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Von BRIC zu BRICS plus. | BRICS | bpb.de

BRICS Editorial Ende der westlichen Vorherrschaft? Auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung Von BRIC zu BRICS plus. Aufstieg eines weltpolitischen Akteurs Willkommen im Club. Globale wirtschaftliche Machtverschiebungen durch BRICS Souveränität, territoriale Integrität, Nichteinmischung. BRICS als sicherheitspolitischer Akteur Stimme des Südens? BRICS bei den Vereinten Nationen Ziemlich beste Feinde. China, Indien und Russland zwischen Rivalität und gemeinsamen Interessen

Von BRIC zu BRICS plus. Aufstieg eines weltpolitischen Akteurs

Günther Maihold Melanie Müller

/ 16 Minuten zu lesen

Seit seiner Gründung 2009 hat der BRICS-Verbund einen beeindruckenden Aufschwung genommen. Spätestens mit seiner Erweiterung stellt sich jedoch die Frage, ob und wie aus dem exklusiven Club ein integrierendes Gegengewicht zu den G7-Staaten werden kann.

Seit ihrer formellen Gründung im Jahr 2009 – und verstärkt durch die Folgen der internationalen Finanzkrise – haben die BRICS-Staaten, ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, den Anspruch auf eine Veränderung der globalen Institutionen formuliert. Die vier Gründungsmitglieder Brasilien, Russland, Indien und China wollten ein größeres Gleichgewicht in der internationalen Politik und Wirtschaft bis hin zur Durchsetzung einer multipolaren Ordnung schaffen, nicht zuletzt angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung ihrer aufstrebenden Ökonomien.

Seit dem Beitritt Südafrikas 2010 ist die Allianz darum bemüht, die eigene Bedeutung für die Entwicklung der Weltwirtschaft wie auch der internationalen Politik hervorzuheben. Ihr wachsendes Gewicht in der internationalen Finanzordnung betrachten sie als Beitrag zur Lösung der internationalen Krisen. Sie sind damit zu einem Gegengewicht zu den Industriestaaten herangewachsen, die im Rahmen der G7-Gruppe weiterhin eine dominante Rolle beanspruchen. Die große innere Heterogenität, das Fehlen einer gemeinsamen Doktrin und der Verzicht auf eine demokratische innere Ordnung als Voraussetzung der Mitgliedschaft werden zuweilen als Schwäche des Verbundes interpretiert, zu dem im Jahr 2023 sechs weitere Mitglieder eingeladen wurden. „BRICS plus“, wie es seitdem heißt, hat starkes Interesse in der Staatenwelt wie auch in der Medienöffentlichkeit geweckt. Die wachsende BRICS-Familie steht heute vor der Frage, ob sie durch Erweiterung ein größeres politisches Gewicht in der Welt erringen kann – oder doch zunächst die innere Konsolidierung im Vordergrund stehen sollte.

Was sind die BRICS plus?

Nicht ohne Grund sind die BRICS als „transregional advocacy coalition“ bezeichnet worden: Sie funktionieren als lockerer Verbund, in dem die spezifischen nationalen Interessen der Mitgliedstaaten dominieren, in Form einer als „plurilaterale Gipfelinstitution“ begriffenen Staatenkooperation. Der ursprüngliche Zielhorizont der Interessenvertretung bezog sich auf eine Veränderung der Regeln der Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Erst in späteren Jahren traten weitergehende Forderungen zu anderen Themen der globalen Agenda hinzu, die neue Formen der Kooperation auf Augenhöhe zum Ziel hatten. Gleichwohl sind die BRICS mit ihrer Betonung horizontaler Koordinationsformate im Stile der Süd-Süd-Kooperation ein fragiles minilaterales Arrangement geblieben, das trotz der zuweilen als Schwäche interpretierten internen Funktionsweise ein Erfolgsmodell geworden ist.

Die BRICS-Staaten formulieren offen den Anspruch auf mehr Mitsprache und gleichberechtigte Vertretung in internationalen Institutionen und Organisationen wie dem UN-Sicherheitsrat, in der Hoffnung, damit Anerkennung zu finden. In der Vergangenheit haben sie immer wieder bestehende Narrative der internationalen Ordnung infrage gestellt und gleichzeitig strategisch neue Narrative etabliert, die das Streben nach einer gleichberechtigteren und multipolaren Weltordnung unterstützen. Damit war der Weg einer Agenda-Erweiterung in den Bereichen regionale Sicherheit, Ernährung und Landwirtschaft sowie Entwicklung beschritten, der im Laufe der Jahre durch Ministertreffen und Arbeitsgruppen zu Themen wie Wissenschaft und Bildung, Kultur, Informations- und Kommunikationstechnologien und Klimawandel vertieft wurde. Die BRICS bedienen dabei sowohl geostrategische Ansprüche als auch wirtschaftliche Aufstiegserwartungen und solidarische Narrative, um eine eigene Identität zu begründen und damit breitere Anhängerschaft zu gewinnen.

Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika sind auch Mitglieder in der G20-Gruppe, dem seit 2009 zentralen Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit der führenden Industrie- und Schwellenländer zur Abstimmung wirtschafts- und finanzpolitischer Maßnahmen in der Weltwirtschaft. Dort haben die BRICS – zumindest bis zur Ausweitung des russischen Angriffs auf die Ukraine 2022 – ihre Bereitschaft zu kooperativem Handeln innerhalb des gegebenen Rahmens der weltwirtschaftlichen Ordnung bewiesen. Gleichwohl wird ihnen eine gewisse Konkurrenz zur G7-Gruppe der traditionellen Industriestaaten attestiert, die jedoch nicht durchgängig als anti-westliche Positionierung zu verstehen ist. Mit der seitens der BRICS-Staaten identifizierten abnehmenden wirtschaftlichen und normativen Macht der G7 – wie sie sich etwa in der internationalen Finanzkrise, während der Covid-19-Pandemie sowie an den aktuellen Kriegsereignissen in der Ukraine und Gaza zeigte beziehungsweise zeigt – ist gleichzeitig ein Beschleunigungsfaktor für ein größeres weltpolitisches Gewicht der Gruppe eingetreten, der nicht zuletzt vom weltpolitischen Sendungsbewusstsein Chinas getrieben wird.

Seit der Annexion der Krim 2014 und der Invasion in der Ukraine 2022 ist BRICS für Russland eine wichtige Plattform geworden, um seine internationale Anerkennung zu dokumentieren und öffentlichkeitswirksam das Versagen der gegen das Land verhängten internationalen Sanktionen hervorzuheben. China ist bestrebt, seine weltpolitische Rolle auszuweiten, eigene Regeln durchzusetzen und auch über die BRICS seine internationalen Projekte wie die „Neue Seidenstraße“ (Belt and Road Initiative) zu befördern. Für China ist BRICS eine willkommene Konkurrenz zu G7. Zwar hat die Aufnahme Irans 2023 den Eindruck verstärkt, hier solle ein anti-westliches Bündnis geschmiedet werden, doch geht diese Einschätzung deutlich zu weit – nicht zuletzt, weil Brasilien, Indien und Südafrika immer deutlich gemacht haben, dass sie sich, auch wenn sie das Handeln der G7 kritisch bewerten, als Akteure innerhalb des bestehenden institutionellen und internationalen politischen Rahmens der Weltwirtschaft sehen. Eine Weiterentwicklung in Richtung einer multipolaren Ordnung streben gleichwohl auch sie an. Diese drei Staaten bemühen sich aktiv um eine Positionierung als blockfreie Akteure auf internationaler Ebene, sie sehen BRICS als nicht-westliches, keinesfalls aber als anti-westliches Forum.

Blick zurück

Mit der Publikation einer Studie des Ökonomen Jim O’Neill kam 2001 das Akronym BRIC in die Welt. Es wurde auf den Geldmärkten für einen Investmentfonds platziert, der besondere Rendite für vielversprechende emerging economies, aufsteigende Volkswirtschaften, versprach. Für die Ländergruppe der BRIC wurde eine höhere Wachstumsrate als für die G7-Staaten prognostiziert, womit die Aufforderung einherging, sie umfassender in die weltwirtschaftlichen Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Im Gefolge der auf Initiative Russlands 2009 formell gegründeten Gruppe war das Akronym BRIC gekoppelt an die Perzeption ihrer Mitgliedsländer als solche emerging economies, die zunehmend als geeignete Ziele von Auslandsinvestitionen wahrgenommen wurden. Brasilien, Russland, Indien und China versuchten zunächst, ihre Zusammenarbeit im Bereich des Handels zu erweitern. Doch bis heute ist eine asymmetrische Binnenstruktur erhalten geblieben, da China als größte Exportnation der Welt auch den weltweit größten Handelsüberschuss erzielt. Der Intra-BRICS-Handel ist vor allem ein bilateraler Handel der einzelnen Mitgliedstaaten mit China.

Dennoch hat sich der internationale Auftritt der BRIC rasch verändert: Mit neuen Verfahren der Entscheidungsfindung und einer Ausweitung ihrer politischen Agenda wurde schnell deutlich, dass die Gruppe auf eine größere internationale Anerkennung abzielte. Ein erster sichtbarer Schritt in diese Richtung erfolgte 2010 mit dem Beitritt Südafrikas, das ein Jahr zuvor in die Gruppe eingeladen worden war. Mit der Präsenz Afrikas, das bis dahin nicht vertreten war, vervollständigte sich die Gruppe und markierte gleichzeitig den Übergang von emerging economies zum politischen Gestaltungsanspruch von rising powers. Der Verbund blieb aber einem Format staatszentrierter Kooperation treu, das sich insbesondere auf Gipfeltreffen als Koordinierungsinstanz stützt, ohne weitere dauerhafte Strukturen wie etwa ein permanentes Sekretariat zu institutionalisieren oder Grundsatzpapiere wie eine Charta zu erarbeiten. Bis heute wird auf solche von der Mehrzahl der Mitgliedstaaten als einengend empfundene Strukturen verzichtet. Vielmehr sind informelle Abstimmungsprozesse nach dem Muster eines politischen Clubs das maßgebliche Instrument, um zu gemeinsamen Erklärungen zu gelangen. Dies beinhaltet auch die interne Regel, dass nur einstimmig verabschiedete Entschließungen möglich sind, was jedem Mitgliedstaat eine Vetoposition einräumt, wenn er seine nationalen Interessen beeinträchtigt sieht.

Über die Jahre ist die Intensität der Zusammenarbeit innerhalb der BRICS-Staaten deutlich angewachsen. So wurde etwa der Fernsehkanal TV BRICS aus der Taufe gehoben, der vor allem in Afrika zu empfangen ist, während die nationalen Projekte wie Russia Today oder Sputnik oder auch der chinesische Sender CGTN eine sehr viel größere Reichweite besitzen. In ähnlicher Weise sind universitäre Kooperationsprojekte und Austauschformate auf der Ebene von Fachministerien etabliert worden, die die Breite des BRICS-Engagements dokumentieren – auch wenn die wirtschaftlichen und politischen Dimensionen weiter dominieren. Gleichzeitig bleiben die Grenzen der Kooperation markiert: Die Analyse des Abstimmungsverhaltens der BRICS-Mitglieder im Rahmen der Vereinten Nationen beispielsweise lässt nicht erkennen, dass die fünf Mitglieder bisher als Block abstimmten und damit eine wachsende Gemeinsamkeit bei außenpolitischen Fragen sichtbar geworden wäre. Erkennbar ist hingegen, dass die Mitgliedstaaten sich offensichtlich auch anderen – etwa regionalen – Bündnissen verpflichtet fühlen und ihre nationalen Interessen im Zweifelsfall über eine Verpflichtung auf die BRICS-Identität stellen.

Dominanz wirtschaftlicher Kooperationsinstrumente

Der institutionelle Charakter der BRICS hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt, sowohl durch ein hohes Maß an politischer Interaktion in Gestalt jährlicher Gipfeltreffen als auch durch die Schaffung wirtschaftlicher Institutionen wie der Neuen Entwicklungsbank (New Development Bank, NDB) 2014 und der im selben Jahr getroffenen Vereinbarung über einen Währungsreserve- und Notfallfonds (Contingency Reserve Arrangement, CRA).

Die NDB ist das zentrale Instrument der BRICS-Kooperation. Die Bank mit Sitz in Shanghai verfügt über ein genehmigtes Kapital von 100 Milliarden US-Dollar, wovon 50 Milliarden von den fünf Gründungsmitgliedern zu gleichen Teilen gezeichnet wurden. Sie soll Ressourcen für Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern mobilisieren. Dabei soll sich die NDB durch drei neue Ansätze als Alternative zu bestehenden multilateralen oder nationalen Entwicklungsbanken profilieren: erstens durch die Ausrichtung auf nachhaltige Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte, zweitens durch die Schnelligkeit der Reaktion auf Projektvorschläge und drittens durch die Bereitschaft zur Übernahme von Risiken, insbesondere durch die Verwendung von Landeswährungen bei der eigenen Mittelbeschaffung und Kreditvergabe. Ziel ist es, die Binnenmärkte der Mitgliedstaaten zu stärken und die Kreditnehmer der Bank vor den Risiken von Wechselkursschwankungen zu schützen. Nach den Worten der gegenwärtigen Präsidentin der Bank, der früheren Präsidentin Brasiliens Dilma Rousseff, sieht sich die Bank vor allem verpflichtet zum Engagement in Klima- und Umweltprojekten, in Fragen sozialer Inklusion und der Verringerung von Ungleichheiten sowie zur wirtschaftlichen Modernisierung der Länder des Globalen Südens.

Seit ihrer Gründung hat die NDB 32 Milliarden US-Dollar für die Finanzierung von 96 Projekten in den fünf Gründungsmitgliedstaaten bereitgestellt, wobei insbesondere Maßnahmen im Bereich von Transportinfrastruktur sowie ein zehn Milliarden US-Dollar großer Notfallfonds für COVID-19-Sofortmaßnahmen und die wirtschaftliche Erholung der Mitgliedsländer herausragen. Mit der Einrichtung von Verbindungsbüros in Johannesburg, São Paulo/Brasilia, Moskau und Gandhinagar hat die Bank versucht, ihre Partnerschaft zu den nationalen Entwicklungs- und Geschäftsbanken auszubauen und vor Ort neue Projekte zu identifizieren. Auch wenn die NDB durch den weitgehenden Verzicht von Konditionalitäten bei der Kreditvergabe von vielen interessierten Staaten als willkommene Ergänzung zum System der internationalen Finanzorganisationen wie der Weltbank und dem Weltwährungsfonds gesehen wird, ist ihre Finanzkraft im Vergleich zu den traditionellen Gebern bisher noch beschränkt. Die Weltbank etwa vergab alleine im Jahr 2021 98 Milliarden US-Dollar an Krediten, Darlehen und Garantien.

Die NDB beansprucht für sich eine Plattformfunktion, indem sie neue Kreditgeber wie etwa die Vereinigten Arabischen Emirate und Darlehensnehmer wie Bangladesch einbezieht, die von den Finanzierungsmöglichkeiten der Bank profitieren wollen. Gleichzeitig gibt es bisher nur wenige Projekte, in die Länder mit einbezogen werden, die nicht Teil der BRICS sind. Die Erweiterung der Mitgliedschaft der Bank um neue Staaten im Zuge der Erweiterung zu BRICS plus ist somit auch als Test für den Ausbau der BRICS-Mitgliedschaft zu verstehen. Die NDB kann sich so als „globale Bank“ positionieren, obwohl damit natürlich auch gestiegene Ausfallrisiken und Herausforderungen für das interne institutionelle Gleichgewicht verbunden sind.

Erweiterungsrunde im Zeichen der neuen Geopolitik

Hatten sich die BRICS seit 2009 vor allem als exklusiver Club mit konvergierenden Interessen verstanden, der gleichwohl für sich und andere eine internationale Sprecherrolle beanspruchte, beschränkte die Exklusivität in den vergangenen Jahren zunehmend die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten hin zur Bildung eines Gegengewichts zu den G7. 15 Jahre nach der offiziellen Gründung von BRIC hat die Staatengruppe nun einen Identitätswandel vollzogen. Mit der von China und Russland vorangetriebenen Debatte über eine Erweiterung der Kerngruppe zu BRICS plus haben sich die Gewichte im Innern verschoben. Beim 15. Gipfel der BRICS-Staaten im August 2023 in Johannesburg wurden sechs Staaten eingeladen, der Allianz zu Beginn des Jahres 2024 beizutreten: Argentinien, Äthiopien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Iran, Ägypten und Saudi-Arabien. Bisher sind allerdings nur vier dieser Staaten beigetreten: Argentiniens 2023 neu gewählter Präsident Javier Milei schlug die Einladung zur Mitgliedschaft aus, da die BRICS seiner bevorzugten Ausrichtung an den USA und der Orientierung an freien Märkten nicht entsprächen, und auch Saudi-Arabien hat seinen Beitritt zu den BRICS plus noch nicht formal bestätigt.

Dennoch wurde die Erweiterung insbesondere von westlichen Staaten als Versuch der Festigung von BRICS als geopolitischem Akteur interpretiert. Immerhin ist die erweiterte Staatengruppe mit etwa einem Drittel des weltweiten Reichtums (35 Prozent) und fast der Hälfte der Weltbevölkerung (45 Prozent) zumindest auf dem Papier ein wirtschaftliches und politisches Schwergewicht. Stark angelehnt an den chinesischen Diskurs von Solidarität und Zusammenarbeit auf der Grundlage beiderseitig vorteilhafter Partnerschaften sollen die BRICS plus zur zentralen Plattform des Süd-Süd-Dialogs werden und gemeinsame Interessen auf internationaler Ebene stärker koordinieren. Ziel ist es unter anderem, die Externalisierung der Kosten des Krieges in der Ukraine zulasten der Länder des Globalen Südens – durch steigende internationale Zinsniveaus, explodierende Nahrungsmittelpreise und Verwerfungen an den internationalen Rohstoffmärkten – zu begrenzen. Viele Regierungen des Globalen Südens befürchten einen wachsenden Protektionismus und Unilateralismus als Folge der Sanktionspolitik des Westens. Zudem teilen alle Mitglieder den Wunsch, sich von der Dominanz des US-Dollars zu befreien, sei es durch die Abwicklung bilateraler Handelsgeschäfte in nationalen Währungen oder durch eine neue gemeinsame Währung, die den US-Dollar auch weltpolitisch ablösen soll. Bis zu deren Realisierung ist es aber noch ein weiter Weg.

Mit der Erweiterung der BRICS-Gruppe könnten vor allem bei Energieinvestitionen und auf den Energiemärkten Verschiebungen entstehen, da nun im BRICS-Verbund bedeutende Ölproduzenten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Iran sowie gegebenenfalls Saudi-Arabien sowie einige der am schnellsten wachsenden Energieverbraucher zusammenkommen. Gleiches gilt auch für andere Rohstoffe wie strategische Mineralien der Energiewende, etwa Lithium, Kupfer oder Zink, für die sich innerhalb des BRICS-Raumes eigene Kreisläufe herausbilden könnten, sodass sich ein Rohstoffhandel außerhalb der G7-Finanzsysteme, insbesondere unter Verzicht auf den US-Dollar als Zahlungsmittel, realisieren lassen könnte. Allerdings: Noch ist der US-Dollar zur Wertsicherung und als Reservewährung auch für die BRICS-Länder von überragender Bedeutung – eine gemeinsame BRICS-Währung dürfte erst einmal Zukunftsmusik bleiben.

BRICS plus als „legitime Stimme des Globalen Südens“?

Während die Erweiterung von allen Mitgliedstaaten der Kerngruppe mitgetragen wurde, wird der Auftritt als geopolitischer Akteur von Vorbehalten begleitet. So will etwa Indien unter Präsident Modi sich dem weltpolitischen Vormachtstreben Pekings nicht unterordnen; in der Weiterentwicklung der traditionellen Politik der Blockfreiheit durch multiple Einbindung (multi alignment) sieht es sich selbst auf dem Weg zur internationalen Anerkennung als kommende wirtschaftliche Großmacht. Auch Brasilien und Südafrika – dessen Regierung beim BRICS-Gipfel 2023 die Erweiterung selbst aktiv vorangetrieben hatte – versuchen, der Wahrnehmung einer Nähe zu Peking entgegenzuwirken. Südafrikas neuer Außenminister Ronald Lamola, der seit den Wahlen im Mai 2023 die Außenpolitik der neu gewählten Koalitionsregierung repräsentiert, spricht beispielweise von „active non-alignment“, also dem aktiven Versuch, sich in geopolitischen Konflikten keiner Seite unterzuordnen. Gleichzeitig ist gerade die Mitgliedschaft in den BRICS für viele Staaten eine Möglichkeit, ihre geopolitischen Beziehungen auszubalancieren.

Unter dem Eindruck der neuen geopolitischen Konfliktlage sind viele Länder bestrebt, unter dem Dach des BRICS-plus-Verbunds ihre Autonomie zu sichern. Die Hoffnung ist, sich so Zugang zu alternativen Finanzquellen im Rahmen der NDB sichern und Nachteile durch eine mögliche Ausweitung der finanziellen Sanktionen seitens der USA und der EU umgehen zu können. Allerdings kann die NDB nicht vollständig autonom agieren. Zur Wahrung ihrer internationalen Banklizenz ist sie dazu gezwungen, alle Projekte mit Russland einzufrieren, und fällt damit für Moskau als Finanzierungsquelle aus. Dies könnte zukünftig auch andere Staaten betreffen. Dennoch ist das Interesse an einer Mitgliedschaft groß, doch das Aufnahmeverfahren ist undurchsichtig. Bislang gibt es keine definierten Kriterien für die Voraussetzungen und notwendigen Schritte für eine Mitgliedschaft, obwohl eine solche Übereinkunft auf dem Gipfel in Johannesburg als unverzichtbar vereinbart worden war.

Förmliche Anträge auf Mitgliedschaft haben die Türkei, Aserbaidschan und Malaysia gestellt, auch Thailand hat großes Interesse an einem Beitritt. China befürwortet einen Beitritt Kasachstans, und Algerien hofft ebenso auf einen Beitritt, der im vergangenen Jahr durch ein indisches Veto blockiert wurde. Ähnliches gilt für Bolivien, Kolumbien und Venezuela, die um den von Argentinien nicht besetzten Platz konkurrieren. Der fehlende Konsens und die Notwendigkeit der Konsolidierung nach der jüngsten Erweiterungsrunde könnte allerdings dazu führen, dass den interessierten Staaten zunächst eine reduzierte Mitgliedschaft in der BRICS-eigenen Entwicklungsbank angeboten wird sowie eine Einbeziehung in die große Runde des Zusammentreffens der Kernstaaten. Unter dem Titel „Friends of BRICS" gibt es bereits ein solches Forum, um das gewachsene Gewicht des Verbunds zu dokumentieren. Bei ihrem 16. Gipfeltreffen im russischen Kasan im Oktober 2024 haben die BRICS-Staaten einen erneuten Schritt zu ihrer geografischen Erweiterung getan und damit gleichzeitig auf den wachsenden Zulauf zu ihrem Verbund reagiert. Ob sich damit ein Entwicklungspfad von einem losen Zusammenschluss von emerging economies hin zu einer stärker formalisierten globalen Allianz abzeichnet, ist angesichts der wachsenden inneren Heterogenität der Gruppe jedoch fraglich.

Zur Zukunft der BRICS plus

Die Teilnahme von 36 Ländern am Gipfeltreffen in Kasan im Oktober 2024 dokumentiert, dass die gegenwärtige Attraktivität der BRICS vor allem darin besteht, Mitgliedern und Partnern größere strategische Autonomie zu ermöglichen. Aus dieser Sicht wird der BRICS-Verbund auf dem eingeschlagenen Erweiterungspfad robuster, indem weitere gewichtige Länder eingebunden werden. In Kasan wurde nun eine erweiterte Runde von 13 neuen Partnerstaaten auf den Weg gebracht, die nicht den vollen Mitgliedschaftsstatus der derzeit neun Kernstaaten der BRICS plus genießen, sich aber als Partnerländer „im Wartezimmer“ für eine Vollmitgliedschaft befinden.

Mit der Einladung von Algerien, Belarus, Bolivien, Indonesien, Kasachstan, Kuba, Malaysia, Nigeria, Thailand, der Türkei, Uganda, Usbekistan und Vietnam haben die BRICS plus insbesondere im asiatischen Raum einen Schwerpunkt gesetzt. Mit Indonesien, Malaysia, Thailand und Vietnam wurden wirtschaftliche und politische Schwergewichte ausgewählt, denen für die geopolitisch umkämpfte Weltregion des Indopazifiks eine besondere Bedeutung zukommt. Mit Belarus, Kasachstan und Usbekistan wurden Partner Russlands in die Riege der Partnerstaaten aufgenommen, die zudem für die Geschäfte Chinas im Rahmen der Neuen Seidenstraße von großer Bedeutung sind. Schließlich konnte auch die Türkei ihre Ambitionen verwirklichen, in einem weiteren internationalen Forum Anerkennung zu finden. Insgesamt lässt sich ein Muster des Zusammenwirkens von ressourcenstarken Nationen erkennen, das sich in diesem neuen BRICS-plus-Format herausbildet. Für die neuen Partnerländer hat diese Erweiterung nicht nur symbolischen Charakter im Sinne einer Perspektive auf Vollmitgliedschaft, viele knüpfen daran auch Erwartungen an tiefgreifende wirtschaftliche und politische Verbesserungen. Für die BRICS plus wiederum ergibt sich durch diese Zusammenarbeit die Chance auf eine Neugestaltung globaler Handelsnetzwerke, um Lieferketten diversifizieren und die Abhängigkeit von westlichen Finanzsystemen verringern zu können.

Doch die größere Anzahl beteiligter Staaten bringt auch Probleme für die Kohäsion des politischen Auftritts dieser Staatengruppe mit sich. Zwar wurde in der Abschlusserklärung des Kasan-Gipfels Einigkeit deutlich in Bezug auf Multipolarität als Weltordnungsprinzip, ein Eintreten für eine UN-Reform und Kritik am westlichen Sanktionsregime, doch folgt daraus keine größere Konsistenz der politischen Positionen im neuen Partnerspektrum. Trotz der Formulierung von 133 Punkten in der Erklärung bleiben viele Fragen offen. Viele dieser Punkte gehen über Absichtserklärungen kaum hinaus, es gibt keine wirklich bindenden Beschlüsse und keine klare strategische Ausrichtung. Alle neu benannten Staaten haben überdies enge Beziehungen zum Westen. Dies gilt gerade auch für jene Länder, die als mögliche künftige Mitglieder im Gespräch sind, etwa die Türkei oder Vietnam.

Anstatt sich zwischen konkurrierenden geoökonomischen Blöcken zu „entscheiden“, scheinen viele der Partnerländer oder potenziellen Beitrittskandidaten darauf bedacht zu sein, einen Fuß in beide Lager zu setzen. Damit bleibt auch nach dem Kasan-Gipfel das Grunddilemma von BRICS erhalten: Es gibt keine gemeinsame Bereitschaft zur Verteilung der Kosten und Lasten für die angestrebten Projekte, und es fehlt durch gegenseitige Blockaden eine Führungsstruktur, um BRICS plus zu einem maßgeblichen Block in der internationalen Politik auszubauen. Wie in anderen informellen Institutionen mit Clubcharakter werden innere Spannungen nur dadurch zu überwinden sein, dass Themen vermieden werden, die die Mitglieder entzweien. Die rein territoriale Expansion durch erweiterte Mitgliedschaften kann diese Probleme nicht beseitigen, auch wenn sie diese mit der Inszenierung von Gipfeltreffen immer wieder zu übertünchen vermag. So wird die aufstrebende BRICS-Gruppe den Westen zunächst nicht in Verlegenheit bringen. Doch sollte allen westlichen Akteuren deutlich geworden sein, dass es zu wenig ist, diesen Verbund als politisches Leichtgewicht abzutun.

Wir danken Kristina Schnell und Mark Schrolle für ihre Unterstützung bei der Recherche sowie für ihre hilfreichen Kommentare zum ersten Entwurf des Beitrags.

ist Professor für Politikwissenschaft am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik.

ist promovierte Politikwissenschaftlerin und stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik.