Elektrizität ist das Lebenselixier unserer modernen Gesellschaften. Als unverzichtbare Energiequelle für Haushalte und Industrie bildet sie die Grundlage für Lebensqualität und wirtschaftliche Produktivität. Doch in der Allgegenwart der Elektrizität liegt auch ihre Komplexität. Die Aufgabe der Stromwirtschaft liegt darin, eine zuverlässige Versorgung zu gewährleisten. Diese Zuverlässigkeit – eine kontinuierliche und störungsfreie Stromversorgung – wird im Allgemeinen über zwei grundlegende Funktionen definiert:
Um diese Zuverlässigkeit zu gewährleisten, muss das empfindliche Gleichgewicht zwischen den einzelnen Bereichen des Stromsektors – Erzeugung, Übertragung und Verteilung – unter Berücksichtigung der technischen Gegebenheiten gewahrt werden. In den vergangenen zehn Jahren ist diese Aufgabe weitaus komplexer geworden, da neue technische Möglichkeiten und Ansätze hinzugekommen sind, die nicht nur die Dekarbonisierung, sondern auch die Erschwinglichkeit unterstützen. Gleichzeitig müssen die Stromversorgungssysteme den rasant steigenden Strombedarf decken und dynamischer und flexibler werden, um auf akute Schwankungen ebenso reagieren zu können wie auf jahreszeitlich bedingte und langfristige Veränderungen. Nicht zuletzt müssen sich moderne Stromversorgungssysteme an die sich wandelnden Klima- und Wetterbedingungen und das veränderte Verbraucherverhalten anpassen.
Die modernen Stromnetze sind trotz ihrer komplizierten Technik und Steuerung außerordentlich zuverlässig. Das ist nicht zuletzt auch der Erfahrung aus früheren Zwischenfällen zu verdanken, bei denen komplexe Netze ins Wanken geraten sind. Bei einigen dieser Vorfälle kam es zu Stromausfällen, also kurz- oder langfristigen Unterbrechungen der Stromversorgung in einem bestimmten Gebiet.
Im Folgenden befasse ich mich mit verschiedenen Ausprägungen von Stromausfällen und ihren Ursachen. Die Vorfälle sind ernüchternde Beispiele für die Anfälligkeit unserer modernen Stromnetze. In dem Überblick werde ich entscheidende Schwachstellen aufzeigen und mögliche Lösungsansätze diskutieren, die einen Schutz vor massiven Stromausfällen bieten könnten.
Formen von Stromausfällen
Stromausfälle weisen auf Schwachstellen im komplexen Geflecht eines Stromnetzes hin. Dabei ist zwischen verschiedenen Arten von Ausfällen mit jeweils besonderen Merkmalen und Auswirkungen zu unterscheiden. 2020 erstellte die Internationale Energieagentur (IEA) erstmals einen Überblick über die verschiedenen Arten von Stromausfällen, der auch die Zuverlässigkeit der Versorgung im Zusammenhang mit den vielfältigen und intensiven Veränderungen in den weltweiten Stromsystemen berücksichtigt.
Kaskadierende Stromausfälle
Die manchmal auch als „Black System Event“ bezeichneten Ausfälle treten auf, wenn das gesamte System nach einem anfänglichen Ausfall aufgrund der sich verkettenden Leitungsüberlastungen zusammenbricht. Sie sind meist auf Anlagenausfälle oder nicht vorhersehbare Störungen zurückzuführen und haben nur selten mit einem Kapazitätsmangel zu tun. „Wenn Unterbrechungen der Stromversorgung unabhängig von der Ursache auf ein begrenztes Gebiet beschränkt sind, werden sie als ungeplante Unterbrechungen oder Störungen betrachtet“, erklärt die North American Electric Reliability Corporation (NERC), die für die Koordinierung der Stromnetze in Nordamerika zuständig ist. Wenn sich die Ausfälle über einen großen Bereich des Netzes ausbreiten, werden sie als kaskadierende Stromausfälle (cascading blackouts) bezeichnet – ein unkontrollierter, aufeinanderfolgender Ausfall von Netzelementen, der durch ein Ereignis an einem beliebigen Ort ausgelöst wird. Kaskadierende Stromausfälle verursachen „eine weitreichende Unterbrechung der Stromversorgung, die nicht auf ein bestimmtes Gebiet begrenzt werden kann“.
Die Auswirkungen können verheerend sein: „Diese Ereignisse betreffen alle Verbraucher im Netz, mit Ausnahme derer, die über eine Notstromversorgung verfügen. Bevor die Stromversorgung wieder vollständig hergestellt ist, können mehrere Stunden bis Tage vergehen (…). Der gesellschaftliche Schaden ist beträchtlich, da ein Stromausfall viele wichtige Funktionen wie Zahlungssysteme, Telekommunikation und Verkehrsampeln beeinträchtigt.“
Lastabwurf
Ein Lastabwurf (load shed), auch rollierende Abschaltung genannt, ist die kontrollierte – manchmal auch automatische – Abschaltung der Stromversorgung durch den Netzbetreiber. Er dient als Präventivmaßnahme zur Reduzierung der Netzlast, um im Falle eines Versorgungsengpasses das Netzgleichgewicht zwischen Stromerzeugung und -verbrauch zu erhalten. Der Lastabwurf, der häufiger vorkommt als kaskadierende Stromausfälle, umfasst in der Regel eine kontrollierte und zeitlich begrenzte Unterbrechung der Stromversorgung, oft, um Unterspannungszustände, die sich auf das gesamte System auswirken können, abzumildern und Spannungsinstabilität, Spannungseinbrüche oder kaskadierende Stromausfälle zu verhindern. Meist handelt es sich um kurzfristige Abschaltungen von einigen Minuten bis zu wenigen Stunden, bei denen bestimmte Verbrauchergruppen nacheinander, also „rollierend“, vom Netz genommen werden, „um die Nachfrage künstlich zu senken und so Kapazität und Bedarf wieder ins Gleichgewicht zu bringen“.
Langfristige Rationierung
In Regionen, in denen die Stromnachfrage grundsätzlich deutlich höher ist als das Angebot, können die Behörden regelmäßige Lastabwürfe für die Verbraucher einführen, manchmal in einem geplanten Zyklus. Bei einigen langfristigen Rationierungen (long-term rationing) werden 4 bis 10 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs rationiert. Die ständige Notwendigkeit von Lastabwürfen für den Betrieb des Systems ist vor allem in Entwicklungsländern, Ländern mit knappen Ressourcen oder in Kriegsgebieten von Bedeutung. Die makroökonomischen Auswirkungen der anhaltenden Stromrationierung in Südafrika etwa sind ein abschreckendes Beispiel für eine unzuverlässige Stromversorgung.
Ursachen
Die Ursachen für einen Stromausfall sind vielfältig, sie lassen sich jedoch grob in folgende Kategorien einteilen:
Naturkatastrophen
Extreme Wetterereignisse wie Orkane, Tornados, Überschwemmungen und Eisstürme können Stromleitungen und Infrastruktur beschädigen. So war der großflächige Stromausfall in Italien 2003 unter anderem auf Sturmschäden an den Stromleitungen zurückzuführen, die einen Ausfall verursachten und damit eine Kaskade von Störungen nach sich zogen. Auch bei Erdbeben und Waldbränden können Kraftwerke und Übertragungsleitungen beschädigt werden, wodurch die Versorgung abrupt unterbrochen wird. Ein neuerer, aber äußerst besorgniserregender Faktor sind extreme Temperaturen – starker Frost und Hitzewellen. Unter derart extremen Bedingungen sind Stromerzeugung und -übertragung enormen Belastungen ausgesetzt und können nur schwer der gesteigerten Nachfrage nachkommen. Unerwartete Spitzen in der Stromnachfrage können ein Netz überlasten, wenn es nicht ausreichend für einen Lastausgleich gerüstet ist. Das gehäufte Auftreten dieser Ereignisse macht deutlich, dass die Widerstandsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Sicherheit der Stromnetze erhöht werden müssen.
Technische Fehler und menschliches Versagen
Sie sind vielleicht am ehesten vermeidbar, dennoch sind technische und menschliche Fehler häufig Auslöser von Stromausfällen. Ein Stromausfall ist in der Regel das Ergebnis einer Kombination von Fehlern, zu denen auch unzureichende Wartung, mangelnde Voraussicht, ein unzureichendes Verständnis des Systems seitens der Beteiligten oder Versäumnisse der Betreiber und Mitarbeiter gehören. Dazu kommt, dass die eigentliche Ursache oft noch durch weitere der genannten Faktoren verstärkt wird. Derartige Vorfälle unterstreichen, wie wichtig robuste Wartungssysteme, eine angemessene Schulung der Mitarbeitenden und die Einführung fortschrittlicher Überwachungs- und Kontrollsysteme sind, um zukünftige Ausfälle zu vermeiden.
Ausfälle der Infrastruktur
Zu den Infrastrukturausfällen, die häufiger großflächige Stromausfälle auslösen, gehören der Ausfall von Übertragungsleitungen, unterbrochene Leitungen (beispielsweise durch umgestürzte Bäume), Ausfälle von Umspannwerken und Kraftwerksausfälle. Ein großes Problem bei alternden oder veralteten Netzen sind Ausfälle ihrer Komponenten. Die Netzstabilität ist ebenfalls ein wachsendes Problem, vor allem, wenn neue volatile Energieträger wie Windkraft oder Solarenergie und technische Veränderungen wie Batteriespeicher oder eine Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung hinzukommen, die im Rahmen der Energiewende notwendig sind. Die jüngsten Stromausfälle zeigen, wie wichtig der Zustand der Infrastruktur für die Zuverlässigkeit der Stromnetze ist. Regelmäßige Inspektionen, Wartungen und Nachrüstungen sind unerlässlich, um künftige Ausfälle zu verhindern und die Widerstandsfähigkeit gegenüber gewöhnlichen und außergewöhnlichen Belastungen zu erhöhen.
Die jüngsten Ereignisse haben zudem die Einführung neuer Technologien beschleunigt, etwa von dynamischen Leitungskapazitäten, flexiblen Wechselstromübertragungssystemen oder der Optimierung der Übertragungstopologie, beispielsweise durch Möglichkeiten einer Neukonfiguration, um überlastete Anlagen zu umgehen. Sie alle könnten dazu beitragen, das Netz „stärker, intelligenter, sauberer, dynamischer und sicherer“ zu machen.
Cyberangriffe und Terrorismus
Sie kommen glücklicherweise nicht allzu häufig vor, doch auch Sabotageakte oder Cyberangriffe auf das Stromnetz können Stromausfälle verursachen. So geht man etwa davon aus, dass die ungeplanten Stromausfälle bei drei regionalen ukrainischen Stromversorgungsunternehmen am 23. Dezember 2015 auf synchronisierte und koordinierte Cyberangriffe aus dem Ausland zurückzuführen waren. Nach dem Vorfall wurde weltweit verstärkt in die Cybersicherheit investiert, um kritische Infrastrukturen vor Hackerangriffen und Cyberattacken zu schützen.
Politische und regulatorische Gründe
Auch energiepolitische Maßnahmen oder Marktmechanismen können unbeabsichtigt zu Stromausfällen führen. Unzureichende Koordination zwischen Regionen oder fehlende Investitionen in die Netzmodernisierung verursachen Schwachstellen, die Stromausfälle auslösen können. Die jüngsten Vorfälle haben deutlich gemacht, dass langfristige Planungen und Investitionen notwendig sind, um die Stromnetze zu modernisieren und ihre Widerstandsfähigkeit und Zuverlässigkeit zu erhöhen.
Folgen und Auswirkungen
Die Fallbeispiele demonstrieren eine ganze Reihe gravierender Folgen und vielschichtiger Auswirkungen.
Wirtschaft
Stromausfälle bringen meist erhebliche finanzielle Verluste mit sich. Je nach Ausmaß und Art werden diese von staatlicher Seite, von Versorgungsunternehmen, Versicherungsgesellschaften, Privathaushalten, Unternehmen oder der Industrie getragen. Indirekt untergraben Stromausfälle das Vertrauen der Verbraucher in die Versorgungssicherheit und wirken sich negativ auf die Wirtschaftstätigkeit aus. Zudem können Präventivmaßnahmen zur Verhinderung weiterer Ausfälle eine erhebliche finanzielle Belastung für die Steuer- und Gebührenzahler sein. Beispielsweise beliefen sich die wirtschaftlichen Gesamtkosten des Northeast Blackout von 2003 auf rund 10 Milliarden US-Dollar, was 2023 rund 16 Milliarden US-Dollar entspricht.
Öffentliche Sicherheit, Gesundheit und Gesellschaft
Natürlich ist auch der Mensch an sich von Stromausfällen stark betroffen. Stromausfälle können zu Beeinträchtigungen im Gesundheitswesen führen, Notfalleinsätze verzögern, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung unterbrechen, die Lebensmittelsicherheit gefährden und Menschenleben bedrohen, insbesondere bei extremen Wetterereignissen. Während der Stromausfälle im Zusammenhang mit dem Wintersturm Uri 2021 starben insgesamt 200 Menschen. Die Ursachen reichten von Unterkühlung und Kohlenmonoxidvergiftungen über den Ausfall medizinischer Geräte bis hin zu Unfällen. Bei einem großflächigen Zusammenbruch des indischen Stromnetzes 2012 blieben Züge auf freier Strecke stehen, Krankenhäuser und Notdienste konnten nur noch eingeschränkt arbeiten, und die Wasserversorgung war unterbrochen. Dieser bisher größte Stromausfall der Geschichte, bei dem bis zu 600 Millionen Menschen für ein bis zwei Tage ohne Strom blieben, verdeutlicht einmal mehr die Notwendigkeit eines besseren Netzmanagements und einer robusteren Infrastruktur.
Umwelt
Bei Stromausfällen greifen Unternehmen und Einrichtungen häufig auf mit Diesel betriebene Notstromaggregate zurück, was zu einem Anstieg der Stickoxid- und Feinstaubemissionen führen kann. Aus Sicherheitsgründen ist überdies bei einem Stromausfall in Ölraffinerien und petrochemischen Anlagen das Abfackeln von Abgasen erforderlich. Kernkraftwerke wiederum sind bei sicherheitsrelevanten Maßnahmen wie etwa der Kühlung auf das Stromnetz angewiesen, verfügen aber alle über Notstromdieselgeneratoren mit einem Vorrat von bis zu 15 Tagen Brennstoff. Dennoch führte ein Stromausfall 2011 in Japan zu einer teilweisen Kernschmelze im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi.
Politik und Steuerung
Da Stromausfälle Schwachstellen in der kritischen Infrastruktur eines Landes aufzeigen, werden im Anschluss häufig umfangreiche Untersuchungen durchgeführt, bei denen unter anderem die Ursachen ermittelt werden und der Katastrophenschutz überprüft wird. Aus den Empfehlungen ergeben sich oft neue Regulierungsvorgaben, strengere Zuverlässigkeitsstandards und Richtlinien für eine striktere Kontrolle der Versorgungsunternehmen.
Beispielsweise führte der große Stromausfall von 1965 im Nordosten der USA und in Teilen Kanadas zur Gründung der North American Electric Reliability Corporation und regionaler Gremien, die sich um die Zuverlässigkeit der Stromversorgung kümmern sollen.
Zukünftige Herausforderungen
Da die Energiewende immer mehr an Fahrt gewinnt, muss sich die Stromwirtschaft mit erheblichen neuen Herausforderungen auseinandersetzen. Laut IEA sollte sie sich auf einen bereits jetzt spürbaren Elektrifizierungsschub einstellen, der durch die Dekarbonisierungsbestrebungen der energieintensiven Industrien weiter vorangetrieben wird. Die in Paris ansässige Organisation prognostiziert in ihrem „World Energy Outlook“, dass die Stromnachfrage auf Grundlage der derzeit ergriffenen Maßnahmen und Initiativen (Stated-policies-Szenario) bis 2050 um mehr als 80 Prozent gegenüber dem heutigen Stand ansteigen wird. Bei einem „Netto-Null“-Szenario geht sie hingegen von einer Zunahme um 150 Prozent aus.
„Da frühere Formen der Energieerzeugung zunehmend ersetzt werden, ist ein grundlegender Wandel beim Verständnis der Erzeugungskapazität, der Energieversorgung und des Bedarfs erforderlich“, erklärte die NERC kürzlich. Dies wird sich in einem dreistufigen Ansatz niederschlagen: einer langfristigen Planung zur Gewährleistung der Energie- und Versorgungszuverlässigkeit, der operativen Planung zur Deckung des Bedarfs in naher Zukunft und bei unvorhergesehenen Ereignissen sowie einer Planung im Echtzeitbetrieb für unmittelbare Systemanforderungen. „Mehr denn je müssen die Industrie, die Energieregulierungsbehörden auf Bundes-, Landes- und regionaler Ebene und die politischen Entscheidungsträger zusammenarbeiten, um ein zuverlässiges, widerstandsfähiges und sicheres Netz zu gewährleisten.“
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Pforzheim