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Rechtspopulismus und Demokratie | Demokratie in Gefahr? | bpb.de

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Rechtspopulismus und Demokratie

Paula Diehl

/ 14 Minuten zu lesen

Die Wirkungen des Populismus auf die Demokratie sind ambivalent, die Effekte des Rechtspopulismus wegen seiner Verknüpfung mit rechtsextremen Ideologemen aber deutlich negativ. Die größte Gefahr besteht in einer Normalisierung rechtsextremer Inhalte.

In jüngster Zeit ist viel vom Rechtspopulismus die Rede – und von der Gefahr, die möglicherweise von ihm für die Demokratie ausgeht. Nicht nur Oppositionsparteien dieses politischen Spektrums gewinnen immer mehr Zustimmung inner- und außerhalb Europas, in vielen Ländern bilden rechtspopulistische Parteien auch die Regierung oder sind an ihr beteiligt. Dies gilt etwa seit mehreren Wahlperioden in Ungarn, in Italien, wo zwei rechtspopulistische Parteien (Lega Nord und Forza Italia) mit der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni koalieren, oder für Argentinien, wo jüngst der Rechtspopulist Javier Milei zum Präsidenten gewählt wurde. In den Niederlanden gewann Geert Wilders mit seiner PVV die zurückliegende Parlamentswahl, und noch nicht vergessen sind die nur knapp abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien und Donald Trump in den USA. Nicht ausgeschlossen ist zudem, dass Marine Le Pen (Rassemblement National) und Donald Trump die nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich beziehungsweise den USA gewinnen. In Deutschland kann die AfD auf eine stabile Wählerschaft zählen, trotz der neuen Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Für die kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen prognostizieren die Umfrageinstitute der AfD jedenfalls gute Ergebnisse. Und auch die Europawahlen sind mit einem bedeutsamen Stimmengewinn der rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Parteien zu Ende gegangen. Institutionell und kulturell hat eine "Normalisierung" des Rechtspopulismus stattgefunden. Wie ist es dazu gekommen? Was genau ist Rechtspopulismus überhaupt, wo verlaufen seine Grenzen zum Rechtsextremismus – und was bedeutet das alles für die Demokratie?

Populismus oder Rechtspopulismus?

Rechtspopulismus ist eine Mischung aus Populismus und rechtsextremen Ideologemen. Es lohnt sich daher, zunächst das Phänomen des Populismus näher zu betrachten, um dann seine Kombination mit antidemokratischem Gedankengut aus dem rechtsextremen Spektrum zu analysieren. Populismus lässt sich grundsätzlich aus drei Perspektiven betrachten: erstens aus einer ideenorientierten Perspektive, zweitens aus einem diskursanalytischen Verständnis heraus und drittens mithilfe eines "komplexen Konzepts" von Populismus. Jede dieser Herangehensweisen macht auf bestimmte Aspekte des Populismus aufmerksam, die für das Verständnis des Rechtspopulismus wichtig sind.

Der ideenorientierte Ansatz versteht Populismus als eine "dünne Ideologie" und lässt sich dabei von Michael Freedens Ideologietheorie inspirieren. Freeden betrachtet Ideologien wie Landkarten, die eine Orientierung in der politischen Landschaft bieten. Populismus kann insofern als Ideologie verstanden werden, als er eine minimale Struktur gibt, mit der man Politik verstehen kann. Folgt man der Metapher der Landkarte, kann man sagen, dass Populismus eine unvollständige Karte ist. Dort sind die wichtigsten Orientierungspunkte enthalten, auch wenn sie nicht präzis genug sind, um die genauen Wege zu beschreiben. Die Politikwissenschaftler Mudde und Kaltwasser identifizieren drei Schlüsselelemente des Populismus: erstens die Idealisierung des Volkes; zweitens die Trennung der Gesellschaft in zwei in sich homogene Lager: das Volk und die (korrupte) Elite, wobei eine vertikale Feindschaft – "die da unten" (das Volk) gegen "die da oben" (die Elite) – aufgebaut wird; und drittens das Aufrechterhalten des Volkssouveränitätsprinzips sowie die Überzeugung, dass Politik den Volkswillen ausdrücken soll. Populismus ist insofern eine "dünne" Ideologie, als er weder das Volk noch die Elite definiert. Es bedarf einer robusteren Ideologie, die diese Aufgabe übernimmt.

Der diskursanalytische Ansatz versteht Populismus als eine besondere Art der Diskursartikulation. Demnach schafft es der Populismus, jene Fragen und Anforderungen des Volkes diskursiv zu präsentieren, die von den demokratischen Repräsentant*innen und Institutionen nicht angesprochen werden. Populismus bildet eine Kette von "Äquivalenzen". Das heißt, er stellt verschiedene Forderungen der Bevölkerung als Ausdrücke eines einzigen Problems dar. Die Verbindung unterschiedlicher Unzufriedenheiten und ihre diskursive Darstellung als Manifestationen der mangelnden Volkssouveränität gibt dem Volk eine Identität. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er zeigen kann, dass Populismus ein fluides Phänomen ist. Für den Politikwissenschaftler Ernesto Laclau ist Populismus eine bestimmte Logik des Politischen. In der Tat bauen alle Typen des Populismus (Rechtspopulismus, Linkspopulismus, Populismus der Mitte oder neoliberaler Populismus) auf politischen und sozialen Unzufriedenheiten auf.

Das komplexe Konzept des Populismus knüpft an die beiden anderen Ansätze an. Es erkennt die Schlüsselkomponenten des Populismus aus dem ideenorientierten Ansatz und seine Abhängigkeit von einer stärkeren Ideologie, um das Volk und seine Feinde zu bestimmen. Mit dem diskurstheoretischen Ansatz teilt das komplexe Konzept die Annahme, dass Populismus nicht adressierte Forderungen des Volkes artikuliert, und benennt seinen fluiden Charakter. Populismus als komplex zu verstehen, heißt aber auch, zu erkennen, dass er schwächer oder stärker auftreten kann. Die Frage ist nicht, ob Parteien oder Politiker*innen populistisch sind oder nicht, sondern wie viel Populismus im Spiel ist. Populismus ist damit ein graduelles Phänomen. Akteur*innen können mehr oder weniger populistisch sein.

Das komplexe Konzept ergänzt den ideenorientierten Ansatz insofern, als es der "dünnen" Ideologie weitere Schlüsselkomponenten hinzufügt: neben der Idealisierung des Volkes, dem Volkssouveränitätsprinzip und der Opposition zwischen Elite und Volk gehören die Schlüsselrolle einer charismatischen Führerperson und die Ablehnung der Mediation des Volkswillens durch etablierte Parteien und Medien dazu. Mehr noch, diese Schlüsselkomponenten des Populismus sind in ein Narrativ des "betrogenen Volkes" eingebunden, bei dem eine Führerperson die schlafende Mehrheit politisiert und ihr die Wiederkehr der Volkssouveränität als "Happy End" verspricht. Donald Trumps Antrittsrede als US-Präsident zeichnete genau dieses Happy End, als er behauptete, am Tag seines Amtsantritts werde die Souveränität dem Volk rückübertragen.

Um das Volk und seine Feinde definieren zu können, ist der Populismus auf eine stärkere Ideologie angewiesen. Im Fall des Rechtspopulismus wird die Bestimmung des Volkes aus dem rechtsextremistischen Reservoir geholt, das seinerseits Anleihen beim italienischen Faschismus und beim Nationalsozialismus macht. Hier erscheint das Volk als ein einheitlicher, homogener Körper, dessen Integrität als bedroht angesehen wird, wenn "Fremde" in den Volkskörper eindringen.

Rechtsextreme Ideologien gründen auf zentralen, miteinander verbundenen Ideologemen. Dazu gehören etwa ein aggressiver Nationalismus, Geschichtsrevisionismus, die Vorstellung einer ethnisch homogenen Gesellschaft als Volkskörper, die Überzeugung, dass ihre Mitglieder einen höheren Wert als Nicht-Zugehörige haben, die Negierung der demokratischen Gleichheit, die Ablehnung des Wertepluralismus, Muslimfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus. Ein oft übersehener Aspekt von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ist zudem der Gender-Aspekt, der sich in Sexismus, Homophobie und der Ablehnung von LGBTQ-Personen äußert. In einem Punkt unterscheidet sich der Rechtsextremismus jedoch vom Populismus: Während der Populismus seine Legitimität mit der Volkssouveränität begründet, legitimieren sich rechtsextreme und faschistische Ideologien durch die Stärke des Staates.

Wenn Populismus mit rechtsextremen Ideologemen kombiniert wird, entsteht ein Diskurs, der die Forderungen und Kritiken der Bevölkerung ansprechen kann, diese aber insofern pervertiert, als der demokratische Inhalt dadurch beschädigt wird. Rechtspopulismus baut zwei Bezugslinien zwischen dem Volk und seinen Feinden auf. Er behält die vertikale Feindschaft des Volkes zur Elite, fügt aber eine horizontale hinzu: diejenige zwischen innen und außen, zwischen "Volkskörper" und "Eindringlingen". Die Geschichte des "betrogenen Volkes" wird um einen Topos erweitert. Die Elite ist korrupt, aber im Rechtspopulismus wird sie zusätzlich beschuldigt, den Fremden von außerhalb des "Volkskörpers" dazu zu verhelfen, das Volk zu infizieren und letztendlich zu zerstören. Das rechtsextreme Narrativ des "großen Volksaustausches" wird hier mit dem Bild einer korrupten Elite verknüpft, die aus Profitgier oder Unbekümmertheit nichts gegen den Angriff auf den "Volkskörper" unternimmt. Der Schutz der "eigenen abendländischen und christlichen Kultur" wird als Argument mobilisiert. Dieses Narrativ kann explizit rassistisch artikuliert werden ("die Muslime und Nicht-Weißen gegen die Europäer"), wie im Fall von extrem rechten Parteien wie La Reconquête von Éric Zemmour in Frankreich. Hier spricht man dann nicht mehr von Rechtspopulismus, sondern von Rechtsextremismus. Der Rechtspopulismus überschreitet die Grenzen des Sagbaren in der Regel nicht.

Allerdings können sowohl der Populismus als auch rechtsextreme Ideologeme in unterschiedlichen Intensitäten auftreten. Das bedeutet, dass man mehr oder weniger populistisch sein kann, genauso, wie man mehr oder weniger Anleihen bei rechtsextremistischen Ideologien machen kann. Die Intensität von Populismus und rechtsextremen Ideologien hängt immer von der Häufigkeit, Zentralität und Vollständigkeit der populistischen Logik beziehungsweise der rechtsextremistischen Ideologeme ab. Dies erklärt die Grauzonen zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus.

Ambivalenzen

Demokratische Gesellschaften stützen sich auf vier Grundprinzipien: Volkssouveränität, das Prinzip der Gleichheit, Menschenrechte und Freiheit. Demokratie braucht zudem einen öffentlichen Raum und kommunikative Umgangsweisen, die die politische Auseinandersetzung garantieren und destruktive Dynamiken verhindern. Populismus verortet sich eindeutig im demokratischen Rahmen, aber sein Verhältnis zur Demokratie ist aufgrund der ihm eigenen Verkürzungen und Übertreibungen ambivalent. Rechtspopulismus dagegen wirkt sich eindeutig negativ auf die demokratische politische Kultur und Öffentlichkeit aus, denn die Vorstellung einer Hierarchie zwischen den Menschen und die Idee des homogenen Volkskörpers, der gegen "Fremdlinge" verteidigt werden muss, stehen in klarer Opposition zur Universalität der Menschenrechte und zum alle Bürger*innen umfassenden Gleichheitsprinzip.

Eine positive Wirkung des Populismus auf die Demokratie entsteht, wenn die Volkssouveränität im Zentrum steht und die Bürger*innen zu mehr Partizipation und Kontrolle der politischen Repräsentant*innen animiert werden. Populismus macht die Schwachstellen der Demokratie sichtbar und zeigt auf die fehlende Umsetzung des Volkssouveränitätsprinzips in der Praxis. Der populistische Verweis auf konkrete Defizite der Demokratie hat das Potenzial, zu deren Korrektur beizutragen. Doch es gibt auch eine negative Seite: Zu dieser gehören die zu starke Vereinfachung von Sachverhalten und ihre Verzerrung durch Emotionalisierung, Dramatisierung und Schwarz-Weiß-Denken. Zusammen mit der Ausblendung des Pluralismus kann dies zur starken Polarisierung der Gesellschaft führen sowie eine differenzierte und lösungsorientierte politische Debatte verhindern. Die Welt tritt dann in manichäischer Gestalt auf, die nur noch Gut und Böse beziehungsweise "entweder – oder" kennt.

Diese Seite des Populismus erschwert öffentliche deliberative Prozesse und bedroht den gemeinsamen demokratischen Boden für politische Auseinandersetzungen. Auch die Skepsis gegenüber den politischen Institutionen und etablierten Medien birgt Risiken, wenn sie zu starke Formen annimmt. Eine solche Skepsis kann zur Demokratie beitragen, wenn sie die Bürger*innen wachsamer macht und nach Transparenz von politischen Institutionen, Medien und Regierungshandeln verlangt. Nimmt sie aber überhand, wird sie destruktiv. Dann glaubt man keiner Nachricht, keinem Gericht und keinen Politiker*innen mehr. Letztlich geht es also um die Frage der Intensität: Populismus ist wie Salz in der Suppe der Demokratie. Ist kein Salz dabei, schmeckt sie fade, und keiner will sie essen. Ist aber die Suppe versalzen, ist sie ungenießbar.

Beim Rechtspopulismus sieht es wiederum etwas anders aus. Die negativen Seiten des Populismus sind auch hier vorhanden, aber die möglichen positiven Effekte werden durch die anti-demokratischen rechtsextremen Ideologeme ins Negative verkehrt. Als Mischung aus Populismus und rechtsextremen Ideologien hat der Rechtspopulismus einen doppelten Referenzrahmen und damit eine doppelte Position gegenüber der Demokratie. Während sich der populistische Anteil im Rahmen der Demokratie verortet, stehen die rechtsextremen Ideologeme gegen die demokratischen Prinzipien. Das demokratische Potenzial des Populismus wird im Rechtspopulismus in einen Diskurs kanalisiert, der zwei grundlegende Prinzipien der Demokratie mindestens relativiert: Gleichheit und Menschenrechte.

Diffuse Grenzen

Anders als der Rechtsextremismus bricht der Rechtspopulismus nicht explizit mit diesen Prinzipien. Sie werden nicht direkt bestritten, sondern relativiert. Gleichheit und Menschenrechte gelten nur unter bestimmten Bedingungen, was im Widerspruch zur gleichen Behandlung aller Bürger*innen einerseits und zur Universalität der Menschenrechte andererseits steht. Anders als Rechtsextremist*innen sprechen Rechtspopulist*innen nicht von "Rassen" oder "minderwertigen Kulturen", sondern von Unterschieden in Kultur und Identität. Es gibt keine Hierarchie der Geschlechter, sondern "unterschiedliche Begabungen" von Mann und Frau. Der sogenannte Ethnopluralismus ist ein gutes Beispiel für solche rhetorischen Anpassungen rechtsextremer Ideologeme an den demokratischen Rahmen. Rhetorisch erkennt der Rechtspopulismus die Berechtigung aller Identitäten an und scheint sich dem Pluralismus zuzuordnen, doch inhaltlich ist diese Pluralität nicht in einem gemeinsamen demokratischen Raum vorgesehen. Im Gegenteil, die unterschiedlichen Identitäten sollen getrennt voneinander leben. Diejenigen, die "anders" sind, sollen irgendwo anders leben oder vom "eigentlichen Volk" isoliert werden. Insofern unterscheidet sich der Rechtspopulismus durchaus vom Rechtsextremismus: "Kämpfen die einen [die Rechtsextremen] für das Überleben und die Rechte der weißen ‚Rasse‘, so geht es den anderen [den Rechtspopulisten] in erster Linie um die Bewahrung und den Schutz der eigenen kulturellen und nationalen Identität."

Rechtspopulismus spricht ein demokratisches und ein antidemokratisches Publikum gleichzeitig an. Dafür benutzt er rhetorische Tricks. Die "kalkulierte Ambivalenz" ist der wichtigste unter ihnen. Er beruht darauf, "absichtlich zweideutige, einander widersprechende Botschaften auszusenden, die dazu dienen, unterschiedliche Gruppen von Adressatinnen anzusprechen, den weltanschaulichen, politischen oder ethischen Standort des populistischen Politikers oder der populistischen Politikerin in einer bestimmten Angelegenheit nicht eindeutig zu lokalisieren oder ein bestimmtes Tabu zu brechen, ohne zur Verantwortung gezogen werden zu können". Kalkulierte Ambivalenz produziert eine Verbindung von anti-demokratischen Ideologemen zum demokratischen Rahmen der Öffentlichkeit, indem das Nicht-Sagbare gesagt und ihm zugleich widersprochen wird.

Der ehemalige Berater von Donald Trump, Steve Bannon, ist ein Meister der kalkulierten Ambivalenzen. In seiner Gastrede beim Rassemblement National in Frankreich 2018 erklärte Bannon, dass Donald Trump sich nicht um "Rasse" oder Religion kümmere, sondern nur darum, ob man ein Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika sei. Das klingt demokratisch. Doch seine Rede endete mit einem performativen Appell, der mit mehreren Tabus bricht: "Let them call you racist. Let them call you xenophobes. Let them call you nativist. Wear it as a badge of honor." Wie kann man diese Bezeichnungen in einem demokratischen Kontext als Ehrenabzeichen tragen? Diese Worte widersprechen den fundamentalen demokratischen Prinzipien der Gleichheit und der Menschenrechte. Sollten die Bezeichnungen "rassistisch", "xenophob" und "nativistisch" tatsächlich als "Ehrenzeichen" gelten, befindet man sich bereits außerhalb des demokratischen Kontexts. Die Kombination dieser beiden Botschaften produziert einen widersprüchlichen Mix, der beide Aussagen instabil macht und ein besonders problematisches Verhältnis zur Demokratie offenbart.

Populismus als Brücke

Rechtsextreme Ideologeme erhalten Akzeptanz, wenn sie mit Populismus kombiniert werden. Rechtspopulismus gibt an, sich innerhalb der Demokratie zu verorten, die Volkssouveränität zu verteidigen, die Anliegen und Forderungen des Volkes zur Sprache zu bringen und die Missstände der Demokratie offenzulegen. Soweit sein populistischer Anteil. Zugleich aber verbreitet er Ideologeme, die grundlegenden demokratischen Prinzipien widersprechen. Der Populismus dient hier als Brücke zwischen rechtsextremen Ideologien, die außerhalb der Demokratie stehen, und der demokratischen Öffentlichkeit.

Diese Brückenfunktion wird durch eine systemische Affinität zwischen der populistischen Kommunikation und der Logik der Massenmedien befördert. Massenmedien (online und offline) folgen einer bestimmten Logik für die Auswahl und Präsentation ihrer Inhalte. Dazu gehören: eine Reduktion von Komplexität, die für allgemeine Verständlichkeit sorgt; die Privilegierung des Außergewöhnlichen, wozu Skandale und Tabubrüche zählen; das Gefühl einer Unmittelbarkeit zum Geschehen; Personalisierung und Emotionalisierung; die Dramatisierung der Themen; die Konfliktproduktion in Form von konfrontativer Auseinandersetzung; sowie eine bestimmte Erzählstruktur. Trotz zusätzlicher spezifischer Anforderungen der jeweiligen Medien – und neuer Bedingungen und Dynamiken der sozialen Medien –, gilt diese allgemeine Logik für alle Medien. Je mehr ein Medium vom ökonomischen Erfolg abhängig ist, desto stärker bestimmt diese Logik die Auswahl und die Präsentation seiner Inhalte.

Populismus wirkt sich auf die politische Kommunikation vor allem durch sieben Eigenschaften aus: Er vereinfacht politische Zusammenhänge so, dass es zu rhetorischen Kurzschlüssen und Verzerrungen kommt; er produziert Skandale und Tabubrüche; er gibt vor, den Willen und die Meinung des Volkes unmittelbar zum Ausdruck zu bringen; er personalisiert Politik stark durch eine Führerperson; er emotionalisiert und dramatisiert Probleme und Situationen; er greift auf eine manichäische Struktur zurück, die konfliktgeladen ist und polarisierend wirkt; und er bindet all diese Elemente in das Narrativ des "betrogenen Volkes" ein.

All dies macht deutlich, dass es eine systemische Affinität zwischen der Logik der Massenmedien und der populistischen Kommunikation gibt (Abbildung). Politische Akteur*innen, die sich des Populismus bedienen, haben unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung höhere Chancen, Medienaufmerksamkeit zu erzeugen. Sie gewinnen damit den Wettbewerb gegen andere Akteur*innen und setzen ihre Konkurrent*innen so unter Druck. Für die Demokratie liegt das Risiko des Rechtspopulismus darin, dass bei diesem Wettbewerb nicht nur der Populismus, sondern auch die rechtsextremen Ideologeme von den etablierten Parteien übernommen werden – in der Hoffnung, im politischen Wettbewerb zu bestehen. Dadurch und durch die massenmediale Verbreitung rechtsextremer Ideologeme können sich die politische Normalität und politische Normen verschieben – wodurch auch rechtsextreme Ideologien normalisiert werden.

Normalisierung und Grenzverschiebung

"Normalität" ist nichts Fixiertes, sondern wird ständig neu konstruiert, korrigiert, revidiert oder auch bestätigt. Normalisierung ist auch kein Prozess von einzelnen Akteur*innen, sondern schließt die Medien, die Politik und die Gesellschaft mit ein. Wenn aber die Rechtspopulist*innen es leichter haben, Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen, zirkulieren nicht nur populistische Inhalte, sondern auch die damit verknüpften rechtsextremen Ideologeme in der Öffentlichkeit. Für Österreich ist das schon vor einiger Zeit eindrücklich beschrieben worden. Dort zeigte sich früh, wie die politische Normalität eine tiefgehende Transformation durchlief, die nicht nur den Sinn für das Alltägliche, sondern auch die gesellschaftlichen und politischen Normen veränderte. Normalisierung findet, so kann man daraus lernen, dann statt, wenn Diskurse es aus der (hier extrem rechten) Peripherie heraus in die Mitte der Gesellschaft schaffen und von etablierten Parteien aufgegriffen und geteilt werden.

Was als normal gilt, verändert sich und ist das Ergebnis politischer Kämpfe. In Fällen wie Österreich oder Frankreich erreichten solche rechtsextremen Diskurse in manchen Fällen in transformierter Form sogar das Stadium von Gesetzesentwürfen. In Europa ist vor allem das Thema Migration zur Schnittstelle geworden, an der eine solche Normalisierung stattfindet. Doch sollten sich die demokratischen Parteien des damit verbundenen Paradoxes bewusst sein: Je mehr sie dem Normalisierungsdrang nachgeben, desto mehr geraten sie selbst unter Druck.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Das Bündnis Sahra Wagenknecht kann nicht als rechtspopulistisch bezeichnet werden, die von ihm vorgeschlagene Sozial- und Steuerpolitik etwa ist im linken politischen Spektrum zu verorten. In der Frage der Ausländer- und Migrationspolitik nähert es sich jedoch dem Rechtspopulismus an.

  2. Ideologeme sind Bestandteile, auf denen sich Ideologien aufbauen. Sie beinhalten Vorstellungen sowie Ideen und finden ihren Ausdruck in Worten. So ist etwa die Idee, dass Menschen ungleich sind, weil sie unterschiedlichen "Rassen" angehören, ein Ideologem der rechtsextremen und nazistischen Ideologien.

  3. Vgl. Cas Mudde/Cristóbal Rovira Kaltwasser, Populism. A Very Short Introduction, Oxford 2017. Zum diskursanalytischen Verständnis von Populismus siehe Ernesto Laclau, On Populist Reason, New York 2005. Für das komplexe Konzept des Populismus siehe Paula Diehl, Rethinking Populism in Complex Terms, in: dies./Brigitte Bargetz (Hrsg.), The Complexity of Populism. New Approaches and Methods, London 2023, S. 19–36.

  4. Vgl. Michael Freeden, Ideology. A Very Short Introduction, Oxford 2003.

  5. Vgl. Pierre-André Taguieff, L’illusion populiste, Paris 2007.

  6. Siehe Externer Link: http://www.youtube.com/watch?v=sRBsJNdK1t0.

  7. Vgl. Paula Diehl, Macht – Mythos – Utopie. Die Körperbilder der SS-Männer, Berlin 2005.

  8. Vgl. Hans-Gerd Jaschke, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, Wiesbaden 2001; Stephan Bundschuh, Die braune Seite der Zivilgesellschaft, in: APuZ 18–19/2012, S. 33–39.

  9. Vgl. Birgit Sauer, Gender as an Analytical Approach to Understanding. Authoritarian Right-Wing Populism and Assessing Populism, in: Diehl/Bargetz (Anm. 3), S. 55–73.

  10. Vgl. z.B. Claude Lefort, Die Frage der Demokratie, in: Ulrich Rödel (Hrsg.), Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Frankfurt/M. 1990, S. 281–297.

  11. Hans-Georg Betz, Rechtspopulismus in Westeuropa. Aktuelle Entwicklungen und politische Bedeutung, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 3/2002, S. 251–264, hier S. 252.

  12. Martin Reisigl, "Dem Volk aufs Maul schauen, nach dem Mund reden und Angst und Bange machen." Von populistischen Anrufungen, Anbiederungen und Agitationsweisen in der Sprache österreichischer PolitikerInnen, in: Wolfgang Eismann (Hrsg.), Rechtspopulismus. Österreichische Krankheit oder europäische Normalität?, Wien 2002, S. 149–198, hier S. 168.

  13. Inzwischen wurde das Video aus dem Netz genommen. Ein kurzer Ausschnitt kann aber abgerufen werden unter Externer Link: https://fr.euronews.com/video/2018/03/10/congres-du-fn-steve-bannon-en-vedette-americaine.

  14. Vgl. Gianpietro Mazzoleni, The Media and the Growth of Neo-Populism in Contemporary Democracies, in: ders./Julianne Stewart/Bruce Horsfield (Hrsg.), The Media and Neo-Populism. A Contemporary Comparative Analysis, Westport, CT–London 2003, S. 1–20; Thomas Mayer, Populismus und Medien, in: Frank Decker (Hrsg.), Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden 2006, S. 81–96; Paula Diehl, Populismus, Antipolitik, Politainment. Eine Auseinandersetzung mit neuen Tendenzen der politischen Kommunikation, in: Berliner Debatte Initial 1/2011, S. 27–39.

  15. Darunter sind vor allem die doppelte Funktion der User als Empfänger und Produzenten von Inhalt, die Dynamik der Likes und die Steuerung durch Algorithmen gefasst. Vgl. Lance W. Bennett/Alexandra Segerberg, The Logic of Connective Action, in: Information, Communication & Society 5/2012, S. 739–768; Paolo Gerbaudo, Social Media and Populism: An Elective Affinity?, in: Media, Culture & Society 5/2018, S. 745–753.

  16. Vgl. Gianpietro Mazzoleni, Media Logic, in: The International Encyclopedia of Communication, New Jersey 2008, S. 2930ff.

  17. Vgl. Diehl (Anm. 3), S. 28ff.

  18. Vgl. Ruth Wodak, Politik mit der Angst, Wien 2016, hier S. 29ff.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Paula Diehl für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.