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China und seine Nachbarn Editorial Regionaler Hegemon? Kleine Geschichte der auswärtigen Beziehungen Chinas in Asien "Von der Verlobung zur Rivalität". China und seine benachbarten Großmächte Über das Seerecht zur Seemacht. Chinas maritime Machtspiele und strategische Konflikte Bedrohte Demokratie. Der Konflikt in der Taiwanstraße Ziemlich beste Rivalen? Sino-russische Beziehungen nach dem Angriff auf die Ukraine "So eng wie Lippen und Zähne"? Chinas Beziehungen zu Nordkorea Chinesische Migration und soziale Reproduktion Karte

Regionaler Hegemon? Kleine Geschichte der auswärtigen Beziehungen Chinas in Asien

Klaus Mühlhahn

/ 17 Minuten zu lesen

Als "Reich der Mitte" grenzt China an 14 sehr unterschiedliche Länder. Beim Blick in die von Uneinheitlichkeit und Fragmentierung geprägte Geschichte von Chinas regionaler Außenpolitik entpuppt sich die Annahme der kontinuierlichen Vorherrschaft Chinas in Asien als Mythos.

Eine populäre Wahrnehmung sowohl im Westen als auch in China besagt, dass China als "Reich der Mitte" in der Frühen Neuzeit Ostasien dominiert habe. Durch die regelmäßige Entsendung von Tributmissionen erkannten andere asiatische Staaten die Oberhoheit des chinesischen Reiches an. China sei das kulturelle, wirtschaftliche und technologische Zentrum gewesen, dem sich Asien untergeordnet habe. In der Gegenwart sei China entschlossen, diese im 19. und 20. Jahrhundert verlorene Zentralstellung in der Region wiederherzustellen.

Tatsächlich handelt es sich bei diesem historischen Narrativ um einen Mythos. Aufgrund seiner territorialen Größe sowie seines demografischen und wirtschaftlichen Wachstums war China als Partner für viele asiatische Reiche fraglos sehr attraktiv. Zu keiner Zeit aber hat das chinesische Reich die Region dominiert. Im Gegenteil: Die regionalen Beziehungen waren meistens angespannt. China fühlte sich durch seine unmittelbaren Nachbarn häufig bedroht. Zugleich war China nie in der Lage, die Nachbarstaaten dauerhaft durch militärische Gewalt zu unterwerfen.

Auch im 20. und 21. Jahrhundert bleiben die Beziehungen Chinas mit Staaten in der Region diffizil. Aufgrund der kontinentalen Größe hatte und hat China mehr direkte Nachbarn als jedes andere Land, mit Ausnahme Russlands. China grenzt unmittelbar an 14 Länder: von Vietnam im Süden über Himalaya-Staaten und Indien im Südwesten, Russland und die zentralasiatischen Staaten im Norden und (Nord-)Westen bis hin zu Korea im Nordosten. Diese Diversität stellt die chinesische Außenpolitik vor erhebliche Herausforderungen. China muss sich entlang seiner langen Grenze mit vielen unterschiedlichen Strukturen, Interessen und Gegebenheiten auseinandersetzen und mit ganz unterschiedlichen Gegenübern wie multireligiösen Staaten, Königreichen, Militärdiktaturen und Demokratien umgehen.

Im folgenden Beitrag wird die komplexe und vielschichtige Geschichte der Beziehungen Chinas zu den wichtigsten Nachbarn in Asien, vor allem in Zentral-, Südost- und Nordostasien, skizziert. Dabei stehen vor allem die chinesischen Perspektiven und Motive im Mittelpunkt.

Zentralasien

Zwischen China und den Staaten Zentralasiens gibt es seit Jahrhunderten Austauschbeziehungen sowohl auf politischer und kultureller als auch auf wirtschaftlicher Ebene.

Angesichts einer langen Geschichte von Plünderungen und Invasionen durch die Völker aus den nördlich gelegenen Steppen legte das chinesische Kaiserreich seit der Han Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) großen Wert auf Grenzverteidigung und Sicherheitsfragen im Umgang mit Zentralasien. Das hängt mit der Geografie der nordchinesischen Tiefebene zusammen sowie mit Schwierigkeiten, die ausgedehnten Grenzen des riesigen Territoriums zu verteidigen. Die nordchinesische Tiefebene ist flach und ohne natürliche Verteidigungsbarrieren wie Bergketten, große Seen oder Flüsse. China war Angriffen aus dem Nordwesten oder Nordosten daher schutzlos ausgesetzt. Besonders gefährlich war es, wenn die Steppennomaden bei ihren Angriffen Pferde einsetzten und so zu einer gewaltigen Streitmacht wurden. Die Eroberungsdynastien wie die Liao (916–1125), die Jin (1115–1234), die Yuan (1279–1368) und die Qing (1644–1911) belegen den Zeitraum und das Ausmaß der gewaltigen Herausforderungen, die aus dem Norden drohten.

Die Beziehungen Chinas nach Zentralasien lassen sich bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. zurückverfolgen, als die Seidenstraße sich zu einer wichtigen Handelsroute zwischen China und Europa entwickelte. Diese Handelsroute, die bis in die Neuzeit hinein bestand, verband China auch mit Zentralasien und dem Mittleren Osten. Der Handel mit Seide, Gewürzen, Tee und anderen Waren resultierte für China und Zentralasien ebenfalls in einem Austausch von Kultur und Wissen. Insbesondere die chinesische Tang-Dynastie (618–907) pflegte enge Beziehungen mit den zentralasiatischen Staaten, beispielsweise dem muslimischen Samaniden-Reich.

Im 13. Jahrhundert eroberten die Mongolen unter Führung von Dschingis Khan große Teile Zentralasiens und gründeten das Mongolische Reich. Auch China wurde von den Mongolen erobert und in das Mongolische Reich integriert. In dieser Zeit wurde Zentralasien zu einem wichtigen Bindeglied innerhalb des Reiches und fungierte als Brücke zwischen China und Europa. Der Handel auf der Seidenstraße erreichte unterdessen seinen Höhepunkt.

Im 17. Jahrhundert, nach dem Untergang der mongolischen Yuan- sowie der darauf folgenden chinesischen Ming-Dynastie, übernahm die mandschurische Qing-Dynastie die Macht in China und begann eine Politik der räumlichen Expansion. Die Qing eroberten in ihrer knapp 300 Jahre anhaltenden Herrschaft große Teile Zentralasiens und dehnten ihr Territorium bis in den heutigen Osten Kasachstans aus. Die Eroberung von Xinjiang, dem heutigen Uigurischen Autonomen Gebiet im Nordwesten Chinas, wurde 1757/58 abgeschlossen. China und Zentralasien waren danach enger miteinander verbunden, wobei China wirtschaftlich und kulturell dominierte. Die Militärverwaltung der Qing-Dynastie stieß jedoch auf ständigen politischen und religiösen Widerstand gegen ihre Herrschaft über Xinjiang und ihren Einfluss in Zentralasien. Dies führte 1781, 1815, 1820 und 1847 zu einer Reihe gewaltsamer Aufstände, nach denen es jeweils mehrere Jahre brauchte, bis die Qing die Kontrolle über die Region wiedererlangten. Die Aufstände wurden von islamischen Gruppen im zentralasiatischen Khanat Kokand unterstützt, einem muslimischen Turkstaat, der von 1709 bis 1876 auf den Gebieten des heutigen Kirgisistans, Ost-Usbekistans und Tadschikistans sowie im Südosten Kasachstans existierte. Abgesehen von religiösen Gründen unterstützte das Khanat die Rebellen auch deshalb, weil dessen Kaufleute, die vom illegalen Handel mit chinesischem Tee und Rhabarber an der nordwestlichen Grenze profitierten, der Kontrolle und Besteuerung der Qing-Behörden entgehen wollten.

Diese Konflikte deckten Schwachstellen der Qing-Herrschaft in den entlegenen Grenzgebieten des Reiches auf, die nicht nur einheimische Rebellen, sondern auch ausländische Mächte ausnutzen wollten. Im Norden forderte die Expansion des zaristischen Russlands das Qing-Reich heraus. Die russische Regierung, die mit der britischen Expansion konkurrieren und ihre kommerziellen Interessen wahren wollte, richtete ihre Aufmerksamkeit deshalb seit den 1830er Jahren verstärkt auf Zentralasien. Angesichts geringer militärischer Gegenwehr eroberte Russland ein Khanat nach dem anderen, und bis 1873 hatte es die Region weitgehend unter seine Kontrolle gebracht.

Da sich Chinas Schwäche in den Aufständen und verlorenen Opiumkriegen gegen Großbritannien von 1839 bis 1842 und von 1856 bis 1860 gezeigt hatte, versuchte Russland, aus den muslimischen Aufständen entlang der chinesischen Grenze Kapital zu schlagen. Die Qing erlaubten Russland schließlich, in der Stadt Kaschgar entlang der alten Seidenstraße Handel zu treiben und eine konsularische Vertretung zu stationieren, verweigerten diese Privilegien jedoch anderen ausländischen Mächten. Dadurch zerstörten Russland und China die Ökonomien in Zentralasien entlang der Seidenstraße. Die Grenzen zwischen Russland und China wurden geschlossen, der internationale Handel eingeschränkt und alle wichtigen zentralasiatischen politischen Einrichtungen beseitigt. Die wirtschaftliche Entwicklung der Seidenstraße wurde somit zum Erliegen gebracht. Die Folge waren der Niedergang Zentralasiens und sein langfristiges Abrutschen in Armut, Rückständigkeit und relative Isolation.

Im frühen 20. Jahrhundert geriet Zentralasien zunehmend unter die Kontrolle Russlands. China war nicht mehr in der Lage, die eigene Position zu verteidigen. Im Gegenteil, Russland begann damit, seinen Einfluss in die zentralasiatischen Regionen unter chinesischer Herrschaft auszudehnen. Nach dem Zusammenbruch des chinesischen Kaiserreiches 1911 wurde Xinjiang von dem Warlord Sheng Shicai regiert, der von Russland unterstützt wurde und nach der Russischen Revolution eng mit der Sowjetunion zusammenarbeitete.

Die Bolschewiki, unter der Führung von Wladimir Lenin, waren bestrebt, ihre Kontrolle über die zentralasiatischen Gebiete mit dem Ziel zu festigen, den Kommunismus zu verbreiten und einen sozialistischen Staat zu errichten. 1922 wurde die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gegründet, die sowohl das Territorium des früheren Russischen Reiches als auch verschiedener Nachbarstaaten in Zentralasien wie Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan umfasste. Die sowjetische Führung regierte von Moskau aus mithilfe eines zentralisierten Planungsapparates für alle politischen, militärischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten.

Während der Sowjetzeit unterhielten die Länder Zentralasiens als Mitgliedstaaten der UdSSR engste Beziehungen zu Russland. China war insbesondere im Zuge des sogenannten Chinesisch-sowjetischen Zerwürfnisses ab den späten 1950er Jahren, ein Konflikt um die Ausrichtung der jeweiligen kommunistischen Politik, vom politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch mit Zentralasien ausgeschlossen. 1969 führte die Sowjetunion sogar eine auf lediglich mehrere Kilometer begrenzte, aber durchaus blutige Invasion in die autonome Region Xinjiang aus.

Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 wurden die gegenseitigen Beziehungen wieder aufgenommen. Dazu baute China auch mit den nun unabhängigen Staaten diplomatische Beziehungen auf. Damit sollte eine engere Zusammenarbeit in wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Angelegenheiten erreicht werden. Um dies zu fördern, initiierte China 1996 die sogenannte Shanghai-Five-Gruppe, bestehend aus China, Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan. Diese wurde später zur Shanghai Cooperation Organization erweitert und umfasst gegenwärtig acht Mitglieder, darunter auch Usbekistan und Pakistan.

Die Zusammenarbeit zwischen China und Zentralasien hat sich in den zurückliegenden Jahren intensiviert. China hat im Rahmen der Belt and Road Initiative erhebliche Investitionen in Infrastruktur, Energie und Rohstoffe in Zentralasien getätigt. Gegenwärtig ist China der größte Handelspartner der zentralasiatischen Länder. Auch die bilateralen politischen Beziehungen zu den jeweiligen Ländern wurden kontinuierlich ausgebaut.

Allerdings bestehen weiterhin große Herausforderungen in den Beziehungen zwischen China und Zentralasien. China ist besorgt über den regionalen Einfluss der USA und anderer westlicher Staaten, während die zentralasiatischen Länder Chinas wachsende Präsenz mit Argwohn und Misstrauen beobachten. Einige Länder haben auch Bedenken hinsichtlich der hohen Verschuldung aufgrund der chinesischen Belt and Road Initiative.

Südostasien

Die Beziehungen Chinas zu seinen südostasiatischen Nachbarn waren völlig anders gelagert, aber ähnlich schwierig. Sie waren lange vor allem durch die chinesische Migration nach Südostasien geprägt, die mehr als ein Jahrtausend zurückreicht. Die ältesten Zeugnisse einer chinesischen Präsenz stammen aus der Zeit der Tang-Dynastie (618–907), als chinesische Händler und Kaufleute Handelsbeziehungen zu den Königreichen Südostasiens aufbauten, insbesondere im Malaiischen Archipel.

Zu einer großen Auswanderungswelle aus China kam es im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als britische, niederländische und französische Kolonialmächte chinesische Arbeiter in Plantagen, Minen und anderen Industrien beschäftigten. Diese Migration setzte sich nach der Kolonialzeit fort, und viele Chinesen ließen sich in südostasiatischen Ländern wie Malaysia, Indonesien, den Philippinen, Thailand und Singapur nieder.

Schon bevor das Qing-Reich 1911 zusammenbrach, wurden chinesische Einwanderer in der Region von vielen Einheimischen entweder als Handlanger Chinas oder als Agenten europäischer Kolonialmächte angesehen. Antichinesische Ressentiments und Proteste waren häufig. Aber auch aus Sicht der Behörden des chinesischen Kernlandes waren die Chinesen in Südostasien eine unzuverlässige Gruppe, die sich viel zu leicht mit den europäischen Imperialisten verbündet hatte.

Die Beziehungen zwischen China und Vietnam zeigen das Ausmaß der Probleme im 19. und 20. Jahrhundert. Vietnam war jahrhundertelang dem chinesischen Vorbild gefolgt und hatte ursprünglich am Tributhandel teilgenommen. Im 19. Jahrhundert erhob Frankreich Anspruch auf Chinas indochinesische Tributgebiete, zu denen neben Kambodscha auch die Region Annam als zentraler Teil Vietnams gehörte, und dehnte seinen Einfluss auch auf die chinesische Provinz Guangxi aus. Infolgedessen führte China zwei Kriege gegen Frankreich, um seinen Einfluss auf die Region zu verteidigen. Doch die langwierigen Auseinandersetzungen endeten für China 1885 mit einer Niederlage. Vietnam wurde in das französische Kolonialreich eingegliedert. Als der chinesische Staatspräsident Mao Zedong (1893–1976) Mitte des 20. Jahrhunderts beschloss, die vietnamesischen Kommunisten zu unterstützen, gründeten die anderen südostasiatischen Länder 1967 die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) als explizit antikommunistische Organisation zum gegenseitigen Beistand und suchten Mithilfe durch die Vereinigten Staaten. Zur großen Enttäuschung der chinesischen Führung entschied sich der kommunistische Vietkong nach dem Sieg im Bürgerkrieg 1975 aber für eine Allianz mit der Sowjetunion, die sich gegen China richtete. 1979 griff China Vietnam an. Grund war die Vergeltung für die vietnamesische Besetzung Kambodschas, die 1978 die Herrschaft der von China unterstützten Roten Khmer beendet hatte. In dem kurzen Krieg erlitt die chinesische Volksbefreiungsarmee schwere Verluste und musste sich bereits nach wenigen Wochen zurückziehen.

Die größte außenpolitische Leistung des chinesischen Staatsführers Deng Xiaoping (1904–1997) war die Verbesserung der schwierigen Beziehungen zu Südostasien, darunter auch zu Vietnam. Er tat dies, indem er die historischen Verbindungen Südostasiens zu China betonte. Er hob hervor, dass Chinas Beziehungen zu seinen südlichen Nachbarn mit Ausnahme Vietnams seit der Ming-Dynastie stets friedlich gewesen seien. Die chinesischen Auswanderer, die sich in Südostasien niedergelassen hatten, sollten loyale Bürger ihrer Gastländer sein und sich nicht in die Politik einmischen. China verkündete, anders als in der Mao-Zeit, keine politischen Bewegungen in Südostasien mehr unterstützen zu wollen. Deng verfolgte dabei vor allem wirtschaftliche Interessen. Einige der größten ausländischen Investoren in China zwischen 1980 und 2000 kamen aus jener Region, insbesondere aus Singapur und Thailand. Mit der Verbesserung der Beziehungen zu den Ländern der ASEAN wollte Beijing Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte des Misstrauens und der Konfrontation hinter sich lassen und stattdessen auf Zusammenarbeit und Integration setzen. Die 1992 etablierte Freihandelszone zwischen China und der ASEAN sollte das Symbol dieser neuen Beziehungen sein.

Doch die gute Stimmung währte nicht lange. In den vergangenen Jahren bahnten sich neue Probleme an. Unter den ASEAN-Staaten verbreitete sich die Sorge, dass sie von einem wirtschaftlich immer stärkeren China überwältigt werden könnten. Zugleich wurden die Beziehungen zunehmend durch den Streit um Inseln und Atolle im Südchinesischen Meer belastet. China erhebt territoriale Ansprüche, die mit Forderungen der Philippinen, Vietnams, Malaysias und Bruneis im Konflikt stehen. Chinas Beharren auf Kontrolle von kleinen Inseln, Felsen und Untiefen in diesem Meeresgebiet hat das Verhältnis zwischen China und den anderen Anrainerstaaten, die alle Mitglieder der ASEAN sind, in Mitleidenschaft gezogen. Dabei sind einige von Chinas Ansprüchen kaum nachvollziehbar. Dazu gehört beispielsweise jener auf das James Shoal, eine Unterwassersandbank auf dem Gebiet der Spratly-Inseln, das nur etwa 80 Kilometer von der malaysischen Küste und 1.800 Kilometer von China entfernt liegt. Einige südostasiatische Staaten und die USA vermuten, dass China mit solchen Maßnahmen vor allem die Kontrolle über die Schifffahrtsstraßen erlangen will. Mehr als die Hälfte der globalen Handelsschifffahrt muss das Meeresgebiet um die Spratly-Inseln passieren.

Zusammenstöße mit China sind in der Region häufiger geworden: Im Mai 2014 verlegte China eine Ölplattform in umstrittene Gewässer vor der Küste Vietnams. Das löste eine Krise aus, in deren Verlauf nicht nur ein vietnamesisches Schiff durch Kollisionen mit der chinesischen Marine versenkt wurde, sondern auch sechs Menschen bei antichinesischen Ausschreitungen in Vietnam von Aufständischen getötet wurden.

Die Beziehungen zwischen China und der ASEAN befinden sich derweil in einer Abwärtsspirale. Wie die erwähnten Vorfälle zeigen, nimmt auf allen Seiten der Nationalismus zu. Es steht zu befürchten, dass die von China gezeigte Kompromisslosigkeit eine langfristige Feindseligkeit begründet. Stattdessen wäre es notwendig, den Dialog zu stärken und Vertrauen aufzubauen. Dafür müssten alle Seiten aber verbindende Elemente herausarbeiten – das könnte zum Beispiel durch kulturellen Austausch oder Kooperationen im Bildungsbereich geschehen. Die südostasiatischen Länder begreifen erst langsam, dass die chinesischstämmigen Minderheiten in ihren Ländern in den Beziehungen mit China eher ein Vorteil als eine Sicherheitsbedrohung sein können. Parallel zum Ausbau kultureller Beziehungen sind aber Verhandlungen zur Lösung der territorialen Konflikte unerlässlich. Es ist nicht zu erkennen, welche langfristige Strategie China im Hinblick auf die ASEAN verfolgt. Beijing zieht es vor, mit einzelnen Staaten anstatt mit transnationalen Organisationen zu verhandeln – sei es die Europäische Union oder die ASEAN. Solange China aber eine allzu kompromisslose und konfrontative Außenpolitik verfolgt, scheinen diplomatische Fortschritte kaum möglich.

Nordostasien

Auch Chinas Beziehungen zur koreanischen Halbinsel müssen im Lichte seiner wechselvollen Geschichte verstanden werden. Obwohl sie nie unmittelbar von China beherrscht wurde, erkannten alle koreanischen Staaten für mehr als ein Jahrtausend die Oberhoheit des chinesischen Kaiserreiches an. Während der Joseon-Staat, der von 1392 bis 1910 den größten Teil der Halbinsel umfasste, in seinen inneren Angelegenheiten fast vollständig unabhängig war, wurde seine Stellung in der Welt immer im Kontext seiner tributpflichtigen Beziehung zu China definiert. China wurde als Maßstab der kulturellen Entwicklungen anerkannt. Die erste koreanische Schriftsprache verwendete chinesische Schriftzeichen, und die koreanische Bürokratie orientierte sich am Vorbild Chinas unter der Ming- und Qing-Dynastie.

Eine große Rolle in den Beziehungen zwischen Korea und China spielte die neokonfuzianische Philosophie, die im 12. Jahrhundert in China entstanden war. Die Lehren von Zhu Xi (1130–1200), die im Mittelpunkt des Neokonfuzianismus standen, hatten einen immensen Einfluss auf das Selbstverständnis des koreanischen Staates. Zhus Lehre führte in Korea zu einer besonderen Betonung sowohl meritokratischer Prinzipien als auch der Familie. Die kulturelle und ideologische Orientierung an China beeinflusste sowohl die Organisation der koreanischen Gesellschaft als auch die koreanische Sicht auf die Außenwelt.

Der Zusammenbruch der ostasiatischen Weltordnung Ende des 19. Jahrhunderts, in der das von der Qing-Dynastie regierte China für Jahrhunderte im Zentrum gestanden hatte, war daher besonders überraschend für die koreanischen Eliten. Sie reagierten darauf mit zwei verschiedenen Antworten: Die erste, die von der Mitte des Jahrhunderts bis zum Chinesisch-japanischen Krieg von 1894/95 andauerte, war ein Festhalten an der Tradition. Die Mehrheit der konfuzianischen Führer in Korea ging davon aus, dass Chinas Zentralität fortbestehen würde, obwohl zur selben Zeit die chinesischen Herrscher der Qing-Dynastie radikale Reformen diskutierten. Die zweite Reaktion, die vor allem nach der japanischen Besetzung Koreas 1910 artikuliert wurde, bestand in der Entwicklung einer besonderen Form des koreanischen Nationalismus. Seine Vertreter betonten, dass China als Vorbild gescheitert sei. Japans rücksichtslose und aggressive Industrialisierung habe sich im Gegensatz dazu als überlegen erwiesen, doch wolle Japan Korea als Siedlungskolonie für das japanische Volk annektieren. In dieser Situation sollten die Eigenständigkeit der koreanischen Nationalität und die Bedeutung der koreanischen Kultur und Denkweise bewahrt und gestärkt werden.

Der Koreakrieg von 1950 bis 1953, in dem die von China entsandte Freiwilligenarmee für den Norden einen Waffenstillstand erkämpfte, war nur ein Glied in einer Reihe von Kriegen und Aufständen. Südkorea beziehungsweise die Republik Korea entwickelte sich in der Folgezeit zu einem der wirtschaftlichen und industriellen Zentren der Welt, während das kommunistische Nordkorea beziehungsweise die Demokratische Volksrepublik Korea kaum in der Lage war, die eigene Bevölkerung zu versorgen. Nordkorea sieht sich seither von Feinden umzingelt und nimmt die Südkoreaner als Abweichler wahr, die vom US-amerikanischen und japanischen Kapitalismus und Konsumismus verseucht wurden.

Das Verhältnis Nordkoreas zu China ist sowohl von der Geschichte der bilateralen Beziehungen beider Staaten als auch von Ereignissen im 20. Jahrhundert beeinflusst. Das Selbstverständnis Nordkoreas zielt auf die Schaffung einer "perfekten" kommunistischen Gesellschaft. Demgegenüber wich China aus der Perspektive Nordkoreas durch die Politik von Reform und Öffnung vom "wahren" Weg ab. Die nordkoreanische Führung ist überzeugt davon, dass die politischen Überzeugungen in China nicht stark genug waren, um am Ziel der "idealen" kommunistischen Gesellschaft festzuhalten.

Nichtsdestotrotz ist China Nordkorea in jeder Hinsicht überlegen. China liefert gegenwärtig 90 Prozent der Energieimporte Nordkoreas, 80 Prozent der Konsumgüterimporte und 45 Prozent der gesamten Lebensmittelversorgung. Die Abhängigkeit Nordkoreas von China sowohl in Fragen der nationalen Sicherheit als auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist für Pjöngjang aber erniedrigend. Daher fügt Nordkorea chinesischen Delegationen regelmäßig größere oder kleinere Demütigungen zu: Obwohl China jedes Mal vor Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen gewarnt hatte, falls Pjöngjang Atomtests durchführen sollte, hat Nordkorea bereits sechs solcher Tests abgehalten. Ebenso hat Nordkorea dringende Empfehlungen einer Reihe chinesischer Delegationen, eine Reform der nordkoreanischen Wirtschaft einzuleiten, nicht umgesetzt und stattdessen in China ausgebildete Experten für Wirtschaftsfragen gefoltert und hingerichtet. Im Dezember 2013 hat Kim Jong Un seinen Onkel Jang Song Thaek, der den chinesischen Militärs nahestand, verhaften und hinrichten lassen.

Gleichzeitig nimmt die wirtschaftliche Bedeutung der südlichen Republik Korea für China kontinuierlich zu. China ist derzeit der größte Handelspartner Südkoreas. Zugleich ist Südkorea Chinas drittgrößter Handelspartner. Über Südkorea bezieht China viele wichtige Technologieimporte. In wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, ganz zu schweigen von der Popularität von Musik, Filmen und TV-Programmen aus Südkorea, sind die Beziehungen zwischen China und Südkorea um ein Vielfaches besser als jene zwischen China und Nordkorea.

Nordkorea stellt für China ein fast unlösbares Problem dar. Ein Zusammenbruch der Regierung von Kim Jong Un würde nicht nur Millionen von Flüchtlingen bedeuten, sondern letztendlich zur koreanischen Widervereinigung und zur Stationierung von US-Truppen an Chinas Grenzen führen. Zugleich ist China besorgt über die Unberechenbarkeit des nordkoreanischen Regimes und vor allem über seine kompromisslose atomare Aufrüstung. Auch die brüskierende Art und Weise, wie Nordkorea diplomatisch mit China umgeht, wird in China als kaum verhohlene Zurückweisung und als Ansehensverlust interpretiert.

Doch zugleich fühlt sich China hilflos und hat kaum Möglichkeiten einzugreifen. Die von der chinesischen Führung wiederholt geforderten Reformen in Nordkorea wurden nie ernsthaft umgesetzt. Die wirtschaftliche Situation hat sich kaum verbessert. Zugleich tut sich China wie auch alle anderen internationalen Beobachter sehr schwer, die Wahrscheinlichkeit und den Zeitpunkt eines Zusammenbruchs in Nordkorea vorherzusehen.

Herausforderungen für Chinas Außenpolitik in Asien

Der Umgang Chinas mit seinen Nachbarn in Asien zeigt, wie unsystematisch und fragmentiert Chinas Außenpolitik in der Gegenwart ist. Es fehlt an langfristigen politischen Planungen und übergreifenden Strategien. Es gibt einen erkennbaren Mangel an Koordination: In Bezug auf Korea hat man oft den Eindruck, dass kaum Austausch zwischen den für Nord- beziehungsweise Südkorea zuständigen Stellen stattfindet. Dasselbe gilt für Südostasien und Zentralasien. In erster Linie weist dieses Defizit auf fundamentale Probleme im politischen Prozess in China hin. Seit der Kulturrevolution wird innerhalb der chinesischen Führung kontinuierlich um Kompetenzen und Ausrichtungen gerungen. Dies führt zu überlappenden Zuständigkeiten und diffusen Entscheidungsfindungsprozessen. Während alle Bereiche der chinesischen Politik unter diesen Problemen leiden, ist dieses Defizit in der Außenpolitik besonders sichtbar.

Dabei ist festzustellen, dass es für China zunehmend schwieriger wird, seinen Willen anderen in der Region aufzuzwingen. Das steht im Widerspruch zu den Annahmen vieler westlicher Beobachter und Politiker, die vor Chinas unaufhaltsamem Aufstieg zur globalen Supermacht warnen und ein stärkeres westliches Einschreiten in der Region fordern. Chinas Macht hat zugenommen, aber das trifft von Zentralasien bis hin zu Südostasien auch auf die asiatischen Nachbarn zu. Der chinesische Nationalismus ist ebenfalls gewachsen, aber eine ähnliche Entwicklung ist auch bei den anderen asiatischen Staaten festzustellen.

Die Geschichte prägt die Beziehungen Chinas in Asien, auch wenn das nicht immer leicht zu erkennen ist. Chinas traditionelle, oft eher symbolische Vormachtstellung hat Verbindungen und ein gemeinsames kulturelles Erbe geschaffen. Zugleich aber ist dieses Erbe eine Belastung, das in Geschichte und Gegenwart auch Ressentiments und Misstrauen erzeugt. Chinas Dominanz in der Region wurde seit jeher durch seine internen Schwierigkeiten sowie durch das Misstrauen gegenüber zu enger Zusammenarbeit eingeschränkt.

Die vermutlich wichtigste Neuerung in Chinas Verhältnis zur Region in den vergangenen 40 Jahren ist aber die regionale Vernetzung. Es hat sich eine engmaschige und erfolgreiche wirtschaftliche Integration herausgebildet. Das schließt Konflikte nicht aus, aber eröffnet zahllose Möglichkeiten für Zusammenarbeit. Ostasien ist seit dem Ende des Kalten Krieges zwar krisenanfälliger geworden, allerdings verblassen die gegenwärtigen Konflikte im Vergleich zu den Kriegen, die im 20. Jahrhundert für die Region Leid, Armut und Zerstörung brachten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Großmächte der Region, Russland, Japan und Indien, werden an anderer Stelle in der vorliegenden Ausgabe behandelt (Anm. d. Red.).

  2. Vgl. Klaus Mühlhahn, Geschichte des modernen China. Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart, München 2021, S. 90ff.

  3. Vgl. Peter Frankopan, The Silk Roads. A New History of the World, London 2016; Tim Winter, The Silk Road. Connecting Histories and Futures, Oxford 2022; Valerie Hansen, The Silk Road. A New History, Oxford 2015.

  4. Vgl. Michael E. Clarke, Xinjiang and China’s Rise in Central Asia – A History, London 2011, S. 16–41.

  5. Vgl. Mühlhahn (Anm. 2), S. 164–170.

  6. Vgl. Christopher I. Beckwith, Empires of the Silk Road. A History of Central Eurasia from the Bronze Age to the Present, Princeton 2009, S. 272ff.

  7. Vgl. Thomas Fingar, China and South and Central Asia in the Era of Reform and Opening, in: ders. (Hrsg.), The New Great Game. China and South and Central Asia in the Era of Reform, Stanford 2016, S. 1–28.

  8. Vgl. Stephen Aris, Eurasian Regionalism. The Shanghai Cooperation Organisation, New York 2011.

  9. Vgl. Sebastian Conrad/Klaus Mühlhahn, Global Mobility and Nationalism. Chinese Migration and the Ethnicization of Belonging, 1880–1910, in: Sebastian Conrad/Dominic Sachsenmaier (Hrsg.), Competing Visions of World Order. Global Moments and Movements, 1880s–1930s, New York 2007, S. 181–211.

  10. Vgl. Xiaoming Zhang, Deng Xiaoping’s Long War. The Military Conflict Between China and Vietnam, 1979–1991, Chapel Hill 2015.

  11. Vgl. Odd Arne Westad, The Weight of the Past in China’s Relations with Its Asian Neighbors, in: Asle Toje (Hrsg.), Will China’s Rise Be Peaceful? Security, Stability, and Legitimacy, Oxford 2018, S. 143–155, hier S. 151–155.

  12. Vgl. Murray Hiebert, Under Beijing’s Shadow. Southeast Asia’s China Challenge, Lanham 2020, S. 13–72.

  13. Vgl. Zheng Wang, The Nine-Dashed Line: "Engraved in Our Hearts", 25.8.2014, Externer Link: https://thediplomat.com/the-nine-dashed-line-engraved-in-our-hearts.

  14. Vgl. Jake Douglas, China-Vietnam Oil Rig Standoff, 12.6.2017, Externer Link: https://amti.csis.org/counter-co-oil-rig-standoff.

  15. Vgl. Odd Arne Westad, Empire and Righteous Nation. 600 Years of China-Korea Relations, Cambridge 2021, S. 5–70.

  16. Vgl. ebd., S. 84.

  17. Vgl. Mühlhahn (Anm. 2), S. 194f.

  18. Westad (Anm. 11), S. 147.

  19. Vgl. Jin Woong Kang, Historical Changes in North Korean Nationalism, in: North Korean Review 1/2007, S. 86–104.

  20. Vgl. Westad (Anm. 15), S. 144–149.

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ist Professor für Moderne China-Studien sowie Präsident und Geschäftsführer der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. 2021 erschien sein Buch "Geschichte des modernen China. Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart".
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