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Ziemlich beste Feinde. | BRICS | bpb.de

BRICS Editorial Ende der westlichen Vorherrschaft? Auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung Von BRIC zu BRICS plus. Aufstieg eines weltpolitischen Akteurs Willkommen im Club. Globale wirtschaftliche Machtverschiebungen durch BRICS Souveränität, territoriale Integrität, Nichteinmischung. BRICS als sicherheitspolitischer Akteur Stimme des Südens? BRICS bei den Vereinten Nationen Ziemlich beste Feinde. China, Indien und Russland zwischen Rivalität und gemeinsamen Interessen

Ziemlich beste Feinde. China, Indien und Russland zwischen Rivalität und gemeinsamen Interessen

Herbert Wulf

/ 17 Minuten zu lesen

Trotz Kooperation auf unterschiedlichen Gebieten bilden China, Indien und Russland kein trilaterales Bündnis innerhalb des BRICS-Verbundes. Ihre Interessen sind zu verschieden, als dass aus ihrer Zusammenarbeit gemeinsames Agieren auf allen Ebenen entstehen könnte.

China, Russland und Indien sind im BRICS-Verbund die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Schwergewichte, die sich durch ihre Mitgliedschaft nicht zuletzt gegenseitiger Kooperationsbereitschaft versichern. China ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, mit großen geopolitischen Ambitionen. Indien, inzwischen das bevölkerungsreichste Land der Erde, hat in den vergangenen Jahren eine dynamische Entwicklung mit hohen Wirtschaftswachstumsraten erlebt und strebt ebenso danach, seinen weltpolitischen Einfluss zu erweitern. Russland wiederum, mit riesigen Energie- und Rohstoffreserven und großem militärischem Potenzial ausgestattet, ist trotz umfassender Sanktionen des Westens längst nicht so isoliert, wie es dort erhofft und intendiert worden war.

Haben wir es hier also mit einer perfekten Konstellation für eine gemeinsame globale Politik zu tun? Wie arbeiten diese Großakteure zusammen, wo liegen Rivalitäten, wo gemeinsame Interessen? Trotz unterschiedlicher Kooperationen auf verschiedenen Gebieten handelt es sich bei dieser Gruppe nicht um ein trilaterales Bündnis innerhalb des BRICS-Verbundes. Vielmehr muss man die jeweiligen bilateralen Beziehungen der drei großen BRICS-Akteure aus der Nähe betrachten, um die Möglichkeiten gemeinsamen Handelns, aber auch die jeweiligen Konfliktlinien zu verstehen.

Alternative zur derzeitigen Weltordnung?

Das zentrale Ziel von BRICS ist die Veränderung der regelbasierten liberalen Weltordnung, die nach wie vor stark westlich dominiert ist. BRICS will das internationale System, die internationalen Handels- und Finanzbeziehungen, aber auch das politische System, etwa die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen, verändern.

Wie prominent dieser Wunsch ist, verdeutlicht schon ein Blick auf die offizielle BRICS-Webseite, auf der die jeweiligen Regierungschefs mit kurzen Eingangsstatements zitiert werden. Der russische Präsident Wladimir Putin betont, dass BRICS „aktiv an der Gestaltung einer multipolaren Weltordnung und der Entwicklung moderner Modelle für die weltweiten Finanz- und Handelssysteme“ mitwirken wolle. Von Chinas Präsident Xi Jinping heißt es: „Wir müssen (…) den Aufbau einer offenen Weltwirtschaft fördern und eine globale Entwicklungspartnerschaft aufbauen.“ Indiens Premierminister Narendra Modi will ebenfalls die globalen Herausforderungen angehen und meint, Korrekturmaßnahmen müssten „mit der Reform der Institutionen der Global Governance beginnen“.

Interessanterweise haben die Sanktionen gegen Russland nach dessen Angriff auf die Ukraine das Verlangen nach einer anderen, kooperativeren Weltordnung verstärkt. Die Sanktionen hatten nicht-beabsichtigte Störungen des internationalen Handels zur Folge, die nicht nur Russland, sondern alle BRICS-Länder und auch andere Länder des Globalen Südens trafen. Deshalb fällt das Narrativ Putins von der Notwendigkeit einer „multipolaren Weltordnung“ durchaus auf fruchtbaren Boden: Bei vielen Ländern des Globalen Südens besteht die Furcht, in dem derzeit konfliktträchtigen internationalen Umfeld in die Konfrontation der Großmächte zu geraten. Einige BRICS-Länder – und auch die an BRICS Interessierten – interpretieren den Verbund als ein Gegenmodell zur Bipolarität. Sie sind daran interessiert, die Konfrontation zwischen den Großmächten einzuhegen, um selbst stärker die globale Politik und deren Regeln mitbestimmen zu können.

Der Wunsch nach mehr Gestaltungsmöglichkeiten hat mit dazu beigetragen, dass einige Länder des Globalen Südens dem Wunsch von NATO und EU zur klaren Positionierung gegen Russland nicht gefolgt sind – allen voran Indien, aber auch Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien, Indonesien, Südafrika und Brasilien. Diese Länder werden wegen ihrer abwägenden, zurückhaltenden Position auch als „Swing States“ oder als „Fence Sitters“ bezeichnet. Sie versuchen, gute Beziehungen zu den verschiedenen Lagern aufrechtzuerhalten. Aus Sicht des brasilianischen Politikwissenschaftlers Matias Spektor haben die „westlichen Länder (…) diese Begründung für Neutralität zu schnell abgetan und sie als implizite Verteidigung Russlands oder als Vorwand für die Normalisierung der Aggression angesehen“. Der chinesische Finanzwissenschaftler Wang Wen konstatiert, dass die Umgestaltung der Weltordnung ein langwieriger Prozess sei, der zurzeit auf unterschiedlichen Ebenen stattfinde. „Im Bereich der Sicherheit sehen wir den Aufstieg der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ); politisch gibt es den BRICS-Kooperationsmechanismus; auf wirtschaftlicher Ebene nehmen Institutionen wie die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank Gestalt an.“

Entdollarisierung

Die BRICS-Länder streben an, mehr miteinander zu handeln und sich vom US-Dollar als Weltreservewährung zu lösen. Zunächst planten sie, eine eigene Währung zu schaffen, um den Einfluss der USA im globalen Handel zu verringern. „Entdollarisierung“ ist hier das Stichwort. Entscheidungen für eine gemeinsame BRICS-Währung scheiterten jedoch bislang, weil keine solide wirtschaftliche Basis dafür vorhanden war.

Stattdessen haben die BRICS-Mitglieder, so der Analyst Jordan Finneseth, „ihre Aufmerksamkeit weg von einer gemeinsamen Währung und hin zu neuen grenzüberschreitenden Zahlungssystemen mit dem Ziel gerichtet, ein multipolares Finanzsystem zu schaffen. China hat diese Bemühungen angeführt, indem es die Entwicklung des Cross-Border Interbank Payment Systems (CIPS) – eines Renminbi-Abwicklungsmechanismus – beschleunigt hat.“ Russland und Indien wollen ihre jeweiligen Zahlungssysteme MIR und Rupay hierin integrieren. Der russisch-chinesische Handel findet nur noch zu rund einem Viertel in Dollar oder Euro statt, der größere Teil inzwischen in Renminbi Yuan und Rubel. Noch vor fünf Jahren wurden etwa 85 Prozent von Russlands Exporten und zwei Drittel der Importe in US-Dollar abgewickelt. Brasilien und China vereinbarten im März 2023 ebenfalls, den Handel in den jeweiligen Landeswährungen abzuwickeln, dem chinesischen Renminbi Yuan und dem brasilianischen Real.

Reichen die Vorstellungen der BRICS für eine neu zu gestaltende Weltordnung aber aus, um über die Währungspolitik hinaus die Zukunft des Bündnisses zu bestimmen? Kann die Zusammenarbeit gar die Rivalitäten und Konflikte zwischen den „großen Drei“ verdrängen? Zur Beurteilung dieser Frage lohnt ein Blick über die hehren Absichtserklärungen hinaus auf die jeweiligen bilateralen Beziehungen.

China und Indien: Von Kooperation und Konflikt zu Kollision?

Die bilateralen Beziehungen zwischen Indien und China sind wohl die konfliktträchtigsten innerhalb des BRICS-Verbundes. Beide Länder sind Konkurrenten, gelegentlich auch Partner, aber sie bewegen sich zunehmend auf einem Kollisionskurs, der sich durch die globalen Ambitionen der Regierungen in Neu-Delhi und Beijing immer mehr beschleunigt. Es geht um weltpolitischen Einfluss.

Im Schatten des geopolitischen Großkonflikts zwischen den USA und China schaukelt sich ein bedeutsamer Konkurrenzkampf zwischen China und Indien auf. Die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Erde, beide atomar bewaffnet, betrachten sich mehr und mehr als Rivalen, ihre Beziehungen sind von Konflikten, Konkurrenz und mangelnder Kooperation geprägt. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen um eine verbindliche Lösung – und kürzlich verkündeter Fortschritte – bleiben vor allem die Grenzstreitigkeiten im Himalaya virulent. Auch wenn keine der beiden Regierungen deswegen einen Krieg vom Zaun brechen will – auch nur einen Quadratmeter Territorium aufzugeben, kommt für beide ebenfalls nicht infrage.

Die indo-chinesischen Beziehungen waren nicht immer so angespannt wie heute. Nach dem Ende der Kolonialzeit bemühten sich die neuen unabhängigen Länder um „brüderliche Beziehungen“. Aber schon 1962 lieferten sie sich einen erbitterten Krieg mit Gebietsverlusten Indiens, der bis heute nachwirkt.

Die konfliktreichen Beziehungen werden durch die chinesische Unterstützung Pakistans weiter verkompliziert. Pakistan betrachtet China als diplomatischen Beschützer und Gegengewicht zu Indien, in den indisch-pakistanischen Kriegen unterstützte China Pakistan diplomatisch und militärisch. China entwickelte sich zwischenzeitlich auch zum größten Waffenlieferanten Pakistans; fast drei Viertel aller gelieferten modernen Großwaffensysteme stammen aus China. Vor über einem Jahrzehnt kündigte China zudem sein Projekt China-Pakistan Economic Corridor (CPEC) als Herzstück seiner globalen Neuen Seidenstraße an. Obwohl das Projekt als Wirtschaftskorridor bezeichnet wird, sind die strategischen Interessen Pekings offensichtlich.

Die Pipeline-, Straßen- und Eisenbahnverbindungen führen durch ein Gebiet, das zwischen Pakistan und Indien umstritten ist. Der Korridor endet im pakistanischen Hafen Gwadar und verschafft China unmittelbaren Zugang zum Indischen Ozean.

Chinas Präsenz im Indischen Ozean wird in Indien mit Sorge beobachtet, denn China hat seine diplomatische, wirtschaftliche und militärische Partnerschaft zu den Anrainerstaaten in den vergangenen Jahren systematisch ausgebaut. Das Land, das selbst kein Anrainerstaat des Indischen Ozeans ist, ist nicht nur am Hafen in Pakistan beteiligt, sondern darüber hinaus an über einem Dutzend weiterer Häfen, die auch militärisch genutzt werden können (Abbildung 1). Seit Jahren warnen indische Marineexperten vor einer chinesischen „Perlenkette“ im Indischen Ozean. Sie fürchten eine gezielte strategische Einkreisung. Umgekehrt ist Chinas Regierung wegen der zunehmenden Zusammenarbeit Indiens mit den USA besorgt. Das amerikanische Werben um Indiens Partnerschaft ist Teil der US-Strategie zur Herstellung eines Gegengewichts im Indopazifik.

Trotz dieser Konflikte treiben China und Indien regen Handel miteinander, doch gibt es einen deutlichen Handelsbilanzüberschuss zugunsten Chinas. Indien importiert fünfmal mehr Waren aus China als es dorthin exportiert. Wie die USA und die EU versucht auch die indische Regierung, autarker zu werden, das Handelsdefizit gegenüber China zu verringern und die Risiken zu minimieren – bislang jedoch mit mäßigem Erfolg.

Beide Regierungen verfolgen eine nationalistisch geprägte Politik, deren Außenpolitik eng mit Machtprojektionen verbunden ist: Beide investieren in erheblichem Umfang in militärische Kapazitäten (Tabelle). In der Rangliste der weltweiten Militärausgaben liegt China auf Platz zwei nach den USA, Indien auf Platz vier hinter Russland. China und Indien unterhalten zudem die größten Streitkräfte der Welt. Wenn sie ihre militärische Präsenz erhöhen, steigt damit auch die Gefahr einer ungewollten Kollision größeren Ausmaßes, die dann nicht nur auf die umstrittenen Gebiete im Himalaya beschränkt bleiben, sondern überregional ausgetragen werden könnte.

China ist seit Langem politische Großmacht, ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, eine der fünf anerkannten Atommächte und dominierende Wirtschaftsmacht. Nun drängt auch Indien auf ein gleichberechtigtes Mitspracherecht in der Weltpolitik, was nicht auf Chinas Sympathie stößt. Indiens Ehrgeiz jedenfalls, ebenfalls ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu werden, hat China bislang erfolgreich blockiert.

Russland und Indien: Zwei Nationen, eine Freundschaft?

Als Indiens Premierminister Narendra Modi im Juli 2024 Moskau besuchte, bezeichnete er Wladimir Putin als seinen „lieben Freund“, weil ihm drei Dinge in den indo-russischen Beziehungen wichtig sind: Indiens weltpolitische Rolle, die indische Konkurrenz mit China und die wirtschaftliche und militärische Partnerschaft mit Russland. Modi hob vor allem die „spezielle und strategische Partnerschaft“ zwischen Indien und Russland hervor, die „unserer Bevölkerung zugutekommen“ werde.

Trotz der enger geknüpften indisch-amerikanischen Beziehungen und obwohl Indien ein begehrter Partner auch der EU, Japans und Australiens ist, hat sich die indische Regierung keineswegs von Russland abgewendet; auch Russlands Krieg gegen die Ukraine hat das nicht verändert. Im Gegenteil: Modi würdigte in Moskau das bilaterale Verhältnis zu Russland, das auf „gegenseitigem Vertrauen und gegenseitigem Respekt“ basiere. Er vermied es, die russische Aggression zu verurteilen und sprach stattdessen sehr allgemein von der Notwendigkeit, Frieden zu schaffen.

Die guten Beziehungen Neu-Delhis zu Moskau reichen weit zurück bis in die Zeit des Kalten Krieges, während die Annäherung an die USA und deren Verbündete erst in den vergangenen beiden Jahrzehnten erfolgte. Obwohl es schon lange her ist, hat Indiens politische Führung bis heute nicht vergessen, dass die US-Regierung unter Richard Nixon 1971 im Unabhängigkeitskampf Bangladeschs auf der Seite Pakistans gegen Indien stand, während die damalige Sowjetunion Indien politisch und militärisch unterstützte. Seinerzeit schlossen Indien und die UdSSR einen 25-jährigen „Vertrag für Frieden, Freundschaft und Kooperation“, dessen Nachwirkungen noch heute zu besichtigen sind.

Die indische Regierung knüpft mit ihrer Politik multipler Allianzen an das Konzept der Blockfreiheit an, das schon Indiens erster Premierminister Jawaharlal Nehru vor über sieben Jahrzehnten praktizierte. Heute spricht die indische Regierung nicht mehr von „Blockfreiheit“, aber der Besuch in Moskau war auch ein Signal an Xi Jinping, dass nicht nur China mit Russland eine „strategische Partnerschaft“ pflegt.

Seit Jahrzehnten kooperiert Indiens Rüstungsindustrie mit Russland beziehungsweise früher mit der UdSSR. Rund 60 Prozent des Waffenbestandes der indischen Streitkräfte stammen aus dieser Kooperation. Die Streitkräfte sind noch immer von russischen Waffenlieferungen und Ersatzteilen abhängig, aber Indien ist bemüht, diese Abhängigkeit zu reduzieren. Seit der Öffnung zum Westen haben vor allem die USA durch die Lieferung moderner Rüstungstechnologie die Zusammenarbeit mit der indischen Rüstungsindustrie intensiviert. Kampfjets kommen aber auch aus Frankreich, Raketen und Elektronik aus Israel. Indien versucht also, seine Waffenquellen zu diversifizieren. Beim Besuch Modis 2024 in Moskau bekräftigten Russland und Indien zwar, auch weiterhin bei der Rüstung kooperieren zu wollen, doch wird die Zusammenarbeit mit westlichen Partnern für Indien immer bedeutsamer, weil die Streitkräfte die Abhängigkeit von russischen Waffen langfristig reduzieren wollen.

Indiens Handelsbeziehungen mit Russland hingegen sind beträchtlich und seit Beginn des Ukrainekrieges deutlich gewachsen. Zwar ist der indische Export nach Russland kaum gestiegen, wohl aber Indiens Importe, die sich seit Beginn des Krieges versechsfacht haben. Indien avancierte nach China zum zweitwichtigsten Abnehmer russischen Öls. Es wird in Indien verarbeitet und von dort exportiert, auch nach Europa. Indiens Import von verbilligtem russischem Erdöl hat insofern dazu beigetragen, Russlands Kriegskasse zu füllen.

Der Kreml wiederum kann mit den Beziehungen zu Indien zeigen, dass er enge und starke Partnerschaften auch mit Ländern außerhalb des unmittelbaren Einzugsbereichs pflegt. Der Rolle des internationalen Parias, die ihm vom Westen zugedacht war, kann sich Putin so entziehen; eine internationale Isolation Russlands wird konterkariert.

In Bezug auf den Globalen Süden versteht Indien sich als dessen Sprachrohr und hat seine Anliegen sowohl innerhalb der Gruppe der BRICS-Länder als auch während des G20-Gipfels im September 2023 in Neu-Delhi auf die Tagesordnung gesetzt. Hier verlaufen die Interessen Russlands, Indiens, aber auch Chinas und generell des Globalen Südens parallel.

China und Russland: Wer sitzt am längeren Hebel?

Als der Handel Russlands mit den USA und der EU einbrach, wandte sich Russland reflexartig China zu. Der bilaterale Handel wuchs dynamisch, und die politischen Beziehungen sind enger als je zuvor; man versichert sich gegenseitiger Solidarität und bringt seine eigenen Vorbehalte gegenüber dem Westen zum Ausdruck. Die chinesisch-russische Zusammenarbeit reicht weit zurück und hat sich von einer ideologischen Verwandtschaft zu Beginn des Kalten Krieges und zu Zeiten der Sowjetunion zu einem pragmatischen Einverständnis entwickelt.

Während der Olympischen Winterspiele in Beijing 2022, unmittelbar vor Russlands Vollinvasion in der Ukraine, verabschiedeten die Präsidenten Xi und Putin eine gemeinsame Erklärung über die internationalen Beziehungen, in der sie ihre „strategische Partnerschaft“ bekräftigten. Chinas Präsident Xi bezeichnete das bilaterale Verhältnis gar als „Freundschaft ohne Grenzen“. Das heißt aber nicht, dass es zwischen Chinas und Russlands Führung keine Divergenzen gäbe. Man kann das Verhältnis eher als eine Zweckgemeinschaft denn als echte Allianz bezeichnen. Beide Regierungen plädieren für eine multipolare Welt, haben dabei aber keine einheitliche Position: Während Russland ein Block gegen den Westen vorschwebt, in dem China auch Russland unterstützt, ist China vor allem an einer stabilen Welt interessiert, die nicht von den USA dominiert wird. China hat mit verschiedenen Initiativen seine eigene Vision einer neuen Weltordnung präsentiert, unter anderem mit dem „Neue Seidenstraße“-Projekt („Belt and Road Initiative“), der 2021 vorgestellten „Globalen Entwicklungsinitiative“ oder der „Globalen Sicherheitsinitiative“ von 2022.

Einerseits sieht China Russlands Krieg gegen die Ukraine als Kampf gegen den Westen, der den USA Aufmerksamkeit für Europa abverlangt und sie damit von mehr Engagement im Indopazifik abhält. Gleichzeitig aber widerspricht Russlands völkerrechtswidrige Aggression dem von China international immer wieder betonten Prinzip der staatlichen Souveränität, der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Beide Seiten ignorieren aber diesen offensichtlichen Dissens.

Im Ukrainekrieg verhält China sich zurückhaltend. Bei Abstimmungen zu diversen UN-Resolutionen enthielt sich China; es hat wiederholt betont, keine Waffen an Russland zu liefern. Zugleich ist das Land aber ein wichtiger Lieferant kritischer Dual-Use-Güter, die Russland zur Herstellung seiner Waffen, insbesondere von Raketen und Drohnen, benötigt. China ist damit ein Schlüsselland für Russland, um die westlichen Sanktionen zu unterlaufen. Bislang hat westlicher Druck auf China nicht dazu geführt, diesen Handel zu unterbinden.

Ökonomisch ist China nach der Verhängung der westlichen Sanktionen zu einem Rettungsanker für Russland geworden. Der Handel ist in den vergangenen Jahren dynamisch gewachsen (Abbildung 2). Russland exportiert vor allem fossile Brennstoffe und importiert vornehmlich chinesische Technologieprodukte wie Maschinen, Elektronik und Fahrzeuge. Russlands Exporte nach China betrugen 2023 fast 130 Milliarden US-Dollar; sie vervierfachten sich seit 2015. In ähnlichen Dimensionen bewegten sich die russischen Importe, die von knapp 35 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 auf 111 Milliarden 2023 anstiegen.

Die „strategische Partnerschaft“ ist also keine formale Sicherheitspartnerschaft. Während Russlands sicherheitspolitische Interessen nach wie vor primär auf Europa (und die NATO) gerichtet sind, liegen die chinesischen Interessen eher im indopazifischen Raum. Ökonomisch sind die Unterschiede zudem gewaltig. Das chinesische Bruttosozialprodukt ist fast zehnmal größer als das russische. Es handelt sich um eine asymmetrische Beziehung: Während China viele Optionen hat, ist Russland auf China angewiesen.

Bislang aber scheint China die wirtschaftlich überlegene Rolle nicht auszunutzen. Die institutionelle Kooperation in den Vereinten Nationen, im BRICS-Verbund und in der SOZ funktionieren scheinbar gut. Da die russischen und chinesischen Interessen aber sehr unterschiedlich ausgerichtet sind, bleibt diese „strategische Partnerschaft“ fragil.

Liberal demokratisch versus illiberal autoritär?

Oft wird die Stärkung der Beziehungen innerhalb der BRICS-Staaten, vor allem aber die Partnerschaft zwischen Russland und China, als Beleg für eine mögliche neue globale Konfrontation zwischen demokratischen und autoritären Lagern betrachtet. Dem BRICS-Verbund, insbesondere, wenn er sich erweitert, liegen aber eher sich überschneidende Partikularinteressen zugrunde als eine ideologische Übereinstimmung zugunsten autokratischer Regierungsformen.

Zwar werden von der Organisation Freedom House innerhalb des BRICS-Verbundes lediglich Brasilien und Südafrika als „frei“ kategorisiert, Indien wird als „teilweise frei“ eingestuft und China sowie Russland als „unfrei“; die neuen Mitglieder Ägypten, Äthiopien, Iran und Vereinigte Arabische Emirate sind ebenfalls allesamt als „unfrei“ bewertet. Die Heterogenität von BRICS spricht aber dennoch gegen eine globale Bipolarität mit den USA und seinen Verbündeten auf der einen Seite und Russland/China als Kern einer „autokratischen Achse“ auf der anderen. Zwar hat Russlands Aggression dazu geführt, dass auch die Zusammenarbeit demokratischer Länder gestärkt wurde, das Bild ist aber deutlich komplexer. „Die chinesisch-russische Partnerschaft als rivalisierenden ideologischen Block oder gar ‚Allianz‘ zu betrachten, ist weder eine empirisch korrekte Einschätzung der aktuellen Bruchlinien in der Weltpolitik noch eine wirksame Richtschnur für praktische Politik“, so die Konfliktforscher Pascal Abb und Mikhail Polianskii. Statt von einer „autoritären Achse“ ist eher von einer „Allianz der Autokraten“ auszugehen, die nicht herrschaftsideologisch geeint ist, sondern in ihrer Kritik am Westen.

Dennoch lassen manche Äußerungen von unterschiedlichen Akteuren einen heraufziehenden Konkurrenzkampf zwischen Demokratie und Autokratie vermuten. Die NATO beispielsweise schreibt in ihrem strategischen Konzept von 2022: „Autoritäre Akteure stellen unsere Interessen, Werte und demokratische Lebensweise infrage. (…) Diese Akteure stehen auch an vorderster Front bei den gezielten Bemühungen, multilaterale Normen und Institutionen zu untergraben und autoritäre Regierungsmodelle zu fördern.“ Auf der anderen Seite kritisiert vor allem China die Politik des Westens zur aktiven Demokratisierung anderer Länder und betont auch in diesem Zusammenhang die Prinzipien staatlicher Souveränität, territorialer Integrität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Ungeachtet dessen vereinen Russland und China aber eher die sicherheitspolitischen Ängste – vor einer weiteren NATO-Osterweiterung, dem US-Engagement im Indopazifik oder der dortigen sicherheitspolitischen Kooperation mit Japan, Südkorea und Australien – als gemeinsame Strategien zur Stärkung autoritärer Regime.

Innerhalb von BRICS – und generell im Globalen Süden – bemühen sich viele Länder, sich aus den Konflikten einer möglichen Blockkonfrontation herauszuhalten. Diese Politik wird auch durch Erfahrungen in der Vergangenheit gespeist: Allzu oft haben die USA und die europäischen Verbündeten sich gegenüber Entwicklungsländern heuchlerisch verhalten. Den meisten Ländern des Globalen Südens fällt es daher schwer, „die westlichen Aussagen einer ‚regelbasierten Ordnung‘ zu akzeptieren, wenn die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten häufig selbst gegen die Regeln verstoßen – indem sie in ihren diversen Kriegen Gräueltaten begehen, Migranten misshandeln, international verbindliche Regeln zur Eindämmung von Kohlenstoffemissionen umgehen und jahrzehntelange multilaterale Bemühungen zur Förderung des Handels und zur Verringerung des Protektionismus untergraben.“

Von den 56 Ländern, die Freedom House im Jahr 2024 als „nicht frei“, also autoritär, einschätzt, erhielten fast zwei Drittel Militärhilfe aus den USA. „Es sollte daher nicht überraschen, dass viele im Globalen Süden die prodemokratische Rhetorik des Westens eher als eigennützig motiviert, denn als echtes Bekenntnis zu liberalen Werten betrachten.“

BRICS als globaler Player?

Zweifellos ist die weltpolitische Rolle von BRICS gewachsen. Inzwischen ist das Bruttosozialprodukt der beteiligten Staaten größer als das der G7-Länder. Die jetzigen BRICS-Länder erwirtschafteten 2023 knapp 35 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, die G7 30 Prozent. Aber die Gestaltungskraft von BRICS ist gewachsen, ohne dass es ein durchstrukturierter Staatenverbund wäre. BRICS ist auch nicht Sprachrohr des Globalen Südens – sondern mit Russland und China derzeit eher das des „Globalen Ostens“. Mit der Erweiterung um vier Länder und wahrscheinlich weiterer Länder in den nächsten Jahren wird die Heterogenität des BRICS-Verbunds vermutlich weiter steigen – und damit auch die Repräsentanz des Globalen Südens. Für die beteiligten Staaten wird es eine Herausforderung bleiben, in einem erweiterten BRICS-Format einen Konsens über die Ziele zu finden. BRICS ist „zu Recht als ‚negative Koalition‘ von Staaten“ bezeichnet worden, „die schnell einen Konsens darüber erzielen, was sie ablehnen“. Die großen Drei der BRICS haben jedenfalls ihre eigene Agenda, die teils parallel zu den BRICS-Anliegen verläuft, teils aber auch darüber hinausgeht.

Zukünftig wird es vor allem darauf ankommen, bei der Gestaltung der „regelbasierten internationalen Ordnung“ die Länder des Globalen Südens in fairer Weise zu beteiligen. Zugleich sollte der Westen die politischen Ambitionen und Möglichkeiten der BRICS-Staaten nicht unterschätzen, beispielsweise im Ukrainekrieg zu vermitteln. Zwar sind diese Bemühungen bislang nicht erfolgreich gewesen, die Initiativen Brasiliens im Frühjahr 2023, Südafrikas und anderer afrikanischer Regierungen im Juni 2023 und Indiens im August 2024 zeugen aber davon, dass hier mehr möglich ist.

ist Friedens- und Konfliktforscher. Er war unter anderem Gründungsdirektor des Bonn International Center for Conversion (BICC), das er bis 2001 leitete.