Um die Demokratie scheint es in diesen Tagen nicht gut bestellt zu sein. Die Erfolge populistischer und extremistischer Parteien bei nationalen und europäischen Wahlen, das sinkende Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Problemlösungsfähigkeit demokratischer Akteure und die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft zeichnen das Bild einer Demokratie, die mit den Herausforderungen der Zeit nur suboptimal zurechtkommt. Während in den Vereinigten Staaten ein rechtspopulistisches Revival nach den kommenden Präsidentschaftswahlen nicht ausgeschlossen ist, ringen progressive und reaktionäre Kräfte auch im Rest der demokratischen Welt um den richtigen Kurs.
Für einen Abgesang auf die Demokratie ist es gleichwohl zu früh. Weder sind die USA, Brasilien oder Polen nach den jüngsten populistischen Episoden in die Autokratie abgedriftet, noch ist dies derzeit für andere etablierte Demokratien zu erwarten, deren Institutionen und Gesellschaften sich bisher als durchaus resilient gegenüber autoritären Versuchungen erwiesen haben. Das gilt auch für die deutsche Demokratie, deren institutionelle Stabilität grundsätzlich nicht infrage steht. Anders als die Weimarer Republik befindet sie sich weder im Zangengriff radikaler Antisystemparteien, noch fehlt es ihr an genereller Unterstützung durch eine vitale Zivilgesellschaft. Dass insbesondere die liberalen Komponenten der Demokratie unter Druck stehen, ist jedoch offenkundig – und dies nicht nur von den extremistischen Rändern her, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft.
Der drohende Verlust liberaler Zivilitätsnormen muss beunruhigen, auch wenn die Demokratie als Regierungsform nicht unmittelbar in Gefahr ist. Menschen zur "Remigration" drängen zu wollen, sie wegen ihrer Herkunft, ihres sozialen Status oder ihrer sexuellen Orientierung abzuwerten oder wegen "abweichender Meinungen" aus dem Diskurs auszuschließen, hat mit der Demokratie des Grundgesetzes, die in diesen Tagen allenthalben beschworen wird, nichts zu tun. Verlöre der demokratische Rechtsstaat seine liberalen Bestandteile, wäre das, was wir seit nunmehr gut 75 Jahren unter "Demokratie" verstehen, Geschichte.