Auf ihrem Gipfel im August 2023 in Südafrika haben die bisherigen BRICS-Mitgliedsländer (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) eingeladen, sich ihrem Club anzuschließen („BRICS plus“). Während Argentinien eine Mitgliedschaft ablehnt und Saudi-Arabien noch in Wartestellung ist, haben zahlreiche weitere Regierungen ihr Interesse an einem Beitritt bekundet.
Der BRICS-Verbund, 2006 gegründet und 2011 von Südafrika vorerst komplettiert, ist eine Zweckgemeinschaft ohne eigene Charta und festes Sekretariat. In ihren gemeinsamen Erklärungen haben die beteiligten Staaten aber die übergreifenden Grundsätze für ihre Zusammenarbeit formuliert: Es geht ihnen um die Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit, territorialen Integrität und nationalen Einheit ihrer Mitglieder sowie um eine Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Auf zahlreichen Ministertreffen wurden in der Vergangenheit zudem Themen wie Landwirtschaft und Handel, Gesundheit, Bildung, Wissenschaft und Umwelt, Energie und Kultur beraten. Der BRICS-Club positioniert sich selbst als Vertreter gemeinsamer Interessen mit dem Globalen Süden und einer von ihm beförderten neuen multipolaren Weltordnung. Von ihm gehen unterschiedliche Initiativen aus. So brachten die Staatsführungen der BRICS-Länder zwischen 2009 und 2021 zahlreiche Vorschläge zu wichtigen globalen Themen ein, unter anderem zur internationalen Zusammenarbeit, zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur regionalen Sicherheit. Für die Ausgestaltung eines neuen globalen Governance-Systems hat der BRICS-Verbund schon mehr als 140 bilaterale Abkommen geschlossen.
In Bezug auf den globalen Handel haben die BRICS-Länder bislang aber lediglich alternative Ordnungsvorstellungen zur liberalen Wirtschaftsordnung entwickelt. Regionale und bilaterale Handelsabkommen schloss bisher jedes Land für sich ab: Brasilien etwa wurde Teil des Mercosur, Russland der Eurasischen Wirtschaftsunion, China beteiligt sich an der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), Indien am Südasiatischen Freihandelsabkommen, und Südafrika ist unter anderem Teil der Southern African Customs Union (SACU) und des African Continental Free Trade Agreement (AfCFTA).
Wirtschaftsmachtverschiebungen
Die BRICS-Volkswirtschaften üben einen erheblichen Einfluss auf das Wachstum der Weltwirtschaft aus. Nach Angaben von IWF und Weltbank erbringen sie nach mehr als einem Jahrzehnt hohen Wirtschaftswachstums über 36 Prozent des Weltsozialprodukts (2024), während der Anteil der G7-Länder, der Gruppe der wichtigsten Industriestaaten des Westens, bei etwa 30 Prozent liegt. Zudem entfallen 40 Prozent der Finanzreserven auf die BRICS-Länder; rechnet man die neuen arabischen Mitgliedsländer hinzu, dürfte der Anteil bei über 50 Prozent liegen. Etwas anders sieht es bei den Anteilen am Welthandel aus: Die G7 hatten dort 2023 einen Anteil von knapp 30 Prozent (im Jahr 2000 waren es noch 43 Prozent), während die BRICS-Staaten ihren Anteil im gleichen Zeitraum von 21 auf 25 Prozent erhöhen konnten (ohne BRICS plus). Nach wie vor dominieren die USA als größte Volkswirtschaft die globalen Währungsreserven in US-Dollar (mit einem Anteil von rund 50 Prozent), nur 2 Prozent entfallen etwa auf den chinesischen Renminbi (RMB).
Der Erfolg der BRICS-Länder beruht unter anderem darauf, dass sie hohe ausländische Direktinvestitionen anziehen konnten, um ihre Ökonomien umzugestalten und sie international wettbewerbsfähig zu machen. Zwischen 2000 und 2021 stieg der Anteil der BRICS-Länder an den weltweiten Auslandsdirektinvestitionen von 6 auf 25 Prozent, davon entfiel der größere Teil auf China.
Die wirtschaftlichen Machtverschiebungen manifestieren sich vor allem darin, dass der BRICS-Verbund wichtige strategische Güter und Dienstleistungen anbietet – und relativ viele mächtige Großunternehmen global agieren, die von den unterschiedlichen Mitgliedstaaten unterstützt werden.
Besonders sichtbar wird die globale Neuvermessung der Wirtschaft an den globalen Wertschöpfungsketten (WSK), die zur vorherrschenden Organisationsform der Weltwirtschaft geworden sind. Die Teilnahme an globalen WSK kann eine doppelte Dividende für die Hauptakteure bringen: Erstens können sich die Unternehmen leichter auf die Bereiche spezialisieren, in denen sie am produktivsten sind. Zweitens können sie als ausländische Unternehmen in anderen Ländern ihre Dominanz durch Management- und Technologiepraktiken ausbauen und so ihre Wertschöpfungsrenten optimieren. Von diesen Entwicklungen haben einige BRICS-Länder besonders profitiert, vor allem Indien und China, aber auch Südafrika und Brasilien. Indien und China waren deshalb besonders erfolgreich, weil sie Joint-Ventures von ausländischen und lokalen Unternehmen und dadurch Technologietransfer erzwangen. Anderen Ländern gelang das eher nicht. Die größten Unternehmen in den globalen Wertschöpfungsketten vereinen etwa 80 Prozent des Welthandels auf sich, sie sind die „Superstars“ der Weltwirtschaft.
Dies zeigt sich auch an der Zahl der schnell wachsenden Konzerne. Chinesische Unternehmen stellen weltweit eine hohe Zahl der sogenannten Fortune-500-Unternehmen (über 140), während die übrigen BRICS-Staaten zusammen lediglich 20 aufweisen. China liegt zudem mit 171 Start-up-Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar (sogenannte Unicorns, Einhörner) an zweiter Stelle hinter den USA; Indien ist mit 70 Unternehmen vertreten, die übrigen BRICS-Staaten kommen nur auf 17 „Einhörner“. Die Vereinigten Staaten verfügen über 656.
Digitale Technologien optimieren Produktions- und Geschäftsprozesse und reduzieren den Materialeinsatz. Die globalen Klimamaßnahmen tragen zusätzlich dazu bei, dass die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen und anderen Rohstoffen langfristig sinkt. Dadurch könnten Energieproduzentenländer, falls sie sich nicht industrialisieren, zu den Verlierern der globalen Transformation gehören. Wie schwer es gerade Rohstoff- und Energieproduzenten fällt, ihre Rohstoffabhängigkeit zu reduzieren, zeigt sich besonders deutlich an den (potenziellen) BRICS-plus-Ländern Saudi-Arabien, VAE und Iran. Allerdings: Derzeit hat der Beitritt dieser Länder zum BRICS-Verbund die möglicherweise größte Transformation der Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft zur Folge. Der Block der BRICS-Rohstoffländer produziert 43 Prozent des weltweiten Erdöls und ist zugleich für 58 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich.
Große Divergenz
Durch die Gründung von BRICS und seiner Erweiterung zu BRICS plus haben sich die globalen wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse verschoben. Dies geht einher mit einer Konzentration der Produktion, des Konsums und der Einkommen – der „großen Divergenz“ in der Weltgesellschaft.
Das hat auch damit zu tun, dass die internationalen Wirtschaftsbeziehungen zunehmend durch geostrategisches Agieren geprägt sind. Bei den Handelsstreitigkeiten zwischen den USA, der EU und China geht es nicht nur um Absatzmärkte, den Bezug von End- und Vorprodukten und um Lieferbeziehungen, sondern auch um globale Technologieführerschaft und wirtschaftliche sowie strategische Dominanz. Technologieführerschaft ist die Fähigkeit, in zentralen Bereichen – digitale Technologien, Roboterisierung und künstliche Intelligenz, Energietransfer, Halbleitertechnologien, Betriebssoftware
Mithilfe von Konvergenzkriterien lässt sich ermitteln, ob diese Entwicklungen die Wirtschaftsmachtverhältnisse zugunsten der BRICS-Gruppe oder einzelner Länder verändert haben. Die Auswertung der Daten zeigt, dass es keine absolute Konvergenz gibt
Warum ist das so? Obwohl die wirtschaftlichen Bedingungen für eine Konvergenz sehr günstig zu sein schienen, konnten die BRICS-Gründungsmitglieder (mit Ausnahme Chinas) angesichts des technologischen Fortschritts in den G7-Ländern keinen Aufholprozess einleiten. Die G7 nutzen die Verschiebung der Technologiegrenze, unter anderem durch den Siegeszug künstlicher Intelligenz und die Roboter-Revolution, um steigende Kapitalerträge zu realisieren und die Handelsbeziehungen zwischen den Technologieführern, die zumeist im Globalen Norden angesiedelt sind, zu vertiefen. Lediglich China ist durch seine aktive Industrie- und Technologiepolitik in der Lage, wissensbasierte und technologische Fortschritte zu generieren.
Heterogenität
Dass der BRICS-Club eine heterogene Staatengruppe ist, lässt sich an zahlreichen Beispielen demonstrieren.
China dominiert den BRICS-Club. Die Volksrepublik erbringt fast zwei Drittel der BRICS-Wirtschaftsleistung, vereint 39 Prozent der BRICS-Bevölkerung auf sich und wickelt 72 Prozent aller BRICS-Exporte ab. Chinas Volkswirtschaft übersteigt damit bei weitem die kombinierte Wirtschaftsleistung von Brasilien, Russland, Indien und Südafrika. Gleichzeitig ist China ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner für alle BRICS- und auch BRICS-plus-Länder, während der Westen insgesamt wirtschaftlich schwächelt und an Macht verliert.
China hat den Sprung von einem armen Land zu einer bedeutenden Volkswirtschaft vor allem aus drei Gründen geschafft. Erstens setzte Chinas Entwicklungsmodell auf den Zufluss von ausländischen Direktinvestitionen, die Spillover-Effekte, einen technologischen Innovationsschub und Wissenstransfer im Land hervorrufen sollten. Die Regierung forcierte strategische Allianzen von chinesischen und ausländischen Unternehmen, die in China produzieren und den großen chinesischen und den Weltmarkt beliefern. Dieser technologische Aufstieg ist zu Chinas Markenzeichen geworden.
Führungsrolle für BRICS?
Auch wenn die Fundamente der liberalen Wirtschaftsordnung schwächer werden und BRICS eine allmähliche Verschiebung der Macht zu Ungunsten des Westens ausgelöst hat, werden China und die anderen Länder des BRICS-Verbundes die Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit kaum als Hegemon ablösen können. Dazu reicht die politische wie wirtschaftliche Macht des heterogenen BRICS-Clubs nicht aus; die Aufholprozesse der meisten Länder sind zu langsam – und die Kohäsionskräfte zu gering. Zudem agiert der vermeintlich natürliche Partner der BRICS-Staaten – der Globale Süden – ebenfalls nicht als einheitlicher geopolitischer Block, der in der Lage wäre, die von den USA geführte Ordnung herauszufordern.
Dass die BRICS-Gruppe gleichwohl eine globale Führungsrolle anstrebt, erkennt man vor allem an zwei Dingen: Zum einen stellte China 2013 die Weichen für die Belt and Road Initiative (BRI), die ein globales Infrastruktur-Investitionsprogramm beinhaltet und zur tieferen Kooperation mit beteiligten Ländern führen soll. Ein Jahr später gründete China die New Development Bank (NDB) und 2016 die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB). Die NDB zielte darauf ab, ein finanzielles Sicherheitsnetz einzurichten, das Mitgliedsländern Liquidität bietet, falls sie kurzfristig in Schwierigkeiten geraten. Bisher vergab die NDB Kredite im Umfang von rund 30 Milliarden US-Dollar. Sie sollen die Maßnahmen der Weltbank und des IWF ergänzen,
Bislang handelt es sich hierbei jedoch nur um Bestrebungen. Rund 84 Prozent des grenzüberschreitenden Handels zwischen den BRICS-Staaten wird nach wie vor in US-Dollar getätigt.
Die Risiken der Entdollarisierung haben sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erhöht, als die USA ihre Sanktionspolitik dadurch forcierten, dass sie strategische Industrien und mächtige Einzelpersonen, beispielsweise aus Russland, von grenzüberschreitenden Dollar-Zahlungskanälen ausschlossen (die sogenannte Weaponisation des Dollars).
Schlussfolgerungen
Der globale Einfluss der G7 ist zweifellos gesunken, doch ist der BRICS-Verbund bislang noch keine wirtschaftlich-strategische Bedrohung für den Westen. Das hindert China und Russland jedoch nicht daran, zusammen mit einigen Ländern des BRICS-Clubs die systemische Konkurrenz zum Westen und vor allem gegen die Vereinigten Staaten zu forcieren und eine neue Weltordnung zu verfechten. Insbesondere Brasilien, Südafrika und Indien, aber auch einige der zukünftigen Mitgliedsländer, teilen diese Ambitionen nicht. Stattdessen wollen sie die BRICS nutzen, um die bestehende liberale Ordnung zu demokratisieren und Reformen voranzutreiben. Falls die skizzierten Machtverschiebungen weiter an Fahrt gewinnen, könnte aber durchaus eine zweigeteilte Weltordnung entstehen, mit einem Club demokratischer, marktwirtschaftlicher Länder – USA, Europa, Japan, Südkorea, Ozeanien, Nord- und Südamerika – auf der einen und einem Block autokratischer Staaten – China, Russland und ihren wichtigsten Partnerländern auf allen Kontinenten – auf der anderen Seite.
Die Vereinigten Staaten, die EU und die gesamte G7-Gruppe sollten die Strategien des BRICS-Clubs ernst nehmen – nicht zuletzt auch wegen der Erweiterung zu BRICS plus und dem Ansehen, das der BRICS-Verbund in vielen Ländern des Globalen Südens genießt. Ob die Versuche der Vereinigten Staaten und der EU, den Aufstieg von BRICS einzuhegen, erfolgreich sein werden, muss dahingestellt bleiben. Vermutlich wäre es strategisch sinnvoll, mit jenen BRICS-Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, die ein Interesse an Kooperation haben, damit die Gruppierung nicht zu einer offen antiwestlichen Organisation wird, die darauf abzielt, die liberale Weltordnung zu untergraben.
Aufgrund ihrer Wirtschaftskraft werden auch in Zukunft die Vereinigten Staaten, die EU und China wirtschaftlich führen. China wird kaum die wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen herunterfahren, und der Westen wird weiterhin im Chinageschäft bleiben wollen. Entgegen aller Rhetorik darf man vermuten, dass sich China in seiner Wirtschaftsagenda eher am Globalen Norden als am Globalen Süden orientiert, während es zugleich verstärkt mit Entwicklungs- und Rohstoffländern kooperiert, um seinem Wirtschaftsmodell Schub zu verleihen, seine Aktivitäten zu diversifizieren und sich weniger abhängig vom Globalen Norden zu machen. Da die drei genannten Wirtschaftszentren den globalen Handel bestimmen, die weltweit höchsten Auslandsinvestitionen tätigen und um die Technologieführerschaft streiten, wird China möglicherweise eher um eine Wirtschaftsordnung der gleichberechtigten Beziehungen mit dem Westen ringen, als sich zu isolieren. Letztlich wird es aber nicht nur vom Agieren der Vereinigten Staaten und der EU, sondern ebenso vom BRICS-Club abhängen, ob diese Beziehungen einem konfrontativen oder einem reformorientierten Kurs folgen.