In einem herrscht Einigkeit in der chronisch zerstrittenen Ökonomenzunft: Es gibt selten perfekte Lösungen für soziale Probleme, dafür aber Zielkonflikte. Denn in einer Welt mit knappen Ressourcen existiert nur eine begrenzte Zahl von Möglichkeiten, diese zur Lösung der Konflikte zu verwenden. Alle Entscheidungen haben Kosten – und sei es nur, dass wir mit jeder Entscheidung andere Möglichkeiten ausschließen. Politikwissenschaftler sprechen ebenfalls von sozialen Zielkonflikten: Möchte man ein bestimmtes Politikziel erreichen, lassen sich andere erwünschte Ziele nicht mehr oder nicht gleichzeitig erfüllen.
Das Problem sozialer Zielkonflikte gilt auch für das Bauen und Wohnen. Weltweit ist Stadtökonomen klar: Wer den Kampf gegen Armut und Klimawandel ernst nimmt, muss im Zentrum der Städte bauen. Gleichzeitig wächst aber der lokale Widerstand gegen urbane Veränderungen. Die entscheidende Frage, die eine politische Ökonomie des Bauens und Wohnens somit stellen muss, ist: Welche institutionelle Ordnung erlaubt es, soziale Zielkonflikte im urbanen Bauen und Wohnen am besten zu verhandeln?
Wir wollen im Folgenden zeigen, dass ein liberaler Ordnungsrahmen urbane Zielkonflikte am besten lösen kann. Dabei nutzen wir Argumente aus der politischen Ökonomie in drei Schritten: Zuerst demonstrieren wir die Herausforderung einer wachsenden "Nicht in meinem Kiez"-Einstellung in der Bevölkerung, die die Weiterentwicklung des urbanen Raums zunehmend behindert. Dann begründen wir, warum die Argumente der wohnungspolitischen Widerstandsaktivisten nicht einfach vom Tisch gewischt werden sollten, diese aber häufig die enormen sozialen und ökologischen Kosten unterschätzen, die sie durch ihren Aktivismus verursachen. Schließlich zeigen wir auf, wie ein zweigliedriger, liberaler Ordnungsrahmen dabei helfen kann, den urbanen sozialen Zielkonflikt zu lösen: Märkte sind unterschätzte Mediatoren sozialer Zielkonflikte, denen es durch den Preismechanismus gelingt, Signale und Anreize für soziale Kooperation statt Konflikt zu setzen. Politische Teilhabe ist allerdings eine wichtige Ergänzung des marktwirtschaftlichen Prozesses, um urbanen Wandel unter Berücksichtigung lokaler Interessen mitzugestalten.
Soziale Zielkonflikte
400000 Wohnungen will die Bundesregierung pro Jahr neu bauen. So steht es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP.
Gründe für den stockenden Wohnungsbau in deutschen Städten lassen sich viele nennen: steigende Materialpreise, die hohe angebotsseitige Regulierungsdichte, der Fachkräftemangel. Ein Grund wird jedoch selten thematisiert: der wachsende Widerstand wohnungspolitischer Aktivisten gegen Neubauprojekte. Unter dem Begriff "German Angst" ist die Sorge vieler Deutscher gegenüber großen Infrastrukturprojekten international längst bekannt. Hinzu kommt nun auch aktiver Widerstand gegen die Weiterentwicklung der Wohnungslandschaft, besonders im urbanen Raum. Lokaler Widerstand gegen Neubauprojekte ist so virulent, dass sich 2018 das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung mit der mangelnden "Bauakzeptanz" in Deutschland beschäftigte. In einer Studie wurden mehr als ein Dutzend Wohnungsbauvorhaben in sechs deutschen Städten analysiert. Ein Ergebnis war, dass Bauvorhaben "in vielfältiger Weise von den Anwohnerinnen und Anwohnern als Beeinträchtigung ihrer Wohn- und Lebenssituation empfunden werden" – ein Hemmschuh für zügigen Neubau.
Hier hilft ein Blick in die Vereinigten Staaten. In den USA ist das Phänomen der NIMBY schon lange bekannt. NIMBY ist ein Akronym, das für "Not In My Backyard" steht und frei übersetzt so viel wie "Nicht in meinem Kiez" (NIMKI) bedeutet. Es bezieht sich auf Aktivisten, die zwar generell anerkennen, dass es Lösungen für soziale und ökologische Probleme geben muss, dies aber nicht in ihrer unmittelbaren Nähe. Sie sehen ein, dass es mehr Wohnungsbau in Zentrumsnähe geben sollte, demonstrieren aber gegen zusätzliche Bebauung, wenn diese ihre unmittelbare Umgebung betrifft. Dabei unterschätzen die NIMKI-Aktivisten jedoch häufig, in welchem sozialen Zielkonfliktfeld sie sich befinden und wie hoch die Kosten ihres Engagements sind. Machen wir es konkret und betrachten zwei Zielkonflikte wohnungspolitischen Widerstandsaktivismus: einen ökologischen und einen sozialen.
Ökonomen und Umweltwissenschaftler betonen immer wieder die Relevanz des dicht besiedelten urbanen Raums im Kampf gegen den Klimawandel: "Würde die gesamte Bevölkerung so dicht leben wie in Manhattan, würden fast alle acht Milliarden Menschen auf der Welt in ein Gebiet der Größe Deutschlands passen."
Der wohnungspolitische Widerstand verursacht aber auch hohe soziale Kosten. Denn zusätzliche Wohneinheiten in beliebten Stadtteilen führen tendenziell dazu, dass die Preise für einkommensschwache Haushalte sinken – egal, ob sie von Privatvermietern, Unternehmen oder kommunalen Trägern gebaut werden. Die ökonomische Logik lehrt, dass – unter sonst gleichen Bedingungen – eine Ausweitung des Wohnangebots den Preis für Eigentum und Mieten senkt, und dies auch für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen. Beim Bau zusätzlicher Sozialwohnungen mag das schon intuitiv einleuchten, es gilt jedoch auch für Wohnungen, die zum höheren Marktpreis angeboten werden. Eine Vielzahl empirischer Studien aus den vergangenen Jahren zeigt, dass der "Angebotseffekt" wirkt: Zusätzliches Angebot senkt die Mieten in der Umgebung, weil mehr Angebot auf relativ weniger Nachfrage trifft und das bestehende Wohnungsangebot entlastet wird.
Dabei ist die Position der NIMKI-Fraktion durchaus nachvollziehbar: Bürger organisieren sich auf freiwilliger Basis, weil sie sich einer Entwicklung gegenübersehen, die den Charakter ihres Kiezes zum Schlechteren verändert. Die Stadtplanerin Jane Jacobs beschrieb diesen Widerstand schon in ihrem 1962 erschienenen Buch "Tod und Leben großer amerikanischer Städte".
Diese Interpretation der NIMKI-Motivation stößt aber an Grenzen. Denn sie unterschätzt, wie schnell Bürgerbeteiligungen von den Interessen privilegierter Gruppen gekapert werden. Die Insider-Outsider-Theorie des Politikwissenschaftlers Mancur Olson warnt davor, dass oft nicht gemeinwohlorientierte lokale Befindlichkeiten, sondern das Eigeninteresse der Kiezbewohner Motor des Widerstands gegen neue Bauprojekte ist.
Angesichts der durch den Widerstand gegen urbanes Bauen und Wohnen aufgeworfenen Zielkonflikte stellt sich die Frage, welcher Ordnungsrahmen eine Verhandlung dieser sozialen Konflikte am besten ermöglicht.
Von Konflikt zu Kooperation – ein liberaler Ordnungsrahmen für die Stadt
Liberalen Lösungen für die Wohnungsfrage begegnet immer wieder das Argument, der Markt sei ein Ort des Konflikts. Diese Charakterisierung des Markts als Raum sozialen Konflikts ist ebenso richtig wie trivial. Begrenzte Ressourcen treffen in jeder polit-ökonomischen Ordnung auf die Unendlichkeit menschlicher Wünsche und Bedürfnisse. Insofern ist nicht die Frage, ob eine polit-ökonomische Ordnung ein Raum des sozialen Konfliktes ist, sondern, welche Ordnung am besten in der Lage ist, die größte Zahl an Wünschen und Bedürfnissen zu erfüllen und Konflikte um begrenzte Ressourcen zu entschärfen. Ein liberaler Ordnungsrahmen aus urbanen Märkten und "hyperlokaler" Demokratie scheint uns dafür besonders geeignet, weil es in ihm gelingen kann, soziale Zielkonflikte um begrenzte Ressourcen in nutzensteigernde soziale Kooperationen zu verwandeln.
Kooperation in der urbanen Marktwirtschaft
Seit Jahrhunderten prägen Märkte die Städte. Der Stadtplaner Alain Bertaud etwa zeigt am Beispiel verschiedener Städte wie der antiken Stadt Milet im 6. Jahrhundert v. Chr., New York City im 19. Jahrhundert oder den modernen Geschäftsbezirken Shanghais, dass Angebot und Nachfrage die erfolgreiche räumliche Entwicklung von Städten antreiben.
Was ist, muss aber ja nicht unbedingt wünschenswert sein. Märkte, und mit ihnen das freie Spiel von Angebot, Nachfrage und Preisen, sind aber in der Tat wünschenswerte Vermittler sozialer Zielkonflikte in der Stadt. Denn Preise sind "Signale, eingepackt in Anreize".
In Großstädten wie Berlin beispielsweise hat sich der Bestand von Einraumwohnungen in wenigen Jahren um rund ein Drittel erhöht.
Was passiert, wenn von politischer Seite gegen die kooperationsstiftende Signal- und Anreizfunktion von Preisen angearbeitet wird, zeigt das "Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin", besser bekannt als "Berliner Mietendeckel", das im Frühjahr 2020 beschlossen und vom Bundesverfassungsgericht gut ein Jahr später wegen mangelnder Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin für verfassungswidrig erklärt wurde. Das Gesetz sollte dafür sorgen, dass sich der Mietmarkt in Berlin entspannt. Es erließ (mit einer Reihe von Ausnahmen, die hauptsächlich Neubauten betrafen) einen Mietenstopp, der Mieterhöhungen zum Stichtag 18. Juni 2019 verbot, eine Mietobergrenze, die sich an einer zentralen Berliner Mietentabelle orientierte, und eine Mietsenkung, die eine Verringerung der Bestandsmiete erlaubte, wenn diese in Relation zum Einkommen zu hoch war. Nicht mehr dezentral-marktwirtschaftliche, sondern zentral-politische Faktoren entschieden nun über die Höhe des Mietpreises.
Das Ergebnis des Experiments war katastrophal: Der Mietmarkt in Berlin zerfiel in zwei Teile. Der durchschnittliche Mietpreis im regulierten Segment der älteren Wohnungen und Bestandsmietverträge fiel und kam so den privilegierten Insidern zugute, während die Preise im unregulierten Segment für Neubauten überdurchschnittlich stiegen und so den weniger privilegierten Outsidern weiter schadeten. Gleichzeitig brach das Wohnungsangebot ein: Die Anzahl der Mietannoncen fiel nach Einführung des Mietendeckels um bis zu 60 Prozent und "verharrt auch nach dessen Abschaffung auf diesem geringen Niveau".
Hyperlokale Entscheidungen statt privilegierter Bürgerbeteiligung
Marktwirtschaftlicher Urbanismus ist entscheidend, um soziale Zielkonflikte in der Stadt kooperativ zu lösen. Märkte sind aber nicht perfekt – und Bewohner haben ein legitimes Interesse und Mitspracherecht an der Entwicklung ihres Kiezes. Da Märkte negative externe Effekte urbaner Entwicklung wie zum Beispiel ein höheres Verkehrsvolumen, einen überfüllten Nahverkehr oder die ästhetische Veränderung von Kiezen mitunter nicht mit einpreisen und gewisse Probleme der Vermachtung mit ihnen einhergehen können, braucht die urbane Marktwirtschaft eine korrigierende Ergänzung.
Was aber ist das richtige Forum für kollektive wohnungspolitische Entscheidungen? Aus den Vereinigten Staaten lernen wir, dass eine suboptimale Dezentralisierung negative Effekte haben kann. So zeigte sich etwa, dass die "Bemühungen um die Übertragung einiger Befugnisse im Bereich der Raumordnung und Planung auf große nachbarschaftliche Räte mit dreißig- bis hunderttausend Einwohnern nicht sonderlich erfolgreich" waren.
Straßen- beziehungsweise Blockwahlen sind ein Konzept, das besonders in den Ballungsgebieten des Vereinigten Königreichs immer mehr Anhänger über die Parteigrenzen hinweg gewinnt.
Marktwirtschaftliche Lösungen stellen dezentral Wissen und Anreize für die kooperationsgeleitete Entwicklung einer Stadt bereit. Ähnlich wie die zentralisierte Stadtplanung können sie aber auch externe Effekte verursachen, die von Anwohnern getragen werden müssen und zu Widerstand gegen jede Art von Entwicklung und Nachverdichtung führen. Straßenwahlen beteiligen eine begrenzte Anzahl von betroffenen Eigentümern und Mietern an der Gestaltung ihrer unmittelbaren Nachbarschaft und helfen so dabei, lokalen Widerstand gegen die urbane Entwicklung zu verringern und Zielkonflikte kooperativ zu lösen. Eine Kombination beider Ansätze bildet das Herz eines liberalen Ordnungsrahmens für das Bauen und Wohnen in der Stadt.
Fazit
Zielkonflikte um begrenzte Ressourcen sind unumgänglich. Denn menschliche Wünsche und Bedürfnisse sind unendlich und soziale Zielkonflikte damit nie zur Zufriedenheit aller lösbar. Gleichzeitig sind Menschen fehlbar und institutionelle Lösungen nie perfekt. Im Vergleich zu anderen unvollkommenen institutionellen Alternativen erlaubt uns ein liberaler Ordnungsrahmen aus urbaner Marktwirtschaft und hyperlokaler Beteiligung aber, Zielkonflikte möglichst kooperativ zu lösen.
So wie Jane Jacobs in den 1950er und 1960er Jahren gegen Entwicklungen in New York City ankämpfte, die den historischen Charakter Manhattans ohne Zustimmung der lokalen Bevölkerung verändert hätten, so widersetzen sich NIMKI der Veränderung ihrer Kieze heute. Doch verpassen sie es, die sozialen und ökologischen Kosten einzubeziehen, die durch die mangelnde Verdichtung deutscher Städte entstehen: Die NIMKI-Insider stehen sozial im Konflikt mit den Wohnungsbedürfnissen der urbanen Outsider und ökologisch im Konflikt mit dem Einsatz für eine gesunde Umwelt. Es braucht einen Ordnungsrahmen für die Stadt, der diese beiden schwelenden sozialen Zielkonflikte löst. Eine liberale Lösung setzt dabei auf die kooperative Wirkung urbaner Märkte und hyperlokaler Beteiligung. Märkte erlauben die Verwandlung sozialer Zielkonflikte um begrenzte Ressourcen in Kooperationen, in denen beide Seiten von der Kooperation profitieren. Dabei nutzen Märkte den Preismechanismus, um Wissen und Anreize zu generieren und soziale Konflikte innerhalb der Stadt kooperativ zu lösen. Verhindert ein Marktversagen jedoch, dass begrenzte Ressourcen effizient eingesetzt werden, schlagen wir hyperlokale Beteiligungsformen als Teil der Lösung vor. Straßen- und Blockwahlen erlauben es Eigentümern und Mietern, sich außerhalb des Preismechanismus und dessen potenzieller Machtverzerrung sowie jenseits zentraler politischer Weisungen über die bauliche Entwicklung ihrer unmittelbaren Umgebung auseinanderzusetzen und so Lösungen für soziale Zielkonflikte zu finden.