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Marktferne Eigentumsmodelle | Bauen und Wohnen | bpb.de

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Marktferne Eigentumsmodelle Potenziale und Grenzen gemeinwohlorientierter Immobilienentwicklung

Corinna Hölzl Henning Nuissl

/ 14 Minuten zu lesen

Marktferne Immobilienakteure können der Anspannung auf den Wohnungsmärkten entgegenwirken, da sie moderatere Bewirtschaftungsstrategien verfolgen als die renditeorientierte Wohnungswirtschaft. Doch auch gemeinwohlorientierte Modelle stoßen mitunter an Grenzen.

Vielerorts ist unübersehbar, dass der Wohnungsmarkt nicht in der Lage ist, in ausreichendem Umfang Wohnraum zur Verfügung zu stellen, der für alle Teile der Bevölkerung erschwinglich ist. Entsprechend sind in vielen größeren Städten Europas sowohl zivilgesellschaftliche Initiativen als auch kommunale Programme zur Förderung des nicht marktorientierten Wohnungsmarktsegments entstanden. Parallel dazu hat sich in den Housing Studies eine lebhafte Diskussion um (neue) marktferne Eigentumsmodelle sowie politische Maßnahmen zur Förderung von dauerhaft dekommodifiziertem Wohnen entwickelt. Diese Diskussion wird von unterschiedlichen Akteursgruppen geführt – in Deutschland meist unter der Überschrift einer "gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung" – und wird, neben generellen Aufrufen zur konsequenten Dekommodifizierung des Wohnens, von konkreten Vorschlägen zur Regulierung des Mietwohnungsmarkts begleitet.

Wenn in der internationalen Literatur zur gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung Good-Practice-Beispiele diskutiert werden, wird nicht selten auf Deutschland verwiesen. Denn auch wenn der Schwerpunkt der deutschen Wohnungspolitik traditionell auf Anreizen für privatwirtschaftlichen Wohnungsbau sowie der Förderung von Wohneigentum liegt, ist der Anteil von Wohnungen im Besitz öffentlicher Wohnungsunternehmen und großer Genossenschaften hierzulande vergleichsweise hoch. So ist mit 4,7 Millionen Wohnungen knapp ein Viertel aller deutschen Geschosswohnungen im Besitz kommunaler und öffentlicher Wohnungsunternehmen (12,5 Prozent) oder Wohnungsgenossenschaften (10,1 Prozent). Neben diesen beiden Vermietungstypen spielen jüngere marktferne Eigentumsmodelle eine wachsende Rolle, insbesondere Neugründungen von Wohnungsgenossenschaften, Bodenstiftungen und die Beteiligungsgesellschaft "Mietshäuser Syndikat". Quantitativ sind diese neuen Akteure am Wohnungsmarkt zwar noch relativ unbedeutend, sie zeichnen sich jedoch durch eine überaus dynamische Entwicklung aus. Wegen ihrer internen Organisation und ihrer rechtlichen Verfasstheit wird ihnen häufig ein hohes wohnungspolitisches Innovationspotenzial sowie eine Korrektivfunktion für Dysfunktionalitäten des Wohnungsmarkts zugeschrieben.

Im Folgenden beleuchten wir die potenzielle Bedeutung solcher Immobilienakteure für die Versorgung mit Wohnraum etwas näher. Die Bundeshauptstadt Berlin, wo die Anspannung auf dem Wohnungsmarkt seit geraumer Zeit stetig zunimmt, wo sich aber auch eine diverse Eigentumsstruktur auf dem Mietwohnungsmarkt findet, dient uns dabei als Fallbeispiel. An diesem wird der in der Wohnungsforschung kaum systematisch untersuchten Leitfrage nachgegangen, inwiefern öffentliche, genossenschaftliche und zivilgesellschaftliche Immobilieneigentümer*innen verschiedenen Bevölkerungsgruppen einen Zugang zu langfristig bezahlbarem Wohnraum eröffnen und damit zur Entspannung von Wohnungsmärkten und zur Reduzierung von Verdrängungsrisiken beitragen können.

Das Beispiel Berlin

Gut 30 Prozent des Berliner Mietwohnungsbestands gehören institutionellen Vermieter*innen, deren primäres Ziel nicht die Erwirtschaftung einer möglichst hohen Rendite ist. Diesen Bereich des Wohnungsmarkts definieren wir als "marktfern". Mit rund 323000 Wohnungen verteilt sich der größte Teil dieser marktfernen Bestände auf die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen (gut 19 Prozent); weitere 188000 Wohnungen (etwa 11 Prozent) gehören den mehr als 100 Berliner Wohnungsgenossenschaften; der Rest befindet sich in den Händen anderer Immobilienakteure (Tabelle). In der vielfältigen Genossenschaftsszene Berlins lassen sich sehr grob zwei Typen von Wohnungsgenossenschaften unterscheiden: größere Traditionsgenossenschaften mit mindestens 5000 Wohnungen und jüngere, kleinere Genossenschaften. Letztere besitzen zusammengenommen mittlerweile ebenfalls fast 5000 Wohnungen. Bei den marktfernen Immobilienakteuren jenseits von Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe, die für die Wohnungsversorgung in Berlin bislang eine nur untergeordnete Rolle spielt. So gehören rund 20000 Wohnungen gemeinnützigen Organisationen wie Kirchen, deren Bewirtschaftungsstrategien häufig denen privater Eigentümer*innen ähneln. Hinzu kommen einige Hundert individuelle Hausprojekte, die sich hinsichtlich ihrer Organisationsform und ihrer Bewirtschaftungsziele deutlich unterscheiden. Diese beiden Eigentümertypen werden im Folgenden nicht weiter berücksichtigt, da sich aufgrund ihrer Heterogenität keine allgemeinen Aussagen zu ihrer Rolle auf dem Wohnungsmarkt treffen lassen. Ganz anders ist dies im Fall der jüngeren Wohnmodelle mit geteilter Eigentümerstruktur:

  • Beim "Mietshäuser Syndikat" handelt es sich um einen Zusammenschluss aus Initiativen, die Häuser erwerben, selbst verwalten und gemeinschaftlich bewohnen. Die vertikal geteilte Eigentumsstruktur zwischen zwei Gesellschaftern – Hausprojekt und Dachverband (beide als GmbH organisiert) – garantiert dem Verbund ein Vetorecht insbesondere gegen den Verkauf der Immobilien oder Satzungsänderungen. 21 der derzeit 178 Syndikatshausprojekte in Deutschland befinden sich in Berlin.

  • Bodenstiftungen trennen das Immobilien- vom Baugrundeigentum und vergeben letzteres in Erbbaurecht, um es (spekulativen) Marktprozessen zu entziehen. In der Praxis werden Grundstücke für Wohnprojekte in unterschiedlicher Rechtsform in Erbbaurecht vergeben. Zu den bekanntesten Bodenstiftungen zählen die Edith Maryon Stiftung und die Stiftung trias. Erstere besitzt 138 Immobilienprojekte in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Ungarn und Frankreich. In Berlin befinden sich 20 dieser Projekte sowie 47 Erbbaurechtsprojekte. Letztere zeichnet für 47 Erbbaurechtsprojekte, davon 14 in Berlin, verantwortlich.

Die Rolle marktferner Akteure auf dem Mietwohnungsmarkt

Um zu eruieren, inwiefern marktferne Wohneigentumsmodelle in der Lage sind, einen signifikanten Beitrag zur Wohnungsmarktentspannung zu leisten, wird, anknüpfend an aktuelle wohnungspolitische Debatten, im Folgenden erörtert, welcher Beitrag von ihnen erstens zur langfristigen Sicherung eines moderaten Mietniveaus, zweitens zur Angebotssicherung durch den Neubau von bezahlbarem Wohnraum und drittens zur weitergehenden Mieterbeteiligung im Sinne einer Dekommodifizierung von Wohnraum zu erwarten ist.

Moderate Mietniveaus

Angesichts eines zunehmend knapper und teurer werdenden Angebots am Mietwohnungsmarkt bemüht sich der Berliner Senat seit einigen Jahren um eine Neuausrichtung seiner Wohnungspolitik. Eine wesentliche Neuerung bestand darin, die öffentlichen Wohnungsbauunternehmen von ihren bisherigen Renditezielen zu entbinden. Im Ergebnis steigen die Mieten in deren Beständen heute deutlich langsamer als in den 2000er Jahren, seit 2016 um maximal 1,39 Prozent pro Jahr. 2019 lagen die Mieten mit 6,22 Euro pro Quadratmeter (nettokalt) leicht unter dem Marktniveau, die Angebotsmieten für neu zu vermietende Wohnungen mit 7,13 Euro pro Quadratmeter sogar um 30 Prozent darunter. Zugleich ist jedoch zu beobachten, dass öffentliche Wohnungsbauunternehmen Mieten, die unter dem marktüblichen Mittelwert liegen, überdurchschnittlich stark anheben, sodass Kritiker*innen die "schleichende" Einführung einer Mietuntergrenze von 6 Euro pro Quadratmeter befürchten.

Auch die Genossenschaften tragen dafür Sorge, dass die Mieten in ihren Beständen bezahlbar bleiben. So ist die Durchschnittsmiete im Wohnungsbestand der 20 größten Berliner Wohnungsgenossenschaften zwischen 2012 und 2018 nur moderat gestiegen (um 2,53 Prozent pro Jahr) und lag 2019 mit 5,70 Euro pro Quadratmeter noch deutlich unter dem Niveau der öffentlichen Wohnungsbauunternehmen. Bei den Angebotsmieten lagen sie mit durchschnittlich geforderten 7,23 Euro pro Quadratmeter in etwa auf dem gleichen Niveau. Allerdings haben auch die Wohnungsgenossenschaften die gesetzlichen Möglichkeiten zur Mieterhöhung zuletzt teilweise ausgeschöpft; das Interesse an einer Erhöhung des Anteils mietpreis- und mieter*innenkontrollierter Wohnungen ist durchaus begrenzt. Zudem gibt es immer wieder Fälle, in denen sich auch Genossenschaften für Abriss und Neubau statt für den Erhalt von preiswertem Wohnraum durch Instandsetzung entscheiden. Folglich besteht auch hier die Befürchtung, dass die Marktnische der gleichermaßen einfachen wie sehr günstigen Genossenschaftswohnungen zusehends verschwindet.

Bei den jüngeren Wohnmodellen mit geteilter Eigentumsstruktur schließt deren rechtliche Konstruktion einseitige Mieterhöhungen aus. Beim Mietshäuser Syndikat zum Beispiel bestimmen die jeweiligen Hausgemeinschaften über die Bewirtschaftung ihrer Immobilie; bei den Bodenstiftungen ist der Erbbauzins von der allgemeinen Bodenpreisentwicklung abgekoppelt.

Angebotssicherung

Sowohl öffentliche Wohnungsunternehmen als auch jüngere Genossenschaften haben in jüngster Zeit ihre Berliner Wohnungsbestände erweitert. Seit 2009 haben landeseigene Wohnungsunternehmen etwa 18000 neue Wohnungen gebaut und weitere 52000 Wohnungen erworben. Dies reicht allerdings bei Weitem noch nicht aus, um den Wohnungsbedarf im mittleren und unteren Preissegment zu decken. Auch der Anteil von Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung (Sozialwohnungen) in den Beständen der öffentlichen Wohnungsunternehmen, der über rund 30 Jahre lang rückläufig war, ist mit derzeit rund 25 Prozent gerade einmal halb so hoch wie in der Kooperationsvereinbarung zwischen den öffentlichen Wohnungsunternehmen und dem Land Berlin festgelegt. Genossenschaften bauen in Berlin aktuell nicht mehr als 660 neue Wohnungen pro Jahr, deren Erstmieter*innen überdies nicht selten erhebliche Kautionen in Höhe von rund 1000 Euro pro Quadratmeter hinterlegen müssen. Die neuen Wohnmodelle sind – mit jährlich etwa zehn neuen Projekten in Berlin – im Hinblick auf die Sicherung eines preisgünstigen Wohnungsangebots quantitativ ebenfalls weitgehend zu vernachlässigen; dies gilt umso mehr seit dem Wegfall des kommunalen Vorkaufsrechts. Überdies fehlt ihnen der Zugang zu öffentlichen Mitteln.

Mieter*innenbeteiligung

Eine wirksame Beteiligung stellt unter anderem sicher, dass die Mieter*innen Einfluss auf wesentliche Elemente der Bewirtschaftung nehmen können (etwa auf Neubau, große Sanierungen, Zukauf, Verkauf, Abriss). Obwohl das jüngste Berliner Wohnungsbaugesetz neuartige Beteiligungsformate für Mieter*innen öffentlicher Wohnungsunternehmen eingeführt hat, werden diese bisher kaum genutzt. So sind die neu geschaffenen Mieterbeiräte noch nicht in der Lage, bei der Bewirtschaftung, geschweige denn der strategischen Unternehmensplanung, mitzubestimmen. Auch in traditionellen Genossenschaften sind wirtschaftliche Entscheidungen (zum Beispiel in Bezug auf Abriss, Modernisierung oder Vorstandsgehälter) meist nicht demokratisch legitimiert. Die mit Abstand größte Bedeutung hat die Mieter*innenmitbestimmung bei den jungen Genossenschaften sowie bei den Wohnmodellen mit geteilter Eigentumsstruktur, wo die Verwaltung der einzelnen Hausprojekte meist allein bei den Bewohner*innen liegt.

Grenzen einer marktfernen Wohnungsversorgung

Insgesamt kann den drei vorgestellten Typen marktferner Immobilienakteure durchaus attestiert werden, dass sie dem Mangel an erschwinglichem Wohnraum entgegenwirken. Ihr diesbezügliches Potenzial stößt jedoch an die Grenzen ihrer eigenen Bewirtschaftungs- und Entwicklungsstrategien, da auch sie den Dynamiken des Immobilienmarkts unterworfen sind.

Selbstverständnis und Bewirtschaftungsprinzipien

Auch gegenwärtig spielen Rentabilitätskriterien eine wichtige Rolle im Rahmen der Bewirtschaftungspraxis landeseigener Wohnungsunternehmen in Berlin. Zwar beschränkt das Berliner Wohnraumversorgungsgesetz von 2016 ihre zulässigen Gewinnmargen; an ihrer grundsätzlichen Verpflichtung, rationell zu wirtschaften, hat sich jedoch nichts geändert. Dementsprechend ist auch eine Kontinuität der Routinen der Bestandsbewirtschaftung bei diesen Unternehmen festzustellen. Dies deckt sich mit der Situation in anderen deutschen Kommunen, den Niederlanden und Teilen Skandinaviens.

Der internationalen Genossenschaftsbewegung wird in der Forschungsliteratur attestiert, dass sie sich in den vergangenen Jahrzehnten der Verwertungslogik gewinnorientierter Immobilienunternehmen angenähert habe. Diese Diagnose deckt sich mit den Beobachtungen zu den Bewirtschaftungsstrategien vieler Berliner Traditionsgenossenschaften, wo das genossenschaftliche Solidaritätsprinzip in der Regel auf die (ökonomische) Verpflichtung gegenüber den eigenen Mitgliedern beschränkt wird. So leisteten die großen Berliner Wohnungsgenossenschaften gegen politische Initiativen wie die Einführung eines Mietendeckels jüngst heftigen Widerstand, und ihr Interesse, städtische Grundstücke in Erbbaurecht zu entwickeln oder Neubau an gebundene Mietpreise zu binden, war begrenzt. Demgegenüber betonen viele junge Genossenschaften neben dem Ideal des selbstbestimmten Kollektivs den Gedanken der gesellschaftlichen (nicht allein der gemeinschaftlichen) Solidarität und befürworten in diesem Sinne wohnungspolitische Regulierungsansätze. Dementsprechend gibt es heute Genossenschaften, die die Mitbestimmungsmöglichkeiten ihrer Mitglieder einschränken, um Belegungsquoten für besondere Bedarfsgruppen zu realisieren, Genossenschaften, die sich auf unwirtschaftliche Grundstückskäufe spezialisieren, um verdrängungsbedrohten Wohngemeinschaften den Verbleib zu ermöglichen, Dachgenossenschaften, die einzelnen Hausprojekten ein hohes Maß an Selbstverwaltung einräumen, aber auch eigentumsorientierte Genossenschaften, bei denen Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden können. Auch auf europäischer Ebene ist eine ähnliche Diversifizierung des Genossenschaftswesens zu beobachten.

Noch deutlicher verstehen sich Wohnmodelle mit geteilter Eigentümerstruktur als "urbane Allmende" und in vielen Fällen auch als unmittelbare Antwort auf eine drohende Verdrängung. Dies zeigt sich etwa darin, dass neue Initiativen durch Solidaritätsbeiträge und Wissenstransfer unterstützt werden, aber auch darin, dass Bewirtschaftungsprinzipien immer wieder neu überdacht werden. Während beispielsweise das Mietshäuser Syndikat früher Erbbaurechtsprojekte ablehnte, kooperiert es heute mit Bodenstiftungen.

Bündnisse

Die gewandelten politischen Anforderungen an marktferne Immobilienakteure haben zu einer Störung etablierter Koalitionen geführt. Während früher "einvernehmlich ausgehandelte wohnungspolitische Bündnisse" bestanden, stießen die Bemühungen, die der Berliner Senat in der vergangenen Legislaturperiode unternommen hat, um den Anstieg der Mieten zu bremsen, auf massiven Widerstand der etablierten Genossenschaften, aber auch der landeseigenen Wohnungsunternehmen, während sie von jungen Genossenschaften und alternativen Akteuren wie dem Mietshäuser Syndikat begrüßt wurden. Ähnliche Konflikte zwischen dem Staat und denjenigen Teilen der Wohnungswirtschaft, die traditionell eine "soziale Wohnungsversorgung" sichergestellt haben, sind auch in anderen Ländern zu beobachten. Hinzu kommt, dass neben Genossenschaften und öffentlichen Wohnungsunternehmen heute auch börsennotierte Unternehmen im Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) organisiert sind, der eine meist an unternehmerischen Interessen ausgerichtete Lobbyarbeit betreibt.

Im Fall der Traditionsgenossenschaften stößt die Annäherung an die renditeorientierte Wohnungswirtschaft jedoch zunehmend auf Widerstand seitens der Mitglieder, die eigene Initiativen gegründet haben. So wendet sich die "Genossenschaft von unten" gegen die Einschränkung der Mitgliederrechte, "Nicht in unserem Namen" gegen die Ablehnung des Berliner Mietendeckels durch die Genossenschaftsvorstände und "Die Genossenschafter*innen" gegen "unkooperative Vorstände", "unkritische Aufsichtsräte" und Teile des Genossenschaftsgesetzes. Zugleich wurde der latente Dissens zwischen den traditionellen und den jungen Genossenschaften durch die Gründung des Bundes junger Genossenschaften, der sich als "Gegenbewegung zur kommerziellen Ausrichtung des BBU" versteht, auch institutionell verankert. Seit 2017 sind 35 Genossenschaften diesem neuen Verband beigetreten. In ähnlicher Weise werden die traditionellen Wohnungsgenossenschaften auch in anderen deutschen und österreichischen Städten infrage gestellt.

Die Bodenstiftungen und das Mietshäuser Syndikat bauen tendenziell Brücken zu anderen stadtpolitischen Initiativen in Berlin und darüber hinaus. So haben sich die Berliner Syndikatsinitiativen etwa dem Aufruf zur Einrichtung eines Bodenfonds mit öffentlicher und bürgerschaftlicher Governance im Sinne einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik angeschlossen.

Wohnungspolitik

Die Fähigkeit marktferner Vermieter, vergleichsweise preisgünstigen Wohnraum bereitzustellen, hängt zuallererst von ihrem wirtschaftlichen Handlungsspielraum ab – und damit maßgeblich davon, dass ihnen der Staat Grundstücke verbilligt verkauft oder im Erbbaurecht zur Verfügung stellt. Der Berliner Senat konzentriert seine diesbezüglichen Anstrengungen auf die landeseigenen Wohnungsunternehmen. Dies ist angesichts des großen Anteils, den diese Unternehmen am Berliner Mietwohnungsmarkt haben, sowie aufgrund der Möglichkeit einer direkten Einflussnahme auf ihre Unternehmensstrategien naheliegend. Allerdings ist ein Wandel in deren Selbstverständnis und Bewirtschaftungsstrategien hin zu einer umfassend verstandenen Gemeinwohlorientierung bislang nicht erkennbar. Auch wurden bisher keine Maßnahmen ergriffen, um die erneute Privatisierung von kommunalen Wohnungen zu verhindern. Hinzu kommt, dass die neu aufgesetzte Genossenschaftsförderung nahezu wirkungslos ist, weil sie die Bedingungen der Genossenschaftswirtschaft nicht ausreichend berücksichtigt. So lehnen zahlreiche Genossenschaften das Erbbaurecht ab, weil die Banken in Deutschland gepachtete Grundstücke bislang nicht als Gegenwert einer Kreditvergabe akzeptieren und Erbbaurechtsverträge überdies oft mit hohen Zinsen und kurzen Laufzeiten verbunden sind. Mit ihrer Fokussierung auf die landeseigene Wohnungswirtschaft läuft die Berliner Wohnungspolitik Gefahr, das Potenzial gemeinschaftlicher Wohneigentumsmodelle und junger Genossenschaften ungenutzt zu lassen – ein Problem, das auch in anderen Ländern wie Österreich besteht.

Wohnungspolitische Schlussfolgerungen

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass sämtliche marktfernen Immobilienakteure der Anspannung von Wohnungsmärkten effektiv entgegenwirken, da sie wesentlich "moderatere" Bewirtschaftungsstrategien verfolgen als die renditeorientierte Wohnungswirtschaft. Zwar sind auch ihre Mieter*innen nicht vor Mieterhöhungen (insbesondere im Zusammenhang mit Modernisierungsmaßnahmen) gefeit; in aller Regel steigen die Mieten aber nur moderat. Dem expliziten Ziel einer Dekommodifizierung des Wohnens sehen sich derzeit jedoch nur einige jüngere Genossenschaften sowie das Mietshäuser Syndikat und verschiedene Bodenstiftungen verpflichtet. Ihnen beziehungsweise der wachsenden Zahl der von ihnen erfolgreich umgesetzten Projekte kommt insofern auch eine Vorbildfunktion zu, da sie potenziellen Bewohner*innen und lokalen Entscheidungsträger*innen zeigen, dass die Schaffung bezahlbaren, hochwertigen Wohnraums mit einer Gemeinwohlorientierung vereinbar ist.

Angesichts der unübersehbaren Dysfunktionalitäten der Mietwohnungsmärkte in vielen Großstädten wäre zu wünschen, dass auch öffentliche Wohnungsunternehmen und etablierte Genossenschaften sich (wieder) stärker auf das Prinzip der Gemeinwohlorientierung besinnen. Um dies zu erreichen, werden in Berlin – ebenso wie andernorts – eine Reihe von Ansätzen und Maßnahmen diskutiert, darunter die Verankerung wohnungspolitischer Ziele in der (Landes-) Verfassung oder die Änderung der Rechtsform der landeseigenen Wohnungsunternehmen.

Auch internationale Studien zeigen, dass vor allem jüngere Genossenschaften und Wohnmodelle mit geteilter Eigentümerstruktur innovative Wohnungsbewirtschaftungsstrategien implementieren. Diese sollten daher entschlossener gefördert werden – Ansätze dazu bestehen bereits in Katalonien, der Schweiz, Belgien oder einigen süddeutschen Städten. Insbesondere sollten bestehende Wohnbauförderprogramme für genossenschaftliche und andere gemeinschaftliche Formen des Wohneigentums geöffnet werden. Dies könnte unter anderem durch eine Reduzierung der Erbbauzinsen, einen erleichterten Zugang zu Subventionen für Genossenschaftsmitglieder sowie eine Vereinfachung von Ausschreibungsverfahren erreicht werden. Darüber hinaus könnte eine konsequente politische Unterstützung solidarischer Wohnmodelle auch große etablierte Genossenschaften dazu bewegen, die ursprüngliche solidarische Genossenschaftsidee wiederzuentdecken.

Eine wohnungspolitische Neuorientierung setzt jedoch voraus, dass die derzeitige Diskurshegemonie profitorientierter Wohnungsmarktakteure durchbrochen wird. Solange es den marktfernen Immobilienakteuren nicht gelingt, ihre Interessen gemeinsam zu vertreten, werden alternative wohnungspolitische Initiativen und Regulierungsansätze keine breite politische und öffentliche Akzeptanz finden. In diesem Sinne erscheint es von entscheidender Bedeutung, die Stimme neuartiger gemeinschaftlicher Wohneigentumsmodelle zu stärken, dem weitverbreiteten Misstrauen der Genossenschaften gegenüber der öffentlichen Wohnungspolitik mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Lösungen für ihre spezifischen Herausforderungen bei der Wohnungsfinanzierung und -verwaltung zu suchen. Hilfreich wären hier auch systematische Analysen über die aktuellen Bewirtschaftungsplanungen und zugrundeliegenden Motive der großen Genossenschaften, die bislang nicht vorliegen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Mara Ferreri/Lorenzo Vidal, Public-Cooperative Policy Mechanisms for Housing Commons, in: International Journal of Housing Policy 2/2022, S. 149–173.

  2. Vgl. David Madden/Peter Marcuse, In Defense of Housing, New York–London 2016.

  3. Vgl. Justin Kadi, Wie Verdrängung verhindern? Eine kritische Betrachtung der Wiener Wohnungspolitik, in: Jan Glatter/Michael Mießner (Hrsg.), Gentrifizierung und Verdrängung: Aktuelle theoretische, methodische und politische Herausforderungen, Bielefeld 2022, S. 237–254; Sebastian Schipper/Tabea Latocha, Wie lässt sich Verdrängung verhindern? Die Rent-Gap-Theorie der Gentrifizierung und ihre Gültigkeitsbedingungen am Beispiel des Frankfurter Gallus, in: sub\urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung 1/2018, S. 51–76.

  4. Vgl. Josh Ryan-Collins, Breaking the Housing-Finance Cycle: Macroeconomic Policy Reforms for More Affordable Homes, in: Environment and Planning A: Economy and Space 3/2021, S. 480–502; Steffen Wetzstein, Assessing Post-GFC Housing Affordability Interventions: A Qualitative Exploration Across Five International Cities, in: International Journal of Housing Policy 1/2021, S. 70–102.

  5. Vgl. Matthew Thompson, Reconstructing Public Housing: Liverpool’s Hidden History of Collective Alternatives, Liverpool 2020.

  6. Vgl. Sabine Horlitz, Strategien der Dekommodifizierung. Zum transformativen Potenzial lokaler marktferner Eigentumsmodelle, in: Andrej Holm/Christoph Laimer (Hrsg.), Gemeinschaftliches Wohnen und selbstorganisiertes Bauen, Wien 2021, S. 111–122; Thompson (Anm. 5).

  7. Vgl. Die Genossenschafter*innen, Selbstverwaltet und solidarisch wohnen. Genossenschaften und ihre Bedeutung für eine gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik, Berlin 2021.

  8. Vgl. Urban Coop Berlin, Junge Genossenschaften in Berlin wollen bauen, 2.3.2018, Externer Link: http://www.urbancoopberlin.de/junge-genossenschaften-in-berlin-wollen-bauen.

  9. Vgl. Christoph Trautvetter, Wem gehört die Stadt? Analyse der Eigentümergruppen und ihrer Geschäftspraktiken auf dem Berliner Immobilienmarkt, Berlin 2020, S. 36.

  10. Ähnliche Strategien verfolgen die sogenannten Community Land Trusts in einer wachsenden Zahl europäischer Länder.

  11. Vgl. Stiftung Edith Maryon, Jahresbericht 2020, Basel 2021.

  12. Vgl. Stiftung trias, Tätigkeitsbericht 2020, Hattingen 2021.

  13. Vgl. Sebastian Gerhardt, Was geht? Berliner öffentliche Wohnungsunternehmen und die Neubaufrage, Berlin 2020, Externer Link: https://planwirtschaft.works/wp-content/uploads/2020/03/200302_LWU_Neubau_Berlin.pdf.

  14. Vgl. Bernd Busse et al., Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung. Bericht zur Kooperationsvereinbarung 2019, Berlin 2020, S. 11ff.

  15. Vgl. Lisa Vollmer/Justin Kadi, Wohnungspolitik in der Krise des Neoliberalismus in Berlin und Wien, in: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 48/2018, S. 247–264, hier S. 254.

  16. Vgl. Trautvetter (Anm. 9), S. 34.

  17. Vgl. Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, Jahresstatistik der Mitgliedsunternehmen 2020, Berlin 2021, S. 23.

  18. Vgl. IBB, Wohnungsmarktbericht 2019, Berlin 2020, S. 67.

  19. Vgl. Jens Sethmann, Selbsthilfe, Solidarität und Sicherheit – Wohnen in Genossenschaften, in: MieterMagazin 11/2017, S. 14–18; Trautvetter (Anm. 9), S. 34.

  20. Vgl. Joscha Metzger, Genossenschaften und die Wohnungsfrage, Münster 2021, S. 203ff.

  21. Vgl. Barbara Crome, Entwicklung und Situation der Wohnungsgenossenschaften in Deutschland, in: Informationen zur Raumentwicklung 4/2007, S. 211–221, hier S. 216.

  22. Vgl. Busse et al. (Anm. 15), S. 51.

  23. Vgl. Die Genossenschafter*innen (Anm. 7), S. 29.

  24. Vgl. Stiftung trias (Anm. 12).

  25. Vgl. Andrej Holm/Jan Kuhnert, Die nächsten Schritte zur sozialen Ausrichtung und Stärkung der landeseigenen Wohnungsunternehmen. Ein Diskussionsvorschlag, Berlin 2021.

  26. Vgl. Metzger (Anm. 21).

  27. Vgl. Andrej Holm, Berlin: Mehr Licht als Schatten. Wohnungspolitik unter Rot-Rot-Grün, in: Dieter Rink/Björn Egner (Hrsg.), Lokale Wohnungspolitik, Baden-Baden 2020, S. 43–64.

  28. Vollmer/Kadi (Anm. 16) verweisen auf den Umstand, dass das Führungspersonal der landeseigenen Berliner Wohnungsunternehmen vorher in vielen Fällen in Beratungsunternehmen oder der Finanzbranche tätig war.

  29. Vgl. David Mullins et al., State Directed Hybridity? The Relationship Between Non-Profit Housing Organizations and the State in Three National Contexts, in: Housing Studies 4/2018, S. 565–588.

  30. Vgl. Jadar Sørvoll/Bo Bengtsson, The Pyrrhic Victory of Civil Society Housing? Co-Operative Housing in Sweden and Norway, in: International Journal of Housing Policy 1/2016, S. 124–142.

  31. Vgl. Tobias Bernet, Ausstieg aus dem Spekulationskarussell. Wege zu einer gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft, in: Indes 2/2020, S. 87–95.

  32. Vgl. Ivo Balmer/Jean-David Gerber, Why Are Housing Cooperatives Successful? Insights from Swiss Affordable Housing Policy, in: Housing Studies 3/2018, S. 361–385.

  33. Vgl. Stefan Rost, Das Mietshäuser Syndikat, in: Silke Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld 2014, S. 285ff.

  34. Holm (Anm. 28), S. 59.

  35. Vgl. Die Genossenschafter*innen (Anm. 7), S. 54ff.

  36. Ebd., S. 51.

  37. Vgl. Bernet (Anm. 32); Corinna Hölzl et al., Netzwerkstrategien von "Housing Commons" in der Gründungsphase, in: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 163/2021, S. 171–198; Metzger (Anm. 21), S. 14ff.

  38. Vgl. Stadtprojekte e.V., Das mietenpolitische Dossier, Berlin 2021.

  39. Vgl. Balmer/Gerber (Anm. 33); Ferreri/Vidal (Anm. 1).

  40. Vgl. Anna Granath Hansson, City Strategies for Affordable Housing: The Approaches of Berlin, Hamburg, Stockholm, and Gothenburg, in: International Journal of Housing Policy 1/2019, S. 95–119, hier S. 108f.

  41. Vgl. Hölzl et al. (Anm. 38), S. 189.

  42. Vgl. Horlitz (Anm. 6).

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Weitere Inhalte

ist promovierte Geografin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Angewandte Geographie und Raumplanung am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin.
E-Mail Link: corinna.hoelzl@hu-berlin.de

ist Professor für Angewandte Geographie und Raumplanung am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin.
E-Mail Link: henning.nuissl@hu-berlin.de