Deutschland hat eines der weltweit stabilsten elektrischen Energiesysteme.
Zur Beantwortung dieser Frage ist es zunächst wichtig, den schillernden Begriff „Blackout“ einzuordnen. Ein Blackout ist ein großer Stromausfall – aber nicht jeder Stromausfall ist ein Blackout. Zwar gibt es keine einheitliche Definition dafür, ab welcher räumlichen Ausdehnung und Dauer man von einem Blackout spricht, doch müssen zumindest die folgenden drei Merkmale gleichzeitig erfüllt sein:
Der Stromausfall ist so großflächig, dass das betroffene Gebiet nicht mehr ausreichend durch die angrenzenden nicht betroffenen Gebiete versorgt werden kann.
Der Stromausfall dauert so lang, dass er schwerwiegende gesellschaftliche und ökonomische Schäden verursacht.
Der Stromausfall ist ungeplant. Die für die sichere Stromversorgung zuständigen Netzbetreiber verlieren zumindest eine Zeit lang die Kontrolle über das Geschehen im Stromnetz.
Einen Blackout in diesem Sinne hat es im Nachkriegsdeutschland bisher nicht gegeben. Sollte jedoch ein solcher Fall eintreten, hätte er – abhängig von seiner Dauer und räumlichen Ausdehnung – mitunter gravierende Folgen für die Gesellschaft: Bereits nach einigen Stunden könnten erhöhte Todes- und Verletztenzahlen auftreten, weil Rettungsdienste oder die Polizei ohne funktionierendes Telefonnetz nicht gerufen werden könnten. Nahrungsmittel für Kleinkinder können nur noch eingeschränkt bereitgestellt werden.
Nach mehr als 24 Stunden wäre auch die Lebensmittelversorgung deutlich eingeschränkt. Bei einem mehrtägigen Stromausfall käme es zu gehäuften Todesfällen in Pflegeheimen – unter anderem, weil die Versorgung mit Medikamenten eingeschränkt ist, Bewohner*innen unterkühlen und Pflegekräfte nicht mehr zur Arbeit kommen können, wenn die öffentliche Verkehrsinfrastruktur und Tankstellen nicht mehr betrieben werden können. In landwirtschaftlichen Betrieben würde ein Massensterben von Nutztieren beginnen.
Aber: Die hier skizzierten Folgen treten nicht bei kurzen und räumlich begrenzten Stromausfällen auf. Mehrstündige Stromausfälle, die auf ein kleines Gebiet, zum Beispiel wenige Straßenzüge, beschränkt sind, treten in Deutschland fast täglich auf.
Ursachen für Blackouts und Stromausfälle
Gleichzeitiges technisches Versagen einer Vielzahl von Betriebsmitteln der Stromversorgung – Leitungen, Transformatoren, Schaltanlagen oder Kraftwerke –, Wetterextreme, hohe Krankenstände aufgrund einer Pandemie, menschliches Versagen und Sabotage, Terrorismus oder Kriege können zu größeren Stromausfällen oder, im schlimmsten Fall, zu einem Blackout führen.
Blackout in Deutschland?
Aktuell ist in Deutschland das Risiko eines Blackouts aufgrund einer Unterversorgung mit Energie gering.
Was ist für die Zukunft zu erwarten? Im Zuge der Energiewende wird und muss sich die Stromversorgung zügig ändern – um die Energieversorgung zu dekarbonisieren, aber auch, um die Abhängigkeit von Energieimporten wie etwa Erdgas zu verringern. Eine hohe Anzahl an Windenergie- und Photovoltaikanlagen liefert dann den Großteil der Energie und ersetzt die fossilen und nuklearen Großkraftwerke. Dass dies nicht zwangsläufig zu Einbußen bei der Versorgungsqualität führt, zeigen die vergangenen 30 Jahre: Im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien auf 45 Prozent der Nettostromerzeugung hat sich die Versorgungsqualität nicht verringert.
Im Unterschied zur Gegenwart wird zukünftig das Zusammenspiel einer Vielzahl von kleinen, dezentralen Erneuerbare-Energie-Anlagen (EE-Anlagen) und Energiespeichern eine zuverlässige Stromversorgung sicherstellen. Zudem kommen weitere Akteure hinzu: Gegenwärtig wirken vor allem die Erzeuger großer Leistungsmengen, also Betreiber von Großkraftwerken oder einer großen Anzahl von EE-Anlagen, sowie Netzbetreiber und Betreiber großer Energiebörsen auf die Stabilität des Energiesystems ein. In Zukunft werden auch andere Akteure eine Rolle spielen, zum Beispiel Betreiber von Ladeinfrastrukturen, Prosumer, Unternehmen, die sich auf die Bündelung und Vermarktung von Flexibilitäten als Dienstleistung fokussiert haben, sogenannte Aggregatoren, oder Betreiber von Softwareplattformen wie Fahrzeughersteller oder Smart-Home-Serviceanbieter. Die Koordination der vielen Anlagen und Betreiber lässt sich nur mittels Automatisierung und Digitalisierung bewerkstelligen.
Klar ist: Die geschilderte Dezentralisierung und die zunehmende Digitalisierung des Energiesystems wirken sich auch auf das Risiko eines Blackouts aus.
Es gibt aber auch Risiken, die im zukünftigen System relevanter werden. Die aktuellen Gesetze und Verordnungen zur Sicherung der Stromversorgung gehen auf diese Veränderungen noch nicht ausreichend ein. Mögliche neue oder unter diesen Bedingungen verschärfte Risikoursachen für einen Blackout sind die Folgenden:
Kleine, aktiv steuerbare Erzeugungs- und Speicheranlagen werden zukünftig systemrelevant für die Energieversorgung. Werden sie mittels Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zeitgleich angesteuert und zum Beispiel je nach Bedarf an- oder abgeschaltet, kann dies zur Stabilisierung des Netzes beitragen; bei bösartiger Absicht oder im Fehlerfall kann das unerwünschte zeitgleiche An- und Abschalten einer großen Zahl von Anlagen aber auch zur Destabilisierung führen. Gleiches gilt für elektrische Verbraucher, vom Fahrzeug über die Wärmepumpe bis zum Kühlschrank, die zunehmend durch das Internet ansprechbar werden.
Fehlfunktionen in den Systemen der IKT können zu massiven Bedrohungen führen und sie anfällig für Cyberattacken machen. Mögliche Ziele wären Hersteller von Wechselrichtern für EE-Anlagen, um über die ans Internet angeschlossenen Wechselrichter Zugriff auf die EE-Anlagen zu erlangen. Auch Angriffe auf Betreiber von IT-Plattformen, auf denen eine ausreichend große Leistungsmenge kommunikationstechnisch angesteuert werden kann, oder eine Attacke, die sich direkt auf eine sehr große Anzahl dezentraler Anlagen richtet, wären denkbar. So könnten Sabotagen auf die Stromversorgung koordiniert werden, die sich von bekannten Störungen stark unterscheiden.
Die erhöhte Komplexität des künftigen Energiesystems wird es schwieriger machen, das Netzgeschehen zu analysieren. Das hat auch Folgen für den operativen Netzbetrieb. Werden in Zukunft Anlagen und Geräte mehr und mehr digital angebunden und durch Algorithmen gesteuert, häufig unter Nutzung Künstlicher Intelligenz, könnten Verhaltensmuster gebildet werden, die nicht vorhersehbar sind, etwa ein synchronisiertes An- oder Abschalten von Geräten. Man spricht hier auch von einem „emergenten Verhalten“.
Neue Ungewissheiten erschweren es, ein zukunftssicheres elektrisches Energieversorgungssystem optimal zu planen und umzusetzen. Technischer Aufbau, Prozesse, Richtlinien, Standards und Regulierung werden immer auf Grundlage von expliziten und impliziten Annahmen über die Zukunft erschaffen oder angepasst – die europäische Energiezukunft birgt jedoch einige Ungewissheiten, die sich als problematisch erweisen könnten. Dies gilt insbesondere, wenn bei der Weiterentwicklung des Energiesystems sogenannte Pfadabhängigkeiten geschaffen werden, also durch einmal getroffene Entscheidungen Hürden aufgebaut werden, die den späteren Umstieg auf eine andere Option erschweren oder verhindern. Diese könnten eine spätere Anpassung an überraschende Entwicklungen erschweren, weil zum Beispiel langwierige Umrüstungsprozesse notwendig wären.
Um das zukünftige klimafreundliche, dezentralisierte und digitalisierte Energiesystem möglichst widerstandsfähig und versorgungssicher zu gestalten, gilt es, den oben genannten Risikoursachen aktiv zu begegnen und nicht abzuwarten, bis der Fall der Fälle eingetreten ist. Dennoch bleibt das Restrisiko eines mehrtägigen großflächigen Blackouts auch in einem widerstandsfähigen Energiesystem immer bestehen und muss daher in Konzepten des Katastrophenschutzes berücksichtigt werden.
Handlungsfelder für Politik und Gesellschaft
Das heutige Energiesystem ist deshalb so sicher und zuverlässig, weil umfangreiche Risikoanalysen, Erfahrungswissen und Lehren aus der Vergangenheit genutzt wurden, um Schwachstellen zu beseitigen. Der wichtigste Baustein ist dabei Redundanz: Es bestehen erhebliche Überkapazitäten bei den Kraftwerken, die Übertragungsnetze sind nach dem „n-1-Prinzip“ ausgelegt – es gibt also immer eine Leitung mehr, als im ungestörten System gebraucht wird, damit bei Ausfall einer Leitung eine Ersatzleitung zur Verfügung steht.
Jedoch müssen die bisherigen Ansätze ergänzt werden, um auch die zukünftigen Blackout-Risiken bewältigen zu können. In solchen Situationen hat sich das Konzept der Resilienz bewährt: Ziel ist es, auch solche Störereignisse mit möglichst geringem Schaden zu überstehen, deren verlustfreie Abwehr nicht vorab geplant und im Systemdesign berücksichtigt werden kann. Eine resiliente Stromversorgung besitzt die Fähigkeit, ein Störereignis unbeschadet abzufangen oder zumindest in kurzer Zeit mit möglichst geringem Schaden und zu vertretbaren Kosten wieder in den normalen Betriebszustand zurückzukehren – sogar, wenn das Ereignis überraschend oder neuartig ist.
Die genannten Risikoursachen spielen gegenwärtig noch eine geringe Rolle, werden in Zukunft aber deutlich zunehmen. Deshalb gilt es, potenziellen Risiken durch wirksame Maßnahmen bereits jetzt zu begegnen und vorzusorgen. Aktivitäten in den folgenden vier Handlungsfeldern können dazu beitragen.
Dezentralität nutzen: Dezentrale Anlagen wie Windräder, Photovoltaik oder Batteriespeicher können dazu beitragen, dass Störereignisse keine oder deutlich weniger gravierende Auswirkungen haben. Im Falle eines größeren Stromausfalls können sie im Notbetrieb eine regionale Versorgung innerhalb eines Netzgebietes im sogenannten Inselbetrieb sicherstellen.
Es könnten zum Beispiel Teile kritischer Infrastrukturen wie Krankenhäuser oder Rettungsdienste bevorzugt mit Strom versorgt werden, bis die allgemeine Stromversorgung wieder hergestellt ist. Um diesen systemdienlichen Einsatz dezentraler Anlagen zu ermöglichen, sind sowohl Forschung und Entwicklung als auch neue gesetzliche Regelungen, technische Prozesse und Standards erforderlich. Sichere und sichernde Digitalisierung gestalten: Auf europäischer und nationaler Ebene gibt es bereits umfangreiche Maßnahmen zur Erhöhung der IT-Sicherheit.
Diese sollten auf ihre Effizienz und Effektivität bezüglich der Resilienz des Energiesystems geprüft und durch weitere Maßnahmen ergänzt werden, falls sie bestimmte Risiken nicht abdecken. Gesetzliche Vorgaben zur IT-Sicherheit sollten auch auf Akteure zielen, die nicht der eigentlichen Energieversorgung zuzurechnen sind, aber einen großen Einfluss auf die Sicherheit der Stromversorgung haben könnten, etwa Hersteller von E-Fahrzeugen oder Smart-Home-Systemen. Öffentlichkeit einbinden: Im zukünftigen Energiesystem werden Privatakteure eine viel aktivere Rolle einnehmen: Als Prosumer können sie ihren Verbrauch und gegebenenfalls die Einspeisung ins Netz aktiv managen und so zur Steigerung der Resilienz beitragen. Dafür ist gesellschaftlich zu verhandeln, inwieweit beispielsweise Netzbetreiber zur Stabilisierung der Versorgung auf Prosumer-Anlagen zugreifen dürfen und welche Daten in Haushalten erhoben werden sollten, um Verbrauchsprognosen zu verbessern. Regeln und Anreize hierfür sollten in transparenten Verfahren mit Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger*innen erarbeitet werden.
Resilienzstrategie mit Monitoring: Ein institutionalisiertes, unabhängiges Monitoring sollte regelmäßig evaluieren, ob sich die verfolgte nationale Resilienzstrategie als effektiv, effizient und weiterhin adäquat erweist und ob während der Umsetzung unerwünschte Pfadabhängigkeiten oder unerwünschte Nebeneffekte entstanden sind. Als notwendige Voraussetzung braucht es hierfür einen möglichst europäisch abgestimmten Ordnungsrahmen, der es erlaubt, Resilienz zu quantifizieren.
Um die Stromversorgung auch zukünftig auf gewohnt hohem Niveau halten und Blackouts vermeiden zu können, gilt es, die Entwicklung verschiedener Risikoursachen sorgfältig im Blick zu behalten. So ist insbesondere das Ineinandergreifen von Dezentralisierung durch die Energiewende und Digitalisierung eine Weiterentwicklung des Energiesystems, die es aufmerksam zu begleiten gilt. Richtig umgesetzt, wird eine aktiv gestaltete Digitalisierung in Verbindung mit dezentralen erneuerbaren Energien die Resilienz des Systems sogar erhöhen und somit die Blackout-Gefährdung weiter verringern.