Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Schleichende Militarisierung | Bundeswehr | bpb.de

Bundeswehr Editorial Kriegstüchtig? Zur Zeitenwende in Politik, Gesellschaft und Truppe Wie wir wehrhaft werden. Zu den Grenzen der Freiwilligkeit in Zeiten des Krieges Preis der Freiheit. Zu den ökonomischen Kosten der Zeitenwende Extremismus in der Bundeswehr. Ausmaß, Ursachen, Wirkungen Drehscheibe Deutschland. Die Bundeswehr im Nato-Kontext Zäsur Afghanistan-Einsatz? Lehren für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik Schleichende Militarisierung. Beobachtungen zur Veränderung der Zivilgesellschaft

Schleichende Militarisierung Beobachtungen zur Veränderung der Zivilgesellschaft

Margot Käßmann

/ 13 Minuten zu lesen

Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich unsere Gesellschaft spürbar verändert. Es gibt verschiedene Anzeichen für eine schleichende Militarisierung.

„Sprache schafft Wirklichkeit“ – so lautet ein dem Philosophen Ludwig Wittgenstein zugeschriebenes Zitat. Und hier, in der Sprache, beginnt die Veränderung der Zivilgesellschaft: „Helden“, „Blutzoll“, „Tapferkeit“, „Ehre“, „Soldateska“, „Schergen“ – solche Begriffe sind inzwischen Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs in den Medien geworden. Bei Landtagswahlen ist in den Kommentaren von „Bollwerk“ und „Zweifrontenkrieg“ die Rede. Der Begriff „Verhandlungen“ wird mitunter in Anführungszeichen gesetzt. Außenministerin Annalena Baerbock erklärt sinngemäß, wir dürfen nicht „kriegsmüde“ werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius meint gar, wir müssten „kriegstüchtig“ sein. Hier bedarf es der Sensibilität der Zivilgesellschaft.

Bundeswehr und Zivilgesellschaft

Zur schleichenden Militarisierung gehört die Rolle der Bundeswehr in der Zivilgesellschaft. Die Zahl der rekrutierten Minderjährigen steigt. Verteidigungsminister Pistorius wirbt für „Schnupperpraktika“ und fordert den ungehinderten Zugang von Jungoffizieren zu Schulen, um Jugendlichen den Dienst in der Bundeswehr schmackhaft zu machen. Ein neues Gesetz in Bayern verpflichtet Schulen und Hochschulen künftig sogar zur Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. In der Gesetzesbegründung heißt es, „Aufgabe des Staates“ sei es, „unsere Gesellschaft auf die grundlegend veränderte sicherheitspolitische Lage vorzubereiten“, die sich auf nahezu alle Lebensbereiche auswirke.

Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sagt, die Schulen sollten ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ entwickeln. Zudem plädiert sie für Zivilschutzübungen an Schulen, um auf Krisen wie Pandemien, Naturkatastrophen oder Kriege vorbereitet zu sein. Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist in dieser Logik nur folgerichtig. Es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft, diese Logik zu hinterfragen. Denn das Militär ist nicht die „Schule der Nation“. In seiner Antrittsrede als Bundespräsident sagte Gustav Heinemann am 1. Juli 1969: „Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken unterwiesen wurde, sondern heute ist der Frieden der Ernstfall.“ In diesem Sinne wäre eine Bildungspolitik sinnvoll, die Friedenserziehung, Mediation und gewaltfreie Konfliktbewältigung in den Lehrplänen verankert. Der Journalist Heribert Prantl hat kürzlich darauf hingewiesen, dass in vielen Landesverfassungen gefordert wird, die Jugend zur Friedensgesinnung zu erziehen.

Im Editorial der „Zeitschrift für innere Führung“ schreibt Oberst Harald Lamatsch: „Kriegstüchtig werde ich nur innerhalb einer Gesellschaft, die mir das notwendige Rüstzeug und die Unterstützung gibt, um in der von Tod und Gewalt geprägten Auseinandersetzung zu gewinnen.“ Das bedeutet: Die gesamte Gesellschaft muss die Armee voll unterstützen, hinter ihr stehen. Kriegsdienstverweigerung, Skepsis, Drängen auf beispielsweise Soziale Verteidigung werden in der Konsequenz als Infragestellung der Kriegstauglichkeit gewertet. Ein Beitrag des CDU-Politikers Roderich Kiesewetter im selben Heft bestätigt dies. Kiesewetter schreibt: „Die Zeitenwende ist somit nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch bei der zivilen Verteidigung erforderlich: Deutschland braucht einen Operationsplan (OPLAN) für eine Gesamtverteidigung, der Sicherheit integriert betrachtet.“ Und weiter: „Zuletzt kommt es auch hier auf Kommunikation gegenüber der Bevölkerung und trainierte Erfahrung an. Große deutschlandweite Übungen wären wichtig, genauso wie die individuelle Sensibilisierung beispielsweis in der Schule.“

Und siehe da, der „Operationsplan Deutschland“ liegt vor und wird ständig aktualisiert. Generalleutnant André Bodemann erklärte gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Deutschland und die Bundeswehr müssten sich darauf einstellen, „auf die aktuellen Bedrohungen und die territoriale Verteidigung in Frieden, Krise und auch Krieg zu reagieren.“ Das aber könne die Bundeswehr nicht alleine leisten. „Deswegen brauchen wir die Unterstützung der zivilen Seite.“ Es könne beispielsweise passieren, „dass sich etwa eine US-Division durch Deutschland in Richtung Osten bewegt, Tausende Fahrzeuge, Tausende Soldaten. Dann müssen die verpflegt werden.“ Sein Plan sei bei den Bundesländern, den Bundesressorts vom Roten Kreuz bis zur Polizei sehr positiv aufgenommen worden, erklärt Bodemann. Diese Pläne sind in der öffentlichen Wahrnehmung bisher kaum präsent, das sollte sich ändern.

Dazu passt die Entscheidung des Bundestages vom 25. April 2024, den 15. Juni als nationalen Veteranentag „für Respekt, Anerkennung und Würdigung unserer Soldatinnen und Soldaten“ ins Leben zu rufen, um die Sichtbarkeit der Soldatinnen und Soldaten in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Auch der Begriff „Veteran“ war im Deutschen lange Zeit ungebräuchlich. Aus gutem Grund wurde der Heldengedenktag nach 1945 zum Volkstrauertag, es sollte fortan um alle Opfer der Kriege gehen. Warum nicht ein Würdigungstag für alle, die sich für unser Land einsetzen und Respekt und Anerkennung verdienen, für Lehrerinnen und Lehrer, Pflegekräfte, Polizeibeamte, Ehrenamtliche? In dieses Bild fügt sich, dass 2024 versucht wurde, frühere Wehrmachtsoffiziere gemäß dem Traditionserlass der Bundeswehr von 2018 zu Vorbildern für die Bundeswehr zu erklären. Nach einem Artikel in der „taz“ unter der Überschrift „Mehr Wehrmacht wagen“ und den darauf folgenden kritischen Stimmen wurde das Vorhaben abgebrochen. Das wäre eine noch breitere öffentliche Debatte wert: Wer sind die Vorbilder, wer ist in unserer Gesellschaft zu würdigen?

Ein letzter Aspekt, der zu den viel beschworenen europäischen Werten gehört: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. Aber junge Männer aus Russland, die den Kriegsdienst verweigern wollen, erhalten in Deutschland kein Asyl. In der Ukraine dürfen Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht verlassen. Dennoch haben allein in Deutschland 256.000 von ihnen Zuflucht gesucht. Nun bangen sie um ihr Bleiberecht. Die Entscheidung eines Menschen, Soldat zu werden, ist zu respektieren. Die Verweigerung dieses Dienstes aber auch. In den Jahren, in denen ich Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen war, habe ich es immer als befremdlich empfunden, dass in Deutschland das Gewissen der Kriegsdienstverweigerer amtlich geprüft wird, nicht aber das Gewissen derer, die Kriegsdienst leisten. Darin kommt eine Grundhaltung zum Ausdruck, die hinterfragt werden sollte.

Aufrüstung

Mit der Militarisierung der Sprache und der Zivilgesellschaft geht eine beispiellose Aufrüstung einher, von der vor allem die Rüstungsindustrie profitiert, deren Aktien Rekordwerte erreichen. Allein der Wert der Rheinmetall-Aktie ist seit Februar 2022 von 96 Euro auf zwischenzeitlich 560 Euro gestiegen. Die Prognosen sind hervorragend, sagen Analysten und stufen die Aktie als „attraktiv“ ein. Die Aktionäre verdienen an den Kriegen der Welt, und wenn die Flüchtlinge aus diesen Kriegen zu uns kommen, werden sie oft abgewiesen. Der Bundeskanzler selbst war beim Spatenstich für eine neue Rüstungsfabrik in Unterlüß dabei. Jetzt heißt es sogar, die Rüstungsindustrie müsse staatlich gefördert werden.

Die weltweiten Rüstungsausgaben sind mit 2,2 Billionen US-Dollar auf einem neuen Rekordniveau. Und: Mit „Steadfast Defender 2024“ fand in diesem Jahr das größte Nato-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges statt. 90.000 Soldatinnen und Soldaten aus 32 Ländern nahmen daran teil. Das erklärte Ziel: Abschreckung. Mehr noch: Ohne öffentliche Debatte, auch ohne vorhergehende Debatte im Deutschen Bundestag, haben Deutschland und die USA am Rande des Nato-Gipfels im Juli 2024 verkündet, dass die USA ab 2026 wieder landgestützte Raketen in Deutschland stationieren werden. Mit diesen US-Langstreckensystemen soll eine „Fähigkeitslücke“ geschlossen werden. Irritierend ist nicht nur die fehlende parlamentarische Debatte darüber, sondern auch die Tatsache, dass anders als beim Nato-Doppelbeschluss von 1979 mit der Stationierungsentscheidung kein Verhandlungsangebot an Russland einherging. So entwickelt man nicht Rüstungskontrolle, sondern Rüstungswettlauf.

Mit nuklear bestückbaren Marschflugkörpern und Hyperschallwaffen, die eine Reichweite von bis zu 2500 Kilometern haben, kann Moskau erreicht werden. Und Deutschland könnte, wie in den 1980er Jahren, zum Zentrum einer Systemauseinandersetzung werden. Der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel sagte, für die Deutschen stelle sich hier eine besonders heikle Frage: „Die Stationierung solcher Waffensysteme hat ja immer das Ziel, dass sie nie eingesetzt werden, weil die gegnerische Macht weiß, dass es am Ende nur Verlierer gibt.“ Das Problem aller nuklearen Strategien in Europa sei aber, „dass für den Fall, dass es trotzdem einmal zum Einsatz solcher Waffen kommen könnte, Zentraleuropa und damit Deutschland immer das Schlachtfeld wäre, auf dem ein solcher Schlagabtausch ausgetragen würde“.

Eigentlich wollte die jetzige Bundesregierung die Waffen- und Rüstungsexporte reduzieren und ein Kontrollgesetz auf den Weg bringen. Stattdessen waren 2022 wie schon 2021 die Rüstungsexporte mit einem Wert von fast zehn Milliarden Euro so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Noch im Bundestagswahlkampf 2021 hatte die Partei Bündnis90/Die Grünen plakatiert, was bis dahin Konsens gewesen war: „Keine Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete“. Dass ausgerechnet diese Partei, die aus der Friedensbewegung hervorgegangen ist – genannt seien Pazifistinnen der Gründergeneration wie Petra Kelly oder Antje Vollmer –, sich vehement für Waffenlieferungen einsetzt, ist höchst irritierend. Keine Rede mehr von Abrüstung, nur noch von Waffensystemen und Militärstrategien. Keine Rede auch davon, dass gerade Krieg massive Umweltschäden verursacht und die Klimakatastrophe vorantreibt. Hier hat sich der Diskurs in eine völlig andere Richtung gedreht – eine Entwicklung, die eine intensive innerparteiliche Debatte wert wäre.

Geschichtslektionen

In öffentlichen Debatten wird immer wieder behauptet, Deutschland sei mit seiner skeptischen Haltung gegenüber militärischer Aufrüstung naiv gewesen. Diese Haltung erklärt sich aber aus zwei Weltkriegen, die Deutschland zu verantworten hat. Wer einmal das Beinhaus von Douaumont besucht hat, in dem die Knochen von 130.000 jungen Männern liegen, die auf den Schlachtfeldern von Verdun gestorben sind, sieht den ganzen Irrsinn des Krieges. Sie mussten darum kämpfen, ob das Stückchen Land zu Frankreich oder zu Deutschland gehört. Mit Blick auf ihre Gebeine ist das völlig irrelevant.

Und das Unbehagen großer Teile der Bevölkerung gegenüber Waffenlieferungen in die Ukraine rührt doch daher, dass zu Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 85 Jahren deutsche Panzer nach Osten rollten, erst nach Polen, dann in die Sowjetunion. Es ist fatal, dass sich die Ablehnung von Waffenlieferungen durch die Mehrheit der Bevölkerung sich in der Politik der demokratischen Parteien nicht ausreichend widerspiegelt. Das Thema „Frieden“ darf nicht den Populisten überlassen werden.

Zur Geschichte gehört auch, dass all die Waffengänge der vergangenen Jahrzehnte keinen Frieden gebracht haben. Der Einmarsch der „Koalition der Willigen“ in den Irak 2003 – ebenso völkerrechtswidrig wie der Angriff Russlands auf die Ukraine – führte zum Sturz des Diktators Saddam Hussein. Ziel war es, eine demokratische Führung zu installieren. UN-Waffeninspekteure suchten vergeblich nach den angeblich vorhandenen Massenvernichtungswaffen. Als die US-Truppen 2011 abzogen, gab es nach offiziellen Schätzungen mehr als 100.000 Tote, andere Schätzungen gehen von bis zu 500.000 Toten aus.

„Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“ – so begründete der damalige Verteidigungsminister Peter Struck 2002 die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan. „Enduring Freedom“ (Andauernde Freiheit) hieß die Operation, die – dieses Mal mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates – als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 eingeleitet wurde. Der Einsatz endete 2021 auf dramatische Weise mit einem fluchtartigen Abzug. Die Bilanz: 240.000 Tote und 5,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Heute herrschen in Afghanistan wieder die Taliban. Frauen dürfen sich nicht mehr frei bewegen, kaum noch zur Schule gehen, nicht mehr in der Öffentlichkeit singen oder laut sprechen. Das Land ist am Ende.

Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann hat treffend gesagt: „Die Geschichte lehrt unaufhörlich, aber sie findet keine Schüler.“ Das scheint auch heute zu gelten. Doch die Frage, ob Auslandseinsätze der Bundeswehr überhaupt vom Grundgesetz gedeckt sind, wie weit der Auftrag zur „Landesverteidigung“ interpretiert werden darf, ist immer wieder neu zu diskutieren.

Medien

Seit Februar 2022 wird die Friedensbewegung medial massiv diskreditiert. Von „selbsternannten Friedensfreunden“ ist die Rede. Die zum Teil wüsten Beschimpfungen gehen einher mit der Unterstellung, dass alle, die sich für Frieden einsetzen oder sich als Pazifistinnen und Pazifisten bezeichnen, nicht begreifen, dass Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher ist und den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Eine kontroverse Debatte über die Rolle Deutschlands, eine Infragestellung der Waffenlieferungen ist nicht möglich, ohne als „dumm“ oder „naiv“ beschimpft zu werden. Wer versucht, die Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine zu beleuchten, etwa die Nato-Osterweiterung nach 1990 zu hinterfragen, dem wird unterstellt, zu leugnen, dass Russland die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen hat. So wird der demokratische Diskurs unterbunden.

Der Philosoph Richard David Precht und der Sozialpsychologe Harald Welzer haben in ihrem Buch „Die vierte Gewalt“ ausführlich beschrieben, wie sehr öffentliche und veröffentlichte Meinung nicht zuletzt seit Beginn des Krieges in der Ukraine auseinanderklaffen. Sie beklagen, wie wenig sich die mehrheitlich kritische Haltung der Öffentlichkeit gegenüber Waffenlieferungen in den Leitmedien widerspiegelt: „Wenn, wie beim Ukrainekrieg, (sogar) sämtliche Leitmedien die gleiche weltanschaulich-ethische Haltung einnehmen und fast alle Waffenlieferungen und einer eskalierenden Konfrontation mit dem Aggressor Russland das Wort reden, geschieht eine kollektive Pluralitätsverengung.“

Auch abseits von Talkshows gibt es zahlreiche Beispiele für eine schleichende Militarisierung in den Medien: So waren etwa im „Aktuellen Sportstudio“ (ZDF) vom 9. September 2023 Prinz Harry und Verteidigungsminister Boris Pistorius zu Gast. Es wurde über die Invictus Games berichtet, die in jenem Jahr in Deutschland stattfanden. Kriegsversehrte werden durch Sport wieder in die Gesellschaft integriert. Zwei versehrte Athleten werden vorgestellt. Der eine leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, der andere hat im Afghanistankrieg beide Beine verloren. Die Ursache für diese Behinderungen, der Krieg, wird in der ganzen Sendung jedoch kein einziges Mal erwähnt. Der Kommentator sagt: „Um Ruhm und Ehre geht es nicht, davon ist unter den Teilnehmenden schon genug vorhanden!“ Der Verteidigungsminister lobt die Veteranen, die „für unser Land gekämpft haben“. Sie seien „Rolemodels“. Und dann wird berichtet, dass die Invictus Games von der Rüstungsindustrie gesponsert werden.

Jana Stegemann kommentierte die Sendung für die „Süddeutsche Zeitung“: „Nach 45 Minuten stellt die Moderatorin die erste kritische Frage an Boris Pistorius, den zurzeit in Deutschland beliebtesten Politiker. Ob er verstehen könne, dass Kritiker in den vom Rüstungskonzern Boeing gesponserten Invictus Games eine Heroisierung von Krieg und Militär sähen? Der Verteidigungsminister verneint: Es gehe darum, Solidarität und Respekt für die Einsatzkräfte zu zeigen.“

Ein weiteres Beispiel: Das ZDF hat für seinen Youtube-Kanal, der sich an Kinder und Jugendliche richtet, ein animiertes Video produziert, in dem internationales Kriegsgerät um Anerkennung kämpft – nach dem Motto: Wer ist der tollste Marschflugkörper? Und der arme Taurus wird bemitleidet, weil Olaf Scholz ihn nicht fliegen lässt! Unverhohlen und völlig unkritisch wird mit diesem Video bei Kindern und Jugendlichen für die Lieferung eines Marschflugkörpers in die Ukraine geworben, dessen Einsatz umstritten ist, weil wir damit immer mehr zur Kriegspartei werden. Solche Beiträge, die sich unkritisch mit dem Kriegsgeschehen auseinandersetzen, müssen in den Rundfunkräten besprochen werden.

Theologische Überlegungen

Der Theologe Friedrich Siegmund-Schultze formulierte 1946: „Die Menschheit lässt sich wie stets in die Verantwortungslosigkeit hineinschläfern.“ Ein guter Ansatzpunkt für die Friedensethik: Sich nicht in Verantwortungslosigkeit „hineinschläfern“ lassen! Hier könnten die Kirchen eine wichtige Rolle spielen. Jahrhundertelang wurden Waffen von Kirchenvertretern gesegnet. Und auch heute sehen wir wieder Bilder davon. Der russische Patriarch Kyrill rechtfertigt den russischen Angriff auf die Ukraine, als ob Russland von westlichen Werten wie Freiheit, Gleichberechtigung und der Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften angegriffen würde. Das ist für mich Gotteslästerung.

Die Kirchen der Welt sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Gewalt legitimiert haben. Denn im Evangelium findet sich dafür keine Grundlage. Jesus hat gesagt: „Steck das Schwert an seinen Ort“ – „Selig sind, die Frieden stiften“ und mehr noch: „Liebet Eure Feinde.“ Der Friedensnobelpreisträger Martin Luther King Jr. erklärte, dies sei das Schwerste, was Jesus uns hinterlassen habe. Das gilt bis heute. Vor allem aber ist es eine bleibende Mahnung, sich nicht zu Feindbildern verleiten zu lassen. Es war das theologische Konzept der Gotteskindschaft, das ihn nicht nur zur Überwindung des Rassismus antrieb, sondern auch zur grundsätzlichen Ablehnung des Krieges und zum vehementen Eintreten für gewaltfreie Formen des Widerstands. Dabei hat King schon früh den Zusammenhang von sozialer Gerechtigkeit und Krieg dargestellt, der sich auch heute zeigt, wenn Milliardeninvestitionen in Rüstung mit Kürzungen im sozialen Bereich einhergehen: „Kein Mensch, der bei Verstand ist, kann es sich leisten, für soziale Gerechtigkeit in einem Land zu arbeiten, wenn er/sie nicht zugleich Krieg ablehnt und sich eindeutig zur Gewaltfreiheit in den internationalen Beziehungen bekennt.“

Bei all dem gehört es zur Demut eines Menschen, anzuerkennen, dass ich mit jeder Option, die man im Leben wählt, schuldig werden kann. Wenn Außenministerin Annalena Baerbock sagt, „unsere Waffen retten Menschenleben“, dann muss damit die Erkenntnis einhergehen, dass unsere Waffen eben auch töten, dafür sind sie entwickelt worden. Wenn Pazifistinnen und Pazifisten Waffenlieferungen an Menschen ablehnen, die sie zu ihrer Verteidigung anfordern, müssen sie sich darüber im Klaren sein: Das kann Menschenleben kosten. Niemand kann – wie es Pontius Pilatus versuchte – die eigenen Hände in Unschuld waschen. Aber eine Ablehnung von Waffenlieferungen, begleitet von Konzepten der Diplomatie, der Verhandlung, der Sozialen Verteidigung, darf als Alternative nicht einfach lächerlich gemacht werden. Dass die evangelische Militärseelsorge kürzlich erklärt hat, sie bereite sich auf einen möglichen Verteidigungsfall vor und sei dabei, einen „geistlichen Operationsplan Deutschland“ zu erarbeiten, der festlege, wie die Kirche im Kriegsfall handeln könne, zeugt bedauerlicherweise nicht von unbedingtem Friedensengagement der Kirchen, sondern von einer Vorbereitung auf Krieg. Dabei könnten gerade die Kirchen, die über nationale Grenzen hinweg miteinander verbunden sind und auf Frieden und Versöhnung drängen, eine vermittelnde Rolle spielen. Sie könnten auch geistig-geistliche Kraftquellen aufzeigen, die für einen solchen Weg eine intellektuelle wie spirituelle Grundlage im Sinne Martin Luther Kings bereitstellen.

Zuletzt und persönlich

Als Großmutter von sieben Enkelkindern schreibe ich diesen Text, weil ich die aktuellen Entwicklungen mit großer Sorge um die nachwachsenden Generationen sehe. Wenn ich an diese Kinder denke, an all die Kinder in der Ukraine, in Russland, in Syrien, im Jemen, im Sudan, dann sind all die Milliarden Euro und Dollar für Aufrüstung und Krieg keine Investition in ihre Zukunft. Was sie brauchen, ist eine Investition in die Verhinderung der Klimakatastrophe. Milliarden Euro in Bildung und Entwicklung machen ihre Zukunft lebenswert. Unsere Erde ist bedroht durch die rücksichtslose Ausbeutung aller Ressourcen. Und Krieg ist eine der schlimmsten Zerstörungskräfte. Nur Abrüstung und Frieden sichern die Zukunft der Menschheit. Die Hoffnung, dass dies möglich ist, gilt es gerade in diesen Tagen wach zu halten.

ist Theologin und Pfarrerin. Sie war unter anderem Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.