jenen, die nicht mit der Partei sympathisieren, sind dies nur 14 Prozent. 54 Prozent der ersten Gruppe beklagen: "Es ist heute alles so in Unordnung geraten, dass niemand mehr weiß, wo man eigentlich steht." Dies teilen nur 27 Prozent der zweiten Gruppe. Zugleich meinen knapp 44 Prozent der AfD-Sympathisant:innen ganz oder teilweise, dass "Menschen wie mir mehr zusteht als anderen". Und 50 Prozent sind der Auffassung: "Wer nicht bereit ist, was Neues zu wagen, der ist selber schuld, wenn er scheitert." Zugleich fühlt sich diese Gruppe mit 47 Prozent häufiger von den aktuellen Krisen verunsichert als Menschen ohne Sympathie für die AfD (39 Prozent). Auch die Ablehnung von Diversity im Sinne von "Vielfalt in Gleichwertigkeit" korreliert deutlich mit populistischen und rechtsextremen Einstellungen. Weit verbreitet ist die Meinung, es werde zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen und diese würden es mittlerweile mit ihren Forderungen übertreiben. Dies spricht für die These, dass der Rechtsruck auch eine Folge kultureller, demokratisierender Veränderungen ist.
In der sozialen Ungleichheit einen Grund für die Krise der Demokratie zu erkennen, trifft das Wesen der Demokratiedistanz und -feindlichkeit hingegen nur bedingt. Ärmere Teile der Bevölkerung fühlen sich zwar deutlich häufiger von den Krisen betroffen und verunsichert als wohlhabendere Menschen – und sind es de facto ja auch. Sie neigen auch häufiger zu demokratiedistanten und -feindlichen Einstellungen. Doch scheint dies letztlich mehr mit dem Bildungsgrad als mit dem Einkommen zusammenzuhängen. Zudem wird der Einfluss des Einkommens vom Gefühl der Benachteiligung überlagert, das auch Wohlhabendere teilen können. Den stärksten statistischen Einfluss hat das eigene Anspruchsniveau: Wer meint, ihm oder ihr stehe mehr zu als anderen, neigt deutlich stärker zu rechtsextremen Einstellungen.
Der Populismus hilft bei der Übersetzung individueller Gefühle auf die kollektive Ebene und verweist auf vermeintlich Schuldige, ohne dabei die wirklich Reichen oder die Wirtschaft zu adressieren. Auch die AfD ist keineswegs allein eine Partei der "Abgehängten", sondern in der großen Mehrzahl ihrer Wähler:innen eher eine Partei jener Teile der Mittelschicht, die sich abgehängt fühlen, zugleich eine hohe Anspruchshaltung haben und die eigenen Ansprüche nicht erfüllt sehen. Versprechungen von Umverteilung und Solidarität schaffen hier keine Abhilfe, denn diese Wähler:innen verlangen schlicht mehr für sich als für andere und wollen das, was ihnen vermeintlich zusteht, auch nicht teilen. Der Blick auf den subjektiven Sozialstatus bestärkt diese Interpretation: Die Neigung zum Populismus schwächt sich zwar entlang der Selbsteinschätzung von unten nach oben ab, doch auch unter jenen, die sich in der sozialen Hierarchie "ganz oben" verorten, teilt noch ein Viertel populistische Einstellungen. Sowohl unter denen "ganz oben" als auch unter jenen "ganz unten" vertritt jeder Zehnte ein rechtsextremes Weltbild.
Ausblick
Die Demonstrationen für die Demokratie im Frühjahr 2024 haben deutlich gemacht, dass viele Menschen nicht tatenlos zusehen wollen, wie die liberale und offene Demokratie destabilisiert und dekonsolidiert wird. Zugleich schrumpft die demokratische Mitte und ist selbst im Krisenmodus. Die jüngste Europawahl 2024 hat gezeigt, wie sich die im Beitrag genannten Einstellungen im Wahlverhalten manifestieren können. Insbesondere die Jüngeren öffnen sich mehr als bislang für rechtspopulistische und rechtsextreme Angebote, der Generationenvertrag für die Demokratie scheint in Teilen brüchig. Auf die Mitte warten damit weit mehr Herausforderungen als jene, die wir als "Demokratiefeindlichkeit mitten in der Mitte" nachzeichnen konnten. Zur Normalisierung demokratiegefährdender oder gar rechtsextremer Positionen tragen auch Politik und Medien bei, wenn sie Begriffe und Forderungen der äußersten Rechten mal unbedacht, mal absichtlich übernehmen. Der äußersten Rechten durch die Übernahme ihrer Positionen Wahlstimmen abjagen zu können, ist eine gefährliche Wette auf die Zukunft. Sich ihr anzudienen, indem man sie verharmlost, auch weil man sie für Mehrheiten zu brauchen und dabei einzuhegen meint, hat sich schon einmal als furchtbarer Irrtum erwiesen. Bildlich gesprochen: Der Igel ist immer schon vor dem Hasen da.