In jüngster Zeit ist viel vom Rechtspopulismus die Rede – und von der Gefahr, die möglicherweise von ihm für die Demokratie ausgeht. Nicht nur Oppositionsparteien dieses politischen Spektrums gewinnen immer mehr Zustimmung inner- und außerhalb Europas, in vielen Ländern bilden rechtspopulistische Parteien auch die Regierung oder sind an ihr beteiligt. Dies gilt etwa seit mehreren Wahlperioden in Ungarn, in Italien, wo zwei rechtspopulistische Parteien (Lega Nord und Forza Italia) mit der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni koalieren, oder für Argentinien, wo jüngst der Rechtspopulist Javier Milei zum Präsidenten gewählt wurde. In den Niederlanden gewann Geert Wilders mit seiner PVV die zurückliegende Parlamentswahl, und noch nicht vergessen sind die nur knapp abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro in Brasilien und Donald Trump in den USA. Nicht ausgeschlossen ist zudem, dass Marine Le Pen (Rassemblement National) und Donald Trump die nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich beziehungsweise den USA gewinnen. In Deutschland kann die AfD auf eine stabile Wählerschaft zählen, trotz der neuen Konkurrenz durch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Populismus oder Rechtspopulismus?
Rechtspopulismus ist eine Mischung aus Populismus und rechtsextremen Ideologemen.
Der ideenorientierte Ansatz versteht Populismus als eine "dünne Ideologie" und lässt sich dabei von Michael Freedens Ideologietheorie inspirieren.
Der diskursanalytische Ansatz versteht Populismus als eine besondere Art der Diskursartikulation. Demnach schafft es der Populismus, jene Fragen und Anforderungen des Volkes diskursiv zu präsentieren, die von den demokratischen Repräsentant*innen und Institutionen nicht angesprochen werden. Populismus bildet eine Kette von "Äquivalenzen". Das heißt, er stellt verschiedene Forderungen der Bevölkerung als Ausdrücke eines einzigen Problems dar. Die Verbindung unterschiedlicher Unzufriedenheiten und ihre diskursive Darstellung als Manifestationen der mangelnden Volkssouveränität gibt dem Volk eine Identität. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er zeigen kann, dass Populismus ein fluides Phänomen ist. Für den Politikwissenschaftler Ernesto Laclau ist Populismus eine bestimmte Logik des Politischen. In der Tat bauen alle Typen des Populismus (Rechtspopulismus, Linkspopulismus, Populismus der Mitte oder neoliberaler Populismus) auf politischen und sozialen Unzufriedenheiten auf.
Das komplexe Konzept des Populismus knüpft an die beiden anderen Ansätze an. Es erkennt die Schlüsselkomponenten des Populismus aus dem ideenorientierten Ansatz und seine Abhängigkeit von einer stärkeren Ideologie, um das Volk und seine Feinde zu bestimmen. Mit dem diskurstheoretischen Ansatz teilt das komplexe Konzept die Annahme, dass Populismus nicht adressierte Forderungen des Volkes artikuliert, und benennt seinen fluiden Charakter. Populismus als komplex zu verstehen, heißt aber auch, zu erkennen, dass er schwächer oder stärker auftreten kann. Die Frage ist nicht, ob Parteien oder Politiker*innen populistisch sind oder nicht, sondern wie viel Populismus im Spiel ist. Populismus ist damit ein graduelles Phänomen. Akteur*innen können mehr oder weniger populistisch sein.
Das komplexe Konzept ergänzt den ideenorientierten Ansatz insofern, als es der "dünnen" Ideologie weitere Schlüsselkomponenten hinzufügt: neben der Idealisierung des Volkes, dem Volkssouveränitätsprinzip und der Opposition zwischen Elite und Volk gehören die Schlüsselrolle einer charismatischen Führerperson und die Ablehnung der Mediation des Volkswillens durch etablierte Parteien und Medien dazu. Mehr noch, diese Schlüsselkomponenten des Populismus sind in ein Narrativ des "betrogenen Volkes"
Um das Volk und seine Feinde definieren zu können, ist der Populismus auf eine stärkere Ideologie angewiesen. Im Fall des Rechtspopulismus wird die Bestimmung des Volkes aus dem rechtsextremistischen Reservoir geholt, das seinerseits Anleihen beim italienischen Faschismus und beim Nationalsozialismus macht. Hier erscheint das Volk als ein einheitlicher, homogener Körper, dessen Integrität als bedroht angesehen wird, wenn "Fremde" in den Volkskörper eindringen.
Rechtsextreme Ideologien gründen auf zentralen, miteinander verbundenen Ideologemen. Dazu gehören etwa ein aggressiver Nationalismus, Geschichtsrevisionismus, die Vorstellung einer ethnisch homogenen Gesellschaft als Volkskörper, die Überzeugung, dass ihre Mitglieder einen höheren Wert als Nicht-Zugehörige haben, die Negierung der demokratischen Gleichheit, die Ablehnung des Wertepluralismus, Muslimfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus.
Wenn Populismus mit rechtsextremen Ideologemen kombiniert wird, entsteht ein Diskurs, der die Forderungen und Kritiken der Bevölkerung ansprechen kann, diese aber insofern pervertiert, als der demokratische Inhalt dadurch beschädigt wird. Rechtspopulismus baut zwei Bezugslinien zwischen dem Volk und seinen Feinden auf. Er behält die vertikale Feindschaft des Volkes zur Elite, fügt aber eine horizontale hinzu: diejenige zwischen innen und außen, zwischen "Volkskörper" und "Eindringlingen". Die Geschichte des "betrogenen Volkes" wird um einen Topos erweitert. Die Elite ist korrupt, aber im Rechtspopulismus wird sie zusätzlich beschuldigt, den Fremden von außerhalb des "Volkskörpers" dazu zu verhelfen, das Volk zu infizieren und letztendlich zu zerstören. Das rechtsextreme Narrativ des "großen Volksaustausches" wird hier mit dem Bild einer korrupten Elite verknüpft, die aus Profitgier oder Unbekümmertheit nichts gegen den Angriff auf den "Volkskörper" unternimmt. Der Schutz der "eigenen abendländischen und christlichen Kultur" wird als Argument mobilisiert. Dieses Narrativ kann explizit rassistisch artikuliert werden ("die Muslime und Nicht-Weißen gegen die Europäer"), wie im Fall von extrem rechten Parteien wie La Reconquête von Éric Zemmour in Frankreich. Hier spricht man dann nicht mehr von Rechtspopulismus, sondern von Rechtsextremismus. Der Rechtspopulismus überschreitet die Grenzen des Sagbaren in der Regel nicht.
Allerdings können sowohl der Populismus als auch rechtsextreme Ideologeme in unterschiedlichen Intensitäten auftreten. Das bedeutet, dass man mehr oder weniger populistisch sein kann, genauso, wie man mehr oder weniger Anleihen bei rechtsextremistischen Ideologien machen kann. Die Intensität von Populismus und rechtsextremen Ideologien hängt immer von der Häufigkeit, Zentralität und Vollständigkeit der populistischen Logik beziehungsweise der rechtsextremistischen Ideologeme ab. Dies erklärt die Grauzonen zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus.
Ambivalenzen
Demokratische Gesellschaften stützen sich auf vier Grundprinzipien: Volkssouveränität, das Prinzip der Gleichheit, Menschenrechte und Freiheit.
Eine positive Wirkung des Populismus auf die Demokratie entsteht, wenn die Volkssouveränität im Zentrum steht und die Bürger*innen zu mehr Partizipation und Kontrolle der politischen Repräsentant*innen animiert werden. Populismus macht die Schwachstellen der Demokratie sichtbar und zeigt auf die fehlende Umsetzung des Volkssouveränitätsprinzips in der Praxis. Der populistische Verweis auf konkrete Defizite der Demokratie hat das Potenzial, zu deren Korrektur beizutragen. Doch es gibt auch eine negative Seite: Zu dieser gehören die zu starke Vereinfachung von Sachverhalten und ihre Verzerrung durch Emotionalisierung, Dramatisierung und Schwarz-Weiß-Denken. Zusammen mit der Ausblendung des Pluralismus kann dies zur starken Polarisierung der Gesellschaft führen sowie eine differenzierte und lösungsorientierte politische Debatte verhindern. Die Welt tritt dann in manichäischer Gestalt auf, die nur noch Gut und Böse beziehungsweise "entweder – oder" kennt.
Diese Seite des Populismus erschwert öffentliche deliberative Prozesse und bedroht den gemeinsamen demokratischen Boden für politische Auseinandersetzungen. Auch die Skepsis gegenüber den politischen Institutionen und etablierten Medien birgt Risiken, wenn sie zu starke Formen annimmt. Eine solche Skepsis kann zur Demokratie beitragen, wenn sie die Bürger*innen wachsamer macht und nach Transparenz von politischen Institutionen, Medien und Regierungshandeln verlangt. Nimmt sie aber überhand, wird sie destruktiv. Dann glaubt man keiner Nachricht, keinem Gericht und keinen Politiker*innen mehr. Letztlich geht es also um die Frage der Intensität: Populismus ist wie Salz in der Suppe der Demokratie. Ist kein Salz dabei, schmeckt sie fade, und keiner will sie essen. Ist aber die Suppe versalzen, ist sie ungenießbar.
Beim Rechtspopulismus sieht es wiederum etwas anders aus. Die negativen Seiten des Populismus sind auch hier vorhanden, aber die möglichen positiven Effekte werden durch die anti-demokratischen rechtsextremen Ideologeme ins Negative verkehrt. Als Mischung aus Populismus und rechtsextremen Ideologien hat der Rechtspopulismus einen doppelten Referenzrahmen und damit eine doppelte Position gegenüber der Demokratie. Während sich der populistische Anteil im Rahmen der Demokratie verortet, stehen die rechtsextremen Ideologeme gegen die demokratischen Prinzipien. Das demokratische Potenzial des Populismus wird im Rechtspopulismus in einen Diskurs kanalisiert, der zwei grundlegende Prinzipien der Demokratie mindestens relativiert: Gleichheit und Menschenrechte.
Diffuse Grenzen
Anders als der Rechtsextremismus bricht der Rechtspopulismus nicht explizit mit diesen Prinzipien. Sie werden nicht direkt bestritten, sondern relativiert. Gleichheit und Menschenrechte gelten nur unter bestimmten Bedingungen, was im Widerspruch zur gleichen Behandlung aller Bürger*innen einerseits und zur Universalität der Menschenrechte andererseits steht. Anders als Rechtsextremist*innen sprechen Rechtspopulist*innen nicht von "Rassen" oder "minderwertigen Kulturen", sondern von Unterschieden in Kultur und Identität. Es gibt keine Hierarchie der Geschlechter, sondern "unterschiedliche Begabungen" von Mann und Frau. Der sogenannte Ethnopluralismus ist ein gutes Beispiel für solche rhetorischen Anpassungen rechtsextremer Ideologeme an den demokratischen Rahmen. Rhetorisch erkennt der Rechtspopulismus die Berechtigung aller Identitäten an und scheint sich dem Pluralismus zuzuordnen, doch inhaltlich ist diese Pluralität nicht in einem gemeinsamen demokratischen Raum vorgesehen. Im Gegenteil, die unterschiedlichen Identitäten sollen getrennt voneinander leben. Diejenigen, die "anders" sind, sollen irgendwo anders leben oder vom "eigentlichen Volk" isoliert werden. Insofern unterscheidet sich der Rechtspopulismus durchaus vom Rechtsextremismus: "Kämpfen die einen [die Rechtsextremen] für das Überleben und die Rechte der weißen ‚Rasse‘, so geht es den anderen [den Rechtspopulisten] in erster Linie um die Bewahrung und den Schutz der eigenen kulturellen und nationalen Identität."
Rechtspopulismus spricht ein demokratisches und ein antidemokratisches Publikum gleichzeitig an. Dafür benutzt er rhetorische Tricks. Die "kalkulierte Ambivalenz" ist der wichtigste unter ihnen. Er beruht darauf, "absichtlich zweideutige, einander widersprechende Botschaften auszusenden, die dazu dienen, unterschiedliche Gruppen von Adressatinnen anzusprechen, den weltanschaulichen, politischen oder ethischen Standort des populistischen Politikers oder der populistischen Politikerin in einer bestimmten Angelegenheit nicht eindeutig zu lokalisieren oder ein bestimmtes Tabu zu brechen, ohne zur Verantwortung gezogen werden zu können".
Der ehemalige Berater von Donald Trump, Steve Bannon, ist ein Meister der kalkulierten Ambivalenzen. In seiner Gastrede beim Rassemblement National in Frankreich 2018 erklärte Bannon, dass Donald Trump sich nicht um "Rasse" oder Religion kümmere, sondern nur darum, ob man ein Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika sei. Das klingt demokratisch. Doch seine Rede endete mit einem performativen Appell, der mit mehreren Tabus bricht: "Let them call you racist. Let them call you xenophobes. Let them call you nativist. Wear it as a badge of honor."
Populismus als Brücke
Rechtsextreme Ideologeme erhalten Akzeptanz, wenn sie mit Populismus kombiniert werden. Rechtspopulismus gibt an, sich innerhalb der Demokratie zu verorten, die Volkssouveränität zu verteidigen, die Anliegen und Forderungen des Volkes zur Sprache zu bringen und die Missstände der Demokratie offenzulegen. Soweit sein populistischer Anteil. Zugleich aber verbreitet er Ideologeme, die grundlegenden demokratischen Prinzipien widersprechen. Der Populismus dient hier als Brücke zwischen rechtsextremen Ideologien, die außerhalb der Demokratie stehen, und der demokratischen Öffentlichkeit.
Diese Brückenfunktion wird durch eine systemische Affinität zwischen der populistischen Kommunikation und der Logik der Massenmedien befördert.
Populismus wirkt sich auf die politische Kommunikation vor allem durch sieben Eigenschaften aus: Er vereinfacht politische Zusammenhänge so, dass es zu rhetorischen Kurzschlüssen und Verzerrungen kommt; er produziert Skandale und Tabubrüche; er gibt vor, den Willen und die Meinung des Volkes unmittelbar zum Ausdruck zu bringen; er personalisiert Politik stark durch eine Führerperson; er emotionalisiert und dramatisiert Probleme und Situationen; er greift auf eine manichäische Struktur zurück, die konfliktgeladen ist und polarisierend wirkt; und er bindet all diese Elemente in das Narrativ des "betrogenen Volkes" ein.
All dies macht deutlich, dass es eine systemische Affinität zwischen der Logik der Massenmedien und der populistischen Kommunikation gibt (Abbildung). Politische Akteur*innen, die sich des Populismus bedienen, haben unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung höhere Chancen, Medienaufmerksamkeit zu erzeugen. Sie gewinnen damit den Wettbewerb gegen andere Akteur*innen und setzen ihre Konkurrent*innen so unter Druck. Für die Demokratie liegt das Risiko des Rechtspopulismus darin, dass bei diesem Wettbewerb nicht nur der Populismus, sondern auch die rechtsextremen Ideologeme von den etablierten Parteien übernommen werden – in der Hoffnung, im politischen Wettbewerb zu bestehen. Dadurch und durch die massenmediale Verbreitung rechtsextremer Ideologeme können sich die politische Normalität und politische Normen verschieben – wodurch auch rechtsextreme Ideologien normalisiert werden.
Normalisierung und Grenzverschiebung
"Normalität" ist nichts Fixiertes, sondern wird ständig neu konstruiert, korrigiert, revidiert oder auch bestätigt. Normalisierung ist auch kein Prozess von einzelnen Akteur*innen, sondern schließt die Medien, die Politik und die Gesellschaft mit ein. Wenn aber die Rechtspopulist*innen es leichter haben, Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen, zirkulieren nicht nur populistische Inhalte, sondern auch die damit verknüpften rechtsextremen Ideologeme in der Öffentlichkeit. Für Österreich ist das schon vor einiger Zeit eindrücklich beschrieben worden.
Was als normal gilt, verändert sich und ist das Ergebnis politischer Kämpfe. In Fällen wie Österreich oder Frankreich erreichten solche rechtsextremen Diskurse in manchen Fällen in transformierter Form sogar das Stadium von Gesetzesentwürfen. In Europa ist vor allem das Thema Migration zur Schnittstelle geworden, an der eine solche Normalisierung stattfindet. Doch sollten sich die demokratischen Parteien des damit verbundenen Paradoxes bewusst sein: Je mehr sie dem Normalisierungsdrang nachgeben, desto mehr geraten sie selbst unter Druck.