Vielerorts ist unübersehbar, dass der Wohnungsmarkt nicht in der Lage ist, in ausreichendem Umfang Wohnraum zur Verfügung zu stellen, der für alle Teile der Bevölkerung erschwinglich ist. Entsprechend sind in vielen größeren Städten Europas sowohl zivilgesellschaftliche Initiativen als auch kommunale Programme zur Förderung des nicht marktorientierten Wohnungsmarktsegments entstanden.
Wenn in der internationalen Literatur zur gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung Good-Practice-Beispiele diskutiert werden, wird nicht selten auf Deutschland verwiesen.
Im Folgenden beleuchten wir die potenzielle Bedeutung solcher Immobilienakteure für die Versorgung mit Wohnraum etwas näher. Die Bundeshauptstadt Berlin, wo die Anspannung auf dem Wohnungsmarkt seit geraumer Zeit stetig zunimmt, wo sich aber auch eine diverse Eigentumsstruktur auf dem Mietwohnungsmarkt findet, dient uns dabei als Fallbeispiel. An diesem wird der in der Wohnungsforschung kaum systematisch untersuchten Leitfrage nachgegangen, inwiefern öffentliche, genossenschaftliche und zivilgesellschaftliche Immobilieneigentümer*innen verschiedenen Bevölkerungsgruppen einen Zugang zu langfristig bezahlbarem Wohnraum eröffnen und damit zur Entspannung von Wohnungsmärkten und zur Reduzierung von Verdrängungsrisiken beitragen können.
Das Beispiel Berlin
Gut 30 Prozent des Berliner Mietwohnungsbestands gehören institutionellen Vermieter*innen, deren primäres Ziel nicht die Erwirtschaftung einer möglichst hohen Rendite ist. Diesen Bereich des Wohnungsmarkts definieren wir als "marktfern". Mit rund 323000 Wohnungen verteilt sich der größte Teil dieser marktfernen Bestände auf die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen (gut 19 Prozent); weitere 188000 Wohnungen (etwa 11 Prozent) gehören den mehr als 100 Berliner Wohnungsgenossenschaften; der Rest befindet sich in den Händen anderer Immobilienakteure (Tabelle). In der vielfältigen Genossenschaftsszene Berlins lassen sich sehr grob zwei Typen von Wohnungsgenossenschaften unterscheiden: größere Traditionsgenossenschaften mit mindestens 5000 Wohnungen und jüngere, kleinere Genossenschaften.
Beim "Mietshäuser Syndikat" handelt es sich um einen Zusammenschluss aus Initiativen, die Häuser erwerben, selbst verwalten und gemeinschaftlich bewohnen. Die vertikal geteilte Eigentumsstruktur zwischen zwei Gesellschaftern – Hausprojekt und Dachverband (beide als GmbH organisiert) – garantiert dem Verbund ein Vetorecht insbesondere gegen den Verkauf der Immobilien oder Satzungsänderungen. 21 der derzeit 178 Syndikatshausprojekte in Deutschland befinden sich in Berlin.
Bodenstiftungen trennen das Immobilien- vom Baugrundeigentum und vergeben letzteres in Erbbaurecht, um es (spekulativen) Marktprozessen zu entziehen. In der Praxis werden Grundstücke für Wohnprojekte in unterschiedlicher Rechtsform in Erbbaurecht vergeben.
Zu den bekanntesten Bodenstiftungen zählen die Edith Maryon Stiftung und die Stiftung trias. Erstere besitzt 138 Immobilienprojekte in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Ungarn und Frankreich. In Berlin befinden sich 20 dieser Projekte sowie 47 Erbbaurechtsprojekte. Letztere zeichnet für 47 Erbbaurechtsprojekte, davon 14 in Berlin, verantwortlich.
Die Rolle marktferner Akteure auf dem Mietwohnungsmarkt
Um zu eruieren, inwiefern marktferne Wohneigentumsmodelle in der Lage sind, einen signifikanten Beitrag zur Wohnungsmarktentspannung zu leisten, wird, anknüpfend an aktuelle wohnungspolitische Debatten, im Folgenden erörtert, welcher Beitrag von ihnen erstens zur langfristigen Sicherung eines moderaten Mietniveaus, zweitens zur Angebotssicherung durch den Neubau von bezahlbarem Wohnraum und drittens zur weitergehenden Mieterbeteiligung im Sinne einer Dekommodifizierung von Wohnraum zu erwarten ist.
Moderate Mietniveaus
Angesichts eines zunehmend knapper und teurer werdenden Angebots am Mietwohnungsmarkt bemüht sich der Berliner Senat seit einigen Jahren um eine Neuausrichtung seiner Wohnungspolitik. Eine wesentliche Neuerung bestand darin, die öffentlichen Wohnungsbauunternehmen von ihren bisherigen Renditezielen zu entbinden. Im Ergebnis steigen die Mieten in deren Beständen heute deutlich langsamer als in den 2000er Jahren, seit 2016 um maximal 1,39 Prozent pro Jahr. 2019 lagen die Mieten mit 6,22 Euro pro Quadratmeter (nettokalt) leicht unter dem Marktniveau, die Angebotsmieten für neu zu vermietende Wohnungen mit 7,13 Euro pro Quadratmeter sogar um 30 Prozent darunter.
Auch die Genossenschaften tragen dafür Sorge, dass die Mieten in ihren Beständen bezahlbar bleiben. So ist die Durchschnittsmiete im Wohnungsbestand der 20 größten Berliner Wohnungsgenossenschaften zwischen 2012 und 2018 nur moderat gestiegen (um 2,53 Prozent pro Jahr)
Bei den jüngeren Wohnmodellen mit geteilter Eigentumsstruktur schließt deren rechtliche Konstruktion einseitige Mieterhöhungen aus. Beim Mietshäuser Syndikat zum Beispiel bestimmen die jeweiligen Hausgemeinschaften über die Bewirtschaftung ihrer Immobilie; bei den Bodenstiftungen ist der Erbbauzins von der allgemeinen Bodenpreisentwicklung abgekoppelt.
Angebotssicherung
Sowohl öffentliche Wohnungsunternehmen als auch jüngere Genossenschaften haben in jüngster Zeit ihre Berliner Wohnungsbestände erweitert. Seit 2009 haben landeseigene Wohnungsunternehmen etwa 18000 neue Wohnungen gebaut und weitere 52000 Wohnungen erworben. Dies reicht allerdings bei Weitem noch nicht aus, um den Wohnungsbedarf im mittleren und unteren Preissegment zu decken. Auch der Anteil von Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung (Sozialwohnungen) in den Beständen der öffentlichen Wohnungsunternehmen, der über rund 30 Jahre lang rückläufig war, ist mit derzeit rund 25 Prozent gerade einmal halb so hoch wie in der Kooperationsvereinbarung zwischen den öffentlichen Wohnungsunternehmen und dem Land Berlin festgelegt.
Mieter*innenbeteiligung
Eine wirksame Beteiligung stellt unter anderem sicher, dass die Mieter*innen Einfluss auf wesentliche Elemente der Bewirtschaftung nehmen können (etwa auf Neubau, große Sanierungen, Zukauf, Verkauf, Abriss). Obwohl das jüngste Berliner Wohnungsbaugesetz neuartige Beteiligungsformate für Mieter*innen öffentlicher Wohnungsunternehmen eingeführt hat, werden diese bisher kaum genutzt.
Grenzen einer marktfernen Wohnungsversorgung
Insgesamt kann den drei vorgestellten Typen marktferner Immobilienakteure durchaus attestiert werden, dass sie dem Mangel an erschwinglichem Wohnraum entgegenwirken. Ihr diesbezügliches Potenzial stößt jedoch an die Grenzen ihrer eigenen Bewirtschaftungs- und Entwicklungsstrategien, da auch sie den Dynamiken des Immobilienmarkts unterworfen sind.
Selbstverständnis und Bewirtschaftungsprinzipien
Auch gegenwärtig spielen Rentabilitätskriterien eine wichtige Rolle im Rahmen der Bewirtschaftungspraxis landeseigener Wohnungsunternehmen in Berlin.
Der internationalen Genossenschaftsbewegung wird in der Forschungsliteratur attestiert, dass sie sich in den vergangenen Jahrzehnten der Verwertungslogik gewinnorientierter Immobilienunternehmen angenähert habe.
Noch deutlicher verstehen sich Wohnmodelle mit geteilter Eigentümerstruktur als "urbane Allmende"
Bündnisse
Die gewandelten politischen Anforderungen an marktferne Immobilienakteure haben zu einer Störung etablierter Koalitionen geführt. Während früher "einvernehmlich ausgehandelte wohnungspolitische Bündnisse"
Im Fall der Traditionsgenossenschaften stößt die Annäherung an die renditeorientierte Wohnungswirtschaft jedoch zunehmend auf Widerstand seitens der Mitglieder, die eigene Initiativen gegründet haben. So wendet sich die "Genossenschaft von unten" gegen die Einschränkung der Mitgliederrechte, "Nicht in unserem Namen" gegen die Ablehnung des Berliner Mietendeckels durch die Genossenschaftsvorstände und "Die Genossenschafter*innen" gegen "unkooperative Vorstände", "unkritische Aufsichtsräte" und Teile des Genossenschaftsgesetzes.
Die Bodenstiftungen und das Mietshäuser Syndikat bauen tendenziell Brücken zu anderen stadtpolitischen Initiativen in Berlin und darüber hinaus. So haben sich die Berliner Syndikatsinitiativen etwa dem Aufruf zur Einrichtung eines Bodenfonds mit öffentlicher und bürgerschaftlicher Governance im Sinne einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik angeschlossen.
Wohnungspolitik
Die Fähigkeit marktferner Vermieter, vergleichsweise preisgünstigen Wohnraum bereitzustellen, hängt zuallererst von ihrem wirtschaftlichen Handlungsspielraum ab – und damit maßgeblich davon, dass ihnen der Staat Grundstücke verbilligt verkauft oder im Erbbaurecht zur Verfügung stellt.
Wohnungspolitische Schlussfolgerungen
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass sämtliche marktfernen Immobilienakteure der Anspannung von Wohnungsmärkten effektiv entgegenwirken, da sie wesentlich "moderatere" Bewirtschaftungsstrategien verfolgen als die renditeorientierte Wohnungswirtschaft. Zwar sind auch ihre Mieter*innen nicht vor Mieterhöhungen (insbesondere im Zusammenhang mit Modernisierungsmaßnahmen) gefeit; in aller Regel steigen die Mieten aber nur moderat. Dem expliziten Ziel einer Dekommodifizierung des Wohnens sehen sich derzeit jedoch nur einige jüngere Genossenschaften sowie das Mietshäuser Syndikat und verschiedene Bodenstiftungen verpflichtet. Ihnen beziehungsweise der wachsenden Zahl der von ihnen erfolgreich umgesetzten Projekte kommt insofern auch eine Vorbildfunktion zu, da sie potenziellen Bewohner*innen und lokalen Entscheidungsträger*innen zeigen, dass die Schaffung bezahlbaren, hochwertigen Wohnraums mit einer Gemeinwohlorientierung vereinbar ist.
Angesichts der unübersehbaren Dysfunktionalitäten der Mietwohnungsmärkte in vielen Großstädten wäre zu wünschen, dass auch öffentliche Wohnungsunternehmen und etablierte Genossenschaften sich (wieder) stärker auf das Prinzip der Gemeinwohlorientierung besinnen. Um dies zu erreichen, werden in Berlin – ebenso wie andernorts – eine Reihe von Ansätzen und Maßnahmen diskutiert, darunter die Verankerung wohnungspolitischer Ziele in der (Landes-) Verfassung oder die Änderung der Rechtsform der landeseigenen Wohnungsunternehmen.
Auch internationale Studien zeigen, dass vor allem jüngere Genossenschaften und Wohnmodelle mit geteilter Eigentümerstruktur innovative Wohnungsbewirtschaftungsstrategien implementieren. Diese sollten daher entschlossener gefördert werden – Ansätze dazu bestehen bereits in Katalonien, der Schweiz, Belgien oder einigen süddeutschen Städten. Insbesondere sollten bestehende Wohnbauförderprogramme für genossenschaftliche und andere gemeinschaftliche Formen des Wohneigentums geöffnet werden. Dies könnte unter anderem durch eine Reduzierung der Erbbauzinsen, einen erleichterten Zugang zu Subventionen für Genossenschaftsmitglieder sowie eine Vereinfachung von Ausschreibungsverfahren erreicht werden. Darüber hinaus könnte eine konsequente politische Unterstützung solidarischer Wohnmodelle auch große etablierte Genossenschaften dazu bewegen, die ursprüngliche solidarische Genossenschaftsidee wiederzuentdecken.
Eine wohnungspolitische Neuorientierung setzt jedoch voraus, dass die derzeitige Diskurshegemonie profitorientierter Wohnungsmarktakteure durchbrochen wird. Solange es den marktfernen Immobilienakteuren nicht gelingt, ihre Interessen gemeinsam zu vertreten, werden alternative wohnungspolitische Initiativen und Regulierungsansätze keine breite politische und öffentliche Akzeptanz finden. In diesem Sinne erscheint es von entscheidender Bedeutung, die Stimme neuartiger gemeinschaftlicher Wohneigentumsmodelle zu stärken, dem weitverbreiteten Misstrauen der Genossenschaften gegenüber der öffentlichen Wohnungspolitik mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Lösungen für ihre spezifischen Herausforderungen bei der Wohnungsfinanzierung und -verwaltung zu suchen. Hilfreich wären hier auch systematische Analysen über die aktuellen Bewirtschaftungsplanungen und zugrundeliegenden Motive der großen Genossenschaften, die bislang nicht vorliegen.