Nationale Verteidigung kostet Geld – eine banale Aussage, die in der wiedervereinigten Bundesrepublik allerdings jahrzehntelang kaum Beachtung fand. Dies war möglich, weil nicht wenige Menschen davon ausgingen, dass der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, der vom „Ende der Geschichte“ schrieb, Recht behalten würde.
Haushalt und Bundeswehr
Der Krieg in der Ukraine läutete die „Zeitenwende“ ein und bescherte der Bundeswehr ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Seither diskutieren wir in Deutschland intensiver über die Finanzierung vor allem der Streitkräfte und die etwas verspätete Einhaltung des Nato-Zwei-Prozent-Zieles: Im längerfristigen Durchschnitt gab Deutschland seit 1990 1,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus.
Im jährlich vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Bundeshaushalt ist die Verteidigung seit jeher einer der größten Ausgabeposten: Das Verteidigungsbudget rangierte dabei in den vergangenen vierzig Jahren immer auf dem zweiten oder dritten Platz.
Die Zahlen werden allerdings ohne das Sondervermögen des Bundes für die Bundeswehr ausgewiesen. Hierbei handelt es sich um ein Finanzierungsinstrument des Bundes ausschließlich für die Bundeswehr, das dieser eine eigene Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro einräumt. Das Sondervermögen ermöglicht die Erreichung des Zwei-Prozent-Kriteriums der Nato bis 2027; danach wird es vermutlich verausgabt sein. Mit ihm soll die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik sowie der Nato gestärkt werden – so wird eine erste Facette als Untergrenze ökonomischer Kosten der Zeitenwende beziffert.
Allerdings verdeutlicht die Einführung des Sondervermögens bereits ein Problem: Zusätzlich zum regulären Verteidigungsbudget des Bundes steht es in den nächsten Fiskaljahren für kreditfinanzierte Beschaffungen von Material der Bundeswehr zur Verfügung, ohne dass sich dies im Finanzplan des Bundes abbildet.
Versuch der Quantifizierung
Um die Kosten für die Wiederherstellung der Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr näher zu bestimmen, werden im Folgenden zwei unterschiedliche Ansätze gegenübergestellt: Im ersten dient das Nato-Kriterium als Referenzgröße (fiktiv mit Beginn der Wiedervereinigung). Es stellt sich die Frage, wie hoch der monetäre Fehlbetrag bei den Mittelzuweisungen für die Bundeswehr kumulativ seit 1990 und dem „Genießen“ einer sogenannten Friedensdividende ausfällt.
Mit diesem rechnerischen Defizit gingen zwei weitere reale Effekte einher, die nun in der Zeitenwende korrigiert werden müssen und damit Kosten verursachen, die hier aber nicht weiter quantifiziert werden können: Eine kleinere Bundeswehr reduzierte sowohl die Nachfrage nach Personal als auch die Nachfrage nach Rüstungsgütern. Beide Effekte führten auch zu einer veränderten operativen und strategischen Ausrichtung der Bundeswehr – in der Zeit der überwiegenden Auslandseinsätze konnte dies relativ leicht kompensiert werden. Mit der sich seit Veröffentlichung der Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 abzeichnenden und im Weißbuch 2016 intensivierten stärkeren Ausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung sind beide Probleme virulent geworden und beschäftigen die Bundeswehr derzeit massiv.
An diesem Ansatz zur Quantifizierung der Kosten der Zeitenwende ist die Rückwärtsgewandtheit zu kritisieren: Der Ausrüstungsbedarf ist heute ein anderer als vor zwanzig Jahren; insofern hilft es uns in der aktuellen Debatte um eine kriegstüchtige Bundeswehr wenig, zu wissen, wie hoch der Verteidigungshaushalt in den 1990er Jahren hätte sein müssen, denn damit lassen sich die aktuellen Probleme nicht konstruktiv angehen.
Der zweite rechnerische Ansatz fragt deshalb danach, welche finanziellen Mittel heute erforderlich sind, um kriegstüchtige Streitkräfte aufzubauen und dauerhaft einsetzen zu können. Das ist ein fähigkeitsorientierter Ansatz, der sowohl in der Nato als auch in der Bundeswehr für die Streitkräfteplanung angewandt wird. Ziel ist es, diejenigen Mittel (auch) in der Bundeswehr verfügbar zu haben, die im Verteidigungsfall zur erfolgreichen Abwehr bestimmter Bedrohungen erforderlich sind. Derzeit ist beispielsweise von vielen Verteidigungsexperten zu hören, dass wir uns auch in Deutschland auf eine Situation vorbereiten müssen, in der Deutschland und die Nato-Partnerstaaten, insbesondere an der Ostflanke der Nato, in spätestens sieben Jahren in der Lage sein müssen, einen möglichen Angriff Russlands auf Nato-Territorium auch mit sichtbarem deutschen Einsatz abwehren zu können. Die damit verbundenen finanziellen Mittel werden im Bundesministerium der Verteidigung von den operativen Militärplanern im Rahmen verschiedener Szenarien quantifiziert, können aber im Rahmen dieses Aufsatzes nicht vertieft werden.
Inwieweit dieses Ziel in der Bundesrepublik erreicht werden kann, ist fraglich – eine aktuelle Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigt sich skeptisch.
Kosten von Sanktionen
Neben der Stärkung der Bundeswehr sind als weitere ökonomische Kosten der Zeitenwende die Folgen der Sanktionen gegenüber Russland zu nennen. Sanktionen sind in der Regel ein sehr wirksames Instrument, um erwünschtes Verhalten im sanktionierten Land zu steuern.
Aus diesen Gründen sprechen neuere Forschungsergebnisse der derzeitigen Sanktionspolitik gegenüber Russland einen Erfolg ab oder halten ihn allenfalls für marginal.
Interessant ist zumindest die Rolle Deutschlands aufgrund seiner strategisch erwünschten Abhängigkeit von (günstigen) fossilen Brennstoffen vor allem aus Russland, die heute zu einer weiteren Dimension der ökonomischen Kosten der Zeitenwende führt: Die lange verschleppte Energiewende wurde aus sicherheitspolitischer Perspektive leider auch nach der russischen Annexion der Krim 2014 nicht forciert, sondern mit der Vereinbarung zum Bau der Pipeline Nord Stream 2 im Jahr 2015 in einer deutschen Sonderrolle geradezu zementiert. Die massiven Gas- und Strompreissteigerungen nach Beginn des Ukrainekrieges durch den Wegfall billiger Importe waren somit vorhersehbare Preissteigerungen, die auf politischen Fehlern der Vergangenheit beruhen und Deutschland sogar erpressbar machten.
Verteilungskämpfe und Verdrängungseffekte
Diese Überlegungen führen uns zum letzten Aspekt des Überblicks über die ökonomischen Kosten der Zeitenwende: Bei begrenzten öffentlichen Mitteln muss immer abgewogen und priorisiert werden – hier treten die Kosten der Zeitenwende im jährlichen Haushaltsgesetzgebungsverfahren offen zutage.
Zunächst muss dabei ein generelles Manko deutscher Politik thematisiert werden: Trotz der üblichen Ankündigungen eines Rekordvolumens an Investitionen im Haushaltsentwurf ist die Investitionsquote deutlich zu niedrig – konsumtive Ausgaben dominieren den Bundeshaushalt. Man könnte auch sagen: Wir leben in einer Zeit, in der politische Konstellationen eher verwaltet als gestaltet werden; Verwaltung führt zu hohen Konsumausgaben, während Gestaltung darauf verweist, dass eine erfolgreiche strategische Ausrichtung auf die Zukunft von heutigen Investitionen abhängt. Öffentliche Investitionen fungieren dabei als Vorleistungen für die wirtschaftliche Entfaltung privater Produktivkräfte. Der politische Nachteil investiver gegenüber konsumtiven Ausgaben besteht jedoch darin, dass sie erst in der (fernen) Zukunft Wirkungen entfalten, aber bereits heute kassenwirksam sind und damit konsumtive Ausgaben in der Gegenwart zurückdrängen. Insofern ist vor allem in Krisenzeiten eine gewisse politische Gegenwartspräferenz zu beobachten, die aber die Gefahr birgt, in der Zukunft bedauert zu werden, weil Wachstumseffekte dann eben geringer als sonst möglich ausfallen. Auch hier gilt also die ökonomische Grundeinsicht: There is no such thing as a free lunch! Interessanterweise lässt sich aber bei der Verteidigung in der Bundesrepublik ein Sonderfall beobachten: Ausgaben für Verteidigung sind in der Bundesrepublik politisch definiert keine Investitionen, sondern dauerhafter Konsum. Dabei wird unterstellt, dass beispielsweise die Beschaffung von Großgerät für die Bundeswehr eher den Charakter eines langlebigen Konsumgutes hat, dessen langfristiger Verbrauch keine investiven Erträge induziert.
Trotz der erwähnten Dominanz der konsumtiven Ausgaben sind die als konsumtiv definierten Verteidigungsausgaben im Vergleich zur Situation vor der Wiedervereinigung im Verhältnis zu den übrigen Bundesausgaben zurückgegangen. Dies entspricht der allgemeinen Interpretation der Friedensdividende – es fehlte eine Bedrohung für Deutschland, Europa und die Nato. Politisch in Vergessenheit geraten ist dabei allerdings der investive Charakter der (konventionellen wie nuklearen) Abschreckung mit dem Ertrag, eben nicht zum Ziel potenzieller Bedrohungen zu werden, weil diesen relativ leicht begegnet werden kann. Wäre dann nicht auch Abschreckung als Investition zu interpretieren? Und der tendenzielle Verzicht auf sie muss irgendwann kompensiert werden – und ist damit eine weitere Facette der ökonomischen Kosten der Zeitenwende.
Welche Spielräume für Verteidigungsausgaben können unter den genannten Bedingungen in den nächsten Fiskaljahren grundsätzlich erwartet werden? Abschließend wollen wir also die ökonomischen Kosten der Zeitenwende beleuchten, die bei zukünftigen Beratungen des Bundeshaushaltes deutlich werden und mehr Verteidigung wegen der damit verbundenen Opportunitätskosten – einmal verausgabtes Geld kann nicht nochmals für andere Zwecke verwendet werden – infrage stellen.
Derzeit wird davon ausgegangen, dass eine Intensivierung der Verteidigung keinesfalls zulasten der sozialen Sicherheit gehen darf. Im Umkehrschluss gilt wohl, dass bei einer Erhöhung des Verteidigungsetats der Sozialetat zumindest konstant gehalten wird. Daraus ergibt sich aber ein massives Finanzierungsproblem: Können wir uns solche Ausgabensteigerungen (über viele Politikbereiche hinweg) ökonomisch leisten, wenn zudem die Schuldenbremse eingehalten werden soll? Derartige Kompensationsgeschäfte machen vermutlich wenig Sinn, vielmehr ist eine politische Prioritätensetzung gefragt: Staatsausgaben sollten dort getätigt werden, wo sie am dringlichsten sind. Erschwerend kommt in diesem Fall hinzu, dass es sich gerade bei den Ausgaben für die soziale Sicherung um eher konsumtive Ausgaben handelt, die grundsätzlich politisch dominant sind. Und diese Kategorie nimmt aufgrund der Ausgestaltung des deutschen Sozialversicherungssystems und der (erfreulichen) Verlängerung der Lebenserwartung in der Bundesrepublik stetig zu und summiert sich auf ein Gesamtvolumen von rund 800 bis 850 Milliarden Euro pro Jahr. Um dies etwas einzuordnen: Anfang der 1970er Jahre betrug der Anteil der Ausgaben für soziale Sicherung und Verteidigung an den gesamten Bundesausgaben jeweils rund 25 Prozent.
Ähnliches lässt sich für die staatliche Bereitstellung von Infrastruktur und die Bundesausgaben für Bildung feststellen – sobald die Verteidigungsausgaben steigen sollten, stellt sich die Frage nach den Opportunitätskosten durch mögliche Ausgabenkürzungen in diesen Bereichen.
Abschließend noch ein Blick auf die zweite Seite der Medaille: Können Mehrausgaben zur Stärkung der Verteidigung in Zukunft politisch leichter durchgesetzt werden, wenn damit auch andere staatliche Ziele erreicht werden können? Im Rahmen eines „Green Defence“-Ansatzes – Berücksichtigung ökologischer Aspekte in der Verteidigung, also zum Beispiel Streitkräfte als Emittenten von Treibhausgasen bei der Auftragserfüllung oder Streitkräfteeinsätze bei der Bewältigung von Hochwasserschadensereignissen – könnten etwa Klima-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemeinsam adressiert werden, weil Zielkomplementaritäten zwischen scheinbar gegensätzlichen Zielen bestehen und wechselseitig Zielbeiträge für das jeweils andere Ziel generiert werden. Ökonomen sprechen von positiven Spillover-Effekten. Ein Beispiel hierfür ist die Erweiterung militärischer Fähigkeiten, die neben dem Ziel der Verteidigung auch einen Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel leisten kann und (im besten Fall) durch geringere Treibhausgasemissionen auch dem Klimaschutz dient. Gelingt dies, so könnte die Streitkräfteentwicklung zur Verbesserung ihrer Fähigkeiten nebenbei auch andere gesellschaftliche Ziele wie die Energiewende hin zu einer nichtfossilen Energieversorgung mitgestalten, was zudem den Vorteil einer höheren nationalen Energiesouveränität und geringerer Abhängigkeiten mit sich brächte.
Wenn die Debatte um die politische Umsetzung einer Zeitenwende auch diese Aspekte der öffentlichen Ausgabenpolitik aufgreifen würde, würde die öffentliche Ausgabenpolitik deutlich wirksamer und zielorientierter, was einer wirklichen Zeitenwende entsprechen würde.
Schluss
Die ökonomischen Kosten der Zeitenwende sind vielschichtig und betreffen die gesamte Volkswirtschaft. Der Begriff der „Zeitenwende“ kann daher keinesfalls nur auf die Verteidigungspolitik im engeren Sinne bezogen werden, sondern muss gesamtgesellschaftlich gedacht und konzipiert werden und stellt damit eine klassische strategische Aufgabe dar. Gelingt dies nicht, wird sie an den volkswirtschaftlichen Kosten scheitern.
Die Höhe aller Aspekte der Kosten der Zeitenwende ist für die ökonomische Bewertung staatlicher Maßnahmen von entscheidender Bedeutung – dazu müssen aber neben den Kosten auch die durch diese Aktivitäten induzierten Effekte berücksichtigt werden. Sie bilden den obersten Maßstab für die wirtschaftliche Rechtfertigung zusätzlicher Verteidigungsausgaben. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß Paragraf 7 Bundeshaushaltsordnung besagt, dass öffentliche Mittel nicht verschwendet werden dürfen – das gilt natürlich auch für die Bundeswehr. Da die Bundeswehr zu Beginn des Krieges in der Ukraine nach Aussagen des Inspekteurs des Heeres, General Alfons Mais, blank gewesen war,