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Umverteilung statt Neubau | Bauen und Wohnen | bpb.de

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Umverteilung statt Neubau Skizze einer sozialökologischen Wohnungspolitik

Miriam Neßler Anton Brokow-Loga

/ 14 Minuten zu lesen

Dass es in Deutschland an bezahlbarem Wohnraum mangelt, ist unumstritten. Während der Neubau dem Klima schadet, gibt es heute gleichzeitig so viel Wohnraum wie nie zuvor. Es ist an der Zeit, Wohnungsfragen sozial und ökologisch zu betrachten.

Bezahlbarer und klimaschonender Wohnraum ist zu knapp in Deutschland. Doch kann die Antwort auf den offenkundigen Mangel allein im Neubau gesucht werden? Nur mühevoll und langsam zeichnet es sich in den Debatten ab: Gesellschaftlich können wir uns weder Flächenneuinanspruchnahme noch einen entsprechenden Materialeinsatz mit Beton und Stahl leisten. Zudem lindert Neubau die Wohnungsnot nur sehr begrenzt. Der steigende und überdies ungleich verteilte Wohnflächenverbrauch ist stattdessen einer der wichtigsten Treiber einer sozialökologischen Wohnungskrise. Deshalb ist ein neuer Blick auf Wohnungs- und Baupolitik vonnöten. Denn Klima- und Wohnungskrise sind derartig ineinander verwoben, dass eine gesonderte Betrachtung und Bearbeitung nur Scheinlösungen und Rebound-Effekte produzieren. Mit einem Verständnis von Wohnraum als endlicher Ressource hingegen lassen sich umfassende Lösungsansätze für die multiple Wohnungskrise herausarbeiten.

Wir schlagen vor, die (Um-)Verteilung von Wohnraum stärker in den Mittelpunkt der medialen und wissenschaftlichen Debatte um das Wohnen und Bauen zu rücken. Dabei geht es nicht nur um Wohnflächenungleichheit, sondern auch um Wohnflächenungerechtigkeit: Bislang sind die Verteilungsmechanismen von Wohnflächen nicht am Bedürfnis, sondern (maßgeblich) am Einkommen ausgerichtet. Wie kann angesichts dieser fehlenden Wohnflächengerechtigkeit eine sozialökologische Wohnraumversorgung aussehen?

Im Folgenden zeigen wir zunächst die Krisen auf, die im derzeitigen Spannungsfeld zwischen Wohnraum als menschlichem Bedürfnis, warenförmigem Produkt und materieller (ökologischer) Ressource bestehen. Im Anschluss arbeiten wir skizzenhaft heraus, welche Wege sich für eine antidiskriminierende und klimaneutrale Wohnraumversorgung in Deutschland ergeben könnten. Die Skizze zielt zum einen auf einen Umbau des Baubestands sowie der Baubranche selbst und thematisiert, wie über Flächenkreislaufwirtschaft und eine konsequente Operationalisierung des 30-Hektar-Ziels, mit dem die Bundesregierung bis 2030 die Flächenneuinanspruchnahme pro Tag auf 30 Hektar und bis 2050 auf Netto-Null begrenzen will, die (Wohn-)Flächenverteilung in Deutschland neu geregelt werden kann. Zum anderen geht es um den Ausbau wohnraumverteilender Maßnahmen, also um Umverteilungsanreize sowohl auf Bundes- als auch auf städtischer Ebene (etwa über Wohnungstauschplattformen). Schließlich schlagen wir vor, den Abbau von Diskriminierung bei der Versorgung mit (ökologischem) Wohnraum stärker zu fokussieren, insbesondere durch eine inklusive und langfristige soziale Wohnungspolitik, gesteigerte Antidiskriminierungsmaßnahmen sowie eine gerechtere Verteilung der Kosten energetischer Sanierungen. Mit der Kombination von bereits bekannten mit bislang noch kaum debattierten politisch-planerischen Maßnahmen sollen der Debatte angesichts einer sich zuspitzenden Energiekrise und steigender Wohnkostenbelastungen neue Impulse gegeben werden.

Ungerechte Wohnflächenverteilung

Um den aktuellen Engpässen auf dem Wohnungsmarkt zu begegnen, hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart, 400000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, 100000 davon öffentlich gefördert. Unabhängig davon, wie realistisch dieses Ziel ist: Der Bau- und Gebäudesektor ist einer der Haupttreiber des Klimawandels. Mit allen vor- und nachgelagerten Bereichen macht er 40 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen aus. Zwei Drittel davon gehen auf Emissionen des Wohngebäudebestands zurück, insbesondere durch Wärmeerzeugung. Doch auch sonst trägt der Bau- und Gebäudesektor zum Verbrauch von Bau- und Bodenressourcen bei: Im Jahr 2016 kamen in Deutschland auf jede*n Einwohner*in mehr als 100 Tonnen Baumaterial, knapp die Hälfte davon Beton, der in Wohngebäuden verbaut ist. Neu gebaute Wohngebäude sind für etwa die Hälfte der in Deutschland neu versiegelten Siedlungs- und Verkehrsflächen verantwortlich. Neubau trägt damit zum Verlust von für die Lebensqualität wichtigen Frei- und Grünflächen, von Biodiversität und von resilienten Ökosystemen bei. Täglich werden in Deutschland im Schnitt rund 54 Hektar Freifläche neu als Verkehrs- und vor allem als Siedlungsflächen ausgewiesen.

Gleichzeitig gibt es in Deutschland so viel verfügbaren Wohnraum wie nie zuvor, innerhalb eines Jahrzehnts kamen zuletzt mehr als zwei Millionen neue Wohnungen hinzu. Die Pro-Kopf-Wohnfläche hat sich in den vergangenen 60 Jahren mehr als verdoppelt und lag 2017 bei 47,7 Quadratmetern pro Person. Der gestiegene Verbrauch lässt sich vor allem auf die "paradoxerweise (…) exklusive und zugleich gesellschaftlich normalisierte Wohnform" des Einfamilienhauses zurückführen. Auch der demografische Wandel hin zu Einpersonenhaushalten, gestiegene Wohnstandards sowie der sogenannte Remanenzeffekt, der beschreibt, dass Menschen nach dem Auszug von Haushaltsmitgliedern in nun eigentlich zu großen Wohnungen weiterwohnen, führt zu einem steigenden Wohnflächenverbrauch pro Person.

Was jedoch auch auffällt: Wohnfläche ist sozial enorm ungleich verteilt. Neben Faktoren wie der Haushaltsgröße bestimmt vor allem das Einkommen über die Wohnverhältnisse: Ärmeren Haushalten stehen deutlich weniger Quadratmeter zur Verfügung als Haushalten mit hohem Einkommen. Sie wohnen häufiger in Mietwohnungen, die im Schnitt 75 Quadratmeter groß sind; Wohneigentümer*innen leben im Schnitt auf 125 Quadratmetern. Personen mit geringem Einkommen stehen weniger als 50 Quadratmeter zur Verfügung, Personen mit hohem Einkommen fast 90. Auch die eigene und die familiäre Herkunft machen einen Unterschied: Menschen mit Migrationshintergrund verfügen durchschnittlich über weniger Wohnfläche als Menschen ohne Migrationshintergrund. Dass dies Fragen sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Gerechtigkeit berührt, liegt auf der Hand. Die individuelle Wohnfläche ist jedoch nicht nur Ausdruck von, sondern auch Ursache für soziale Ungleichheiten. Dies haben zuletzt die Corona-Pandemie und die frappierend ungleichen Möglichkeiten des Isolierens und Arbeitens zu Hause deutlich gezeigt.

Ungleiche Wohnverhältnisse sind keineswegs ein neues Phänomen. Zwar haben sich durch eine Art "Fahrstuhleffekt" die Wohnverhältnisse für immer größere Teile der Bevölkerung verbessert, die Ungleichheiten blieben jedoch bestehen. Ein Grundproblem besteht darin, dass bei einer marktförmig organisierten Wohnraumversorgung Wohnraum nicht nur ein Grundbedürfnis befriedigt, sondern auch als Ware gehandelt wird. Dabei kommt es, wenn Angebot und Nachfrage sich auseinanderentwickeln, in zyklischen Abständen zu Wohnungsknappheit und zur "ewig neue[n] Wohnungsfrage". Doch wie kann angesichts der eingangs skizzierten ökologischen Implikationen des (Neu-)Bauens auf Wohnungskrisen reagiert werden?

Fluchtpunkte im Wimmelbild der Wohnungspolitik

Bauen und Wohnen sind ohne Zweifel komplexe Politikfelder. In Deutschland wirken alle staatlichen Ebenen – von der Kommune über die Bundesländer, die Bundesregierung und -ministerien bis hin zur EU – direkt und indirekt an der Bereitstellung von und der Versorgung mit Wohnraum mit. Hinzu treten zahlreiche weitere Akteure wie Unternehmen und Investor*innen, Interessengruppen, Sozialverbände und soziale Bewegungen. Und nicht zu vergessen: die Bewohner*innen selbst!

Historisch entstand Wohnungspolitik als "Wanderungsverarbeitungsmaschine", in Reaktion auf Urbanisierungsprozesse. Noch heute ist das Spannungsfeld zwischen mobilen Menschen und immobilen Gebäuden ein wichtiger Treiber der Wohnungspolitik. Gleichzeitig ist ein Gebäude "kein statisches Objekt, sondern ein sich bewegendes Projekt". Im Laufe seines Lebens verändert es sich und wird verändert; es muss sich veränderten Wohnbedarfen und gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen.

Neubau kann angesichts seiner negativen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Klimawandel nur eine Notlösung sein, um Wohnungsengpässen in besonders angespannten Regionen zu begegnen. Dass dieser Wohnraum dann ökologisch und klimaneutral produziert werden sowie bezahlbar und auch für diskriminierte Gruppen zugänglich sein muss, liegt auf der Hand. Angesichts endlicher Ressourcen, einer unbeständigen Weltwirtschaft, Fachkräftemangel und Lieferengpässen sollten Alternativen zum Neubau stärker in den Vordergrund gerückt werden.

50 Jahre nach Erscheinen des ersten Berichts des Club of Rome und den Anfängen der Umweltbewegung geht es nicht nur darum, die "Grenzen des Wachstums" zu beachten, sondern auch darum, "Kehrtwenden für globale Gerechtigkeit auf einem gesunden Planeten" zu vollziehen. Nur durch eine Verringerung auch der sozialen Ungleichheit lässt sich die Klimakrise lösen. Gemeinsame Aufgabe von Politik, Wirtschaft und (Zivil-)Gesellschaft ist es demnach, Verteilungsfragen in den Blick zu nehmen und eine Lösung der Wohnungsfrage auf Basis des derzeitigen Bestands zu suchen. Für diese politische Mammutaufgabe, die auch auf Postwachstumsideen basiert, schlagen wir drei Fluchtpunkte vor, die wir im Folgenden unter den Stichworten Umbau, Ausbau und Abbau diskutieren.

Umbau: Bestand sanieren und pflegen

Mitte 2022 setzten sich zahlreiche namhafte Architekt*innen und Verbände mit einem offenen Brief für ein Abrissmoratorium ein: "Statt Abriss und Neubau stehen wir für Erhalt, Sanierung, Umbau und Weiterbauen im Bestand. Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls, also der Prüfung der sozialen und ökologischen Umweltwirkungen." Die Initiative argumentiert mit den enormen Bau- und Abbruchabfällen und plädiert für die Bewahrung der sogenannten grauen Energie. Tatsächlich müsste die Forderung allerdings noch weitreichender sein und konsequenterweise auch den Neubau von Wohnungen umfassen. Bereits 2015 forderte der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Fuhrhop, das Bauen zu verbieten. Doch ein Neubaumoratorium, wie es etwa für Bundesfernstraßen längst gefordert wird, hat es im Bereich der Wohnungspolitik bislang schwer: Zu tief sitzt die Vorstellung, dass dies zulasten der Ärmsten gehen würde. Hier kommt es darauf an, welcher Wohnraum am Ende tatsächlich fertiggestellt wird. Und es gilt: Nur in Kombination mit einem Ausbau wohnraum(um)verteilender Maßnahmen und dem Abbau von Diskriminierung hat ein Wohnungsneubaumoratorium den gewünschten Effekt.

Für einen Umbau braucht es derweil dreierlei: erstens eine Konversion der Bauindustrie in eine "Umbauindustrie", die zuvorderst und staatlich unterstützt die energetische Sanierungsquote von derzeit einem auf vier Prozent steigert. Denn Energieeffizienz, Dämmung und der Austausch fossiler Heizungen sind ein zentraler Hebel, um die CO2-Emissionen im Gebäudesektor zu reduzieren. Zweitens ist eine Relokalisierung der Branche erforderlich, unter anderem also eine stärkere Verwendung von lokalen Baumaterialien, auch um unabhängiger von Schwankungen der globalen Ökonomie zu werden. Dabei hilft drittens auch die "Rezyklierung" von Baumaterialien: Für Sanierungsvorhaben, Aufstockungen oder Erweiterungen von Gebäuden sollte beachtet werden, wie bereits verwendete Ressourcen weiterverwendet werden können.

Für einen gelingenden Umbau der Wohnraumversorgung ist zudem eine strategische Steuerung des gesamtgesellschaftlichen Flächenverbrauchs vonnöten. Die Vorschläge liegen hier schon auf dem Tisch: Flächenkreislaufwirtschaft, kooperative Baulandmodelle, aktive kommunale Bodenbevorratung und interkommunale Kooperation können helfen, den gegenwärtigen Flächenwettbewerb, zum Beispiel um die Ausweisung neuer Bauflächen für Einfamilienhäuser, zu unterbinden. Doch auch hier fehlt der letzte, entscheidende Schritt: Das 30-Hektar-Ziel der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie muss für die Kommunen handhabbar gemacht werden. Denkbar wäre hier etwa die Ausweisung eines fixen (handelbaren) Budgets für Bundesländer, das dann auf die Regionen und Kommunen heruntergerechnet werden könnte. Nicht zuletzt sollten Möglichkeiten der (Flächen-)Umnutzung und der Anpassung des Gebäudebestandes in einem Umbaurecht ausgeweitet werden.

Ausbau: Instrumente der Wohnraum(um)verteilung stärken

Für die Dekarbonisierung des Wohn- und Bausektors sind gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und Antworten auf die Frage notwendig: "Wie viel Wohnraum ist genug?" Angesichts der ökologischen Folgen, die mit einem steigenden Pro-Kopf-Verbrauch und dem Neubau einhergehen, ist es wichtig, dass sich ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür entwickelt, dass (Wohn-)Fläche ein wertvolles Gut ist. Der kritische Blick auf die Quadratmeterzahl der eigenen Wohnung ist daher gewiss als Teil eines (klima)bewussten Lebensstils zu sehen – doch die Frage danach, wie viel Wohnraum "genug" ist, sollte nicht nur individuell gestellt werden. Vielmehr sollte der Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerichtet werden, die zu einem fehlenden "Bodenbewusstsein" und gleichzeitig zu dem Paradox des oft unfreiwilligen flächensparenden Wohnens von Menschen mit geringem Einkommen beitragen. Ziel einer sozial-ökologischen Wohnraumpolitik ist es daher, die Verteilungsmechanismen des (bestehenden) Wohnraums zu hinterfragen und neu zu justieren.

Ein individuelles Flächenbewusstsein, das durch Sensibilisierungsangebote (Stichwort: Remanenzeffekt) sicherlich gefördert werden könnte, kann allenfalls ein kleiner Baustein bei den Umverteilungsanreizen sein. Denn oft scheitert ein Umzug an zu hohen Mietkosten bei Neuanmietung. Weitaus wichtiger ist es, flächensparendes Wohnen durch konkrete Strukturen zu fördern: Auf kommunaler Ebene könnten Verwaltungen Wohnungstauschplattformen oder Aktionsstellen zur effizienten Wohnraumnutzung schaffen. Zudem gilt es, alternative Wohn- und flexible Nutzungskonzepte zu fördern, um Wohnraum stärker gemeinschaftlich zu nutzen. Der Trend (noch immer) steigender Wohnfläche pro Person könnte durch suffizienzorientierte Maßnahmen wie diese abgemildert werden.

Doch auch hier gilt: Der eigentliche Elefant im Raum wird bei diesen Ansätzen ausgespart. Nötig wären wirkungsvolle Instrumente der Wohnflächenbegrenzung auf staatlicher Ebene. Konkret: Große Haushalte sollten bei der Neuvermietung gegenüber kleinen Haushalten bevorzugt werden. Zudem könnte ein steuerlicher Anreiz gesetzt werden, zum Beispiel über eine verbindliche Wohnflächenabgabe für besonders große Wohnflächen pro Person oder über eine ebenfalls wohnflächenabhängige Besteuerung des bewohnten Eigentums, wie dies etwa in der Schweiz praktiziert wird. Als noch schärferes Schwert könnte über das Ordnungsrecht ein Verbot des Wohnens oberhalb von Maximalwohnflächen geschaffen werden. Bisher wirken solche Obergrenzen sozial ungleich: Lediglich Menschen im SGB-II-Bezug müssen Rechenschaft darüber ablegen, ob ihre Wohnung "angemessen" ist. Für einen Zwei-Personen-Haushalt bedeutet das, dass die Wohnung nicht größer als 65 Quadratmeter sein sollte. Zum Vergleich: Die bundesdurchschnittliche Wohnungsgröße, die von einem Zwei-Personen-Haushalt bewohnt wird, liegt bei 99 QuadratmeternWohnfläche. Ob und wie umverteilungsorientierte Ansätze umgesetzt und kontrolliert werden könnten, ist bisher kaum wissenschaftlich untersucht und noch viel weniger öffentlich debattiert.

Abbau: Diskriminierung bei der Wohnraumversorgung entgegenwirken

Wird sozialökologische Gerechtigkeit in den Vordergrund der Wohnraumpolitik gestellt, geht es darum, alle mit gutem und ökologischem Wohnraum zu versorgen. Denn angemessener Wohnraum ist ein Menschenrecht, auch wenn steigende Wohnungslosenzahlen und prekäre Wohnverhältnisse bei gleichzeitig abschmelzendem Sozialwohnungsbestand in Deutschland derzeit das Gegenteil vermuten lassen. Unterstützt werden müssten vor allem jene Menschen, die aufgrund geringer finanzieller Ressourcen oder wegen (multipler) Diskriminierung keinen oder keinen guten und ökologischen Wohnraum bewohnen. 2018 lebten mehr als 40000 Menschen auf der Straße. Fast 640000 weitere Personen waren wohnungslos und lebten in Unterkünften, Ho(s)tels oder bei Freund*innen. Doch klimafreundlich zu wohnen bedeutet nicht, ungewollt wenig oder keinen Wohnraum zur Verfügung zu haben!

Vielmehr geht es darum, Wohnen als Teil der sozialen Infrastruktur zu verstehen. Das bedeutet, bedingungslos Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen (Housing First) und den Zugang aller Menschen – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder Beschäftigungssituation – zu sozialer Sicherung sicherzustellen. Durch eine Stärkung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der Antidiskriminierungsstellen sollten Menschen zudem stärker vor rassistischen und anderen Formen von Diskriminierung geschützt und bei der Wohnraumsuche unterstützt werden. Darüber hinaus ist die Ausweitung des Bestands an sozialem, gemeinschaftlich verwaltetem oder kommunal verfügbarem Wohnraum zentral. Ein – beispielsweise durch Vergesellschaftung geschaffener – Wohnraum kann nicht nur von multipler Diskriminierung und Armut betroffenen Bevölkerungsgruppen zugänglich gemacht werden, sondern auch nicht-profitorientiert vermietet werden. Dies wiederum ermöglicht eine flächensuffiziente und klimaschonende Umgestaltung und Vermietung.

Ähnlich wie beim Wohnflächenverbrauch leben auch beim Energieverbrauch insbesondere diejenigen Menschen, die von Armut und Diskriminierung betroffen sind, oft gezwungenermaßen klimafreundlich. Bereits 2021, also vor dem starken Anstieg der Heizkosten seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, konnten es sich 2,6 Millionen Menschen in Deutschland nicht leisten, ihren Wohnraum angemessen zu heizen. Doch dies ist nur eine Facette von sogenannter Energiearmut: Menschen in ärmeren Haushalten wohnen seltener in energetisch sanierten und mit energieeffizienten und nicht-fossilen Heizungsarten ausgestatteten Wohnungen, obwohl dies mit geringeren Heizkosten einhergehen würde. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass energetische Modernisierungen zur Verdrängung einkommensschwacher Haushalte führen. Um einen gerechten Zugang zu energieeffizientem Wohnraum zu gewährleisten und gleichzeitig die Sanierungsrate voranzutreiben, bräuchte es dringend neue Modelle der Kostenteilung. Dass energetische Anpassungen nicht mit Mehrkosten für die Mieter*innen einhergehen dürfen, zumal diese keine Einflussmöglichkeiten auf die Heizungsart in ihrer Wohnung haben, liegt dabei eigentlich auf der Hand. Vorschläge wie das Drittelmodell, das eine Aufteilung der Kosten zwischen Vermieter*innen, Mieter*innen und Staat vorsieht, sollten schnellstmöglich geprüft und umgesetzt werden, um weitere Verdrängung und Deprivation zu vermeiden. Nur so kann der ökologische Umbau des Bestands auch sozial gerecht umgesetzt und in seiner ambitionierten Zielsetzung von der Gesellschaft mitgetragen werden.

Gutes Wohnen für alle – gerade in der Krise

Angesichts der Zuspitzung der Wohnungs-, aber auch der Klimakrise sind soziale und ökologische Aspekte bei der Wohnraumversorgung gleichermaßen und vor allem in ihrer Verschränkung zu betrachten. Wenn Neubau mit dem Verlust von Biodiversität und Versickerungsflächen und dem Verbrauch zusätzlicher Ressourcen für den Bau und Betrieb neuer Flächen einhergeht – und vor allem am Grundproblem einer profitorientierten und sozial ungleichen Wohnraumversorgung nichts ändert –, ist dringend über Alternativen nachzudenken. Die Anpassung und Verteilung des existierenden Wohnraums stärker zu forcieren, sehen wir als zentrales Element eines notwendigen Paradigmenwechsels im Bereich des Wohnens und Bauens. Drei Fluchtpunkte können dabei aus unserer Sicht als Basis für eine sozialökologische Wohnungspolitik dienen: der Umbau des Bestandes, der Ausbau wohnraum(um)verteilender Maßnahmen sowie der Abbau von Zugangsbarrieren zu (ökologischem) Wohnraum. Diese drei Fluchtpunkte dürfen nicht voneinander getrennt betrachtet und diskutiert werden – nur in der Gesamtschau und in ihrer Wechselwirkung ergeben sie das Bild einer gerechteren Wohnungspolitik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Rebound-Effekt meint, dass Einsparpotenziale von Effizienzsteigerungen nicht wie gewünscht realisiert werden. So können Wohnungen zum Beispiel gedämmt werden, der Energieverbrauch pro Person kann durch größere Wohnflächen aber dennoch steigen.

  2. Vgl. Anton Brokow-Loga/Miriam Neßler, Eine Frage der Flächengerechtigkeit! Kommentar zu Lisa Vollmer und Boris Michel "Wohnen in der Klimakrise. Die Wohnungsfrage als ökologische Frage", in: sub\urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung 1–2/2020, S. 183–192.

  3. Vgl. Mehr Fortschritt wagen. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Berlin 2021.

  4. Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Umweltfußabdruck von Gebäuden in Deutschland. Kurzstudie zu sektorübergreifenden Wirkungen des Handlungsfelds "Errichtung und Nutzung von Hochbauten" auf Klima und Umwelt, BBSR-Online-Publikation 17/2020, S. 17.

  5. Vgl. Bundesstiftung Baukultur, Baustoffe, Systeme, Nachhaltigkeit. Ressourcen für die Zukunft des Bauens, Ettersburger Gespräch 2019, Potsdam 2019, S. 2.

  6. Vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2016. Impulse für eine integrative Umweltpolitik, Berlin 2016, S. 246f.

  7. Vgl. Jonas Lage/Leon Leuser, Fläche unter Druck. Sozial-ökologische Dimensionen der Flächennutzung in deutschen Wachstumsregionen, in: Gaia 4/2019, S. 365–373.

  8. Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Flächenverbrauch – Worum geht es?, Externer Link: http://www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit-digitalisierung/nachhaltigkeit/strategie-und-umsetzung/flaechenverbrauch-worum-geht-es.

  9. Vgl. Umweltbundesamt, Wohnfläche, 5.11.2021, Externer Link: http://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/wohnen/wohnflaeche#zahl-der-wohnungen-gestiegen.

  10. Vgl. Statistisches Bundesamt, Gebäude und Wohnungen – Bestand an Wohnungen und Wohngebäuden, Bauabgang von Wohnungen und Wohngebäuden, Lange Reihen 1969–2021, Wiesbaden 2022, S. 5ff.

  11. Lage/Leuser (Anm. 7), S. 366.

  12. Vgl. Henrik Lebuhn et al., Wohnverhältnisse in Deutschland – eine Analyse der sozialen Lage in 77 Großstädten, Hans Böckler Stiftung, September 2017, S. 12.

  13. Vgl. Pekka Sagner, Wer wohnt wie groß? , Institut der deutschen Wirtschaft, IW-Kurzbericht 11/2021, Externer Link: https://www.iwkoeln.de/-500238.html.

  14. Vgl. Bundesregierung, Lebenslagen in Deutschland. Der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin 2017, S. 553.

  15. Siehe einführend Simon Liebig et al., Migration und Wohnen – Ein kritischer Blick auf den Wohnungsmarkt, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung, ILS-Trends 3/2022.

  16. Vgl. Anton Brokow-Loga (Hrsg.), Corona und die Stadt. Kommunale Beteiligungskultur in der Krise?, Bielefeld 2023 (i.E.).

  17. Hartmut Häußermann/Walter Siebel, Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens, Weinheim–München 1996, S. 127.

  18. Vgl. Andrej Holm, Wohnung als Ware: Zur Ökonomie und Politik der Wohnungsversorgung, in: Sebastian Schipper/Lisa Vollmer (Hrsg.), Wohnungsforschung, Bielefeld 2021, S. 73–84.

  19. Sebastian Schipper/Barbara Schönig, Die ewig neue Wohnungsfrage! Auf den Spuren bundesdeutscher Debatten zur sozialen Wohnraumversorgung, in: Björn Egner/Stephan Grohs/Tobias Robischon (Hrsg.), Die Rückkehr der Wohnungsfrage, Wiesbaden 2021, S. 77–98.

  20. Reinhardt C. Bartholomäi, Die Entwicklung des Politikfelds Wohnen, in: Björn Egner et al., Wohnungspolitik in Deutschland, Darmstadt 2004, S. 17–36, hier S. 17.

  21. Bruno Latour/Albena Yaneva, Die Analyse der Architektur nach der Actor-Network-Theorie (ANT), Basel u.a. 2008, S. 81 (Herv. i.O.).

  22. Club of Rome, Earth for all. Ein Survivalguide für unseren Planeten, München 2022, S. 9.

  23. Siehe einführend Anton Brokow-Loga/Frank Eckart (Hrsg.), Postwachstumsstadt. Konturen einer solidarischen Stadtpolitik, München 2019.

  24. Externer Link: https://abrissmoratorium.de.

  25. Graue Energie umfasst die gesamte "Lebensenergie" eines Gebäudes – vom Rohstoffan- und -abbau über den Bau bis hin zur Entsorgung.

  26. Vgl. Daniel Fuhrhop, Verbietet das Bauen. Eine Streitschrift, München 2015.

  27. Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft in Deutschland rechnet mit einer prozentualen Steigerung der Anfangsmiete im Neubau um 59 Prozent: von durchschnittlich 10,62 auf 16,87 Euro pro Quadratmeter. Gleichzeitig sinkt die Zahl der belegungsgebundenen Sozialwohnungen weiter. Vgl. Externer Link: http://www.gdw.de/pressecenter/pressemeldungen/truebe-aussichten.

  28. Vgl. Georg Kobiela et al., CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze, Wuppertal Institut, Oktober 2020.

  29. Vgl. Denise Ehrhardt et al., Stadtregionen im Spannungsfeld zwischen Wohnungsfrage und Flächensparen, in: Raumforschung und Raumordnung 5/2022, S. 522–541.

  30. Vgl. Bundesregierung, Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Weiterentwicklung 2021, Berlin 2021, S. 270ff.

  31. Vgl. Ralph Henger/Christoph Schröter-Schlaack, Designoptionen für den Handel mit Flächenausweisungsrechten in Deutschland, Göttingen 2008.

  32. Vgl. Bundesregierung (Anm. 30), S. 93.

  33. Vgl. Claus Enbergs, Bodenbewusstsein als Strategie zur Reduktion des Flächenverbrauchs?, in: Anja Besecke/Robert Hänsch/Michael Pinetzki (Hrsg.), Das Flächensparbuch. Diskussion zu Flächenverbrauch und lokalem Bewusstsein, ISR Diskussionsbeiträge, Berlin 2005, S. 209–213.

  34. Vgl. Daniel Fuhrhop et al., Flächensparendes Wohnen for Future, Externer Link: http://dx.doi.org/10.13140/RG.2.2.11379.35368.

  35. Vgl. Hartz 4: Welche Wohnung ist angemessen?, Externer Link: http://www.hartz4.de/wohnung.

  36. Vgl. Statistisches Bundesamt, Wohnfläche von Haushalten, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Wohnen/Tabellen/haushalte-wohnflaeche-typ.html.

  37. Das Menschenrecht auf Wohnen ist Teil des in Artikel 11 Absatz 1 des UN-Sozialpaktes festgeschriebenen Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard.

  38. Vgl. Wohnungslosigkeit, Externer Link: http://www.bpb.de/61797.

  39. Vgl. Konzeptwerk Neue Ökonomie, Bausteine für Klimagerechtigkeit: Gerechte Wohnraum-Verteilung, Externer Link: https://konzeptwerk-neue-oekonomie.org/bausteine-fuer-klimagerechtigkeit/gerechte-wohnraumverteilung/#Vergesellschaftung.

  40. Vgl. Statistisches Bundesamt, 2,6 Millionen Menschen konnten 2021 aus Geldmangel ihre Wohnung nicht angemessen heizen, Pressemitteilung, 21.10.2022, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/10/PD22_N063_639.html.

  41. Vgl. Katrin Großmann, Gebäude-Energieeffizienz als Katalysator residentieller Segregation. Kommentar zu Lisa Vollmer und Boris Michel "Wohnen in der Klimakrise. Die Wohnungsfrage als ökologische Frage", in: sub\urban 1–2/2020, S. 199–210.

  42. Vgl. Peter Mellwig/Martin Pehnt, Sozialer Klimaschutz in Mietwohnungen. Kurzgutachten zur sozialen und klimagerechten Aufteilung der Kosten bei energetischer Modernisierung im Wohnungsbestand, Heidelberg 2021.

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Weitere Inhalte

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der ILS Research, einem Tochterunternehmen des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund. Sie ist Teil der Forschungsgruppe "Sozialraum Stadt".
E-Mail Link: miriam.nessler@ils-forschung.de

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar.
E-Mail Link: anton.brokow-loga@uni-weimar.de