Am 4. Januar 1961 landete der deutsche Laienprediger Paul Schäfer auf dem Flughafen von Santiago de Chile. Er floh vor der deutschen Justiz. Etwa zeitgleich nahm die Bonner Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Schäfer wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch Minderjähriger auf. In den kommenden zwei Jahren folgten ihm etwa 250 Anhänger:innen aus Deutschland. Etwa 350 Kilometer südlich der Hauptstadt errichteten sie die sogenannte Colonia Dignidad („Kolonie der Würde“), eine quasi-autarke Siedlung, in der über 40 Jahre lang schwerste Verbrechen begangen wurden. Für Paul Schäfer war die Colonia Dignidad ein Ort, an dem er straflos sexualisierte Gewalt ausüben konnte. Um die Existenz des Ortes abzusichern, knüpften Schäfer und seine Getreuen ein System von Lobby- und Unterstützungsnetzwerken. Am wichtigsten war dabei die Allianz mit der chilenischen Militärdiktatur ab 1973. Die Colonia Dignidad wurde zu einer Schlüsselakteurin im Repressionsapparat der Diktatur und genoss im Gegenzug deren bedingungslose Unterstützung.
2023 jährt sich der Staatsstreich von Augusto Pinochet in Chile vom 11. September 1973 zum 50. Mal. In seiner Folge herrschte fast 17 Jahre – bis 1990 – eine zivil-militärische Diktatur. Das Datum spaltet die chilenische Gesellschaft bis heute.
Die Debatten und Forderungen rund um das Gedenken an den 50. Jahrestag des Putsches sind eng mit der Colonia Dignidad verbunden. Dieses dunkle und noch offene Kapitel der jüngeren chilenisch-deutschen Geschichte wurde in den vergangenen Jahren – vor allem durch Druck der um Aufklärung bemühten Akteure – in beiden Ländern verstärkt präsent: in Ermittlungsverfahren, Politik, Medien und Öffentlichkeit.
Wir bieten zunächst einen Überblick über die Verbrechen der Colonia Dignidad als kriminelle Gruppierung und Organisation. Anschließend schildern wir die bisherige strafrechtliche und politische Aufarbeitung dieser Verbrechen in Deutschland und Chile und reflektieren schließlich über den Stand der gesellschaftlichen Erinnerung an die Colonia Dignidad.
Interne und externe Verbrechen
Mit der Verhaftung von Paul Schäfer im März 2005 endete eines der „größten Menschenrechtsverbrechen unter deutscher Beteiligung“ nach 1945.
Als pseudoreligiöse kriminelle Gruppe beging die Colonia Dignidad Taten gegen ihre eigenen Mitglieder, sogenannte interne Verbrechen. Ihre Ziele waren die Durchsetzung und der Erhalt der Machtstrukturen innerhalb der Gruppe sowie die Unterwerfung ihrer Mitglieder unter den Willen Paul Schäfers. Vor Ort herrschten sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse. Die Mitglieder mussten ohne Entlohnung oder festgelegte Ruhezeiten arbeiten, Familienstrukturen wurden aufgelöst, und das Leben fand in geschlechtergetrennten Gruppen statt. Um die Siedlung errichteten Mitglieder einen mit Bewegungsmeldern, Mikrofonen und Kameras versehenen Zaun. Ein ausgeklügeltes System der gegenseitigen Bespitzelung und Bestrafung sowie eine Pflicht zur persönlichen Beichte gegenüber Schäfer sorgten einerseits für eine vollständige Überwachung und andererseits dafür, dass alle Fäden bei Schäfer zusammenliefen. Versuchte trotzdem jemand zu fliehen, so rückte die Sicherheitsgruppe mit Fahrzeugen und Spürhunden aus, um dies zu verhindern. Jeglicher Akt der Auflehnung gegen das interne Zwangssystem wurde mit drakonischen Maßnahmen bestraft. Dazu gehörten kollektive Prügelstrafen, das Traktieren mit Elektroschocks, um das Gedächtnis zu löschen, und die zwangsweise Vergabe von Psychopharmaka zur Ruhigstellung. Fast alle männlichen Siedlungsbewohner, die dort geboren wurden oder als Kinder in der Colonia Dignidad lebten, wurden Opfer sexualisierter Gewalt durch Paul Schäfer. In den vergangenen Jahren wurden zunehmend auch Fälle sexualisierter Gewalt von Schäfer gegen Mädchen und Frauen bekannt.
Gleichzeitig sicherte die Colonia Dignidad mit externen Verbrechen ihre Macht nach außen ab. Zentral sind hier die gemeinsam mit der chilenischen Diktatur begangenen Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Mord und Verschwindenlassen politischer Gegner:innen. Bereits nach dem Wahlsieg des Sozialisten Salvador Allende 1970 verbündete sich die Siedlung mit militanten Rechtsextremisten und einigen der späteren Putschisten. Mit dem Putsch gegen Allende vom September 1973 wurde die Colonia Dignidad zum wichtigen Bestandteil des Repressionsapparates der Diktatur. Es gab direkte vertrauensvolle Verbindungen der Gruppe zur Spitze des Geheimdienstes DINA und zu Pinochet persönlich.
Strafrechtliche Aufarbeitung
Im Mai 2011 flüchtete Hartmut Hopp, eine der wichtigsten Führungspersonen der Colonia Dignidad, unter Umgehung einer Ausreisesperre vor der chilenischen Justiz nach Deutschland.
Einen Großteil der Verbrechen der Colonia Dignidad begingen deutsche Staatsangehörige in Chile. Die Taten richteten sich ebenso gegen chilenische wie gegen deutsche Staatsangehörige. Daher bestand eine doppelte Zuständigkeit der bundesdeutschen und der chilenischen Justiz.
Das zeigt das Beispiel Wolfgang Müllers. Ihm gelang 1966 als Erstem die Flucht aus der Colonia Dignidad. Die chilenischen Behörden inhaftierten Müller und verurteilten ihn wegen Verleumdung. Als Amnesty International 1977 in einer Broschüre Aussagen von Folterüberlebenden aus der Colonia Dignidad zusammentrug, erließ das Bonner Landgericht auf Antrag der Siedlung eine einstweilige Verfügung, die es der Menschenrechtsorganisation bis 1997 untersagte, die „unbelegte Behauptung“ von Folterungen in der Colonia Dignidad zu verbreiten.
Nach Schäfers Inhaftierung ermittelte die chilenische Justiz unter anderem wegen Mord, Folter, Körperverletzung, Verstoß gegen das Waffengesetz und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Es kam zu einer Reihe von Einzelurteilen, die die Existenz der diversen Verbrechenssphären der Colonia Dignidad juristisch feststellten. Viele weitere Einzeltaten wurden jedoch nicht juristisch verfolgt, auch weil Mitglieder der Colonia Dignidad keine Strafanzeigen einreichten. Die meisten Haftstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt, und viele Beschuldigte setzten sich noch vor einem Urteil nach Deutschland ab. 2010 starb Schäfer in chilenischer Haft. Drei Jahre später wurden in Chile erstmals Mitglieder der Colonia Dignidad wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch und der Vergewaltigung Minderjähriger zu effektiven Haftstraften verurteilt.
Heute konzentrieren sich die chilenischen Ermittlungen fast ausschließlich auf die Suche nach Personen, die in der Colonia Dignidad ermordet wurden und nach wie vor verschwunden sind. Mehrere Mitglieder der Colonia Dignidad bestätigten in Aussagen vor Gericht die Ermordung politischer Gefangener in der Siedlung. Forensische Untersuchungen konnten Erdbewegungen im fraglichen Zeitraum feststellen, die vermutlich mit der Existenz von Massengräbern in Zusammenhang stehen. Jedoch konnten bislang keine sterblichen Überreste oder DNA-Spuren gefunden werden.
Im Juni 2022 kündigte der chilenische Staatspräsident Gabriel Boric einen nationalen Suchplan für die Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens während der Diktatur an. Dessen partizipative Ausarbeitung umfasste eine Reihe von Treffen mit Angehörigenverbänden und Expert:innen. Am 30. August 2023, dem Internationalen Tag der Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens, sollen die Einzelheiten dieses Plans bekannt gegeben werden.
In Deutschland ermittelten verschiedene Staatsanwaltschaften zwischen 1961 und 2019 fast durchgehend mit Bezug zur Colonia Dignidad. Sämtliche Verfahren wurden jedoch – teilweise nach Jahrzehnten – eingestellt, weil angeblich kein hinreichender Tatverdacht gegen die Beschuldigten bestand.
Die zaghaften Ermittlungen in der Bundesrepublik, bei denen den Aussagen von Führungsmitgliedern der Colonia Dignidad oftmals mehr glauben geschenkt wurde als den Opfern und ihren konkreten Schilderungen von Straftaten, bestärkte die mutmaßlichen Täter:innen darin, vor der chilenischen Justiz nach Deutschland zu flüchten. Da das Grundgesetz deutsche Staatsbürger:innen grundsätzlich vor Auslieferung schützt und die meisten Taten – bis auf Mord – inzwischen verjährt sind, wurde die Bundesrepublik faktisch zum sicheren Hafen für ehemalige Mitglieder der Colonia Dignidad – auch für solche, die von der chilenischen Justiz teilweise per internationalem Haftbefehl gesucht werden.
Politische Aufarbeitung
Am 26. April 2016 lud der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu einer Rede ins Auswärtige Amt (AA) ein, in der er die Rolle der deutschen Diplomatie im Fall Colonia Dignidad kritisch beleuchtete – ein ungewöhnlicher Vorgang für diese Behörde, die eher für ihre Beharrungskräfte als für selbstkritische Kurskorrekturen bekannt ist. Zumindest auf der Ebene verbaler Bekenntnisse war die Bundesregierung, die lange gezögert hatte, eine bundesdeutsche Mitverantwortung für die Verbrechen der Colonia Dignidad einzuräumen, nun einen Schritt weiter gegangen.
In Chile wurde die Colonia Dignidad in den Berichten der zur Aufarbeitung der Diktatur eingerichteten Wahrheitskommissionen zwar kurz erwähnt, dies kann jedoch nicht als Anerkennung staatlicher Verantwortung gewertet werden. Bis heute tut sich Chile mit einer politischen Aufarbeitung der Colonia Dignidad schwer. Das hat auch damit zu tun, dass die chilenische Gesellschaft infolge der transición weiterhin stark polarisiert ist. In weiten Teilen der Bevölkerung koexistieren bis heute vollkommen entgegengesetzte Narrative über den Putsch und seine Folgen. Aufgrund vielfältiger Verbindungen besteht hier eine direkte Assoziation zwischen der Colonia Dignidad und seiner langjährigen Unterstützung vornehmlich durch die politische Rechte.
Die bundesdeutsche Seite bezog zwar ab 1990 – vor allem in internen Diskussionen – klare Haltung zur Colonia Dignidad, bemühte sich jedoch sehr, die Hauptverantwortung für das Thema in Chile zu verorten. Politik und Justiz in Deutschland leisteten keinen Beitrag zur Beendigung der weiterhin stattfindenden Verbrechen. Stattdessen verfolgte das AA die Strategie, den Fortbestand der Colonia Dignidad auch über eine etwaige Festnahme seiner Führungspersonen hinaus zu gewährleisten.
Aufgrund der transición in Chile, in der Kräfte aus der Zeit der Diktatur weiter politischen Einfluss ausübten, aber auch dank einer zahnlosen deutschen Justiz und einer deutschen Außenpolitik, die vor allem bemüht war, die eigene Verantwortung zu begrenzen, schaffte es die Colonia Dignidad, bis 2005 fortzubestehen. Schon zwischen 1988 und 1990 hatte die Colonia Dignidad eine Reihe von Gesellschaften sowie die sogenannte ABC-Holding gegründet, um eine Auflösung der Rechtsperson der Colonia Dignidad zu umgehen.
Nach Schäfers Festnahme 2005 begann in der Colonia Dignidad ein langsamer Öffnungs- und Demokratisierungsprozess. Bereits einige Jahre zuvor hatte sich die Siedlung den neuen Namen „Villa Baviera“ („Bayerndorf“) gegeben. Die Bundesregierung bot den Bewohner:innen psychotherapeutische Unterstützung an. Gleichzeitig förderte sie die Unternehmensholding über Maßnahmen der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (heute Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und setzte sich dafür ein, dass von der chilenischen Justiz verfügte Beschlagnahmungen von Ländereien der Siedlung aufgehoben wurden. Bis heute gehören das Land und die Unternehmen der Villa Baviera. Neben Land- und Forstwirtschaft betreibt diese seit einigen Jahren auch Tourismus. Ein Restaurant und ein Hotel in der Siedlung setzen wie zu Zeiten der Colonia Dignidad auf ein folkloristisch-deutsches Außenbild.
Angehörige von Verschwundenen aus der Region protestieren seit vielen Jahren an den Toren der Siedlung dagegen und fordern neben Aufklärung und Gerechtigkeit die Transformation des Ortes in eine nach wissenschaftlichen Kriterien gestalteten Gedenkstätte. 2013 beendete die Bundesregierung ihre Unterstützung für die ABC-Holding und steuerte zumindest teilweise um: Seit 2014 werden mit Mitteln des AA Veranstaltungen mit verschiedenen Betroffenengruppen organisiert. Unter Leitung von Elke Gryglewski, Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, sollen diese den Dialog und die Kommunikation zwischen den diversen Opfern und Betroffenen fördern und als Grundlage für die Errichtung einer Gedenk-, Bildungs- und Dokumentationsstätte am historischen Ort dienen.
Spätestens Steinmeiers Eingeständnis einer bundesdeutschen (Teil-)Verantwortung 2016 warf die Frage nach einer angemessenen Aufarbeitung auf. 2017 forderte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung einstimmig zu einer Reihe von Maßnahmen auf.
Wissenschaftliche und kulturelle Aufarbeitung
Seit jeher und bis 1990 unter dem staatlichen Schutz der Diktatur ging die Colonia Dignidad mit Verleumdungsklagen und Kampagnen gegen Menschen vor, die ihre Verbrechen öffentlich thematisierten. 1987 veröffentlichte der chilenische Filmemacher Orlando Lübbert in der Bundesrepublik den Spielfilm „Die Kolonie“. Die fiktive Geschichte war inspiriert von den damaligen Ereignissen und den juristischen Angriffen der Colonia Dignidad auf Aufklärer:innen. Im folgenden Jahr strahlte die ARD den Film aus, deutsche Medien kommentierten ihn. Die Colonia Dignidad beobachtete das und legte Informationen darüber in ihrem Geheimarchiv ab.
Kritisch diskutiert wurde beispielsweise die ab 2020 unter anderem bei Arte und Netflix ausgestrahlte Dokuserie „Colonia Dignidad. Eine deutsche Sekte in Chile“. Die drei wesentlichen Kritikpunkte beziehen sich erstens auf die Darstellung Paul Schäfers als Einzeltäter,
Die von Amazon Prime produzierte und seit 2022 ausgestrahlte Dokuserie „The Survivors, Colonia Dignidad“ thematisiert die engen Verbindungen der chilenischen Rechten zur Colonia Dignidad. Sie zeigt beispielsweise Archivaufnahmen, wie Hernán Larraín, von 2018 bis 2022 chilenischer Minister für Justiz und Menschenrechte, Vorwürfe gegen die Siedlung wegen sexuellen Missbrauchs an chilenischen Kindern leugnet und deren vermeintlich wohltätigen Charakter betont. Aufgrund der Serie geriet Larraín zwar unter öffentlichen Druck, musste sein Amt aber nicht aufgeben. Derzeit setzt er seine politische Karriere als ernannter Experte für den gegenwärtigen Verfassungsprozess fort.
Die Wissenschaft hat erst nach und nach zur Erforschung, Analyse und zum Verständnis der Colonia Dignidad beigetragen. In den vergangenen zehn Jahren wurden einige umfangreichere Studien veröffentlicht.
Errichtung einer Gedenkstätte
Die kulturelle und wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas hat zwar dazu geführt, dass inzwischen mehr Menschen über die Verbrechen der Colonia Dignidad informiert sind. Doch die Betroffenen warten nach wie vor auf Antworten auf zahlreiche offene Fragen und Forderungen. Ein zentrales Anliegen der Betroffenen wäre durchaus umsetzbar: Die Errichtung einer Gedenk-, Bildungs- und Dokumentationsstätte am historischen Ort der Verbrechen. Umfangreiche Vorarbeiten, etwa in Form der Dialogveranstaltungen oder eines Gedenkstättenkonzepts, hat es wie erwähnt bereits gegeben.
Im Januar 2023 war Bundeskanzler Olaf Scholz auf Staatsbesuch in Chile. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärte der chilenische Präsident Gabriel Boric, dass es zur Rolle des chilenischen Staates gehöre, „weiterhin unermüdlich für die vollständige Wahrheit und die vollständige Gerechtigkeit zu arbeiten“. Boric dankte Scholz für seine „Bereitschaft, zur Suche nach der Wahrheit beizutragen und die ehemalige Colonia Dignidad zu einem Ort der Erinnerung zu machen“. Scholz reagierte darauf, indem er seine Bereitschaft zum Ausdruck brachte, die chilenische Regierung zu unterstützen. „Es ist ganz klar: Wir sind Partner der Regierung. Wir wollen hilfreich sein. Wir wissen, wie sensibel das ganze Thema ist. Es gibt verschiedene Opfergruppen. Dadurch ist es auch nicht einfacher, eine gute Lösung zu finden. Deshalb werden wir auch mit aller Zurückhaltung aktiv unsere Unterstützung anbieten und das, was wir tun können, gern tun. Über diese Prozesse muss aber im Lande [Chile] entschieden werden. Wir sind dabei aus gutem Grund ein Partner.“
Zurückhaltung ablegen
1977 ließ die Colonia Dignidad Amnesty International und die Zeitschrift „Stern“ gerichtlich die Aussage untersagen, die Colonia Dignidad sei ein Folterlager des chilenischen Geheimdienstes. Daraufhin fertigte die Politische Abteilung des AA eine Vorlage für den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher an. Darin heißt es: „‚Stern‘ und Amnesty International berufen sich auf die Aussagen von zwei namentlich genannten Exilchilenen und einer ungenannten Exilchilenin. Die Beweise für deren Behauptungen, in der ‚Colonia Dignidad‘ gefoltert worden zu sein, wirken nicht sehr überzeugend. Nach dem Motto ‚in dubio pro reo‘ dürfte es angebracht sein, äußerste Zurückhaltung zu üben.“
Diese Zurückhaltung des AA spielte der chilenischen Diktatur in die Hände – auf Kosten der Opfer. Daraus zu lernen, würde bedeuten, eine opferzentrierte Menschenrechtspolitik zur Prämisse des eigenen politischen Handelns zu machen und diese jahrzehntelang praktizierte Zurückhaltung abzulegen. 50 Jahre nach dem Putsch wäre die Grundsteinlegung für eine Gedenkstätte in der Colonia Dignidad ein wichtiges politisches Zeichen für einen Kurswechsel im bilateralen Aufarbeitungsprozess dieses dunklen Kapitels der deutsch-chilenischen Beziehungen.