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Willkommen im Club. | BRICS | bpb.de

BRICS Editorial Ende der westlichen Vorherrschaft? Auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung Von BRIC zu BRICS plus. Aufstieg eines weltpolitischen Akteurs Willkommen im Club. Globale wirtschaftliche Machtverschiebungen durch BRICS Souveränität, territoriale Integrität, Nichteinmischung. BRICS als sicherheitspolitischer Akteur Stimme des Südens? BRICS bei den Vereinten Nationen Ziemlich beste Feinde. China, Indien und Russland zwischen Rivalität und gemeinsamen Interessen

Willkommen im Club. Globale wirtschaftliche Machtverschiebungen durch BRICS

Robert Kappel

/ 15 Minuten zu lesen

Der globale wirtschaftliche Einfluss der G7-Staaten ist durch BRICS gesunken, ohne dass dieses Bündnis deshalb eine wirtschaftlich-strategische Bedrohung für den Westen wäre. Auch in Zukunft werden die Vereinigten Staaten, die EU und China die Weltwirtschaft prägen.

Auf ihrem Gipfel im August 2023 in Südafrika haben die bisherigen BRICS-Mitgliedsländer (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) eingeladen, sich ihrem Club anzuschließen („BRICS plus“). Während Argentinien eine Mitgliedschaft ablehnt und Saudi-Arabien noch in Wartestellung ist, haben zahlreiche weitere Regierungen ihr Interesse an einem Beitritt bekundet.

Der BRICS-Verbund, 2006 gegründet und 2011 von Südafrika vorerst komplettiert, ist eine Zweckgemeinschaft ohne eigene Charta und festes Sekretariat. In ihren gemeinsamen Erklärungen haben die beteiligten Staaten aber die übergreifenden Grundsätze für ihre Zusammenarbeit formuliert: Es geht ihnen um die Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit, territorialen Integrität und nationalen Einheit ihrer Mitglieder sowie um eine Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Auf zahlreichen Ministertreffen wurden in der Vergangenheit zudem Themen wie Landwirtschaft und Handel, Gesundheit, Bildung, Wissenschaft und Umwelt, Energie und Kultur beraten. Der BRICS-Club positioniert sich selbst als Vertreter gemeinsamer Interessen mit dem Globalen Süden und einer von ihm beförderten neuen multipolaren Weltordnung. Von ihm gehen unterschiedliche Initiativen aus. So brachten die Staatsführungen der BRICS-Länder zwischen 2009 und 2021 zahlreiche Vorschläge zu wichtigen globalen Themen ein, unter anderem zur internationalen Zusammenarbeit, zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur regionalen Sicherheit. Für die Ausgestaltung eines neuen globalen Governance-Systems hat der BRICS-Verbund schon mehr als 140 bilaterale Abkommen geschlossen.

In Bezug auf den globalen Handel haben die BRICS-Länder bislang aber lediglich alternative Ordnungsvorstellungen zur liberalen Wirtschaftsordnung entwickelt. Regionale und bilaterale Handelsabkommen schloss bisher jedes Land für sich ab: Brasilien etwa wurde Teil des Mercosur, Russland der Eurasischen Wirtschaftsunion, China beteiligt sich an der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), Indien am Südasiatischen Freihandelsabkommen, und Südafrika ist unter anderem Teil der Southern African Customs Union (SACU) und des African Continental Free Trade Agreement (AfCFTA).

Wirtschaftsmachtverschiebungen

Die BRICS-Volkswirtschaften üben einen erheblichen Einfluss auf das Wachstum der Weltwirtschaft aus. Nach Angaben von IWF und Weltbank erbringen sie nach mehr als einem Jahrzehnt hohen Wirtschaftswachstums über 36 Prozent des Weltsozialprodukts (2024), während der Anteil der G7-Länder, der Gruppe der wichtigsten Industriestaaten des Westens, bei etwa 30 Prozent liegt. Zudem entfallen 40 Prozent der Finanzreserven auf die BRICS-Länder; rechnet man die neuen arabischen Mitgliedsländer hinzu, dürfte der Anteil bei über 50 Prozent liegen. Etwas anders sieht es bei den Anteilen am Welthandel aus: Die G7 hatten dort 2023 einen Anteil von knapp 30 Prozent (im Jahr 2000 waren es noch 43 Prozent), während die BRICS-Staaten ihren Anteil im gleichen Zeitraum von 21 auf 25 Prozent erhöhen konnten (ohne BRICS plus). Nach wie vor dominieren die USA als größte Volkswirtschaft die globalen Währungsreserven in US-Dollar (mit einem Anteil von rund 50 Prozent), nur 2 Prozent entfallen etwa auf den chinesischen Renminbi (RMB).

Der Erfolg der BRICS-Länder beruht unter anderem darauf, dass sie hohe ausländische Direktinvestitionen anziehen konnten, um ihre Ökonomien umzugestalten und sie international wettbewerbsfähig zu machen. Zwischen 2000 und 2021 stieg der Anteil der BRICS-Länder an den weltweiten Auslandsdirektinvestitionen von 6 auf 25 Prozent, davon entfiel der größere Teil auf China. Auch in der Weltindustrieproduktion nehmen die BRICS-Länder inzwischen eine führende Rolle ein. So stieg in nur drei Jahrzehnten Chinas Anteil an der globalen Industriewertschöpfung von unter 5 auf über 31 Prozent im Jahr 2023 (zum Vergleich: USA 15,9 Prozent, Japan 6,5 Prozent, Deutschland 4,8 Prozent, Indien 2,9 Prozent, Südkorea 2,7 Prozent und Russland 1,8 Prozent). Die Veränderungen werden unter anderem deutlich an der Zusammensetzung des Handels zwischen den OECD-Staaten und den BRICS-Ländern: Die BRICS-Mitglieder China, Brasilien, Indien und Südafrika liefern nun ebenfalls Komponenten und Vorprodukte für die Industrieländer und den Globalen Süden. Sie verzeichnen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zudem erhebliche technologische Fortschritte und Innovationen, die zu einem wachsenden Anteil ihrer Hightech-Exporte führten und zugleich zu Abhängigkeiten der Länder des Globalen Südens und des Westens beitrugen (etwa in den Lieferketten). Diese Veränderungen markieren einen deutlichen wirtschaftlichen Dominanzverlust des Westens. Die Industrialisierung der Technologiemacht China löste zudem einen Exportboom in den Rohstoffländern des BRICS aus, etwa in Brasilien und Russland, und ermöglichte diesen rohstoffexportierenden Ländern ein höheres Wachstum als den Industrieländern.

Die wirtschaftlichen Machtverschiebungen manifestieren sich vor allem darin, dass der BRICS-Verbund wichtige strategische Güter und Dienstleistungen anbietet – und relativ viele mächtige Großunternehmen global agieren, die von den unterschiedlichen Mitgliedstaaten unterstützt werden. Dies lässt sich zum Beispiel an den jeweiligen Marktanteilen in wichtigen Produktgruppen und Dienstleistungen erkennen, etwa an der Dominanz in Kommunikationsnetzwerken und im Finanzsektor oder bei der Kreditvergabe an andere Länder, die mitunter zur Entstehung von Schuldnersituationen führt.

Besonders sichtbar wird die globale Neuvermessung der Wirtschaft an den globalen Wertschöpfungsketten (WSK), die zur vorherrschenden Organisationsform der Weltwirtschaft geworden sind. Die Teilnahme an globalen WSK kann eine doppelte Dividende für die Hauptakteure bringen: Erstens können sich die Unternehmen leichter auf die Bereiche spezialisieren, in denen sie am produktivsten sind. Zweitens können sie als ausländische Unternehmen in anderen Ländern ihre Dominanz durch Management- und Technologiepraktiken ausbauen und so ihre Wertschöpfungsrenten optimieren. Von diesen Entwicklungen haben einige BRICS-Länder besonders profitiert, vor allem Indien und China, aber auch Südafrika und Brasilien. Indien und China waren deshalb besonders erfolgreich, weil sie Joint-Ventures von ausländischen und lokalen Unternehmen und dadurch Technologietransfer erzwangen. Anderen Ländern gelang das eher nicht. Die größten Unternehmen in den globalen Wertschöpfungsketten vereinen etwa 80 Prozent des Welthandels auf sich, sie sind die „Superstars“ der Weltwirtschaft. Führend sind hier US-amerikanische, chinesische und europäische Unternehmen, während Firmen aus den anderen BRICS-Ländern keine große Rolle spielen. Dies verdeutlicht, dass China als bislang einzigem BRICS-Land der Sprung zu einer führenden Weltwirtschaftsmacht gelungen ist, während die anderen Mitgliedsländer von diesen Entwicklungen abgekoppelt sind.

Dies zeigt sich auch an der Zahl der schnell wachsenden Konzerne. Chinesische Unternehmen stellen weltweit eine hohe Zahl der sogenannten Fortune-500-Unternehmen (über 140), während die übrigen BRICS-Staaten zusammen lediglich 20 aufweisen. China liegt zudem mit 171 Start-up-Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar (sogenannte Unicorns, Einhörner) an zweiter Stelle hinter den USA; Indien ist mit 70 Unternehmen vertreten, die übrigen BRICS-Staaten kommen nur auf 17 „Einhörner“. Die Vereinigten Staaten verfügen über 656.

Digitale Technologien optimieren Produktions- und Geschäftsprozesse und reduzieren den Materialeinsatz. Die globalen Klimamaßnahmen tragen zusätzlich dazu bei, dass die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen und anderen Rohstoffen langfristig sinkt. Dadurch könnten Energieproduzentenländer, falls sie sich nicht industrialisieren, zu den Verlierern der globalen Transformation gehören. Wie schwer es gerade Rohstoff- und Energieproduzenten fällt, ihre Rohstoffabhängigkeit zu reduzieren, zeigt sich besonders deutlich an den (potenziellen) BRICS-plus-Ländern Saudi-Arabien, VAE und Iran. Allerdings: Derzeit hat der Beitritt dieser Länder zum BRICS-Verbund die möglicherweise größte Transformation der Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft zur Folge. Der Block der BRICS-Rohstoffländer produziert 43 Prozent des weltweiten Erdöls und ist zugleich für 58 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Der BRICS-Club ist zur globalen Rohstoff-Supermacht geworden.

Große Divergenz

Durch die Gründung von BRICS und seiner Erweiterung zu BRICS plus haben sich die globalen wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse verschoben. Dies geht einher mit einer Konzentration der Produktion, des Konsums und der Einkommen – der „großen Divergenz“ in der Weltgesellschaft. Wenige Länder werden reicher – vor allem die G7 und einige Länder des BRICS-Verbunds –, während viele Entwicklungsländer und auch zahlreiche BRICS-Staaten relativ zurückfallen, beispielsweise Südafrika, Brasilien, Russland, Äthiopien und Ägypten.

Das hat auch damit zu tun, dass die internationalen Wirtschaftsbeziehungen zunehmend durch geostrategisches Agieren geprägt sind. Bei den Handelsstreitigkeiten zwischen den USA, der EU und China geht es nicht nur um Absatzmärkte, den Bezug von End- und Vorprodukten und um Lieferbeziehungen, sondern auch um globale Technologieführerschaft und wirtschaftliche sowie strategische Dominanz. Technologieführerschaft ist die Fähigkeit, in zentralen Bereichen – digitale Technologien, Roboterisierung und künstliche Intelligenz, Energietransfer, Halbleitertechnologien, Betriebssoftware – globale Normen und Standards zu setzen, von denen Nutzer dieser Technologien abhängig sind. Die führenden Unternehmen wenden Agenden der „kreativen Zerstörung“ durch Forschung, Invention und Innovation an, um im Technologiewettbewerb an der Spitze zu stehen. In diesem Kampf ringen vor allem die USA, Europa, Japan, Korea und China um die Führung.

Mithilfe von Konvergenzkriterien lässt sich ermitteln, ob diese Entwicklungen die Wirtschaftsmachtverhältnisse zugunsten der BRICS-Gruppe oder einzelner Länder verändert haben. Die Auswertung der Daten zeigt, dass es keine absolute Konvergenz gibt – die BRICS-Länder insgesamt fallen gegenüber den G7-Ländern zurück. Lediglich China weist absolute Konvergenz auf. Nach der Konvergenzhypothese nähern sich Länder mit ähnlichen Merkmalen langfristig an, wenn ihre Ausgangsbedingungen ähnlich sind. Während die G7-Länder einen solchen Konvergenz-Club bilden, mangelt es den BRICS-Ländern hingegen an geografischen Bindungen und gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen. Das Pro-Kopf-BIP der BRICS-Gruppe hat sich in der Vergangenheit zwar erhöht, zugleich driften G7 und BRICS aber weiter auseinander – es handelt sich also um Divergenz, nicht um Konvergenz.

Warum ist das so? Obwohl die wirtschaftlichen Bedingungen für eine Konvergenz sehr günstig zu sein schienen, konnten die BRICS-Gründungsmitglieder (mit Ausnahme Chinas) angesichts des technologischen Fortschritts in den G7-Ländern keinen Aufholprozess einleiten. Die G7 nutzen die Verschiebung der Technologiegrenze, unter anderem durch den Siegeszug künstlicher Intelligenz und die Roboter-Revolution, um steigende Kapitalerträge zu realisieren und die Handelsbeziehungen zwischen den Technologieführern, die zumeist im Globalen Norden angesiedelt sind, zu vertiefen. Lediglich China ist durch seine aktive Industrie- und Technologiepolitik in der Lage, wissensbasierte und technologische Fortschritte zu generieren. Der Aufstieg zahlreicher chinesischer Unternehmen dokumentiert Chinas Catching-up-Prozess. Die anderen BRICS-Länder konnten bislang weder wirtschaftlich noch technologisch aufholen – und verbleiben in dieser Hinsicht Teil des Globalen Südens.

Heterogenität

Dass der BRICS-Club eine heterogene Staatengruppe ist, lässt sich an zahlreichen Beispielen demonstrieren. Während China und Indien weiter aufsteigen, gehört Russland nicht länger zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt. Dessen Wirtschaftsleistung hängt stark vom Export von Öl und Gas ab, und das Land hat sich schwergetan, sich zu industrialisieren und – mit Ausnahme des Rüstungssektors – technologische Führerschaft zu übernehmen. Der Krieg gegen die Ukraine vernichtet einen Teil der eigenen Ressourcen, seine einstige Wirtschaftskraft und soft power erodieren, wodurch Russlands Wirtschaft zunehmend in Abhängigkeit von China gerät. Daran ändern auch neue Wirtschaftspartnerschaften im Globalen Süden nur wenig. Brasilien wiederum hat angesichts der seit 2004 anhaltenden Wachstumsschwäche und seiner Rohstofforientierung kaum Chancen aufzusteigen. Indien hingegen realisiert seit mehr als zwanzig Jahren ein sehr hohes Wirtschaftswachstum, das Land wird immer mehr zu einer Kernregion der Weltwirtschaft. Andere BRICS-Länder wie Südafrika, Iran, Ägypten oder einige Ölstaaten verharren weiterhin in der sogenannten middle income trap.

China dominiert den BRICS-Club. Die Volksrepublik erbringt fast zwei Drittel der BRICS-Wirtschaftsleistung, vereint 39 Prozent der BRICS-Bevölkerung auf sich und wickelt 72 Prozent aller BRICS-Exporte ab. Chinas Volkswirtschaft übersteigt damit bei weitem die kombinierte Wirtschaftsleistung von Brasilien, Russland, Indien und Südafrika. Gleichzeitig ist China ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner für alle BRICS- und auch BRICS-plus-Länder, während der Westen insgesamt wirtschaftlich schwächelt und an Macht verliert.

China hat den Sprung von einem armen Land zu einer bedeutenden Volkswirtschaft vor allem aus drei Gründen geschafft. Erstens setzte Chinas Entwicklungsmodell auf den Zufluss von ausländischen Direktinvestitionen, die Spillover-Effekte, einen technologischen Innovationsschub und Wissenstransfer im Land hervorrufen sollten. Die Regierung forcierte strategische Allianzen von chinesischen und ausländischen Unternehmen, die in China produzieren und den großen chinesischen und den Weltmarkt beliefern. Dieser technologische Aufstieg ist zu Chinas Markenzeichen geworden. Zweitens sind chinesische Unternehmen in sehr vielen Sektoren zu Weltmarktführern geworden, weil sie und der Staat massiv in Bildung sowie Forschung und Entwicklung investiert haben. Und drittens gehen mit dem Modernisierungsschub der Gesellschaft ein Aufstieg der Mittelschichten und eine deutliche Reduzierung der Armut einher. Die Mittelschichten bilden das Rückgrat des chinesischen Erfolgs.

Führungsrolle für BRICS?

Auch wenn die Fundamente der liberalen Wirtschaftsordnung schwächer werden und BRICS eine allmähliche Verschiebung der Macht zu Ungunsten des Westens ausgelöst hat, werden China und die anderen Länder des BRICS-Verbundes die Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit kaum als Hegemon ablösen können. Dazu reicht die politische wie wirtschaftliche Macht des heterogenen BRICS-Clubs nicht aus; die Aufholprozesse der meisten Länder sind zu langsam – und die Kohäsionskräfte zu gering. Zudem agiert der vermeintlich natürliche Partner der BRICS-Staaten – der Globale Süden – ebenfalls nicht als einheitlicher geopolitischer Block, der in der Lage wäre, die von den USA geführte Ordnung herauszufordern.

Dass die BRICS-Gruppe gleichwohl eine globale Führungsrolle anstrebt, erkennt man vor allem an zwei Dingen: Zum einen stellte China 2013 die Weichen für die Belt and Road Initiative (BRI), die ein globales Infrastruktur-Investitionsprogramm beinhaltet und zur tieferen Kooperation mit beteiligten Ländern führen soll. Ein Jahr später gründete China die New Development Bank (NDB) und 2016 die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB). Die NDB zielte darauf ab, ein finanzielles Sicherheitsnetz einzurichten, das Mitgliedsländern Liquidität bietet, falls sie kurzfristig in Schwierigkeiten geraten. Bisher vergab die NDB Kredite im Umfang von rund 30 Milliarden US-Dollar. Sie sollen die Maßnahmen der Weltbank und des IWF ergänzen, etwa 50 Prozent der von der NDB im Zeitraum von 2016 bis 2020 geförderten Projekte waren Infrastrukturmaßnahmen. Zum anderen ist das ausdrückliche Ziel der 2020 verabschiedeten Strategie der „BRICS-Wirtschaftspartnerschaft 2025“ die Ausweitung von Nicht-Dollar-Währungen. Die BRICS-Währung soll dabei helfen, die Dominanz des Dollars zu reduzieren. Die BRICS-Gruppe forciert die „Entdollarisierung“, weil die Vereinigten Staaten hier ein „exorbitantes Privileg“ besitzen: Die Dollar-Dominanz schränkt die makroökonomische Autonomie anderer Länder ein und macht sie anfälliger für Änderungen der US-Geldpolitik, während sie gleichzeitig die fiskalische Autonomie der Länder einschränkt. Die BRICS-eigene Reservewährung „R5“ (nach den Anfangsbuchstaben der fünf Währungen Real, Rubel, Rupie, Renminbi und Rand) soll dieser Dollarhegemonie etwas entgegensetzen. Aus geostrategischer Sicht ist das Streben nach Entdollarisierung also Ausdruck des BRICS-Interesses, den US-amerikanischen Finanzeinfluss zu reduzieren.

Bislang handelt es sich hierbei jedoch nur um Bestrebungen. Rund 84 Prozent des grenzüberschreitenden Handels zwischen den BRICS-Staaten wird nach wie vor in US-Dollar getätigt. Russland und Indien haben zwar vereinbart, den bilateralen Handel über die jeweiligen Landeswährungen abzuwickeln, doch bislang scheiterte dieser Plan daran, dass Russland im bilateralen Handel keine überschüssigen Rupien akzeptierte. Die Entdollarisierung kommt auch deshalb nur langsam voran, weil der Intra-BRICS-Handel eher gering ist, abgesehen vom jeweiligen bilateralen Handel mit China. Hinzu kommt, dass der BRICS-Club kein optimaler Währungsraum ist. Eine BRICS-Währung würde unweigerlich von China dominiert und wahrscheinlich mit einem beträchtlichen Abschlag gehandelt werden, was die Handelskosten für alle Unternehmen, die Zahlungen in dieser Währung akzeptieren, erhöhen würde, da sie diese in US-Dollars umtauschen müssten, um Geschäfte außerhalb des BRICS-Blocks zu tätigen.

Die Risiken der Entdollarisierung haben sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erhöht, als die USA ihre Sanktionspolitik dadurch forcierten, dass sie strategische Industrien und mächtige Einzelpersonen, beispielsweise aus Russland, von grenzüberschreitenden Dollar-Zahlungskanälen ausschlossen (die sogenannte Weaponisation des Dollars). Die mächtigste „Waffe“ ist die Verhängung von Sanktionen gegen Korrespondenzbanken. Das bedeutet, dass nicht nur US-amerikanischen Institutionen verboten wird, mit Banken in einem sanktionierten Land zu agieren, sondern dass auch jede andere Bank, die weiterhin Transaktionen mit sanktionierten Ländern durchführt, Gefahr läuft, von den Vereinigten Staaten bestraft zu werden. Russland musste feststellen, dass die US-amerikanischen Maßnahmen nicht nur Zahlungen in US-Dollar, sondern auch in chinesischen RMB betreffen – und auch für die NDB gelten, von der sich Russland Kredite erhofft hatte. Die NDB hat derzeit alle Projekte in Russland eingefroren.

Schlussfolgerungen

Der globale Einfluss der G7 ist zweifellos gesunken, doch ist der BRICS-Verbund bislang noch keine wirtschaftlich-strategische Bedrohung für den Westen. Das hindert China und Russland jedoch nicht daran, zusammen mit einigen Ländern des BRICS-Clubs die systemische Konkurrenz zum Westen und vor allem gegen die Vereinigten Staaten zu forcieren und eine neue Weltordnung zu verfechten. Insbesondere Brasilien, Südafrika und Indien, aber auch einige der zukünftigen Mitgliedsländer, teilen diese Ambitionen nicht. Stattdessen wollen sie die BRICS nutzen, um die bestehende liberale Ordnung zu demokratisieren und Reformen voranzutreiben. Falls die skizzierten Machtverschiebungen weiter an Fahrt gewinnen, könnte aber durchaus eine zweigeteilte Weltordnung entstehen, mit einem Club demokratischer, marktwirtschaftlicher Länder – USA, Europa, Japan, Südkorea, Ozeanien, Nord- und Südamerika – auf der einen und einem Block autokratischer Staaten – China, Russland und ihren wichtigsten Partnerländern auf allen Kontinenten – auf der anderen Seite.

Die Vereinigten Staaten, die EU und die gesamte G7-Gruppe sollten die Strategien des BRICS-Clubs ernst nehmen – nicht zuletzt auch wegen der Erweiterung zu BRICS plus und dem Ansehen, das der BRICS-Verbund in vielen Ländern des Globalen Südens genießt. Ob die Versuche der Vereinigten Staaten und der EU, den Aufstieg von BRICS einzuhegen, erfolgreich sein werden, muss dahingestellt bleiben. Vermutlich wäre es strategisch sinnvoll, mit jenen BRICS-Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, die ein Interesse an Kooperation haben, damit die Gruppierung nicht zu einer offen antiwestlichen Organisation wird, die darauf abzielt, die liberale Weltordnung zu untergraben.

Aufgrund ihrer Wirtschaftskraft werden auch in Zukunft die Vereinigten Staaten, die EU und China wirtschaftlich führen. China wird kaum die wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen herunterfahren, und der Westen wird weiterhin im Chinageschäft bleiben wollen. Entgegen aller Rhetorik darf man vermuten, dass sich China in seiner Wirtschaftsagenda eher am Globalen Norden als am Globalen Süden orientiert, während es zugleich verstärkt mit Entwicklungs- und Rohstoffländern kooperiert, um seinem Wirtschaftsmodell Schub zu verleihen, seine Aktivitäten zu diversifizieren und sich weniger abhängig vom Globalen Norden zu machen. Da die drei genannten Wirtschaftszentren den globalen Handel bestimmen, die weltweit höchsten Auslandsinvestitionen tätigen und um die Technologieführerschaft streiten, wird China möglicherweise eher um eine Wirtschaftsordnung der gleichberechtigten Beziehungen mit dem Westen ringen, als sich zu isolieren. Letztlich wird es aber nicht nur vom Agieren der Vereinigten Staaten und der EU, sondern ebenso vom BRICS-Club abhängen, ob diese Beziehungen einem konfrontativen oder einem reformorientierten Kurs folgen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. John Kirton, The Evolving BRICS, Presentation to the European Parliament’s Informal Working Group of the Greens, Brüssel, 9.7.2013.

  2. Vgl. United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD), BRICS Investment Report, Genf 2023, Externer Link: https://unctad.org/system/files/official-document/diae2023d1_en.pdf.

  3. Vgl. Top 10 Manufacturing Countries in the World in 2024, 29.8.2024, Externer Link: http://www.safeguardglobal.com/resources/top-10-manufacturing-countries-in-the-world.

  4. Vgl. Dan Ciuriak, The BRICS as an Alternative Anchor for Global Economic Governance, 24.8.2024, Externer Link: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4492261.

  5. Vgl. Daron Acemoğlu/Carlos A. Molina, Comment: Converging to Convergence, in: National Bureau of Economic Research (NBER) Macroeconomics Annual 36/2022, S. 337–412.

  6. Vgl. Robert Kappel, Der Aufstieg der BRICS und Europas Zukunft in der Weltwirtschaft, in: Wirtschaftspolitische Blätter 2/2013, S. 193–208.

  7. China ist einer der größten globalen Kreditgeber. Zahlreiche Länder haben chinesische beziehungsweise Kredite der „BRICS-Bank“ NDB zum Ausbau von Infrastruktur erhalten, mit der Folge, dass auch (neue) BRICS-Länder wie Äthiopien in Schuldenkrisen gerieten. Vgl. Deborah Brautigam, A Critical Look at Chinese „Debt-Trap Diplomacy“, in: Area Development and Policy 1/2020, S. 1–14.

  8. Vgl. David Autor et al., The Fall of the Labor Share and the Rise of Superstar Firms, in: Quarterly Journal of Economics 2/2020, S. 645–709.

  9. Vgl. Jan De Loecker/Jan Eeckhout, Global Market Power, NBER Working Paper 24768, Washington, D.C. 2018.

  10. Vgl. Najabat Ali et al., Does FDI Foster Technological Innovations? Empirical Evidence from BRICS Economies, in: Plos One, 9.3.2023, Externer Link: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0282498.

  11. Vgl. Yang Zhang/Yichen Huang/Xiao Wang, Impact of Economic Policy Uncertainty, Oil Prices, and Technological Innovations on Natural Resources Footprint in BRICS Economies, in: Resources Policy 86/2023, Part B, Externer Link: https://doi.org/10.1016/j.resourpol.2023.104082.

  12. Vgl. Kenneth Pomeranz, The Great Divergence. China, Europe, and the Making of the Modern World Economy, Princeton 2000.

  13. Vgl. Richard Baldwin, The Globotics Upheaval. Globalisation, Robotics and the Future of Work, London 2019.

  14. Vgl. Philippe Aghion/Céline Antonin/Simon Bunel, The Power of Creative Destruction. Economic Upheaval and the Wealth of Nations, Cambridge, MA 2021.

  15. „Absolute Konvergenz“ zeigt an, ob die anfängliche Divergenz beim Pro-Kopf-Einkommen durch die Diffusion von Technologien und Praktiken aus den reicheren Ländern verringert wurde.

  16. Vgl. Michael Kremer/Jack Willis/Yang You, Converging to Convergence, NBER Working Paper 29484, Washington, D.C. 2021.

  17. Vgl. Dani Rodrik, Reimagining the Global Economic Order, in: Review of Keynesian Economics 3/2024, S. 396–407.

  18. Vgl. Robert Kappel, The Challenge to Europe. Regional Powers and the Shifting of the Global Order, in: Intereconomics 5/2011, S. 275–286.

  19. Vgl. Adam S. Posen, The End of Globalization? What Russia’s War in Ukraine Means for the World Economy, in: Foreign Affairs, 17.3.2022, Externer Link: http://www.foreignaffairs.com/articles/world/2022-03-17/end-globalization.

  20. Diese Länder haben sich nicht zu innovativen Volkswirtschaften entwickelt, nachdem sie zu Mitteleinkommensländern wurden. Um aus dieser Falle herauszukommen, wären Innovationen (technological frontier) erforderlich, die zu Kapitalakkumulation führen. Vgl. Aghion/Antonin/Bunel (Anm. 14).

  21. Vgl. Jeffrey Ding, The Diffusion Deficit in Scientific and Technological Power. Re-Assessing China’s Rise, in: Review of International Political Economy 1/2023, S. 173–198; Salam Alshareef, Beyond the „Debt-Trap Strategy“ Narrative. China’s Rise and the Expansion of Policy Autonomy of the Global South, in: Area Development and Policy 2/2024, S. 169–180.

  22. Vgl. Günther Maihold/Melanie Müller, Eine neue Entwicklungsphase der BRICS. Erweiterung und neue Identität, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 52/2023.

  23. Vgl. Gita Gopinath/Jeremy C. Stein, Banking, Trade, and the Making of a Dominant Currency, NBER Working Paper 24485, Washington, D.C. 2018.

  24. Vgl. Jörg Mayer, De-Dollarization: The Global Payment Infrastructure and Wholesale Central Bank Digital Currencies, Forum for Macroeconomics and Macroeconomic Policies, FMM Working Paper 102/2024; Thomas Bonschab, BRICS Plus und der schleichende Weg der Ent-Dollarisierung, Externer Link: https://weltneuvermessung.wordpress.com/2023/08/22/brics-plus.

  25. Vgl. Maihold/Müller (Anm. 22).

  26. Vgl. Daniel McDowell, Bucking the Buck. US Financial Sanctions and the International Backlash Against the Dollar, Oxford 2023.

  27. Vgl. Alexander Gabuev/Oliver Stuenkel, The Battle for the BRICS. Why the Future of the Bloc Will Shape Global Order, in: Foreign Affairs, 24.9.2024, Externer Link: http://www.foreignaffairs.com/russia/battle-brics.

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ist Ökonom und Afrikawissenschaftler. Er ist emeritierter Professor der Universität Leipzig und lehrt dort am SEPT Competence Center. Von 2004 bis 2011 war er Präsident des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.