Anfang September 2024 versammelten sich Dutzende afrikanische Staats- und Regierungschefs zum alle drei Jahre stattfindenden Forum of China Africa Cooperation (FOCAC) in Beijing. In seiner Eingangsrede stellte Chinas Präsident Xi Jinping fest, dass die chinesisch-afrikanischen Beziehungen dank intensiver Bemühungen beider Seiten in den vergangenen 70 Jahren heute besser seien als je zuvor.
Der lange Schatten von Bandung
Die Bandung-Konferenz 1955 in Indonesien war für China eine große außenpolitische Chance. Nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und der Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao Zedong 1949 war China außenpolitisch isoliert. In den Vereinten Nationen beispielsweise erhielt die Republik China (Taiwan) den ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Die Bandung-Konferenz bot dementsprechend die Gelegenheit, Beziehungen zu Ländern des Globalen Südens aufzunehmen und die internationale Isolation zu brechen.
In Bandung trafen sich 29 afrikanische und asiatische Länder mit dem Ziel, ihre wirtschaftliche und kulturelle Kooperation zu intensivieren und sich gemeinsam gegen Kolonialismus und Unterdrückung einzusetzen. Viele der teilnehmenden Staaten hatten erst kürzlich ihre Unabhängigkeit erlangt. Während der Konferenz wurden die „Zehn Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ verabschiedet. Der chinesische Premier- und Außenminister Zhou Enlai brachte sich maßgeblich in die Verhandlungen ein, und die chinesische Regierung betonte anschließend, dass die „Zehn Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ entscheidend von Chinas außenpolitischen „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ beeinflusst waren.
Die Bandung-Prinzipien betonten den gegenseitigen Respekt für territoriale Integrität, Souveränität und die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, den Verzicht auf gegenseitige Aggression, den Grundsatz der friedlichen Koexistenz sowie die Gleichheit und den wechselseitigen Nutzen der bilateralen Beziehungen. Inmitten des Kampfes gegen den Kolonialismus und des Beginns der Blockkonfrontation während des Kalten Krieges spiegelten sie ein klassisches Verständnis staatlicher Souveränität, das die Gleichheit von Staaten unterstreicht. Die Prinzipien sollten außerdem möglichen Sorgen und Ängsten im Hinblick auf Chinas außenpolitische Ziele begegnen.
Chinas „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ spielten bis vor einigen Jahren eine prominente Rolle im chinesischen außenpolitischen Diskurs, besonders in den Beziehungen zu afrikanischen Ländern. Die Kernideen und insbesondere das Primat der staatlichen Souveränität sind weiterhin zentral für Chinas Außenpolitik und Chinas Engagement in Afrika. Außerdem betont China weiterhin, dass die Beziehungen von gegenseitigem Nutzen sein sollen. Darüber hinaus ist in der außenpolitischen Rhetorik Chinas wenig von den Prinzipien übriggeblieben. Stattdessen bemüht sich Xi, sein Konzept einer „Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit“ in den Beziehungen zu Afrika zu verankern und damit ein eigenes Narrativ in den internationalen Beziehungen zu etablieren. Inhaltlich bleibt das Konzept sehr vage, zum Teil widersprüchlich, und wird für unterschiedliche Adressaten adaptiert. Einerseits suggeriert es, dass China eine regelbasierte internationale Ordnung unterstützt. Andererseits betont es das traditionelle chinesische Konzept tianxia (alle unter einem Himmel), das China im Zentrum der Zivilisation sieht.
In den 1960er und 1970er Jahren waren Chinas Beziehungen zu afrikanischen Ländern zunächst maßgeblich von der Blockkonfrontation und Chinas Rivalität mit der Sowjetunion geprägt.
Nach dem Ende der chinesischen Kulturrevolution 1976 und zu Beginn der wirtschaftspolitischen Öffnung Chinas 1978 verloren die Beziehungen zu afrikanischen Staaten für Beijing zunächst an Bedeutung. Unter Führung von Deng Xiaoping konzentrierte China sich auf nationale wirtschaftliche Reformen und eine Annäherung an westliche Länder. China unterstützte afrikanische Staaten zwar weiterhin durch Entwicklungshilfe, jedoch in deutlich geringerem (finanziellen) Umfang. China beließ es im Wesentlichen dabei, Ärzteteams zu entsenden, und pflegte die diplomatischen Beziehungen. Große Infrastrukturprojekte wurden nicht mehr initiiert.
Nach der Niederschlagung der Protestbewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 war China international erneut isoliert und wurde durch westliche Staaten mit Sanktionen belegt. Beziehungen zu afrikanischen Ländern boten wieder die Möglichkeit, die internationale Isolation zu durchbrechen. Nachdem Deng Xiaoping den wirtschaftlichen Öffnungsprozess und Chinas Integration in die Weltwirtschaft unumkehrbar angestoßen hatte, gewannen wirtschaftliche Interessen langsam an Bedeutung.
Seit 2000: Primat der Wirtschaft
Seit der Jahrtausendwende haben sich insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen stark entwickelt. Zentrale Treiber hierfür waren ökonomische Veränderungen in China. Das enorme Wirtschaftswachstum in China ab den 1990er Jahren führte zu einem hohen Bedarf an Rohstoffimporten, insbesondere Öl, der nicht mehr durch Nachbarländer gedeckt werden konnte. Die 1999 initiierte Going-out-Strategie sollte den Zugang zu Rohstoffen sichern und gleichzeitig chinesische Staatsunternehmen international wettbewerbsfähig machen. Afrikanische Staaten, insbesondere Angola und Sudan, wurden dadurch zu zentralen Öllieferanten für China. Im Bereich Telekommunikation entwickelten sich afrikanische Länder zu einem wichtigen Sprungbrett für chinesische Unternehmen für den späteren Zugang zu Märkten in Europa oder Nordamerika. Einige chinesische Bauunternehmen konnten durch Projekte in Afrika – finanziert von westlichen Gebern oder chinesischen Banken – dem massiven Konkurrenzdruck in China entgehen.
Innerhalb weniger Jahre wurde China so zu einem der wichtigsten Wirtschaftspartner afrikanischer Staaten. Bereits 2009 überholte China die USA als größten bilateralen Handelspartner. China exportiert insbesondere verarbeitete Waren und Güter nach Afrika und importiert vor allem Rohstoffe. Bislang liegt die EU als Wirtschaftsblock insgesamt noch vor China, aber Beijing plant, die EU als wichtigsten Handelspartner abzulösen.
Seit 2013 und parallel zur Einführung der neuen Seidenstraßeninitiative (Belt and Road Initiative) hat China maßgeblich in Infrastrukturprojekte in Afrika investiert, diese finanziert und auch baulich umgesetzt. China fördert eine Vielzahl großer Infrastrukturprojekte wie beispielsweise Eisenbahnlinien in Kenia, Äthiopien oder im Sudan, Häfen in Tansania, Djibouti oder Kenia und Projekte zur Energiegewinnung und -verbreitung wie beispielsweise Staudämme, Kohlekraftwerke oder Windparks. Unter Präsident Xi wurde die Belt and Road Initiative somit Chinas internationales Aushängeschild. Über die Jahre hat China die neue Seidenstraßeninitiative zu einer Marke entwickelt und so seinen verschiedensten Infrastrukturprojekten ein gemeinsames Narrativ und eine übergeordnete Strategie gegeben.
Zwischen den Jahren 2000 und 2022 haben chinesische Banken afrikanischen Ländern und Regionalorganisationen Kredite für Infrastrukturprojekte in Höhe von 170 Milliarden US-Dollar vergeben.
Neben wirtschaftlichen Motiven spielen auch politische Interessen weiterhin eine wichtige Rolle, insbesondere die Unterstützung chinesischer Positionen in den Vereinten Nationen und die Ein-China-Politik, also die Nichtanerkennung Taiwans als souveräner Staat. In den Vereinten Nationen bemüht sich China um die Unterstützung afrikanischer Länder, beispielsweise um Kritik an der Menschenrechtslage in der autonomen Provinz Xinjiang abzuwehren oder um Xis Konzept einer „Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit“ im Diskurs der Vereinten Nationen zu etablieren.
Für die chinesische Regierung ist außerdem die strategische Kommunikation über ihr Engagement seit Anfang der 2000er Jahre ein Hauptanliegen. Dementsprechend führte China bereits unter Präsident Hu Jintao von 2003 bis 2013 ein umfassendes Public-Diplomacy-Programm ein. Dadurch will die chinesische Regierung ein positives Narrativ über die chinesisch-afrikanischen Beziehungen konstruieren und auf Kritik aus afrikanischen Ländern reagieren, beispielsweise bezüglich der Arbeitsbedingungen in chinesischen Projekten.
Im Medienbereich beispielsweise hat sich China seit dem FOCAC-Gipfel 2006 in Beijing besonders stark engagiert.
Durch diese Maßnahmen sind chinesische Medieninhalte zu einer Alternative zu westlichen und lokalen Medienangeboten geworden. Die Wirkungen von Chinas Medienpräsenz sind jedoch umstritten. Studien aus den 2010er Jahren ergaben, dass es einen kleinen, aber positiven Zusammenhang gibt zwischen Chinas Medienpräsenz und seiner positiven öffentlichen Wahrnehmung.
Für die politischen Beziehungen spielt Chinas internationale Parteienkooperation eine maßgebliche Rolle.
Seit 2019 zeichnen sich neben diesen Entwicklungen vier zentrale Trends ab: Erstens wurde die Belt and Road Initiative als Reaktion auf Kritik und Herausforderungen sowie angesichts des schwächelnden Wirtschaftswachstums in China reformiert. Zweitens haben parallel dazu „kleine, aber feine“ (small yet beautiful) Projekte an Bedeutung gewonnen. Drittens bemüht sich China nun darum, sein Entwicklungsmodell als Alternative zum Westen zu positionieren. Viertens steht Chinas Engagement in Afrika zunehmend im Zeichen des geopolitischen Wettbewerbs mit Europa und den USA.
Belt and Road Initiative in neuen Kleidern
Ein Hauptkritikpunkt an der Belt and Road Initiative bezieht sich auf die Schuldentragfähigkeit. Bis 2017 hatten Chinas Export-Import-Bank und die China Development Bank afrikanischen Ländern rund 90 Milliarden US-Dollar geliehen. Dies entsprach einem Anteil von knapp 21 Prozent aller afrikanischen Schulden sowie knapp 23 Prozent der internationalen Kredite Chinas.
Auf Nachfrage und Drängen afrikanischer Länder hat China zwischen 2000 und 2019 Schulden in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar erlassen. In der Regel stundet China allerdings vor allem zinsfreie Kredite.
Jenseits der Schuldentragfähigkeit bemängeln Kritiker, dass die Geschwindigkeit, mit der die Projekte umgesetzt werden, zulasten von Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards geht. China hat darauf reagiert und seit 2018 bei fast zwei Dritteln der Projekte zumindest auf dem Papier entsprechende Standards und Klauseln eingefügt.
In den afrikanischen Staaten wird Chinas Infrastrukturfinanzierung grundsätzlich positiv gesehen. Erste Studien zeigen, dass die chinesischen Projekte zu Wirtschaftswachstum in den Zielländern beitragen.
Neuer Fokus auf „kleine, aber feine“ Projekte
Parallel zur Reform der Belt and Road Initiative setzt China zunehmend auf „kleine, aber feine“ Entwicklungsprojekte, die wirtschaftlich tragfähig sind und einen positiven Beitrag zu sozialer Entwicklung und Umweltschutz leisten.
Kleinere Entwicklungsprojekte sollen damit die Belt and Road Initiative ergänzen. Ihre Entwicklungswirkung und mögliche Herausforderungen in der Umsetzung sind bislang unklar.
Politisches Modell
China versucht verstärkt, internationale Entwicklungsnormen zu prägen, die Erfahrungen seines eigenen Modernisierungsprozesses zu teilen und sein politisches Modell als Alternative zur westlichen Demokratie zu etablieren. Bereits auf dem 19. Parteitag im Oktober 2017 kündigte Xi an, dass China nun bereit sei, seine Erfahrungen mit dem Einparteien-Regime mit anderen Ländern zu teilen.
Dies zeigt sich beispielsweise in den Parteibeziehungen.
Der Wunsch, China als Modell zu etablieren, wurde auch beim FOCAC-Gipfel im September 2024 deutlich. Ein Hauptaugenmerk lag darauf, Chinas eigene Modernisierungserfahrungen als potenzielles Vorbild für afrikanische Länder zu präsentieren.
Geopolitischer Wettbewerb
Spätestens mit der Covid-19-Pandemie und Russlands Angriff auf die gesamte Ukraine hat der geopolitische Wettbewerb Chinas mit der EU und den USA in Afrika zugenommen. Während der Pandemie hat die chinesische Regierung sich sehr darum bemüht, ein alternatives Narrativ über die Ursprünge des Corona-Virus zu verbreiten. Sie hat außerdem versucht, Chinas autoritäres System als besonders erfolgreich im Kampf gegen die Pandemie darzustellen und seine Unterstützung für afrikanische Länder als hilfreicher als die Aktivitäten der EU oder USA.
Bereits während der 2000er Jahre wurde China von westlichen Akteuren als entwicklungspolitischer Wettbewerber gesehen. In den 2010er Jahren und mit dem Ausbau der Entwicklungsfinanzierung und der Handelsbeziehungen entwickelte sich China zunehmend auch zu einem wirtschaftspolitischen Konkurrenten. Neu ist seit etwa 2019, dass China sich proaktiv als alternativer politischer Akteur in Afrika positioniert und seitens der EU entsprechend als systemischer Rivale wahrgenommen wird.
Der geopolitische Wettbewerb findet auch Einzug in den FOCAC-Diskurs. Xi unterstrich dort nicht nur die „gemeinsame Zukunft“ Chinas und Afrikas. Er betonte auch die Bedeutung der „gemeinsamen Vergangenheit“ und kritisierte explizit, dass die westliche Herangehensweise an Afrika den Entwicklungsländern immenses Leid zugefügt habe.