Die jiddischen Zeitzeugnisse des Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau (im Folgenden SK) sind ein frühes Zeugnis des Massenmordes an den Juden bereits aus der Zeit des Holocaust. Sie wurden 1943 und 1944 von den polnisch-jüdischen Gefangenen Zalmen Gradovski, Leyb Langfus und Zalmen Levental
Die Zeugnisse des SK sind nicht nur Teil eines multilingualen Korpus der Holocaustliteratur,
Die Sonderkommandos waren von 1942 bis 1945 Teil des Zwangsarbeitssystems in Auschwitz. Etwa 2100 Gefangene wurden während dieser Zeit in den verschiedenen SKs zur Arbeit gezwungen, nur etwa 100 überlebten. Zu ihren Aufgaben in den Gaskammern und Krematorien gehörte es, bei der Entkleidung von Gefangenen und Deportierten zu helfen, Leichen zu den Verbrennungsöfen zu schleppen und Goldzähne zu ziehen. Während der Deportation der ungarischen Juden im Mai/Juni 1944 wuchs das SK auf etwa 900 Mitglieder an, seine größte Zahl. Die SK-Mitglieder waren unmittelbare Augenzeugen des Massenmords.
Der Verfasser der im Folgenden analysierten Textstellen, Leyb Langfus, wurde 1910 in Warschau geboren; er wurde Rabbiner in Maków Mazowiecki, als sein Vorgänger nach Warschau floh. Am 6. Oktober 1942 wurde er mit seiner Frau Dvoyre und seinem Sohn Shmuel nach Auschwitz deportiert, beide wurden höchstwahrscheinlich gleich bei ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet. Langfus bemühte sich auch während seiner Arbeit im SK, die jüdischen Gebote, die Mitzwot, so gut wie möglich zu erfüllen. Andere SK-Gefangene konsultierten ihn, da er als religiöse Autorität galt. Er war einer der Anführer des gescheiterten Aufstands des SK vom 7. Oktober 1944; vermutlich wurde er am 26. November 1944 getötet, dem Datum des letzten Eintrags in seinen Aufzeichnungen.
"Di 3000 Nakete" – Demütigung und Brutalität gegen jüdische Frauen
Um die sexualisierte Gewalt gegen weibliche Gefangene und die Bandbreite der emotionalen Reaktionen der SK-Mitglieder auf ihre tägliche Arbeit zu veranschaulichen, werde ich im Folgenden Langfus’ Beschreibung "Di 3000 Nakete" ("Die 3000 Nackten")
Dennoch kümmert sich das SK um sie. Die Gefangenen bringen einen Koksofen in den Entkleidungsraum, damit sich die Frauen aufwärmen können. Die meisten Frauen sind zu sehr in Gedanken versunken, zu traurig oder haben bereits aufgegeben, um sich in die Nähe des Ofens zu begeben. Einige schweigen, andere reden miteinander. Eine Frau erzählt, dass sie im Sommer aus Będzin deportiert wurde. Trotz des Hungers und der Zwangsarbeit ist sie gesund, weshalb sie hofft, überleben zu können. Acht Tage vor dem beschriebenen Ereignis wurde es Frauen aus mehreren Blocks verboten, im Freien zu arbeiten. Sie mussten sich in Block 25 vollständig ausziehen, alle wurden nackt und ohne Essen und Wasser eingesperrt, aufgeteilt auf drei Blöcke mit je 1.000 Menschen. In der Nacht des dritten Tages wurde Brot in die Blöcke geworfen, ein etwa 1,4 Kilogramm schweres Brot für 16 Personen. Die Schwachen wurden in den Krankenbau gebracht, die übrigen erhielten normale Lagerkost und durften sich ausruhen. Die Frau aus Będzin beschreibt die Situation so: "Wenn sie uns in jenem Moment erschossen oder vergast hätten, wäre schon alles gut gewesen. Viele wurden ohnmächtig, viele andere fielen ins Koma. (…) Der Tod hat uns nicht abgeschreckt."
Sexualisierte Gewalt in den Lagern
"Sexualisierte Gewalt" umfasst alle Gewalthandlungen, die sich gegen die intimsten Bereiche einer Person und damit gegen ihre körperliche, emotionale und geistige Integrität richten.
In den NS-Lagern mussten sich alle Insassen nackt ausziehen, Frauen wie Männer. Diese Erfahrung machten alle Deportierten oder Gefangenen, aber nicht alle erlebten sexualisierte Gewalt in gleichem Maße. Der Zeitzeugenbericht "Di 3000 Nakete" verdeutlicht, dass die Täter beabsichtigten, gezielt Frauen seelisch, körperlich und geistig zu zerstören. Sexualisierte Gewalt ist hier insofern eine stark genderspezifische Erfahrung – der besondere Missbrauch beruht auf dem Gender des Opfers.
Die Nacktheit der Frauen in "Di 3000 Nakete" ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Sie zeigt nicht nur den Akt der forcierten Entkleidung der Jüdinnen als Wegfall einer physischen, schützenden Barriere, sondern die Kleidung steht auch für ihre Identität und ihr Leben vor Auschwitz. Das Fehlen der Kleidung bedeutet einen Verlust ihrer Individualität. Für diejenigen, die in den Gaskammern umgebracht werden sollten, war es der letzte Schritt vor dem Tod. Für die neuen Gefangenen bedeutete es den Eintritt in die Welt von Auschwitz. Männer wie Frauen empfanden diese Erfahrung als unangenehm und demütigend.
Langfus beschreibt das Erlebte nicht nur detailliert, um die Gräueltaten der Täter zu belegen, sondern er möchte dem Lesenden auch einen Einblick in die emotionale und psychologische Dynamik zwischen den Frauen und den Mitgliedern des SKs und deren genderspezifischen Interaktionen geben. Tatsächlich werden solche Vorfälle in den Zeitzeugnissen verschiedener SK-Gefangener angesprochen. Sie belegen, dass die Erniedrigung und Brutalität gegenüber Frauen als besonders schockierend und aufzeichnungswürdig empfunden wurden.
Die Aufzeichnungen von Langfus zeigen unterschiedliche Facetten sexualisierter Gewalt. Obwohl sexualisierte Gewalt während des Holocaust weit verbreitet war, ist es schwierig, diese Verbrechen zu quantifizieren, da die Überlebenden nur ungern über diesen Aspekt ihrer Erfahrungen sprechen.
Jüdische Männlichkeitsvorstellungen in extremis
Da alle SK-Mitglieder männlich waren, sind die SK-Zeugnisse aus der Position des männlichen Blicks geschrieben. Langfus beschreibt eine Gruppe von Frauen, die mit gesenkten Köpfen in der Nähe saßen und "mit tiefem Ekel auf die niederträchtige Welt und besonders auf uns" blickten.
Andere Gefangene waren dankbar für die Bemühungen des SK. Einige der weiblichen Gefangenen fühlten sich getröstet, wenn sie eine Träne des Mitgefühls oder einen Hauch von Traurigkeit auf dem Gesicht desjenigen sahen, der sie die Treppe hinunterführte. Eine andere Frau drehte ihren Kopf zur Seite und weinte leise. Die Reaktionen der Frauen zeigen, dass sie sich der Dynamik des Blicks bewusst waren, etwa wenn die Gefangenen einander ansahen, oft vermeintlich ohne Gefühle oder gar Mitgefühl. Die Zeugenschaft geht also über das bloße Sammeln von Fakten und das Aufschreiben von Ereignissen hinaus. Sie enthält eine neue Dimension der emotionalen Beteiligung: die Trauer um das Leiden des Opfers.
Für Außenstehende lässt sich die Reaktion des SK indirekt anhand der Darstellung der Frauen nachvollziehen. Langfus beschreibt, wie sich die SK-Mitglieder verhielten: "Einer stand auf der Seite und beobachtete das abgrundtiefe Elend dieser schutzlosen, gequälten Seelen. Er konnte sich nicht beherrschen und brach in Tränen aus."
Um inmitten des Massenmordes überleben zu können, mussten die Mitglieder des SK als emotionslos, stark und männlich genug wahrgenommen werden, um die Zwangsarbeit fortsetzen zu können. Langfus beschreibt die Situation des SK so, als "ob man gegenüber den schlimmsten Schrecken stumpf und versteinert [ist], als ob jedes menschliche Gefühl stirbt".
Die tägliche Zwangsarbeit der SK-Gefangenen inmitten des nationalsozialistischen Massenmordes hat die Mitglieder der Gruppe psychologisch geprägt. Das SK erlebte den Druck, emotionslos sein zu müssen, um männlich zu wirken, während es zugleich mit extrem negativen Gefühlen wie Scham, Schuld, Trauer und Wut umgehen musste. Wie die Analyse von "Di 3000 Nakete" zeigt, brachte das SK seine Emotionen durchaus zum Ausdruck, aber dies vor allem im sicheren Raum der Gruppe und in ihren Zeitzeugnissen. Dabei ist es wichtig, die Erfahrungen und Reaktionen jüdischer Männer – aber auch die Machtdynamik, mit der sie umgehen mussten –, sichtbar zu machen.
Wenn wir mit solchen Zeitzeugnissen arbeiten, muss auch die Beziehung zwischen männlichen Genderrollen und unterdrückten Gefühlen Berücksichtigung finden. Die genderspezifische, männliche Perspektive ist ein bisher unbeachteter Aspekt der Gender and Holocaust Studies, da wir meist dazu neigen, "die Geschichte jüdischer Männer als jüdische Geschichte, die Geschichte jüdischer Frauen aber als Geschichte von Frauen zu betrachten".
"Männlichkeit" ist ein wechselseitiger Prozess, der durch die Machtdynamik zwischen Gesellschaft und Individuum geprägt wird. Obwohl die Geschlechterrollen sozial konstruiert sind, sind sie eng damit verknüpft, wie Menschen Probleme verstehen und darauf reagieren. Da Männlichkeit als normativ, als "maßstabgebend", angesehen wird, wird sie nicht hervorgehoben oder überhaupt als präsent wahrgenommen. Dies könnte erklären, warum zum Beispiel sexualisierte Gewalt gegen Männer in den Zeitzeugnissen nicht erwähnt oder diskutiert wird. Idealisierte jüdische Männlichkeitsideale – wie das in der jüdischen Tradition verwurzelte Bild des "frommen Shtetl Juden" oder die Idee des "Muskeljuden", aber auch das christlich-heteronormative Männlichkeitsideal –, beeinflussten jüdische Männer in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als die polnisch-jüdischen SK-Mitglieder sozialisiert wurden. Diese Vorstellungen spielten auch während des Holocaust weiterhin eine Rolle, wenn auch unbewusst.
Langfus betont zudem seine Position als unfreiwilliger Teilnehmer neben den deutschen Tätern. Er verweist auf die Gewalt gegen die Opfer, während er sich als Beobachter gleichzeitig von dem Beobachteten distanziert. Sein männlicher Blick drückt sich in der Sprache aus, mit der die Frauen dargestellt werden. Langfus ist vorsichtig mit der Verwendung von Details, trotzdem ist sein Schreiben ambivalent, wenn er die weiblichen Opfer beispielsweise als "junge, schöne Mädchen" charakterisiert.
Das Zeitzeugnis "Di 3000 Nakete" zeigt die Dynamik zwischen den weiblichen Gefangenen und dem männlichen SK. Beide waren in ihrem Opfersein vereint, doch wurden ihnen entgegengesetzte Rollen zugewiesen: die des un(frei)willigen Beobachters und Voyeurs und die des passiven Beobachtungsobjekts und Opfers. Langfus’ Beschreibung geht jedoch über die passive Beobachtung hinaus. Seine Aufzeichnungen werden zu einer aktiven Zeugenaussage, indem er nicht nur Fakten liefert, sondern auch die Reaktionen und Emotionen der einbezogenen Opfergruppen beschreibt. Er und die anderen SK-Mitglieder entschieden sich bewusst, nicht wegzuschauen, sondern genau zu beobachten. Als die Frauen zur Ermordung in die Gaskammer geführt werden, entscheidet sich Langfus bewusst, dieses Mal nicht zuzusehen.
Ausblick
Die jiddischen SK-Zeugnisse sind ein bemerkenswertes Beispiel für eine genderspezifische Perspektive auf Gräueltaten, Opferschaft und den Akt des Bezeugens. Bei der Betrachtung der Dynamik zwischen dem rein männlichen SK und den weiblichen Gefangenen wird deutlich, dass die Männer auf die gefolterten Frauen im Rahmen ihrer jüdischen Männlichkeit reagierten, dabei aber ambivalent und widersprüchlich blieben. Langfus beschreibt die Gewalt gegen eine Gruppe weiblicher Gefangener, die gefoltert und dann in die Krematorien gebracht wurden, um Beweise für die Gräueltaten der Täter zu liefern. Darüber hinaus versucht er zu verstehen, in welchem emotionalen und psychologischen Zustand sich die Juden und Jüdinnen in beiden Opfergruppen befanden – und wie diese Gruppen interagierten.
In "Di 3000 Nakete" wird die männliche Perspektive besonders deutlich, da sie tief auf die psychologischen und mentalen Auswirkungen der Gewalt auf die Opfer eingeht. Die multiperspektivische Darstellung zeigt, wie sich die Folter nicht nur auf die weiblichen Opfer auswirkte, sondern auch auf die männlichen, die in das Schicksal der Frauen verwickelt waren. Die besondere Situation des Sonderkommandos und die Machtverhältnisse zwischen Tätern und Opfern machen dieses Zeitzeugnis zu einem bemerkenswerten Beispiel und komplexen Gegenstand. Anders, als vielleicht zu erwarten gewesen wäre, stellten einige der SK-Mitglieder durch ihr Verhalten die Ideale jüdischer Männlichkeit infrage: Sie brachten ihre Emotionen zum Ausdruck und bauten so ein Unterstützungssystem auf. Anstatt sich auf nüchterne Schilderungen zu konzentrieren und die Emotionen zu vernachlässigen, finden wir ausführliche Beschreibungen von Verzweiflung und Hilflosigkeit in einer extremen, traumatischen Situation. Langfus selbst geht auf die emotionale Belastung der SK-Mitglieder und die Ambivalenz ihrer Rolle ein – einschließlich seiner eigenen. Die SK-Schriften sind somit ein Beispiel für die komplizierte Rolle des Sonderkommandos einerseits und den komplexen Blick auf jüdische Männlichkeit während des Holocaust andererseits. Zugleich bilden sie die vielfältigen Reaktionen und Entscheidungen der jüdischen männlichen Opfer im Holocaust nicht umfassend ab. Die Zeitzeugnisse beschreiben einen außergewöhnlichen genderspezifischen Fall, der noch der tiefergehenden Erforschung harrt.