„Morgen ist es zu spät“, mahnt der Untertitel des 2012 erschienenen Bestseller-Romans „Blackout“ von Marc Elsberg.
„Morgen ist es zu spät“ könnte ebenso ein politischer Slogan sein. Im gegenwärtigen politischen Diskurs erscheint die Zukunft kaum noch als positiv konnotierter Gestaltungs- und Möglichkeitsraum. Vielmehr ist parteiübergreifend das Versprechen zur Maxime geworden, das Schlimmste zu verhindern und kommende Katastrophen abzuwenden.
Ein Blackout lässt sich als längerer und großflächiger Zusammenbruch des Stromnetzes definieren. Dies unterscheidet ihn von kleineren Stromausfällen und gezielten Netzabschaltungen zur Stabilisierung des Stromnetzes. Charakteristisch für den Zugriff auf das Thema Blackout durch die politische Rechte in Deutschland sind zwei Zuspitzungen: Erstens führe die Energiewende unweigerlich zu einem Blackout. Im rechten Diskurs steht der Blackout zweitens für bürgerkriegsähnliche Zustände und damit auch für ein umfassendes Versagen der etablierten Politik, die Bürger:innen zu schützen. Auf diese Weise verbinden Akteur:innen aus dem rechten Spektrum das Thema Energie mit ihren Positionen in der Klima-, Außen- und Migrationspolitik. So legitimiert etwa die AfD mit Verweis auf einen Blackout den sofortigen Stopp der Energiewende, die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und radikale Maßnahmen zur Migrationsabwehr. Da die meisten Alltagsroutinen mit dem Verbrauch von Strom einhergehen, eignet sich das Blackout-Szenario besonders gut, um rechte Positionen alltagsnah und alltagsrelevant zu vermitteln.
Wir befassen uns im Folgenden mit der Bedeutung des Blackouts für rechte Politik. Dabei stützen wir uns auf ethnografische Feldforschung sowie Recherchen im Umfeld der politischen Rechten und im Kontext des Preppens.
2022: Blackout als Politikum
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich eine breite Öffentlichkeit – jedoch mit kontroversen Einschätzungen und Befürchtungen – mit dem Phänomen „Blackout“ und seinen etwaigen Folgen beschäftigt. „Droht Deutschland im Winter der Strom-Blackout?“, war etwa in der „Berliner Morgenpost“ im Sommer 2022 zu lesen.
Wie schon die Corona-Pandemie verschaffte auch der Blackout-Diskurs dem Thema private Krisenvorsorge große Aufmerksamkeit. Im März 2022 erschien erstmalig die Zeitschrift „Blackout. Das Magazin zur Krisenvorsorge“, die praktische Tipps und Testberichte zu Produkten wie Powerbanks, Gaskochern oder Kurbelradios präsentierte. Auch das im Jahr zuvor vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) herausgegebene Buch „Kochen ohne Strom“ erfreute sich großer Nachfrage.
Trotz des mittlerweile vollzogenen Atomausstiegs hat die politische und mediale Beschäftigung mit einem Blackout-Szenario 2023 stark abgenommen.
Blackout vs. Klimakrise
Die möglichen Ursachen für einen Blackout sind vielfältig: Naturkatastrophen, Cyberangriffe, Schäden an der Energieinfrastruktur, ein Mangel, aber auch ein Überschuss an Strom im Netz. Ein wissenschaftlicher Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag von 2010 hielt kürzere und kleinräumigere Stromausfälle für möglich, stufte die Wahrscheinlichkeit für längere und großflächige Stromausfälle jedoch als äußerst gering ein.
Hingegen behauptet die AfD in ihrer Kampagnenarbeit einen kausalen Zusammenhang zwischen Energiewende und Blackout. Mit deren „fortschreitender Umsetzung“ werde die Wahrscheinlichkeit für einen Blackout immer größer, heißt es in einer 2022 erschienenen Broschüre der Thüringer AfD. „Die Frage ist nicht ob, sondern wann es passiert“, steht dort fettgedruckt auf der Vorderseite.
Die AfD ist die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die den menschengemachten Klimawandel grundsätzlich infrage stellt. Sie fordert den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und mobilisiert gegen klimapolitische Maßnahmen. Schon 2019 erklärte der frühere Parteivorsitzende Alexander Gauland die „Kritik an der sogenannten Klimaschutzpolitik“ zum dritten großen Thema der Partei.
Mit ihrem Blackout-Diskurs positioniert sich die AfD als Verfechterin einer vermeintlich sachorientierten und unideologischen Politik zum „Wohl der Deutschen“. Gleichzeitig dient ihr der Blackout dazu, die politische Gegenseite der Verantwortungslosigkeit zu bezichtigen und sich selbst als einzig verantwortungsvolle Alternative ins Spiel zu bringen. Während die Politik der Energiewende Deutschland geradewegs in die Katastrophe führe, gebe es Energiesicherheit und gesellschaftliche Ordnung nur mit der AfD. Es ist ein Versuch, die gesellschaftliche Problemwahrnehmung zu verschieben: Die wahre Bedrohung gehe nicht von der Klimakrise, sondern von der Klimaschutzpolitik aus. Die Warnung vor der Blackout-Katastrophe funktioniert somit als Gegennarrativ zur Klimakatastrophe.
Bezeichnend ist, dass die AfD eine große Gefahr für die Energieversorgung und die öffentliche Sicherheit verschweigt: rechtsterroristische Gruppierungen. 2022 wurden die Aktivitäten der Gruppe „Patriotische Union“ öffentlich, die mittels Anschlägen auf das Stromnetz einen Blackout samt bürgerkriegsähnlicher Zustände und in der Folge einen politischen Umsturz herbeiführen wollte. Die Gruppe plante zudem die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Unter den über sechzig Beschuldigten befindet sich unter anderem die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Die Parteispitze gab sich in der Angelegenheit wortkarg, andere Vertreter:innen bezeichneten die Ermittlungen als „Inszenierung“ und „Vertuschungsversuch“ oder zogen die Anschlagspläne ins Lächerliche.
Blackout als Sicherheitsproblem
Der Blackout knüpft auch an ein Kernmotiv rechter Politik an: die Sicherheit Deutschlands und „der Deutschen“. Dies hat sowohl eine außenpolitische als auch eine innenpolitische Dimension.
„Kein Strom, kein Gas, kein Frieden“, lautete der Titel einer Sonderausgabe des „Compact Magazins“ 2022.
Zugleich entwirft der rechte Diskurs den Blackout als innenpolitischen Ordnungsverlust und als unmittelbare Gefährdungslage. In einer Bundestags-Drucksache warnte die AfD-Bundestagsfraktion vor „dramatischen Folgen für Leib und Leben“ und sieht den „Bestand von Staat und Gesellschaft“ gefährdet.
Das Blackout-Szenario fügt sich erstens in ein rassistisches Deutungsmuster ein, welches Kriminalität ethnisiert und ausschließlich auf Migration zurückführt. Die Gleichsetzung von Blackout und Bürgerkrieg knüpft zweitens an die in rechtsextremen Kreisen verbreitete Vorstellung eines bevorstehenden oder bereits latenten Bürgerkriegs zwischen „Deutschen“ und „Ausländern“ an.
Die AfD nutzt das Thema Blackout, um verschiedene Bedrohungsszenarien ineinanderzuschieben. Gleichzeitig bündelt sie damit ihre langjährigen Kernanliegen in der Klima-, Außen- und Migrationspolitik und ruft zum „nationalen Widerstand“ gegen „die da oben“ auf.
Politisierung des Alltags
Der Verbrauch von Strom ist fester Bestandteil zahlreicher Alltagsgewohnheiten: Man drückt den Lichtschalter, greift in den Kühlschrank, wirft einen Blick auf den Bildschirm oder wartet bei Rot an der Ampel. Strom ist aus unseren Alltagsroutinen nicht wegzudenken. Umgekehrt bedeutet dies, dass ein Stromausfall, je nach Dauer, mit einem Verlust von Normalität und Alltäglichkeit einhergeht. Aus dieser Störung des alltäglichen Lebens ergibt sich sowohl die Dramatik des Blackout-Szenarios als auch dessen Potenzial als lebensnahes politisches Thema.
Die Vorbereitung auf einen möglichen Blackout mittels Notvorräten macht aus einer bloßen Geschichte über ein in der Zukunft liegendes Bedrohungsszenario eine praktische Angelegenheit der alltäglichen Lebensführung. Private Krisenvorsorge hat den Effekt, dass die antizipierte Bedrohung in Form von Konservendosen, Wasserkanistern und Fluchtrucksäcken im eigenen Alltag sicht- und greifbar wird. Krisenvorsorge bietet somit das Potenzial für rechte Akteur:innen, die Vorstellung eines baldigen Politik- und Staatsversagens im Alltag zu verankern. Dies mag das rechte Interesse daran erklären. So verbreitet etwa das „Compact Magazin“ praktische Tipps und Literaturempfehlungen zu diesem Thema.
Idealtypisch lassen sich zwei Formen privater Krisenvorsorge unterscheiden: Die Empfehlungen des BBK basieren auf der Idee, dass Bürger:innen eigenverantwortlich einen Beitrag leisten, um die Behörden und Einsatzkräfte im Katastrophenfall zu entlasten.
Schluss
Blackout ist nicht gleich Blackout. Je nach Kontext werden damit verschiedene Ursachen, Folgen und Bedeutungen assoziiert. Der rechte Blackout-Diskurs handelt nicht von einem unwahrscheinlichen technischen Versagen oder Unfall, sondern von einer Klimaschutzpolitik, die zu einer unmittelbaren Gefahr für Deutschland und „die Deutschen“ wird und in den gesellschaftlichen Abgrund führt. Die AfD begreift den Blackout als Ausdruck einer Politik, die sich gegen das „Wohl des Volkes“ richtet und schließt ihn damit an den rechtspopulistischen Gegensatz von „Elite“ und „Volk“ an.
Indem der rechte Diskurs einen Blackout mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen gleichsetzt, zementiert er den rassistischen Gegensatz zwischen „Deutschen“ und „Un-Deutschen“.
Als scheinbar rein technisches Thema birgt der Blackout ein erhebliches Potenzial, rechtsextreme, insbesondere rassistische und demokratiefeindliche, Positionen durch die Hintertür zu normalisieren. Gerade der vom Verfassungsschutz beobachteten AfD hilft das Thema Energieversorgung, sich als Vertreterin einer nüchternen und sachkompetenten Politik zu inszenieren. Auch wenn das Blackout-Szenario vorerst an politischer Brisanz verloren hat, dürfte es zur Konsolidierung der AfD in der gegenwärtigen politischen Landschaft beigetragen haben.