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Retraditionalisierung? Care-Arbeit und Geschlechterverhältnisse in der Corona-Krise

Philipp Krohn

/ 14 Minuten zu lesen

"Allerorten wird erzählt, durch Corona fielen die Geschlechter zurück in die fünfziger Jahre. Das ist die falsche Geschichte." Mit diesem Vorspann erschien Ende Mai 2020 ein Artikel aus meiner Feder in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" über die Aufteilung der zusätzlich anfallenden Care-Arbeit in Zeiten der Kita- und Schulschließungen. Mit einer Ehefrau, die im Gesundheitswesen arbeitet, als Alleinverantwortlicher für das "Homeschooling", den heimischen Kindergarten, die Kantine sowie als Blattmacher und Autor für meine Zeitung war ich selbst betroffen – und wollte jenseits von anekdotischer Evidenz und der rasch bemühten These von der "Retraditionalisierung" genauer hinsehen, was die damals vorliegenden empirischen Studien zu dieser Frage aussagten.

In dem Artikel habe ich mich um Argumente bemüht, warum Feministinnen mit vielen Kritikpunkten mit Blick auf die gesellschaftliche Macht von Frauen und die Verteilung von Care-Arbeit recht haben, hingegen unrecht, wenn sie behaupteten, Corona markiere einen Rückfall. Studien zeigten, dass sowohl Mütter als auch Väter in großem Ausmaß von der Pandemie betroffen waren und eine Aufrechnung in der außergewöhnlichsten gesellschaftlichen Krise nicht hilfreich war. Ich schloss mit dem Fazit: "Hunderttausende Eltern sind darum bemüht, ihre Rollen gut auszufüllen. Mütter und Väter gehen auf dem Zahnfleisch und könnten dringend zwei Wochen an einem Ostseestrand gebrauchen. Und dabei wollen sie dieses eine Mal nicht darüber diskutieren, wer häufiger abgespült oder Wäsche gefaltet hat. Sie haben gerade gemeinsam einen Hurrikan überlebt." Mittlerweile liegen weitere Studien vor, die ich, vor dem Hintergrund des "Lockdowns", eingebettet in die mediale Debatte und zusammen mit den bereits im Mai zitierten Untersuchungen, in diesem Beitrag kurz vorstellen und einordnen werde – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ohne bewusste Auslassung von Ergebnissen, die meine These nicht stützen würden.

Im "Lockdown"

Die Corona-Pandemie ist ein soziales Ereignis, das in den vergangenen hundert Jahren kein Vorbild hatte. Mehrere Wochen lang wurde wegen der angenommenen extremen Ansteckungsgefahr des Virus das öffentliche Leben lahmgelegt. Familien blieben zu Hause und unter sich. In Supermärkten bildeten sich Schlangen, Produkte wurden gehamstert, viele Verbraucher kauften so viel Klopapier, dass sie damit auch eine wochenlange Quarantäne aushalten konnten. Zunächst hatten die Kultusbehörden Schulschließungen verhängt, eine Woche später entschied die Bundesregierung unter dem Eindruck der verheerenden Versorgungslage in Norditalien, den Einzelhandel in Deutschland komplett herunterzufahren. Unter vielen Selbstständigen machte sich Endzeitstimmung breit, denn für sie war nicht absehbar, ob die Liquidität ausreichen würde, um die Phase der Kontaktbeschränkungen zu überstehen. Kleinunternehmer bangten um ihre wirtschaftliche Existenz. Konzerne in Branchen wie Touristik, Gastronomie und Hotellerie stellten sich Fragen über ihre Zukunft.

Schulen mussten in kürzester Zeit die technischen und pädagogischen Voraussetzungen schaffen, um "Homeschooling" zu ermöglichen. Unterricht, der sonst von Lehrern vermittelt wird, musste einigermaßen selbsterklärend in Form von Aufgaben auf Arbeitsblättern oder auf digitalen Boards in die Wohnungen der Schüler transferiert werden. Für Familien mit schulpflichtigen Kindern bestand die Aufgabe darin, anstelle der Schulen den Unterricht zu Hause zu gewährleisten. Noch anspruchsvoller war die Situation für Eltern mit ganz kleinen Kindern. Denn wenn sie gleichzeitig ihrer Berufstätigkeit nachgehen und die Kinderbetreuung außerhalb vertrauter Einrichtungen sicherstellen sollten, bedeutete das für Paare häufig, dass sie sich mit den Aufgaben abwechseln mussten, sofern sie nicht unter die Notfallregelungen für die "systemrelevanten" Berufe fielen. Viele Berufstätige, vor allem solche mit Schreibtischjobs, konnten ihren Arbeitsalltag nach Hause verlegen. Eine Mehrheit an Arbeitnehmern – etwa solche, die in der Produktion oder Fertigung arbeiten – blieb weiterhin an ihrer Arbeitsstätte. Unternehmen, die sich einer Absatzkrise gegenübersahen, schickten Mitarbeiter zeitweise nach Hause und beantragten Kurzarbeit. Für viele Familien bedeuteten die getroffenen Maßnahmen eine Mehrfachbelastung, die sie zuvor nie erlebt hatten. Haushalt, Kinderbetreuung, Unterricht zu Hause, Beruf (unter schwierigeren Bedingungen) und eine Welt nahezu ohne Freizeitangebote mussten in Einklang gebracht werden – eine emotionale Zerreißprobe.

Nur zu Lasten der Frauen?

Als die Beschränkungen etwa einen Monat bestanden hatten, griffen Medien erstmals das Thema auf, was die Pandemie für die Geschlechterrollen bedeute. Vor der Corona-Krise (und vermutlich auch danach) gab es unbestritten erhebliche Unterschiede, wie Frau und Mann die Care-Arbeit untereinander aufteilten – auf der ganzen Welt summiert sich die Zeit, die Frauen unbezahlt im Haushalt, in der Erziehung und in der Pflege arbeiten, jeden Tag auf zwölf Milliarden Stunden, wie die Initiative "Equal Care Day" angibt. In Unternehmen, Behörden und Universitäten stehen Frauen weiterhin allzu selten an der Spitze. Und auch das 2007 von der damaligen Großen Koalition eingeführte Elterngeld hat nicht dazu geführt, dass sich Erziehungsaufgaben gleichmäßig unter den Geschlechtern verteilt haben.

Zwar sagte mir die ehemalige Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD), die gemeinsam mit ihrer Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) die Elterngeld-Reform durchgesetzt hat, zum zehnten Jubiläum des Gesetzes: "Heute traut sich niemand mehr, Väter, die sich für die Familie entscheiden, als Waschlappen zu bezeichnen." Doch zumindest anekdotisch und in bestimmten Berufsgruppen ist es längst nicht selbstverständlich, Elternzeit zu nehmen. "Die Zeit" stellte kürzlich unter dem Titel "Wochenlang nannte mich ein Kollege Röckchen" drei Väter vor, die durch Kollegen diskriminiert wurden. Bei leicht wachsender Zahl seit 2007 nimmt nicht einmal die Hälfte aller Väter die zwei Elternzeitmonate, die für die maximale Auszahldauer von 14 Monaten vorausgesetzt werden. Dabei dürfte es kaum ein besseres Mittel geben, um beide Elternteile an ihre familiären Pflichten heranzuführen, als getrennt voneinander genommene Elternzeiten – ob vom Staat bezahlt oder nicht.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, wenn auch in der Corona-Krise nach Indizien gesucht wurde, dass die Lasten der Pandemie zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt seien. "Zeit"-Autorin Jana Hensel setzte einen der ersten Akzente mit ihrem Artikel "Die Krise der Männer", in dem es um die Diskrepanz zwischen männlichem Machergestus und den vielen Frauen in den sogenannten systemrelevanten Berufen ging. Darin machte sie auch einen Schlenker zur Aufgabenverteilung zwischen Frau und Mann. Ohne wissenschaftliche Evidenz schrieb sie: "Parallel dazu muss ich an die Mütter denken, die im Moment mit den Kindern zu Hause sind. Auch dafür habe ich keine Zahlen, sondern muss mich auf die Beobachtungen in meinem Umfeld stützen. In eigentlich allen Familien, die ich kenne, gehen nämlich die Männer dennoch ins Büro und lösen die Frauen allenfalls in den späten Nachmittagsstunden mit der Kinderbetreuung ab."

Das Hineinhorchen in den eigenen Bekanntenkreis hat seine Tücken. Selten ist ein Blick ins eigene Umfeld repräsentativ. Schon mehr Gewicht hatte es deshalb, als Jutta Allmendinger, eine der führenden deutschen Soziologinnen und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), in mehreren Interviews und Zeitungsartikeln anmerkte, eine große Gefahr von Corona bestehe darin, dass die Verbreitung des Virus Geschlechterrollen verfestige. Dem "Podcast für Deutschland" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte sie, neben Selbstständigen gebe es vor allem eine Gruppe der Verlierer in der Krise: "Eltern mit kleinen Kindern, und wenn man da noch mal nach Männern und Frauen unterscheidet, sind es insbesondere die Frauen."

Keine zwei Wochen später formulierte sie es in einem Gastbeitrag für "Die Zeit" noch deutlicher. Die jüngsten Befragungen zu den Folgen von Corona zeigten ein klares Ergebnis: "Sie belegen eine Rollenverteilung zwischen Müttern und Vätern, die jener in der Generation unserer Eltern und Großeltern entspricht – und die wir nicht mehr für möglich gehalten hätten." Eine Rolle zurück sei beobachtbar. "Retraditionalisierung ist daher ein fast noch verharmlosendes Wort. Es ist zu schmusig, zu nett. Es geht um den Verlust der Würde von Frauen, von Respekt, von Rechten", schrieb die einflussreiche Sozialwissenschaftlerin.

Mit ihrer klaren Positionsbestimmung gab Allmendinger durchaus vor, unter welchen Vorzeichen in den Folgewochen über die Aufteilung der Aufgaben berichtet, kommentiert oder auch nur geteasert wurde. Das "SZ-Magazin" bewarb einen ansonsten sehr ausgewogenen Podcast mit den Zeilen "Corona führt zurück in die Fünfziger. Der Mann wird wieder zum Ernährer und die Frau zur Kümmerin". Auch die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berief sich in ihrem Artikel "Mutti macht das schon" auf Allmendinger als wichtigster wissenschaftlicher Quelle, während einige Bewertungen ohne empirische Evidenz wiedergegeben wurden. So wurde die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken wie folgt zitiert: "Alle Leute reden von Eltern; de facto geht es zu 80 Prozent um Mütter. Das ist die bewusste Verschleierung der Tatsachen unter dem Cover der Gleichberechtigung."

Ergebnisse empirischer Studien

Doch was sagt nun die Empirie? Bereits im April 2020 förderte die Mannheimer Corona-Studie folgende Ergebnisse zutage: Nach den Ausgangsbeschränkungen arbeitete die Hälfte der Befragten an der alten Arbeitsstätte, ein Viertel im Homeoffice. Vor der Pandemie waren 13 Prozent der Männer und 10,6 Prozent der Frauen ihrer Arbeit von zu Hause nachgegangen. Wegen der Kita- und Schulschließungen betreuten 93 Prozent der befragten Eltern ihre Kinder selbst, nur ein kleiner Teil gab diese Aufgabe an Großeltern ab, weil die Ansteckungsgefahr für diese Risikogruppen durch ihre Enkel als hoch galt. Gemäß den Befragungen übernahmen in der ersten Woche der Schulschließungen am Befragungstag 26,5 Prozent der Männer diese Arbeit allein (in der zweiten Woche 24 Prozent). Frauen kamen auf die Hälfte, in jeweils 24 Prozent der Fälle teilten sich beide Partner die Aufgabe. Die Autoren schrieben in ihrer ersten Veröffentlichung: "Somit zeigen die aktuellen Werte nicht unbedingt eine Verstärkung der Geschlechterungleichheit im Vergleich zu vor der Corona-Krise." Obwohl Sozialwissenschaftlerin Allmendinger in ihren Ausführungen auf diese Studie Bezug genommen hatte, ließ sie diese interpretative Einschätzung der Mannheimer Forscher außen vor.

"Rückschritt durch Corona", überschrieb die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung eine Zahlenanalyse zum Thema. "Rollback bei den Geschlechterrollen", lautete eine andere Formulierung aus dem kurzen Aufsatz. Auch Allmendingers Begriff von der "Retraditionalisierung" findet sich darin wieder, zu dieser würde es "tendenziell" kommen. So hatten in Haushalten mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren 27 Prozent der Frauen, aber nur 16 Prozent der Männer ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten. Bei Paaren, die sich die Sorgearbeit vor der Krise gleichmäßig aufgeteilt hatten, gaben nur noch 57 Prozent der Männer an, sie hätten die Arbeit gleichmäßig in der Partnerschaft aufgeteilt, 30 Prozent sahen einen höheren Anteil der Frau und 12 Prozent einen höheren des Mannes. Die Frauen sahen in gut 25 Prozent der Fälle einen höheren Anteil bei sich liegen. In dieser Gruppe der Paare mit einer gleichberechtigten Beziehung hat es also unter dem Eindruck der Krise tatsächlich eine Verschiebung der Aufgaben in Richtung der Frauen gegeben, aber sicherlich keinen "Rollback". Denn in den vielbeschworenen 1950er Jahren musste man nach dieser Art von Paaren wohl weitaus intensiver suchen als heute.

Interessante sozioökonomische Hintergründe zu den Krisenfolgen hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) untersucht. Im Vergleich zur Finanzkrise, in der vor allem Branchen des verarbeitenden Gewerbes betroffen waren, in denen es eine eindeutige Dominanz männlicher Beschäftigter gibt, seien von einer Pandemie andere Wirtschaftszweige betroffen: die Hotellerie und Gastronomie, die Touristik und der Kultursektor. Diese Branchen sind weiblich dominiert. Das hatte zur Folge, dass sich im Vergleich zur Krise vor einem Jahrzehnt die Betroffenheit etwas von Männern zu Frauen verschoben hat. Das aber ist nicht die Folge einer neuen Ungleichheit, sondern der freien Berufswahl von Arbeitnehmerinnen und der relativen Attraktivität dieser Wirtschaftszweige für weibliche Arbeitskräfte.

In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" machte die Ökonomin Nicola Fuchs-Schündeln auf den Umstand aufmerksam, in den ersten Wochen der Corona-Krise habe sich gezeigt, dass die Veröffentlichungen weiblicher Forscherinnen etwas stärker durch die Pandemie ausgebremst wurden als die ihrer männlichen Kollegen. Forscherinnen könnten zurückgeworfen worden sein, die Befunde seien aber nicht signifikant. Sie bemängelte, dass Frauen selbst ihre Rolle häufig als eine Kümmerin definierten. "Was oft nicht bedacht wird: Der Mensch ist stark von Normen geprägt. Was sind gute Eltern, was sind schlechte? Gerade in Deutschland sind diese Normen für Mütter immer noch viel stärker als für Väter. Es kostet Kraft, dagegen zu verstoßen", sagte sie.

Mit dem vorhandenen Datenmaterial Ende Mai 2020 ließ sich also folgendes Zwischenfazit ziehen: Wirtschaftlich waren Frauen stärker betroffen, die Betreuungsaufgaben übernahmen sie nach den Zahlen der Mannheimer Studie anfangs zur Hälfte allein, die andere Hälfte der Befragten setzte sich zu gleichem Maße aus Vätern zusammen und Paaren, die sich die Aufgabe teilten. In Beziehungen, die bislang gleichberechtigt ihre Aufgaben aufgeteilt hatten, gab es eine Zusatzbelastung für Frauen, aber keinen Rückfall in Jahrzehnte, in denen Care-Arbeit in der Familie ausschließlich Frauen erledigten.

Seitdem sind weitere Studien erschienen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das die Bundesagentur für Arbeit mit wissenschaftlicher Begleitforschung unterstützt, stellte Ende Juni fest, dass von allen Beschäftigten, die vorher nur im Betrieb arbeiteten, 28 Prozent der Frauen ins Homeoffice wechselten und 17 Prozent der Männer, was im Durchschnitt 20 Prozent der Beschäftigten ergab. 29 Prozent der Männer und 28 Prozent der Frauen berichteten, sich aktuell um ein oder mehrere Kinder zu kümmern. Für Frauen, die mindestens ein Kind betreuten, verringerte sich die Stundenzahl von durchschnittlich 30,6 auf 28 Stunden. Bei betreuenden Männern sank die Arbeitszeit von durchschnittlich 42,1 auf 36,4 Stunden etwas stärker. 38 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen mit Betreuungsaufgaben berichteten, zu anderen Zeiten zu arbeiten als vor der Pandemie.

Diese Daten spiegeln nicht die Belastung durch die Care-Arbeit während der Schulschließungen wider. Denn es gab auch Eltern, die alle neuen Aufgaben parallel bewältigten und am Abend einfach völlig erschöpft waren. Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) des DIW belegen, dass sich sowohl für Mütter als auch für Väter die durchschnittliche Stundenzahl, die sie im Jahr für Hausarbeit und Kinderbetreuung aufwendeten, stark erhöht hat. Für die Kinderbetreuung verdoppelte sie sich bei Männern von durchschnittlich rund zwei auf rund vier Stunden, für Frauen stieg sie von etwa 4,5 auf etwa 7,5 Stunden am Tag. Zu ähnlichen Ergebnissen kam das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Der Anteil der Väter an der Familienarbeitszeit sei während der Corona-Krise von zuvor etwa 33 Prozent auf 41 Prozent gestiegen. "Väter haben somit in der Ausnahmesituation während des Lockdowns einen historisch hohen Anteil in der Aufteilung der Familienarbeit erreicht – freilich immer noch weniger als die Mütter", schrieben die Autoren, als sie ihre Untersuchung zu Eltern in der Krise Mitte Juli veröffentlichten. Auch hier war der Hinweis zu finden, "dass von einer vieldiskutierten Retraditionalisierung der Geschlechterrollen im Zuge der Corona-Krise nicht die Rede sein kann".

All das heißt noch lange nicht, dass die Arbeitsbedingungen während dieser Zeit einfach gewesen sind. Alleinerziehende haben besonders gelitten. Deutlich mehr Frauen als Männer erziehen ihre Kinder allein. Nur etwa ein Fünftel der Beschäftigten konnte tatsächlich von zu Hause aus arbeiten. Wieder einmal waren es Zahlen des SOEP, die hier einen Aufschluss über die soziale Realität in Deutschland gegeben haben. Die Forscher des DIW haben Daten aus Vorkrisenzeiten untersucht und Schlussfolgerungen für die aktuelle Lage gezogen. In zwei Drittel der Paarhaushalte mit Kindern bis zu zwölf Jahren waren beide Elternteile erwerbstätig. Aber nur in etwas mehr als der Hälfte der Haushalte hatte eine Person die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Unter den Alleinerziehenden waren ebenfalls zwei Drittel erwerbstätig, aber nur etwa ein Drittel konnte von zu Hause aus arbeiten.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat mit mehreren Studien gewissermaßen ihren amtlichen Stempel auf die Sicht gegeben, dass es kein "Rollback" gab. Aussagekräftig ist eine Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag ihres Hauses. Demnach gaben 59 Prozent der Eltern an, ganz gut durch die Krise gekommen zu sein. Der sozioökonomische Status spielte dabei eine sehr große Rolle: In reicheren Haushalten lag der Anteil bei 66 Prozent, in ärmeren bei 49 Prozent. Nur 6 Prozent der Befragten gab an, Arbeitgeber hätten kein Verständnis für ihr Problem gezeigt. In 59 Prozent der Haushalte hatte sich die Betreuung der Kinder nicht geändert, 21 Prozent der Eltern gaben an, sie sei ungleicher geworden. Dem standen 20 Prozent gegenüber, die sie egalitärer fanden.

Wenig später stellte Giffey eine weitere Studie, diesmal vom Institut Prognos, vor, die auch Arbeitgebern während der Krise ein gutes Zeugnis ausstellte. "Vieles von dem, was in der Pandemie plötzlich möglich war – flexiblere Arbeitszeiten, Homeoffice und innovative Schichtmodelle – hat Potenzial für die Zukunft", sagte Giffey. 82 Prozent der Unternehmen erklärten, die Kinderbetreuung sei ein zentraler Faktor für die Produktivität ihres Unternehmens. Prognos betonte, ein Ergebnis der Studie sei, dass ein großer Teil der Väter mit Arbeitgebern vereinbart habe, Arbeitszeiten oder Arbeitsort zu verändern, um sich um Kinder kümmern zu können. Die meisten Unternehmen unterstützten eine aktive Vaterschaft und sprächen sich "gegen eine Retraditionalisierung der Elternrollen" aus.

Das heißt aber nicht, dass die psychische Belastung durch Corona gleichmäßig verteilt ist. Ende September 2020 stellte DIW-Präsident Marcel Fratzscher in einer Kolumne in der "Zeit" Ergebnisse einer Befragung unter 10.000 Deutschen vor, aus der hervorging, dass das Wohlbefinden aller Familien mit Kindern im Vorschulalter und in der Schule während der Pandemie abnahm. Unter Müttern sei die Lebenszufriedenheit besonders stark zurückgegangen. Auch eine Befragung des Versicherers Axa zur psychischen Belastung während der Ausgangsbeschränkung ergab, dass Frauen stärker unter ihren Folgen litten. Gleichzeitig lieferte Nadine Bös, Redakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", mit ihrem langen Artikel "Haushaltsfragen" eine nüchterne Zusammenfassung der Studienlage und sprach mit Eltern. "In vielen Familien wurden eingespielte Rollen neu verhandelt", zitierte sie die Soziologin Anja Steinbach von der Universität Duisburg-Essen, die mit ihrem Kollegen Karsten Hank zur Frage gearbeitet hat. Ein Datenvergleich aus dem Familienpanel "Pairfam" vor und während der Pandemie zeigte in Steinbachs Worten: "Corona hat keinen extremen Traditionalisierungsschub gebracht. Es gab in den Paarbeziehungen Anpassungen in beide Richtungen." Je nach Betroffenheit wurden die Rollen in der Familie dem Bedarf angepasst. Erst kürzlich veröffentlichte das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe Auswertungen von Befragungen erwerbstätiger Eltern im Rahmen des Nationalen Bildungspanels zu Kinderbetreuung in der Corona-Krise. Ihr Fazit: "Auch bei gleicher beruflicher Belastung betreuen Mütter häufiger allein als Väter."

Schluss

Die vielen Befragungen und ergänzenden Daten zeichnen also ein Bild, das insgesamt eher ermutigend im Hinblick auf eine Gleichstellung von Männern und Frauen ist. So wie durch den kulturellen Wandel, den die ehemalige Ministerin Renate Schmidt beobachtet, schrittweise eine stärkere Aufteilung der Sorgearbeit festzustellen ist, bleiben aber auch Defizite, wenn eine vollständige Gleichverteilung das Ziel ist. Bei der Interpretation von Zahlenwerten darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass es Familien gibt, die sich bewusst für eine ungleiche Verteilung der Aufgaben entscheiden.

Hinsichtlich der stärkeren psychischen Belastung von Frauen könnte der "Mental Load" eine Rolle spielen, wie ihn die Autorin Patricia Cammarata in ihrem Buch "Raus aus der Mental Load Falle" genauer beschreibt. Häufig bleiben schleichend und unbewusst Aufgaben bei Frauen hängen, die nicht immer genau zu benennen sind, die aber im Alltag bewältigt werden müssen. Wie lange reicht das Klopapier? Welche Geburtstage stehen an und müssen geplant werden? Was braucht das Kind an neuen Sachen? Um einen Partner (häufiger Frauen) vom permanenten Nachdenken über solche und andere Dinge zu entlasten, der für eine mentale Beanspruchung des Gehirns (Mental Load) sorgt, regt Cammarata an, diese Aufgaben aufzulisten und explizit zwischen den Partnern aufzuteilen. In ihren Vorschlägen dürfte einiges Potenzial liegen, um Lasten umzuverteilen, die in den Erhebungen zur Corona-Krise noch gar nicht berücksichtigt sind.

hat Volkswirtschaft und Germanistik studiert und ist Redakteur in der Wirtschaftsredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". E-Mail Link: p.krohn@faz.de