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Editorial | bpb.de

Editorial

Anne-Sophie Friedel

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Bandung im April 1955: Die Staats- und Regierungschefs von 29 asiatischen und afrikanischen Staaten sind in der indonesischen Stadt zusammengekommen, um sich vor dem Hintergrund der Dekolonisierung und der beginnenden Blockkonfrontation über ihre politischen Interessen auszutauschen und ihr Mitspracherecht in internationalen Fragen einzufordern. Erstmals sind weder die Großmächte USA und Sowjetunion noch die (ehemaligen) europäischen Kolonialmächte als Teilnehmer dabei – sie wurden nicht eingeladen. Entsprechend skeptisch blicken Vertreter von West wie Ost auf das Geschehen, entsprechend groß ist das globale Interesse an der Konferenz. Man wähnt sich an der Schwelle zu einer historischen Zäsur: Wie wird die Welt nach dem Ende des Kolonialzeitalters aussehen?

Trotz der Heterogenität der vertretenen Staaten und lebhaft ausgetragener inhaltlicher Differenzen steht am Ende der Konferenz eine Abschlusserklärung. Darin fordern die Teilnehmer unter anderem, ihre staatliche Souveränität anzuerkennen, jede Form kolonialer Herrschaft sofort zu beenden, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker umzusetzen und die Norm der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates zu respektieren; der Beitritt zu Verteidigungsbündnissen, die vorrangig den Interessen einer Großmacht dienen, wird abgelehnt.

Mit dieser Demonstration von Solidarität und Handlungsmacht der jungen postkolonialen Staaten Asiens und Afrikas ist die „Dritte Welt“, wie es damals heißt, auf der Weltbühne angekommen. Zwar kommt es nie zu einer Folgekonferenz, der „Geist von Bandung“ lebt jedoch weiter – insbesondere in der Bewegung Bündnisfreier Staaten, die sich in den 1960er Jahren als wichtigste Interessenvertretung des Globalen Südens herausbildet. 70 Jahre nach Bandung lohnt der Blick auf die Konferenz, ihr Erbe und ihren Platz in der Geschichte der Dekolonisierung und des Kalten Krieges. Denn einmal mehr ist die Weltordnung heute tektonischen Kräften ausgesetzt, und es stellt sich die Frage, welche Rolle die Staaten des Globalen Südens bei ihrer Neugestaltung spielen werden.