Bezahlbarer und klimaschonender Wohnraum ist zu knapp in Deutschland. Doch kann die Antwort auf den offenkundigen Mangel allein im Neubau gesucht werden? Nur mühevoll und langsam zeichnet es sich in den Debatten ab: Gesellschaftlich können wir uns weder Flächenneuinanspruchnahme noch einen entsprechenden Materialeinsatz mit Beton und Stahl leisten. Zudem lindert Neubau die Wohnungsnot nur sehr begrenzt. Der steigende und überdies ungleich verteilte Wohnflächenverbrauch ist stattdessen einer der wichtigsten Treiber einer sozialökologischen Wohnungskrise. Deshalb ist ein neuer Blick auf Wohnungs- und Baupolitik vonnöten. Denn Klima- und Wohnungskrise sind derartig ineinander verwoben, dass eine gesonderte Betrachtung und Bearbeitung nur Scheinlösungen und Rebound-Effekte produzieren.
Wir schlagen vor, die (Um-)Verteilung von Wohnraum stärker in den Mittelpunkt der medialen und wissenschaftlichen Debatte um das Wohnen und Bauen zu rücken. Dabei geht es nicht nur um Wohnflächenungleichheit, sondern auch um Wohnflächenungerechtigkeit:
Im Folgenden zeigen wir zunächst die Krisen auf, die im derzeitigen Spannungsfeld zwischen Wohnraum als menschlichem Bedürfnis, warenförmigem Produkt und materieller (ökologischer) Ressource bestehen. Im Anschluss arbeiten wir skizzenhaft heraus, welche Wege sich für eine antidiskriminierende und klimaneutrale Wohnraumversorgung in Deutschland ergeben könnten. Die Skizze zielt zum einen auf einen Umbau des Baubestands sowie der Baubranche selbst und thematisiert, wie über Flächenkreislaufwirtschaft und eine konsequente Operationalisierung des 30-Hektar-Ziels, mit dem die Bundesregierung bis 2030 die Flächenneuinanspruchnahme pro Tag auf 30 Hektar und bis 2050 auf Netto-Null begrenzen will, die (Wohn-)Flächenverteilung in Deutschland neu geregelt werden kann. Zum anderen geht es um den Ausbau wohnraumverteilender Maßnahmen, also um Umverteilungsanreize sowohl auf Bundes- als auch auf städtischer Ebene (etwa über Wohnungstauschplattformen). Schließlich schlagen wir vor, den Abbau von Diskriminierung bei der Versorgung mit (ökologischem) Wohnraum stärker zu fokussieren, insbesondere durch eine inklusive und langfristige soziale Wohnungspolitik, gesteigerte Antidiskriminierungsmaßnahmen sowie eine gerechtere Verteilung der Kosten energetischer Sanierungen. Mit der Kombination von bereits bekannten mit bislang noch kaum debattierten politisch-planerischen Maßnahmen sollen der Debatte angesichts einer sich zuspitzenden Energiekrise und steigender Wohnkostenbelastungen neue Impulse gegeben werden.
Ungerechte Wohnflächenverteilung
Um den aktuellen Engpässen auf dem Wohnungsmarkt zu begegnen, hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart, 400000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, 100000 davon öffentlich gefördert.
Gleichzeitig gibt es in Deutschland so viel verfügbaren Wohnraum wie nie zuvor, innerhalb eines Jahrzehnts kamen zuletzt mehr als zwei Millionen neue Wohnungen hinzu.
Was jedoch auch auffällt: Wohnfläche ist sozial enorm ungleich verteilt. Neben Faktoren wie der Haushaltsgröße bestimmt vor allem das Einkommen über die Wohnverhältnisse: Ärmeren Haushalten stehen deutlich weniger Quadratmeter zur Verfügung als Haushalten mit hohem Einkommen.
Ungleiche Wohnverhältnisse sind keineswegs ein neues Phänomen. Zwar haben sich durch eine Art "Fahrstuhleffekt"
Fluchtpunkte im Wimmelbild der Wohnungspolitik
Bauen und Wohnen sind ohne Zweifel komplexe Politikfelder. In Deutschland wirken alle staatlichen Ebenen – von der Kommune über die Bundesländer, die Bundesregierung und -ministerien bis hin zur EU – direkt und indirekt an der Bereitstellung von und der Versorgung mit Wohnraum mit. Hinzu treten zahlreiche weitere Akteure wie Unternehmen und Investor*innen, Interessengruppen, Sozialverbände und soziale Bewegungen. Und nicht zu vergessen: die Bewohner*innen selbst!
Historisch entstand Wohnungspolitik als "Wanderungsverarbeitungsmaschine",
Neubau kann angesichts seiner negativen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Klimawandel nur eine Notlösung sein, um Wohnungsengpässen in besonders angespannten Regionen zu begegnen. Dass dieser Wohnraum dann ökologisch und klimaneutral produziert werden sowie bezahlbar und auch für diskriminierte Gruppen zugänglich sein muss, liegt auf der Hand. Angesichts endlicher Ressourcen, einer unbeständigen Weltwirtschaft, Fachkräftemangel und Lieferengpässen sollten Alternativen zum Neubau stärker in den Vordergrund gerückt werden.
50 Jahre nach Erscheinen des ersten Berichts des Club of Rome und den Anfängen der Umweltbewegung geht es nicht nur darum, die "Grenzen des Wachstums" zu beachten, sondern auch darum, "Kehrtwenden für globale Gerechtigkeit auf einem gesunden Planeten" zu vollziehen.
Umbau: Bestand sanieren und pflegen
Mitte 2022 setzten sich zahlreiche namhafte Architekt*innen und Verbände mit einem offenen Brief für ein Abrissmoratorium ein: "Statt Abriss und Neubau stehen wir für Erhalt, Sanierung, Umbau und Weiterbauen im Bestand. Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls, also der Prüfung der sozialen und ökologischen Umweltwirkungen."
Für einen Umbau braucht es derweil dreierlei: erstens eine Konversion der Bauindustrie in eine "Umbauindustrie", die zuvorderst und staatlich unterstützt die energetische Sanierungsquote von derzeit einem auf vier Prozent steigert.
Für einen gelingenden Umbau der Wohnraumversorgung ist zudem eine strategische Steuerung des gesamtgesellschaftlichen Flächenverbrauchs vonnöten. Die Vorschläge liegen hier schon auf dem Tisch: Flächenkreislaufwirtschaft, kooperative Baulandmodelle, aktive kommunale Bodenbevorratung und interkommunale Kooperation können helfen, den gegenwärtigen Flächenwettbewerb, zum Beispiel um die Ausweisung neuer Bauflächen für Einfamilienhäuser, zu unterbinden.
Ausbau: Instrumente der Wohnraum(um)verteilung stärken
Für die Dekarbonisierung des Wohn- und Bausektors sind gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und Antworten auf die Frage notwendig: "Wie viel Wohnraum ist genug?"
Ein individuelles Flächenbewusstsein, das durch Sensibilisierungsangebote (Stichwort: Remanenzeffekt) sicherlich gefördert werden könnte, kann allenfalls ein kleiner Baustein bei den Umverteilungsanreizen sein. Denn oft scheitert ein Umzug an zu hohen Mietkosten bei Neuanmietung. Weitaus wichtiger ist es, flächensparendes Wohnen durch konkrete Strukturen zu fördern: Auf kommunaler Ebene könnten Verwaltungen Wohnungstauschplattformen oder Aktionsstellen zur effizienten Wohnraumnutzung schaffen. Zudem gilt es, alternative Wohn- und flexible Nutzungskonzepte zu fördern, um Wohnraum stärker gemeinschaftlich zu nutzen. Der Trend (noch immer) steigender Wohnfläche pro Person könnte durch suffizienzorientierte Maßnahmen wie diese abgemildert werden.
Doch auch hier gilt: Der eigentliche Elefant im Raum wird bei diesen Ansätzen ausgespart. Nötig wären wirkungsvolle Instrumente der Wohnflächenbegrenzung auf staatlicher Ebene. Konkret: Große Haushalte sollten bei der Neuvermietung gegenüber kleinen Haushalten bevorzugt werden. Zudem könnte ein steuerlicher Anreiz gesetzt werden, zum Beispiel über eine verbindliche Wohnflächenabgabe für besonders große Wohnflächen pro Person oder über eine ebenfalls wohnflächenabhängige Besteuerung des bewohnten Eigentums, wie dies etwa in der Schweiz praktiziert wird. Als noch schärferes Schwert könnte über das Ordnungsrecht ein Verbot des Wohnens oberhalb von Maximalwohnflächen geschaffen werden. Bisher wirken solche Obergrenzen sozial ungleich: Lediglich Menschen im SGB-II-Bezug müssen Rechenschaft darüber ablegen, ob ihre Wohnung "angemessen" ist. Für einen Zwei-Personen-Haushalt bedeutet das, dass die Wohnung nicht größer als 65 Quadratmeter sein sollte.
Abbau: Diskriminierung bei der Wohnraumversorgung entgegenwirken
Wird sozialökologische Gerechtigkeit in den Vordergrund der Wohnraumpolitik gestellt, geht es darum, alle mit gutem und ökologischem Wohnraum zu versorgen. Denn angemessener Wohnraum ist ein Menschenrecht,
Vielmehr geht es darum, Wohnen als Teil der sozialen Infrastruktur zu verstehen. Das bedeutet, bedingungslos Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen (Housing First) und den Zugang aller Menschen – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder Beschäftigungssituation – zu sozialer Sicherung sicherzustellen. Durch eine Stärkung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der Antidiskriminierungsstellen sollten Menschen zudem stärker vor rassistischen und anderen Formen von Diskriminierung geschützt und bei der Wohnraumsuche unterstützt werden. Darüber hinaus ist die Ausweitung des Bestands an sozialem, gemeinschaftlich verwaltetem oder kommunal verfügbarem Wohnraum zentral. Ein – beispielsweise durch Vergesellschaftung geschaffener – Wohnraum kann nicht nur von multipler Diskriminierung und Armut betroffenen Bevölkerungsgruppen zugänglich gemacht werden, sondern auch nicht-profitorientiert vermietet werden. Dies wiederum ermöglicht eine flächensuffiziente und klimaschonende Umgestaltung und Vermietung.
Ähnlich wie beim Wohnflächenverbrauch leben auch beim Energieverbrauch insbesondere diejenigen Menschen, die von Armut und Diskriminierung betroffen sind, oft gezwungenermaßen klimafreundlich. Bereits 2021, also vor dem starken Anstieg der Heizkosten seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, konnten es sich 2,6 Millionen Menschen in Deutschland nicht leisten, ihren Wohnraum angemessen zu heizen.
Gutes Wohnen für alle – gerade in der Krise
Angesichts der Zuspitzung der Wohnungs-, aber auch der Klimakrise sind soziale und ökologische Aspekte bei der Wohnraumversorgung gleichermaßen und vor allem in ihrer Verschränkung zu betrachten. Wenn Neubau mit dem Verlust von Biodiversität und Versickerungsflächen und dem Verbrauch zusätzlicher Ressourcen für den Bau und Betrieb neuer Flächen einhergeht – und vor allem am Grundproblem einer profitorientierten und sozial ungleichen Wohnraumversorgung nichts ändert –, ist dringend über Alternativen nachzudenken. Die Anpassung und Verteilung des existierenden Wohnraums stärker zu forcieren, sehen wir als zentrales Element eines notwendigen Paradigmenwechsels im Bereich des Wohnens und Bauens. Drei Fluchtpunkte können dabei aus unserer Sicht als Basis für eine sozialökologische Wohnungspolitik dienen: der Umbau des Bestandes, der Ausbau wohnraum(um)verteilender Maßnahmen sowie der Abbau von Zugangsbarrieren zu (ökologischem) Wohnraum. Diese drei Fluchtpunkte dürfen nicht voneinander getrennt betrachtet und diskutiert werden – nur in der Gesamtschau und in ihrer Wechselwirkung ergeben sie das Bild einer gerechteren Wohnungspolitik.