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Preis der Freiheit | Bundeswehr | bpb.de

Bundeswehr Editorial Kriegstüchtig? Zur Zeitenwende in Politik, Gesellschaft und Truppe Wie wir wehrhaft werden. Zu den Grenzen der Freiwilligkeit in Zeiten des Krieges Preis der Freiheit. Zu den ökonomischen Kosten der Zeitenwende Extremismus in der Bundeswehr. Ausmaß, Ursachen, Wirkungen Drehscheibe Deutschland. Die Bundeswehr im Nato-Kontext Zäsur Afghanistan-Einsatz? Lehren für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik Schleichende Militarisierung. Beobachtungen zur Veränderung der Zivilgesellschaft

Preis der Freiheit Zu den ökonomischen Kosten der Zeitenwende

Stefan Bayer

/ 14 Minuten zu lesen

Die Kosten der Zeitenwende betreffen die gesamte Volkswirtschaft. Gleichzeitig sind die Mittel des Bundes begrenzt, sodass Prioritätensetzungen notwendig sein werden, um erfolgreich „Zeiten zu wenden“.

Nationale Verteidigung kostet Geld – eine banale Aussage, die in der wiedervereinigten Bundesrepublik allerdings jahrzehntelang kaum Beachtung fand. Dies war möglich, weil nicht wenige Menschen davon ausgingen, dass der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, der vom „Ende der Geschichte“ schrieb, Recht behalten würde. Seine Publikationen erfuhren gerade in Deutschland eine für die wissenschaftliche Reflexion ungeahnte Aufmerksamkeit: Der Kapitalismus hatte unwiderruflich über den Sozialismus gesiegt, und damit fehlte auf absehbare Zeit ein uns bedrohender Gegner. Insofern konnten die Kosten für sicherheitspolitische Maßnahmen aller Art unter Berufung auf Fukuyama reduziert werden. Allerspätestens der Februar 2022 zeigte uns aber leider deutlich, dass Fukuyamas These keine Ewigkeitsgarantie hatte: Wir mussten und müssen uns (nach den teilweise fast vergessenen Kriegen auf dem Balkan) wieder ernsthaft mit dem Thema „Krieg“ mitten in Europa beschäftigen.

Haushalt und Bundeswehr

Der Krieg in der Ukraine läutete die „Zeitenwende“ ein und bescherte der Bundeswehr ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Seither diskutieren wir in Deutschland intensiver über die Finanzierung vor allem der Streitkräfte und die etwas verspätete Einhaltung des Nato-Zwei-Prozent-Zieles: Im längerfristigen Durchschnitt gab Deutschland seit 1990 1,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus. Darüber hinaus steht die Ausgestaltung deutscher „Kriegstüchtigkeit“ an, die Verteidigungsminister Boris Pistorius wiederholt öffentlich verkündete und politisch anstrebt.

Im jährlich vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Bundeshaushalt ist die Verteidigung seit jeher einer der größten Ausgabeposten: Das Verteidigungsbudget rangierte dabei in den vergangenen vierzig Jahren immer auf dem zweiten oder dritten Platz. In absoluten Beträgen stieg es seit 2015 überproportional stark um gut 15 Milliarden Euro auf jetzt 52 Milliarden Euro – möglicherweise als Konsequenz der Besetzung der Krim durch Russland oder aufgrund der Notwendigkeit, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einzuhalten. Da der Bundeshaushalt immer auch eine politische Programmfunktion hat, mit der die jeweiligen Regierungskoalitionen ihre politischen Prioritäten in Ausgaben ausdrücken, könnte dies zwar den Schluss nahelegen, dass Verteidigung in der jüngeren Vergangenheit einen höheren Stellenwert in der Bundespolitik eingenommen hat. Ein Blick auf den prozentualen Anteil des Verteidigungshaushalts an den Gesamtausgaben des Bundes zeigt jedoch, dass die regulären fiskalischen Mittel trotz des Kriegsbeginns in der Ukraine relativ konstant bei gut elf Prozent der Gesamtausgaben des Bundes verharren.

Die Zahlen werden allerdings ohne das Sondervermögen des Bundes für die Bundeswehr ausgewiesen. Hierbei handelt es sich um ein Finanzierungsinstrument des Bundes ausschließlich für die Bundeswehr, das dieser eine eigene Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro einräumt. Das Sondervermögen ermöglicht die Erreichung des Zwei-Prozent-Kriteriums der Nato bis 2027; danach wird es vermutlich verausgabt sein. Mit ihm soll die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik sowie der Nato gestärkt werden – so wird eine erste Facette als Untergrenze ökonomischer Kosten der Zeitenwende beziffert.

Allerdings verdeutlicht die Einführung des Sondervermögens bereits ein Problem: Zusätzlich zum regulären Verteidigungsbudget des Bundes steht es in den nächsten Fiskaljahren für kreditfinanzierte Beschaffungen von Material der Bundeswehr zur Verfügung, ohne dass sich dies im Finanzplan des Bundes abbildet. Damit umgeht man politisch das Problem, Antworten auf die Frage nach einer nachhaltigen Finanzierung der Verteidigung in der Zukunft geben zu müssen, die in den regulären Haushaltsverhandlungen stets diskutiert werden müssten. Salopp formuliert: Mit dem Sondervermögen und seiner Verausgabung bis voraussichtlich Ende 2027 verbindet sich die politische Hoffnung, dass sich die Sicherheitslage in Europa bis dahin normalisiert haben wird. Dessen ungeachtet wird mit der Parlamentsvorlage des (unverbindlichen) Finanzplanes des Bundes 2024–2028 vom 6. September 2024 der Bundestag darüber informiert, dass die dauerhafte Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato dann aus dem regulären Haushalt finanziert werden müsste. Dies würde ab 2028 zu absehbaren Mehrausgaben von rund 26 Milliarden Euro im Verteidigungshaushalt führen. Dieser Betrag entspräche etwa sechs Prozent des Gesamtvolumens der Haushalte der Fiskaljahre 2024 beziehungsweise 2025. Die Gesamtausgaben für Verteidigung beliefen sich dann inklusive der Versorgungsausgaben im Jahr 2028 auf 80 Milliarden Euro. Dies ist ein zweiter Aspekt der ökonomischen Kosten der Zeitenwende: Absolut steigende Mittelzuweisungen für den Verteidigungshaushalt können als intertemporales Versprechen der jetzigen Bundesregierung interpretiert werden, das Nato-Kriterium dauerhaft zu erfüllen. Allerdings ist festzuhalten, dass unter dem Gesichtspunkt einer nachhaltigen Finanzierung reguläre Mehrausgaben für Verteidigung in Höhe von 26 Milliarden Euro pro Jahr wichtiger wären als die Schaffung des einmaligen Sondervermögens.

Versuch der Quantifizierung

Um die Kosten für die Wiederherstellung der Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr näher zu bestimmen, werden im Folgenden zwei unterschiedliche Ansätze gegenübergestellt: Im ersten dient das Nato-Kriterium als Referenzgröße (fiktiv mit Beginn der Wiedervereinigung). Es stellt sich die Frage, wie hoch der monetäre Fehlbetrag bei den Mittelzuweisungen für die Bundeswehr kumulativ seit 1990 und dem „Genießen“ einer sogenannten Friedensdividende ausfällt. Der Bundeswehr standen im längerfristigen Durchschnitt seit 1991/92 Finanzmittel in Höhe von etwa 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung – im Durchschnitt fehlten ihr also pro Jahr 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dieser Referenz. Die Nichterfüllung des Nato-Kriteriums bedeutet über einen Zeitraum von 32 beziehungsweise 33 Jahren eine finanzielle Unterausstattung der Bundeswehr gegenüber dieser Referenz in Höhe von 20 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr. Daraus ergibt sich als Untergrenze ein Defizit von 640 Milliarden Euro, als Obergrenze ein Defizit von 825 Milliarden Euro. Diese Beträge übersteigen das 2022 eingerichtete Sondervermögen um ein Vielfaches, sodass ein hoher fiktiver kumulierter Einspareffekt für Maßnahmen außerhalb des Verteidigungshaushaltes verausgabt werden konnte. Insofern könnte man das Sondervermögen auch als Verschleierung der tatsächlichen finanziellen Defizite beziehungsweise Minderzuweisungen an die Bundeswehr interpretieren.

Mit diesem rechnerischen Defizit gingen zwei weitere reale Effekte einher, die nun in der Zeitenwende korrigiert werden müssen und damit Kosten verursachen, die hier aber nicht weiter quantifiziert werden können: Eine kleinere Bundeswehr reduzierte sowohl die Nachfrage nach Personal als auch die Nachfrage nach Rüstungsgütern. Beide Effekte führten auch zu einer veränderten operativen und strategischen Ausrichtung der Bundeswehr – in der Zeit der überwiegenden Auslandseinsätze konnte dies relativ leicht kompensiert werden. Mit der sich seit Veröffentlichung der Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 abzeichnenden und im Weißbuch 2016 intensivierten stärkeren Ausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung sind beide Probleme virulent geworden und beschäftigen die Bundeswehr derzeit massiv. Momentan zeichnet sich ab, dass neben der finanziellen Ausstattung die Stärkung der Verteidigungsindustrie und die zukünftige Personalgewinnung und -bindung in einer postheroischen Gesellschaft zwei weitere zentrale Herausforderungen für das Gelingen der Zeitenwende sind.

An diesem Ansatz zur Quantifizierung der Kosten der Zeitenwende ist die Rückwärtsgewandtheit zu kritisieren: Der Ausrüstungsbedarf ist heute ein anderer als vor zwanzig Jahren; insofern hilft es uns in der aktuellen Debatte um eine kriegstüchtige Bundeswehr wenig, zu wissen, wie hoch der Verteidigungshaushalt in den 1990er Jahren hätte sein müssen, denn damit lassen sich die aktuellen Probleme nicht konstruktiv angehen.

Der zweite rechnerische Ansatz fragt deshalb danach, welche finanziellen Mittel heute erforderlich sind, um kriegstüchtige Streitkräfte aufzubauen und dauerhaft einsetzen zu können. Das ist ein fähigkeitsorientierter Ansatz, der sowohl in der Nato als auch in der Bundeswehr für die Streitkräfteplanung angewandt wird. Ziel ist es, diejenigen Mittel (auch) in der Bundeswehr verfügbar zu haben, die im Verteidigungsfall zur erfolgreichen Abwehr bestimmter Bedrohungen erforderlich sind. Derzeit ist beispielsweise von vielen Verteidigungsexperten zu hören, dass wir uns auch in Deutschland auf eine Situation vorbereiten müssen, in der Deutschland und die Nato-Partnerstaaten, insbesondere an der Ostflanke der Nato, in spätestens sieben Jahren in der Lage sein müssen, einen möglichen Angriff Russlands auf Nato-Territorium auch mit sichtbarem deutschen Einsatz abwehren zu können. Die damit verbundenen finanziellen Mittel werden im Bundesministerium der Verteidigung von den operativen Militärplanern im Rahmen verschiedener Szenarien quantifiziert, können aber im Rahmen dieses Aufsatzes nicht vertieft werden.

Inwieweit dieses Ziel in der Bundesrepublik erreicht werden kann, ist fraglich – eine aktuelle Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigt sich skeptisch. Aus finanzwissenschaftlicher Sicht wäre es äußerst wünschenswert, wenn die Ausgaben zur Erfüllung eines politischen Auftrags den zuvor definierten Aufgaben folgen würden. Tatsächlich birgt die Umsetzung dieses sinnvollen Prinzips aber die große Gefahr massiver staatlicher Ausgabensteigerungen, weshalb in der finanzpolitischen Praxis gerne Ausgabenobergrenzen festgelegt werden, die das skizzierte Prinzip unterlaufen.

Kosten von Sanktionen

Neben der Stärkung der Bundeswehr sind als weitere ökonomische Kosten der Zeitenwende die Folgen der Sanktionen gegenüber Russland zu nennen. Sanktionen sind in der Regel ein sehr wirksames Instrument, um erwünschtes Verhalten im sanktionierten Land zu steuern. Sie sind aber auch immer ein zweischneidiges Schwert: Sanktionierende Staaten schaden sich mit Sanktionen regelmäßig selbst, auch weil den zuvor exportierenden heimischen Unternehmen Einnahmen entgehen. Daher werden sie politisch gerne in kleineren Dosen verhängt, um die schädigende Wirkung auf den Sanktionierenden nicht allzu groß werden zu lassen. Der Grad der Selbstschädigung hängt dabei immer von der Substituierbarkeit der sanktionierten Güter und Dienstleistungen beziehungsweise von den Möglichkeiten des sanktionierten Landes ab, die Sanktionen zu umgehen. Da insbesondere Deutschland zu Beginn des Ukrainekrieges von dem sehr günstigen russischen Gas abhängig war, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Bundesregierung mit der Sanktionierung dieses Energieträgers sehr schwertat und daher zunächst andere Güter und Dienstleistungen auf den EU-Sanktionslisten standen.

Aus diesen Gründen sprechen neuere Forschungsergebnisse der derzeitigen Sanktionspolitik gegenüber Russland einen Erfolg ab oder halten ihn allenfalls für marginal. Zentrale russische Makroindikatoren zeigen sich derzeit robust und wenig negativ von der europäischen Sanktionspolitik beeinflusst, sodass die russische Kriegsführung in der Ukraine davon kaum betroffen ist.

Interessant ist zumindest die Rolle Deutschlands aufgrund seiner strategisch erwünschten Abhängigkeit von (günstigen) fossilen Brennstoffen vor allem aus Russland, die heute zu einer weiteren Dimension der ökonomischen Kosten der Zeitenwende führt: Die lange verschleppte Energiewende wurde aus sicherheitspolitischer Perspektive leider auch nach der russischen Annexion der Krim 2014 nicht forciert, sondern mit der Vereinbarung zum Bau der Pipeline Nord Stream 2 im Jahr 2015 in einer deutschen Sonderrolle geradezu zementiert. Die massiven Gas- und Strompreissteigerungen nach Beginn des Ukrainekrieges durch den Wegfall billiger Importe waren somit vorhersehbare Preissteigerungen, die auf politischen Fehlern der Vergangenheit beruhen und Deutschland sogar erpressbar machten.

Verteilungskämpfe und Verdrängungseffekte

Diese Überlegungen führen uns zum letzten Aspekt des Überblicks über die ökonomischen Kosten der Zeitenwende: Bei begrenzten öffentlichen Mitteln muss immer abgewogen und priorisiert werden – hier treten die Kosten der Zeitenwende im jährlichen Haushaltsgesetzgebungsverfahren offen zutage.

Zunächst muss dabei ein generelles Manko deutscher Politik thematisiert werden: Trotz der üblichen Ankündigungen eines Rekordvolumens an Investitionen im Haushaltsentwurf ist die Investitionsquote deutlich zu niedrig – konsumtive Ausgaben dominieren den Bundeshaushalt. Man könnte auch sagen: Wir leben in einer Zeit, in der politische Konstellationen eher verwaltet als gestaltet werden; Verwaltung führt zu hohen Konsumausgaben, während Gestaltung darauf verweist, dass eine erfolgreiche strategische Ausrichtung auf die Zukunft von heutigen Investitionen abhängt. Öffentliche Investitionen fungieren dabei als Vorleistungen für die wirtschaftliche Entfaltung privater Produktivkräfte. Der politische Nachteil investiver gegenüber konsumtiven Ausgaben besteht jedoch darin, dass sie erst in der (fernen) Zukunft Wirkungen entfalten, aber bereits heute kassenwirksam sind und damit konsumtive Ausgaben in der Gegenwart zurückdrängen. Insofern ist vor allem in Krisenzeiten eine gewisse politische Gegenwartspräferenz zu beobachten, die aber die Gefahr birgt, in der Zukunft bedauert zu werden, weil Wachstumseffekte dann eben geringer als sonst möglich ausfallen. Auch hier gilt also die ökonomische Grundeinsicht: There is no such thing as a free lunch! Interessanterweise lässt sich aber bei der Verteidigung in der Bundesrepublik ein Sonderfall beobachten: Ausgaben für Verteidigung sind in der Bundesrepublik politisch definiert keine Investitionen, sondern dauerhafter Konsum. Dabei wird unterstellt, dass beispielsweise die Beschaffung von Großgerät für die Bundeswehr eher den Charakter eines langlebigen Konsumgutes hat, dessen langfristiger Verbrauch keine investiven Erträge induziert.

Trotz der erwähnten Dominanz der konsumtiven Ausgaben sind die als konsumtiv definierten Verteidigungsausgaben im Vergleich zur Situation vor der Wiedervereinigung im Verhältnis zu den übrigen Bundesausgaben zurückgegangen. Dies entspricht der allgemeinen Interpretation der Friedensdividende – es fehlte eine Bedrohung für Deutschland, Europa und die Nato. Politisch in Vergessenheit geraten ist dabei allerdings der investive Charakter der (konventionellen wie nuklearen) Abschreckung mit dem Ertrag, eben nicht zum Ziel potenzieller Bedrohungen zu werden, weil diesen relativ leicht begegnet werden kann. Wäre dann nicht auch Abschreckung als Investition zu interpretieren? Und der tendenzielle Verzicht auf sie muss irgendwann kompensiert werden – und ist damit eine weitere Facette der ökonomischen Kosten der Zeitenwende.

Welche Spielräume für Verteidigungsausgaben können unter den genannten Bedingungen in den nächsten Fiskaljahren grundsätzlich erwartet werden? Abschließend wollen wir also die ökonomischen Kosten der Zeitenwende beleuchten, die bei zukünftigen Beratungen des Bundeshaushaltes deutlich werden und mehr Verteidigung wegen der damit verbundenen Opportunitätskosten – einmal verausgabtes Geld kann nicht nochmals für andere Zwecke verwendet werden – infrage stellen.

Derzeit wird davon ausgegangen, dass eine Intensivierung der Verteidigung keinesfalls zulasten der sozialen Sicherheit gehen darf. Im Umkehrschluss gilt wohl, dass bei einer Erhöhung des Verteidigungsetats der Sozialetat zumindest konstant gehalten wird. Daraus ergibt sich aber ein massives Finanzierungsproblem: Können wir uns solche Ausgabensteigerungen (über viele Politikbereiche hinweg) ökonomisch leisten, wenn zudem die Schuldenbremse eingehalten werden soll? Derartige Kompensationsgeschäfte machen vermutlich wenig Sinn, vielmehr ist eine politische Prioritätensetzung gefragt: Staatsausgaben sollten dort getätigt werden, wo sie am dringlichsten sind. Erschwerend kommt in diesem Fall hinzu, dass es sich gerade bei den Ausgaben für die soziale Sicherung um eher konsumtive Ausgaben handelt, die grundsätzlich politisch dominant sind. Und diese Kategorie nimmt aufgrund der Ausgestaltung des deutschen Sozialversicherungssystems und der (erfreulichen) Verlängerung der Lebenserwartung in der Bundesrepublik stetig zu und summiert sich auf ein Gesamtvolumen von rund 800 bis 850 Milliarden Euro pro Jahr. Um dies etwas einzuordnen: Anfang der 1970er Jahre betrug der Anteil der Ausgaben für soziale Sicherung und Verteidigung an den gesamten Bundesausgaben jeweils rund 25 Prozent. Seither ist ein massiver Anstieg der Ausgaben für die soziale Sicherung zulasten der äußeren Sicherheit zu verzeichnen; 2024 werden die Bundesausgaben für die soziale Sicherung etwa 50 Prozent der gesamten Bundesausgaben ausmachen, die für die Verteidigung etwa 11 Prozent. Diese Verschiebung steht derzeit zur Disposition und ist insofern eine weitere Komponente der ökonomischen Kosten der Zeitenwende.

Ähnliches lässt sich für die staatliche Bereitstellung von Infrastruktur und die Bundesausgaben für Bildung feststellen – sobald die Verteidigungsausgaben steigen sollten, stellt sich die Frage nach den Opportunitätskosten durch mögliche Ausgabenkürzungen in diesen Bereichen.

Abschließend noch ein Blick auf die zweite Seite der Medaille: Können Mehrausgaben zur Stärkung der Verteidigung in Zukunft politisch leichter durchgesetzt werden, wenn damit auch andere staatliche Ziele erreicht werden können? Im Rahmen eines „Green Defence“-Ansatzes – Berücksichtigung ökologischer Aspekte in der Verteidigung, also zum Beispiel Streitkräfte als Emittenten von Treibhausgasen bei der Auftragserfüllung oder Streitkräfteeinsätze bei der Bewältigung von Hochwasserschadensereignissen – könnten etwa Klima-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemeinsam adressiert werden, weil Zielkomplementaritäten zwischen scheinbar gegensätzlichen Zielen bestehen und wechselseitig Zielbeiträge für das jeweils andere Ziel generiert werden. Ökonomen sprechen von positiven Spillover-Effekten. Ein Beispiel hierfür ist die Erweiterung militärischer Fähigkeiten, die neben dem Ziel der Verteidigung auch einen Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel leisten kann und (im besten Fall) durch geringere Treibhausgasemissionen auch dem Klimaschutz dient. Gelingt dies, so könnte die Streitkräfteentwicklung zur Verbesserung ihrer Fähigkeiten nebenbei auch andere gesellschaftliche Ziele wie die Energiewende hin zu einer nichtfossilen Energieversorgung mitgestalten, was zudem den Vorteil einer höheren nationalen Energiesouveränität und geringerer Abhängigkeiten mit sich brächte.

Wenn die Debatte um die politische Umsetzung einer Zeitenwende auch diese Aspekte der öffentlichen Ausgabenpolitik aufgreifen würde, würde die öffentliche Ausgabenpolitik deutlich wirksamer und zielorientierter, was einer wirklichen Zeitenwende entsprechen würde.

Schluss

Die ökonomischen Kosten der Zeitenwende sind vielschichtig und betreffen die gesamte Volkswirtschaft. Der Begriff der „Zeitenwende“ kann daher keinesfalls nur auf die Verteidigungspolitik im engeren Sinne bezogen werden, sondern muss gesamtgesellschaftlich gedacht und konzipiert werden und stellt damit eine klassische strategische Aufgabe dar. Gelingt dies nicht, wird sie an den volkswirtschaftlichen Kosten scheitern.

Die Höhe aller Aspekte der Kosten der Zeitenwende ist für die ökonomische Bewertung staatlicher Maßnahmen von entscheidender Bedeutung – dazu müssen aber neben den Kosten auch die durch diese Aktivitäten induzierten Effekte berücksichtigt werden. Sie bilden den obersten Maßstab für die wirtschaftliche Rechtfertigung zusätzlicher Verteidigungsausgaben. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß Paragraf 7 Bundeshaushaltsordnung besagt, dass öffentliche Mittel nicht verschwendet werden dürfen – das gilt natürlich auch für die Bundeswehr. Da die Bundeswehr zu Beginn des Krieges in der Ukraine nach Aussagen des Inspekteurs des Heeres, General Alfons Mais, blank gewesen war, gibt es aus ökonomischer Perspektive nur zwei Optionen für die zukünftige Verteidigung unseres Landes: Entweder wir sparen jährlich 52 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln, indem wir die Bundeswehr abschaffen. Damit sprechen wir uns selbst die Möglichkeit ab, die erste Pflicht eines Souveräns nach Adam Smith noch erfüllen zu können, nämlich die Gesellschaft vor Gewalttaten und Unrecht anderer unabhängiger Gesellschaften zu schützen. Oder wir versuchen, die skizzierten ökonomischen Kosten der Zeitenwende zu tragen, damit die Bundeswehr den grundgesetzlichen Verteidigungsauftrag auch zu erfüllen vermag. General John Stark, ein Veteran des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, fasste die Optionen in einem Toast im Jahre 1809 wie folgt zusammen: „Live free or die: Death is not the worst of evils.“ Die Alternativen mögen überspitzt erscheinen. Aber auch wir müssen uns die Frage gefallen lassen, wo wir uns hier positionieren wollen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Francis Fukuyama, The End of History?, in: Center for the National Interest 16/1989, S. 3–18; ders., The End of History and the Last Man, New York 1992.

  2. Die russische Annexion der Krim 2014 oder auch der Einmarsch Russlands nach Georgien 2008 wären ebenfalls zu nennen.

  3. Vgl. Nato, Defence Expenditure of Nato Countries (2014–2024), 2024, Externer Link: http://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2024/6/pdf/240617-def-exp-2024-en.pdf.

  4. Vgl. Stefan Bayer, Der Verteidigungshaushalt – Trendwende bei den Verteidigungsausgaben?, 16.6.2017, Externer Link: http://www.bpb.de/24929; ders., Theoretical Determinants and Practical Design of the Federal Budget as Exemplified by Departmental Budget 14, in: Ina Wiesner (Hrsg.), German Defence Politics, Baden Baden 2013, S. 227–250.

  5. Vgl. Bundesministerium der Finanzen, Finanzbericht 2025, 30.8.2024, Externer Link: http://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Daten-und-Berichte/daten-und-berichte.html. Darüber hinaus finden sich online auf den Seiten des Bundesfinanzministeriums viele weitere Jahrgänge dieses umfassenden Nachschlagewerkes öffentlicher Finanzen.

  6. Es handelt sich beim Finanzplan um eine kurzfristige, aber völlig unverbindliche Planung der Ausgabenansätze auf Bundesebene über das geplante Fiskaljahr hinaus; derzeit wird der Finanzplan des Bundes 2024 bis 2028 politisch verhandelt, der mit dem Haushalt 2025 im November 2024 verabschiedet werden soll und die Jahre 2026 bis 2028 abdeckt.

  7. Vgl. Bundesministerium der Finanzen, Regierungsentwurf 2025, Externer Link: http://www.bundeshaushalt.de/DE/Bundeshaushalt-digital/bundeshaushalt-digital.html.

  8. Vgl. Bundestagsdrucksache 20/12401, 6.9.2024, Finanzplan des Bundes 2024 bis 2028, S. 20.

  9. Die Friedensdividende könnte als politischer „Ertrag“ der Überlegungen Fukuyamas interpretiert werden, die Quersubventionierungen weg von Verteidigung hin zu politisch Erwünschtem ermöglichte.

  10. Eigene sehr vereinfachte Rechnung mit Zahlen aus den Finanzberichten der jeweiligen Kalenderjahre sowie den darin enthaltenen langen Reihen. In dieser kursorischen Rechnung wird etwa auf eine Inflationsbereinigung vollständig verzichtet – sie bietet eine grobe Orientierung. Würde zusätzlich noch die Inflation in dieser Periode berücksichtigt und auf Kaufkraftparitäten abgestellt, würden sich die angegebenen Werte etwa verdoppeln und damit einen noch deutlich höheren Nachfinanzierungsbedarf indizieren. Daten von Bundesministerium der Finanzen (Anm. 5).

  11. Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungspolitische Richtlinien. Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten, Berlin 2011; Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch 2016. Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2016.

  12. In postheroischen Gesellschaften sind die Ablehnung von Heldentum und die Negation nationaler Opferbereitschaft überwiegend identitätsstiftend. In ihnen wird der Staat als Versorgungsanstalt für eigene Interessen gesehen – individuelle Aktivitäten zur Verbesserung bestimmter Situationen sind wenig opportun.

  13. Vgl. Guntram B. Wolff/Alexandr Burilkov/Katelyn Bushnell/Ivan Kharitonov, Fit For War In Decades: Europe’s and Germany’s Slow Rearmament Vis-à-vis Russia, Kiel Institut für Weltwirtschaft, Kiel Report 1/2024, Externer Link: http://www.ifw-kiel.de/fileadmin/Dateiverwaltung/IfW-Publications/fis-import/1f9c7f5f-15d2-45c4-8b85-9bb550cd449d-Kiel_Report_no1.pdf.

  14. Für eine umfassende Übersicht verschiedener Autoren siehe Sanktionen gegen Russland: Wurde ihre Wirkung überschätzt? Eine Zwischenbilanz, ifo-Schnelldienst 5/2023.

  15. Vgl. Russia Monitor, Externer Link: https://rus-monitor.wiiw.ac.at.

  16. Neben dem investiven Charakter weisen bestimmte Ausgaben (etwa die für Verteidigung) auch einen deutlich präventiven Charakter auf: Im politischen Prozess dominiert allerdings häufig die (gefühlte) Notwendigkeit, akute Probleme lindern zu wollen. Über politische Maßnahmen wird versucht, laufende Prozesse (unabhängig von deren Verursachung) in die gewünschte Richtung zu lenken. Wie investive Ausgaben weisen präventive somit den Nachteil auf, erst in der (fernen) Zukunft Effekte zu generieren, heute aber bereits kassenwirksam zu sein.

  17. Die Zahlenangaben beziehen sich wiederum auf verschiedene Jahrgänge der Finanzberichte, vgl. Bundesministerium der Finanzen (Anm. 5).

  18. Vgl. Stefan Bayer/Jana Puglierin/Guntram Wolff, Von alten Fehlern zu neuen Chancen: Neukartierung der Energiepolitik, 2022, Externer Link: https://initiative-klimaneutral.de/publikationen/neukartierung-der-energiepolitik.

  19. Zit. nach Christoph Straub, Heeresinspekteur kritisiert deutsche Verteidigungspolitik: „Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da“, 24.2.2022, Externer Link: http://www.tagesspiegel.de/politik/bundeswehr-steht-mehr-oder-weniger-blank-da-5420455.html.

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ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr in Hamburg, Ko-Studiengangsleiter des weiterbildenden MA-Studiengangs "Militärische Führung und Internationale Sicherheit" und Mitbegründer des German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS).