Vorwort zu den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen
Im Jahre 1970 haben die Präsidenten der UNESCO-Kommissionen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen auf der 16. Generalkonferenz der UNESCO in Paris die Möglichkeit eines Austausches und einer wechselseitigen Begutachtung und Verbesserung ihrer Geschichts-und Geographie-lehrbücher besprochen. Im Laufe des Jahres 1971 wurden diese Kontakte in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Schulbuchinstitut in Braunschweig intensiviert.
Die UNESCO-Kommissionen beider Länder kamen überein, daß die Gespräche im Geiste der UNESCO, im Interesse der Friedenssicherung und der Verständigung beider Völker zu führen seien. Beide Kommissionen ließen sich von der Überzeugung leiten, daß der Vertrag, den die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen am 7. Dezember 1970 in Warschau abgeschlossen haben, ein günstiges Klima für die wissenschaftliche und pädagogische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Schulbuchrevision geschaffen hat.
Auf Einladung der UNESCO-Kommission der Volksrepublik Polen trafen sich vom 22. bis 26. Februar 1972 in Warschau Historiker, Geographen, Pädagogen, Schulbuchexperten und -Verleger aus der Bundesrepublik Deutschland und aus der Volksrepublik Polen, um in einer ersten Begegnung die methodischen und sachlichen Voraussetzungen der künftigen Zusammenarbeit zu klären und erste Empfehlungen zur Behandlung der gegenseitigen Beziehungen im Geschichtsund Geographieunterricht in beiden Ländern zu entwerfen.
Vom Februar 1972 bis Oktober 1975 haben — abwechselnd in Warschau und in Braunschweig — acht Schulbuchkonferenzen stattgefunden. Ihre hauptsächliche Aufgabe war, Empfehlungen für Schulbuchautoren und Lehrer in beiden Ländern auszuarbeiten für die Behandlung zunächst der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und sodann der Periode der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen. Gleichzeitig wurden Empfehlungen für den Geographieunterricht entworfen.
Auf der IX. Konferenz, die vom 5. bis zum 7. April 1976 in Braunschweig stattgefunden hat, ist von der gemeinsamen Kommission eine redaktionelle Überarbeitung der bisherigen Empfehlungen zur Geschichte und Geographie vorgenommen worden. Die Konferenz hat diese redigierte Fassung bestätigt und beschlossen, sie in deutscher und polnischer Sprache in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen zu veröffentlichen. Die Vorbereitung und Durchführung der Konferenzen lag in den Händen des Instituts für Lehrprogramme des Ministeriums für Bildung und Erziehung der Volksrepublik Polen und des Internationalen Schulbuchinstituts in Braunschweig, das seit 1975 den Namen Ge-org-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung trägt.
Mit der Publizierung aller Empfehlungen ist der erste, besonders fruchtbare, aber auch außerordentlich schwierige Abschnitt der Arbeiten der gemeinsamen Schulbuchkommission abgeschlossen.
Die bisherigen Empfehlungen sind in ihrem äußeren Umfang und in ihrer sachlichen Gewichtsverteilung sehr verschieden konzipiert. Darin spiegelt sich das Bemühen, das Schwergewicht der Arbeit zunächst auf diejenigen Perioden und Probleme der Geschichte des deutsch-polnischen Verhältnisses zu legen, die in den Schulbüchern auf beiden Seiten besonders unzulänglich behandelt werden. Naturgemäß ist dies an den neuralgischen Punkten des Geschichtsablaufs der Fall.
Deshalb hat die gemeinsame Kommission beschlossen, ihre Arbeit fortzusetzen, und zwar alljährlich — abwechselnd in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen — wissenschaftliche Konferenzen abzuhalten. Diese Konferenzen sollen sich mit den wissenschaftlichen Problemen beschäftigen, deren Klärung für die fachwissenschaftliche und didaktische Vertiefung der Empfehlungen unerläßlich ist. Dabei soll auch versucht werden, die in den Schulbüchern häufig vorkommenden Vorurteile zu beseitigen und irreführende Begriffe zu korrigieren.
Die gemeinsame Kommission ist überzeugt, daß die Schul-und Unterrichtsbehörden sich bemühen werden, die der Öffentlichkeit regelmäßig bekanntgegebenen Empfehlungen sobald wie möglich in den Schulbüchern und in der Unterrichtspraxis zu berücksichtigen. Nur die Mitwirkung und das volle Engagement der Kultusbehörden können für die Ar-3 beit der gemeinsamen Schulbuchkommission auf die Dauer den erwarteten Erfolg garantieren. Die gemeinsame Schulbuchkommission kann nunmehr den Schulbuchverlegern, -autoren und Schulbehörden die gesamten Empfehlungen zur Verfügung stellen. Sie möchte gleichzeitig den zahlreichen wissenschaftlichen Instituten, Berufsverbänden, Jugendorganisationen, Politikern und Journalisten in beiden Ländern herzlich danken, die ihre Arbeit von Anfang an aktiv unterstützt und sie in der Öffentlichkeit bekanntgemacht haben.
Dank ihrer Bemühungen haben in den Jahren 1972 bis 1976 in der Volksrepublik Polen und in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche wissenschaftliche und pädagogische Konferenzen, Seminare und Symposien zu den Fragen der Schulbuchrevision stattgefunden.
Die Arbeit der Kommission hat auch ein lebhaftes Echo in Aufsätzen, Meldungen und Kommentaren in wissenschaftlichen Zeitschriften und Wochenschriften, in der Tagespresse, im Rundfunk und im Fernsehen beider Länder gefunden. Es kann freilich nicht übersehen werden, daß es auch skeptische und ablehnende Stimmen gegeben hat; sie konnten aber die allgemeine Atmosphäre wohlwollender Zustimmung, die die öffentliche Meinung der Initiative der UNESCO-Kommissionen beider Länder entgegenbrachte, nicht beeinträchtigen. Mit Befriedigung stellt die gemeinsame Kommission erste positive Auswirkungen ihrer Arbeit fest. Sie bestehen in Ergänzungen und Verbesserungen in einem Teil der Schulbücher in beiden Ländern.
Die Mitglieder der gemeinsamen Kommission geben der Hoffnung Ausdruck, daß die von ihr erarbeiteten Empfehlungen mit Hilfe der Kultusbehörden und der Unterstützung der öffentlichen Meinung in möglichst kurzer Zeit in die Schul-und Unterrichtspraxis eingeführt werden.
Die Kommission ist sich dessen bewußt, daß ihre Arbeit nicht nur für die Schul-und Unterrichtspraxis, sondern auch für die weitere Entwicklung auf dem Wege zu einem friedlichen Zusammenleben beider Länder von großer Bedeutung ist.
Professor Dr. Walter Mertineit Professor Dr. Wladyslaw Markiewicz
Empfehlungen für Schulbücher der Geschichte und Geographie in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen
I, Geschichte
1. Slawen und Germanen im Altertum und frühen Mittelalter über die Entstehung der großen indoeuropäischen sprachlich-ethnischen Gruppen, u. a. die Germanen und Slawen, deren Urheimat und Wanderungen sowie die Ausbreitung der ostgermanischen Stämme gibt es verschiedene Hypothesen, und als solche sollten sie in den Schulbüchern gekennzeichnet werden.
Es steht fest, daß die Ostgermanen keine Vorfahren der deutschen Stämme waren. Der europäische Kulturkreis des Mittelalters ist das Ergebnis der Synthese mediterran-christlicher, germanischer und slawischer Kultur. 2. Die Entstehung der europäischen Staaten im Mittelalter In der Zeit des Überganges vom Früh-zum Hochmittelalter entfaltete sich die europäische Staatenwelt als das Ergebnis des Zerfalls des spätkarolingischen Imperiums und verschiedener Integrationsprozesse in anderen Gebieten Europas.
In dieser Zeit bildeten sich die staatlichen Institutionen in Frankreich, England, Deutschland, den skandinavischen Ländern, Polen, Böhmen, Ungarn und auf dem Boden der südslawischen Völker und der Kiewer Rus'. Damals entstanden die gemeinsamen Züge der Verfassungsstrukturen und damit der Personenverband mit einer Dynastie an seiner Spitze sowie die kirchliche Organisation als Element der staatlichen Ordnung. 3. Das Kaisertum und die deutsch-polnischen Beziehungen im hohen Mittelalter Die Institution des Imperiums enthielt die Konzeption von der Vorrangstellung des Kaisers. Als primus inter pares gilt er sowohl in Byzanz als auch im Westen als Oberhaupt einer symbolisch aufgefaßten Familie der Könige. Seit Mitte des 11. Jahrhunderts begannen sich neue Vorstellungen von den zwischenstaatlichen Beziehungen zu entwickeln. Diese führten im 12. Jahrhundert zur Herausbildung der Konzeption von der staatlichen Souveränität. Die lehnsrechtlichen Theorien von den Formen zwischenstaatlicher Beziehungen sollen ein Gegenstand weiterer Diskussionen sein, Jedenfalls bedeuteten die Lehnshuldigungen polnischer Fürsten gegenüber dem Kaiser nicht die Eingliederung Polens oder polnischer Teilfürstentümer in das deutsche Königreich. Sie waren nur die Anerkennung der kaiserlichen Prärogative. 4. Schlesien und Pommern in der Frühgeschichte Polens (10. — 13. Jahrhundert)
In der Darstellung der Geschichte Schlesiens und Pommerns im 10. — 13. Jahrhundert gibt es Unterschiede in den Interpretationen der Grundfakten durch die polnische und die deutsche Geschichtsschreibung; dies beruht auf zwei Prämissen:
Die deutsche Geschichtsschreibung hob die Fakten über die Beziehungen dieser Gebiete zum deutschen Königtum bzw. zum römischen Kaisertum und die Germanisierungsprozesse dieser Länder besonders hervor.
Die polnische Geschichtsschreibung hingegen betonte die Fakten, welche die Beziehungen Pommerns und Schlesiens zum polnischen Piastenstaat und die Kontinuität der ethnischen und kulturellen slawischen Komponenten betreffen, die sich in unterschiedlicher Stärke in manchen Gebietsteilen bis in die Gegenwart erhalten haben.
Die deutsche Geschichtsschreibung betrachtete die rechtlich-politischen Phänomene, die sich auf Schlesien und Pommern beziehen, vornehmlich aus der Sicht des westeuropäischen Lehnsrechts. Die polnische Geschichtsschreibung hingegen deutete diese Erscheinungen meist mit den Kategorien des Patri-monialstaates, betrachtete die polnischen Gebiete als Eigentum der Piastendynastie und sah dabei die Lehnsbindung als zweitrangig an. Die verschiedenen Interpretationen der älteren deutschen bzw.der modernen westdeutschen und der polnischen Historiographie fin5 den ihren Niederschlag in den voneinander abweichenden Darstellungen der Geschichte Schlesiens und Pommerns in den Lehrbüchern. In den älteren deutschen und heutigen westdeutschen Lehrbüchern wird oft die Ansicht vertreten, daß Schlesien sich bereits im Jahre 1163 durch die Anerkennung der Lehnsabhän-gigkeit vom Kaisertum aus der polnischen politischen Gemeinschaft gelöst habe. Nach diesen Darstellungen sei eine schnelle Germani-sierung Schlesiens des dortigen Zweiges und der Piastendynastie In den erfolgt. polnischen politi Büchern dagegen unterstreicht man die -sche und Bindung Schlesiens an kirchliche den Patrimonialstaat der Piasten im Mittelalter. Die Trennung Schlesiens von der polni -schen politischen Gemeinschaft wird auf die Jahre 1325/1348 zwar im Zusammenhang und mit dem Übergang der schlesischen in den der Teilfürstentümer Hoheitsbereich Könige Böhmen. von In den deutschen Lehrbüchern wird die Einbeziehung Pommerns und Pommereilens in den polnischen Patrimonialstaat im allgemeinen nicht erwähnt. Dagegen unterstreicht man die frühe Lehnsabhängigkeit Pommerns vom Kaisertum und danach von Brandenburg. In den polnischen Lehrbüchern wird die Huldigung des pommerschen Fürsten Boguslaw I. gegenüber Kaiser Friedrich Barbarossa (1181) als eine Episode betrachtet. Man weist auf die Abhängigkeit Pommerns von Dänemark (1148) hin und wertet erst die Abhängigkeit Von Brandenburg (1231) als Übergang dieses Gebietes in die mittelbare Reichshoheit. Man unterstreicht auch das Fortleben vieler slawischer Institutionen in diesem Gebiet, die den pommerschen Fürstentümern spezifische Züge im Vergleich zu den anderen Territorialstaaten des Reichs gegeben hatten.
Die hier skizzierten Interpretationen sollen in nächster Zukunft in einer weiterführenden wissenschaftlichen Diskussion analysiert werden. 5. Die mittelalterliche deutsche Siedlung im östlichen Mitteleuropa Die deutsche Kolonisation im östlichen Mitteleuropa sollte als demographischer, wirtschaftlicher und sozialer Prozeß behandelt werden. Das Fortschreiten der sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen in Oberitalien, in der Provence und in den Rheinlanden um die Wende vom 1. zum 2. Jahrtausend machte aus ihnen Ausstrahlungszentren neuer Arten der Produktion und des Handels sowie neuer Rechtsformen für Stadt und Land. Alle europäischen darunter die slawischen und
germanischen, schufen selbständig die Grundlagen, die ihnen die Übernahme neuer Kultur-formen ermöglichten, überall waren diese ein Faktor der Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums und des Erblühens der mittelalterlichen Kultur. Die nach diesen Formen von den Herrschern und dem Grundadel auf westslawischem Gebiet gewährten Rechte und Freiheiten lockten neue Siedler aus dem Bereich des alten karolingischen Imperiums an. Diese Siedler spielten bei der wirtschaftlich-sozialen Umwandlung der Länder vom 12. bis zum 14. Jahrhundert eine positive Rolle. Die Zahl der Siedler und der Umfang ihres Anteils an diesen Veränderungen läßt sich nicht vollständig klären. Das Übergewicht der Deutschen unter den Zuwanderern führte zur Entstehung des Terminus „deutsches Recht” für die Umschreibung ihrer Freiheiten und Pflichten. Seit dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts wurde dieses Recht auch einheimischen Siedlern gewährt. Infolgedessen war die Verbreitung des deutschen Rechtes unverhältnismäßig viel größer als der Anteil der Deutschen an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen Polens im 13. und 14. Jahrhundert. Die endgültige Bildung der deutschen Neu-stämme östlich der Elbe kam erst einige Jahrhunderte nach der mittelalterlichen deutschen Siedlung zum Abschluß. 6. Polen und der Deutsche Orden In den polnischen Schulbüchern wird vor allem die säkular-staatliche und militärisch-expansive Rolle des Ordens hervorgehoben, in den westdeutschen seine zivilisatorische und missionarische Aufgabe betont.
Dieser Sachverhalt spiegelt zu einem guten Teil die grundsätzlich bzw. punktuell kontroverse Einschätzung des Deutschen Ordens wider, welche daher bei der Behandlung folgender wesentlicher Fakten der Ordensgeschichte zukünftig zu berücksichtigen ist:
1. Im 13. Jh. „Vorgang der Landnahme“ (Rechtsgrundlagen, Eroberung des Prußen-lands, Erwerb von Pommerellen);
2. „Ordensstaat" (geplante Landesherrschaft, Friede von Christburg, Missionsaufgabe); 3. im 14. Jh. „Verhältnis zu Polen" (Pommerellen 1269 bis 1343);
4. „Verhältnis zu Litauen";
5. „HochmeisterStaat" (Land und Herrschaft); 6. im 15. Jh. „Verhältnis zu Polen-Litauen" (Schlacht von Tannenberg/Grunwald — l. Thorner Friede — 13jähriger Krieg — 2. Thorner Friede — Zerfall des Hochmeisterstaates — Städte und Adelsopposition); 7. „Nach 1466: Preußen Königl. Anteils — Restordensstaat";
8. im 16. Jh. „ 1525: Säkularisierung und Lehnsnahme".
Dieser Problemkomplex bedarf trotz gewisser Fortschritte, die a f der Konferenz in Thorn im September 197 . erzielt werden konnten, noch weiterer gründlicher Behandlung. 7. Die kulturellen und konfessionellen deutsch-polnischen Beziehungen im Zeitalter der Renaissance und des Barock
Der eigenständigen Entwicklung und Leistung der polnischen Kultur in der Renaissance und der Aufklärung sollte im Rahmen der Darstellung der Evolution des europäischen Geisteslebens durch Erwähnung in den Schulbüchern stärker als bisher Rechnung getragen werden. Hier wäre z. B. auch der Rolle von Copernicus als eines polnischen Reichsbürgers und Gelehrten von europäischem Rang zu gedenken. Die Reformation, die sich in Polen in ihrer lutherischen Prägung Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelt hat, kam aus Deutschland. Sie gewann vor allem Anhänger unter den Stadtbewohnern in Großpolen und in Preußen Königlichen Anteils. Unter der Herrschaft der polnischen Könige erfreuten sich diese Städte einer beachtlichen Autonomie auf dem Gebiet der städtischen Selbstverwaltung und genossen eine Reihe von Handelsprivilegien, die ihre wirtschaftliche Entwicklung ermöglichten. Mitte des 16. Jahrhunderts gewährte Sigismund II. August den großen Städten in Preußen Königlichen Anteils Religionsfreiheit, wodurch die Lutheraner die Möglichkeit erhielten, sowohl ihre eigenen Kirchen als auch ihre Schulen und Druckereien einzurichten. Die im Königreich Polen herrschende nationale und religiöse Toleranz bedarf ebenso einer Berücksichtigung wie der besondere Charakter der polnischen Reformation, deren bestimmende geistig-intellektuelle Antriebe und politische Motivation vor dem Hintergrund der generellen geistlichen Erneuerung in den Schulbüchern nicht verschwiegen werden dürfen. Die Interdependenz, die von der Historiographie beider Länder erkannt worden ist, muß die bisherige Interpretation ablösen, es habe sich um einen einseitig von Westen nach Osten verlaufenden Kulturaustausch gehandelt. Die Religionsfreiheit führte zur kulturellen Blüte in Preußen Königlichen Anteils im 16. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit wirkten dort viele hervorragende Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler, die ihre Werke in polnischer, deutscher und lateinischer Sprache verfaßten. Besondere Anerkennung genossen sowohl in Polen als auch im Ausland vor allen die Gymnasien von Thorn und Danzig. Im 17. Jahrhundert fand in Deutschland die in den Werken der Polnischen Brüder (Sozinia-ner) vertretene Konzeption der religiösen Toleranz weitere Verbreitung.
Aus Deutschland, aus dem von den Habsbur-gern beherrschten Schlesien und aus den Niederlanden strömten im 16. und 17. Jahrhundert Bürger und Bauern, die dort aus konfessionellen Gründen verfolgt worden waren, nach Polen (vor allem Lutheraner, in geringerer Zahl Mennoniten und Antitrinitarier). Sie erreichten in Großpolen und in Preußen Königlichen Anteils einen beachtlichen Wohlstand und leisteten ihren Beitrag zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung dieser Länder.
Der generelle Aufschwung dieser Gebiete wurde durch die Einfälle der Schweden und Brandenburger, die Polen um die Mitte des 17. Jahrhunderts verwüsteten, unterbrochen. Der endgültige Erfolg der Gegenreformation in der Adelsrepublik bedingte die Übersiedlung von Protestanten aus Großpolen und Kleinpolen nach Danzig, Elbing, Thorn und anderen Städten Preußens Königlichen Anteils. Diese bewahrten der Republik Polen gegenüber volle Loyalität, weil die ihnen einst zugesprochene Konfessionsfreiheit und die städtische Selbstverwaltung weiterhin aufrechterhalten wurden. 8. Der polnische Staat im Zeitalter der Aufklärung Die „politische Kultur" der Adelsrepublik hatte ihre Ausstrahlungskraft auf die ständi7 sehe Politik in ihrem Widerstand gegen die absolutistische Krongewalt in Preußen, Kur-land und Livland. Umgekehrt hat das Problem einer Stärkung der Krongewalt im Reform-denken der späten Adelsrepublik — zumal unter August dem Starken — eine wichtige Rolle gespielt. Doch wurden die Chancen dafür seit dem Beginn der offenen Einmischungspolitik der großen Nachbarn (1717/21) und der Festigung ihrer Allianz in der polnischen Frage (1735) immer geringer.
Die Teilungen Polens fallen in eine Zeit, da in diesem Land, insbesondere seit dem Regierungsbeginn von Stanislaw August Poniatowski, positive Veränderungen auf dem Gebiet der Staatsordnung, der Wirtschaft, der Kultur und der sozialen Verhältnisse in Gang kamen. Besonders verdienen unter den Staats-reformen die Reformen des Sejms 1764 sowie die Reformen des Großen Sejms 1788 bis 1792, vor allem aber die Verfassung vom 3. Mai 1791 Beachtung, denn diese Reformen haben die politische Struktur der Adelsrepublik in eine gut durchorganisierte konstitutionelle Monarchie verwandelt. Es muß unterstrichen werden, daß Polen während der Aufklärung einer der aktivsten Brennpunkte der europäischen Kultur war; die in Polen verwirklichten Reformen auf dem Gebiet des Schulwesens (Szkola Rycerska /Ritterschule 1765, Komisja Edukacji Narodowej /Nationale Edukations-Kommission 1773) waren Pionierleistungen. Nach den neuesten Ergebnissen der historischen Forschung beider Seiten spielte dabei Stanislaw August Poniatowski eine große Rolle. Er war ein König von ausgeprägter politischer Individualität. Jedenfalls haben die durch russisch-preußisch-österreichische Gewaltpolitik erstickten Reformen als große politische Leistung der polnischen Aufklärung auf das politische Denken und auf liberale reformerische Ansätze in Deutschland und Europa gewirkt. 9. Preußen und die Teilungen Polens Das konsequente Streben der brandenburgischen Hohenzollern führte dazu, daß das von Polen abhängige Preußen in ihre Hände (1618) überging, und zwar als Lehen der Krone Polen. 1657 errangen die Hohenzollern im Herzogtum Preußen die Souveränität, und 1701 wurde Kurfürst Friedrich III. als Friedrich I. zum König in Preußen gekrönt. Parallel dazu liefen die Bemühungen um die Landverbindung zwischen Brandenburg und dem Herzogtum Preußen. Diese territoriale Vereinigung erreichte Friedrich II., indem er die günstige politische Lage in Europa ausnutzte und das Zustandekommen der Ersten Teilung Polens förderte (1772). Der Teilungsvertrag war für Preußen von grundlegender politischer Bedeutung, und die Teilnahme Preußens an den folgenden Teilungen Polens war die Konsequenz zielbewußter hohenzollernscher Macht-politik. Bei der Behandlung der Teilungen Polens sind neben den vordergründigen politischen Motiven auch die sozialen und ökonomischen Momente sowie die strategischen Überlegungen aller Teilungsmächte zu berücksichtigen. 10. Der Kampf des polnischen Volkes um Freiheit und Unabhängigkeit Das polnische Volk hat sich nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeit in keinem der drei Teilungsgebiete mit der Tatsache der Teilung abgefunden; es hat vielmehr den Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit ausgenommen. Dieser Kampf begann mit dem Aufstand Kociuszko’s (1794) und fand mit der Aufstellung militärischer Verbände an der Seite des napoleonischen Frankreich (Polnische Legionen) seine Fortsetzung. Das Lied der Legionen „Noch ist Polen nicht verloren" wurde die Nationalhymne Polens. Ein Ergebnis der Teilnahme polnischer Legionen an den Feldzügen Napoleons war die Gründung des Herzogtums Warschau im Jahre 1807, der Keimzelle eines polnischen Staates. Das Herzogtum Warschau war ein Bestandteil des napoleonischen Staatensystems und durch die Personalunion mit dem Königreich Sachsen de facto ein Glied des Rheinbundes.
Der Wiener Kongreß hatte die polnische Frage nicht zur Zufriedenheit des polnischen Volkes gelöst. Statt ein unabhängiges Polen zu gründen, schuf man aus dem Großteil des Herzogtums Warschau ein „Königreich Polen“, in dem der Zar als polnischer König regierte. Krakau wurde zu einer Freien Stadt unter dem Schutz der drei Teilungsmächte erklärt, der Westteil des Herzogtums Warschau wurde als Großherzogtum Posen mit der Krone Preußens vereinigt.
Die nächste Phase im Kampf des polnischen Volkes bildete die Gründung von zivilen und militärischen Untergrundorganisationen zunächst im Lande, dann auch in europäischen Staaten, u. a. auf dem Territorium des Deutschen Bundes, die sich die Beseitigung der auf dem Wiener Kongreß geschaffenen reaktionären Ordnung zum Ziel setzten.
Der Aufstand im Königreich Polen (Nov. 1830/Okt. 1831) brach aus, weil die russische Regierung die Verfassung von 1815 nicht ein-hielt und versuchte, die polnische Armee gegen revolutionäre Bewegungen in Europa (Belgien) einzusetzen. Der Novemberaufstand war einer der Faktoren, die den Sieg der französischen Juli-Revolution ermöglichten. Infolge der Niederwerfung des Novemberaufstandes wurde das Königreich Polen faktisch beseitigt. Der Krakauer Aufstand 1846 und die Bewegung in Posen eröffneten den europäischen „Völkerfrühling". Zwei Jahre danach brach die Revolution im Großherzogtum Posen, in Krakau und in Galizien aus. Nach ihrer militärischen Niederwerfung verschlechterte sich die Lage der polnischen Nation und der liberalen Kräfte in Europa.
Der Widerstand gegen die Russifizierungspolitik des Zarenreiches und der Kampf um Unabhängigkeit führten erneut zum nationalen Aufstand — dem Januaraufstand 1863. Die Erhebung wurde durch die polnische Gesellschaft im Königreich Polen und in den anderen Teilungsgebieten sowie unter Mitwirkung der polnischen Emigration vorbereitet. Eine Folge der Niederlage war das Anwachsen des Terrors und der Unterdrückung (Verhaftungen, Deportationen nach Sibirien, Konfiskationen, verstärkte Russisizierungspolitik). Die bewaffnete Erhebung hatte aber auch auf lange Sicht positive ökonomische und soziale Veränderungen zur Folge. 11. Der Einfluß des polnischen Freiheitskampfes auf Die polnische Frage besaß nicht nur einen nationalen, sondern auch einen internationalen Aspekt.
Die freiheitlich-liberalen Kräfte Polens und anderer Völker erstrebten gemeinsam neue gerechte soziale und politische Verhältnisse. Besonders deutlich wurde dieses Streben bei der Zusammenarbeit der liberalen und demokratischen Strömungen in Polen und Deutschland. Die ersten Symptome einer solchen Zusammenarbeit wurden bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts spürbar, besonders unter der studentischen Jugend. Es wurden bereits damals Kontakte zwischen Studentengruppen in Warschau, Krakau, Wilna einerseits und Burschenschaften in Berlin, Breslau, Königsberg, Heidelberg und Marburg andererseits geknüpft. In Berlin und Breslau gab es sogar gemeinsame deutsch-polnische Studentenbünde.
Die Vertreter der jungen Generation in Deutschland gaben 1830 ihrer Sympathie für das kämpfende polnische Volk offen Ausdruck; sie organisierten nicht allein Solidaritätskundgebungen, sondern nahmen auch als Ärzte und Sanitäter an dem Aufstand teil. Die Aufständischen, deren Weg in die Emigration durch Deutschland führte, wurden hier herzlich empfangen. In vielen Städten entstanden Polenvereine. Sie förderten die Annäherung führender Persönlichkeiten der liberalen und demokratischen Bewegung in Polen und Deutschland; sie leisteten materielle Hilfe für die polnische Bewegung und trugen nicht zuletzt zu der Popularisierung der polnischen Frage in Dichtung (Polenlieder), Publizistik und wissenschaftlicher Literatur bei.
Die Polenfrage wurde so zu einem Kristallisationspunkt der liberalen Opposition in Deutschland. Die von den Polen propagierte Kampfparole „Für Eure Freiheit, für unsere Freiheit!" spiegelte sich u. a. in der Gründung des „Jungen Europa" wider. Die Verhaftung der führenden Persönlichkeiten der polnischen Geheimbünde in Posen 1846 und der Polenprozeß des Jahres 1847 steigerten das Interesse der öffentlichen Meinung Deutschlands an der polnischen Frage; sie förderten die revolutionäre Stimmung in Preußen. Im Jahre 1848 nahmen Polen an den revolutionären Kämpfen in Deutschland teil.
In den Jahren 1848/49 kam es zu einer Neubewertung der polnischen Frage durch die Liberalen in Deutschland. In der Polendebatte der Frankfurter Nationalversammlung entfernte sich ihre Mehrheit von ihren bisherigen pro-polnischen Sympathien.
Die relativ kleine demokratische Partei in der Frankfurter Nationalversammlung beharrte dagegen auf ihrer konsequenten Stellungnahme zugunsten der Rechte des polnischen Volkes auf einen freien und unabhängigen Staat. Das galt vor allem für die Anhänger der von Karl Marx redigierten „Neuen Rheinischen Zeitung".
Der Kampf für die Freiheit und für die Rechte des polnischen Volkes wurde in den sechziger und siebziger Jahren von der jungen deut-B sehen Arbeiterbewegung fortgesetzt. Ihre führenden Persönlichkeiten vertraten in Reden und Schriften diesen offiziellen Standpunkt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Die Gründung der I. Internationale ist mit der polnischen Frage eng verbunden. Die Internationale wurde 1864 in London auf einer Gedenk-und Solidaritätskundgebung für den polnischen Januar-Aufstand gegründet. Karl Marx nahm an dieser Kundgebung und an der Gründung der Internationale maßgeblichen Anteil. 12. Industrialisierung Bei der Behandlung der Industrialisierung im 19. Jahrhundert sollte berücksichtigt werden, daß der Aufbau der Schwerindustrie im Ruhrgebiet nur durch den Zustrom deutscher und polnischer Arbeiterbevölkerung aus den östlichen Provinzen des preußischen Staates möglich war. Dadurch erhielten einige Städte des Ruhrgebietes, z. B. Bochum, Herne, Gelsenkirchen, starke polnische Bevölkerungsteile. Ihre Mitwirkung am Aufbau der Industrie und am Ausbau der Städte ist erheblich.
Als ein Gegenstück sollte der Aufbau der Textilindustrie in Lodz und Umgebung behandelt werden, der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts durch deutsche Tuchmacher und Weber aus den preußischen Ostprovinzen begonnen und z. T. durch deutsche Fabrikanten aus Westdeutschland fortgesetzt wurde. Dadurch hatte die polnische Industriestadt Lodz einen starken deutschen Bevölkerungsanteil, der sowohl im Bürgertum wie in der Arbeiterbewegung (SDKPiL) *) eine Rolle spielte. 13. Polenpolitik Bei der Behandlung des Deutschen Kaiserreiches sollten die Polenpolitik Bismarcks und der Volkstumskampf, vor allem in den Provinzen Posen und Westpreußen, berücksichtigt werden. Bei der Polenpolitik sollte — vom Kulturkampf ausgehend — auf die verschiedenen restriktiven Maßnahmen wie die Einstellung des polnischen Unterrichts, die Ausweisung nichtpreußischer Staatsbürger sowie auf die Ansiedlungspolitik hingewiesen werden. Dabei sollte deutlich werden, daß die Polenpolitik unter Bismarcks Nachfolgern zwar Schwankungen unterlag, im ganzen aber doch eine Schwächung des polnischen und eine Stärkung des deutschen Bevölkerungsanteils mit verschiedenen Mitteln anstrebte. Der Erfolg blieb jedoch aus; der deutsche Bevölkerungsanteil ging aufs Ganze gesehen zurück. In diesem Zusammenhang sollte auch die polnische Nationalbewegung in Oberschlesien behandelt werden. 14. Der Erste Weltkrieg und die deutsch-polnischen Beziehungen Der Erste Weltkrieg war der erste große Krieg, in dem die drei Teilungsmächte sich als Feinde gegenüberstanden. Damit eröffnete sich für die Polen die Aussicht, die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Staates wiederherzustellen. Die polnische Nationalbewegung war über den Weg, auf dem dieses Ziel erreicht werden sollte, nicht einig. Die Nationaldemokraten neigten dazu, in der gegebenen Situation mit dem Zarenreich, dem Alliierten Frankreichs, zusammenzugehen, um eine Vereinigung aller polnischen Teilungsgebiete zu erreichen. Andere Gruppen und Persönlichkeiten — darunter Pilsudski — waren der Ansicht, daß man die Freiheit Polens im Bunde mit den Mittelmächten, vor allem mit Osterreich-Ungarn, verwirklichen sollte, denn die k. u. k. Monarchie hatte im Zusammenhang mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 Galizien eine weitgehende Autonomie zugestanden. Der linke Flügel der Arbeiterbewegung hoffte auf einen revolutionären Zusammenbruch aller Teilungsmächte.
Am 5. November 1916 proklamierten die Kaiser Franz Josef und Wilhelm II., von der militärischen Führung, besonders General Ludendorff, dazu gedrängt, feierlich ein neues Königreich Polen. Dabei dachten die Mittelmächte nicht daran, ihre von Polen bewohnten Gebiete dem vorgesehenen neuen polnischen Staat abzutreten. Vielmehr forderten einflußreiche deutsche Kreise aus strategischen Gründen die Abtrennung eines von der Ostspitze Oberschlesiens bis zum Ostrand Ostpreußens reichenden Grenzstreifens an Deutschland, aus dem sie die polnischen Bewohner auszusiedeln gedachten. Die Proklamation vom 5. November 1916 täuschte die Absicht vor, im Kampf gegen den Zarismus dem Freiheitsverlangen des polnischen Volkes entgegenzukommen. In Wahrheit sollte diese Aktion polnische Soldaten liefern und das neue Polen, über dessen künftige Grenzen nichts gesagt wurde, zu einem Teil des deutscherseits angestrebten Gürtels von Satellitenstaaten machen, durch dessen Schaffung Rußland möglichst weit nach Osten zurückgedrängt werden sollte. Die Proklamation fand daher beim polnischen Volk auf die Dauer keine Resonanz und erwies sich vom Standpunkt ihrer Urhebenals Fehlschlag. Die Friedensschlüsse von Brest-Litowsk (1918) bestätigten die polnischen Befürchtungen. 15. Die Oktoberrevolution und Polen Solange Rußland der Kriegskoalition der Ententemächte angehörte, scheuten sich seine westlichen Alliierten, eine verbindliche Erklärung über die vom ganzen polnischen Volk geforderte Wiedererrichtung eines polnischen Staates abzugeben. Insofern war die Lage der Polen grundlegend anders als die der Tschechen. Während die tschechischen Exilpolitiker seit 1915 mit der Unterstützung der Ententemächte rechnen konnten, die Länder der böhmischen Krone aus dem feindlichen österreichisch-ungarischen Staatsverband auszugliedern, schufen erst die Oktoberrevolution und das Ausscheiden Rußlands aus der alliierten Kriegskoalition die Voraussetzung für die Anerkennung der nationalen Selbständigkeitsbestrebungen der Polen durch die Alliierten.
Die Oktoberrevolution war für die Wiedererstehung des polnischen Staates in doppelter Hinsicht von Bedeutung: Die Bolschewiki und Lenin erklärten sich aufgrund ihrer prinzipiellen Nationalitätenpolitik für ein unabhängiges Polen. Diese Entscheidung hatte 1917/18 vor allem psychologisch-propagandistische Bedeutung, da Polen außerhalb des Machtbereichs der Bolschewiki lag. Nach dem „Dekret über den Frieden" des Rates der Volkskommissare und nach Abschluß des Waffenstillstandes mit dem Deutschen Reich schied Rußland endgültig aus der Entente aus. Für die Westmächte waren damit die Voraussetzungen gegeben, die Unabhängigkeitsbestrebungen der Polen, die im Westen im wesentlichen von Vertretern der Nationaldemokratie betrieben wurden, anzuerkennen und zu fördern.
Die ausdrückliche Berücksichtigung der polnischen Forderungen in den 14 Punkten Wilsons, deren Proklamation im Januar 1918 auch eine Reaktion auf die Oktoberrevolution darstellt, erklärte sich nicht zuletzt aus dieser Situation.
Nach dem Ausbruch des russischen Bürgerkrieges war keine der Bürgerkriegs-Parteien in der Lage, in Polen aktiv zu werden. Dem Versuch der Bolschewiki, in Litauen-Weißrußland (Sowjetrepublik Litbel) und in der Ukraine revolutionär die Macht zu ergreifen, war nur vorübergehend Erfolg beschieden; erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1919 waren die Ukraine und Weißrußland im Machtbereich der Sowjetregierung. Die soge-nannten Weißen Regierungen und Machthaber, die die Förderung der Entente erhielten, waren zu keinem Zeitpunkt imstande, die russische Herrschaft über Polen wiederherzustellen. Der russische Bürgerkrieg, der in den umkämpften Gebieten östlich des Bug zeitweilig ein Machtvakuum schuf, war dagegen für die Frage der polnischen Ostgrenze, vor allem für das Problem der Zugehörigkeit der ukrainischen Territorien, von größter Bedeutung. 16. Der Zusammenbruch der Mittelmächte und die deutsch-polnischen Beziehungen Erst der militärische Zusammenbruch der Mittelmächte und die Auswirkungen der Novemberrevolution von 1918 in Deutschland schufen die Voraussetzungen für die Proklamierung des souveränen polnischen Staates.
Die militärische Niederlage Deutschlands mit ihrer Konsequenz der Annahme von Wilsons 14 Punkten durch das Waffenstillstandsangebot schloß ein, daß das Deutsche Reich gezwungen war, die Schaffung eines unabhängigen polnischen Staates zu akzeptieren. Obwohl der Rat der Volksbeauftragten, die revolutionäre Ubergangsregierung, sich dieser Einsicht nicht verschloß, bemühte er sich, die Einheit des Reiches so weit wie irgend möglich zu wahren und in diesem Sinne die territorialen Verluste so gering wie möglich zu halten. Daher war es von großer Bedeutung für die Formierung eines unabhängigen polnischen Staates, daß der Posener Aufstand für einen Teil der von Polen beanspruchten Gebiete vollendete Tatsachen schuf, noch ehe die Pariser Friedenskonferenz mit der Behandlung der Grenzfragen begann. Während die überwiegend von Polen beherrschten Arbeiter-und Soldaten-Räte im Posener Land den Aufstand und die Loslösung vom Deutschen Reich unterstützten, bildeten die deutschen Arbeiter-und Soldaten-Räte in den öst-liehen Grenzgebieten eine im allgemeinen zuverlässige Stütze der Reichsregierung.
Die polnische Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz verlangte im Westen Polens im wesentlichen die Wiederherstellung der Grenze von 1772 sowie aus ethnischen Gründen die Eingliederung von ganz Oberschlesien und des südlichen Teils von Ostpreußen, die vor der Ersten Teilung nicht zum polnischen Staatsverband gehört hatten.
Aufgrund des deutschen Einspruchs, der Unterstützung der britischen und der Bedenken der amerikanischen Regierung beschloß die Pariser Friedenskonferenz, im südlichen Ostpreußen, in Teilen Westpreußens und in Oberschlesien durch Volksabstimmungen über die künftige staatliche Zugehörigkeit dieser Gebiete entscheiden zu lassen. Gleichzeitig wurde festgelegt, in Erfüllung des 13. Punktes der Wilsonschen Proklamation, für Polen den ungehinderten Zugang zur Ostsee sicherzustellen. Danzig wurde mit dem Gebiet der Weichselmündung zur Freien Stadt erklärt. Durch diese Grenzregelungen ging die Landverbindung zwischen Ostpreußen und dem übrigen deutschen Staatsgebiet verloren; ein 1920 gemäß dem Versailler Vertrag abgeschlossenes Transitabkommen regelte die Verkehrsverbindungen.
Der Versailler Vertrag bildete die völkerrechtliche Grundlage für den Bestand des polnischen Staates. Er stellte Polen in den Grenzen von 1772 im Westen weitgehend wieder her. In der deutschen Öffentlichkeit wurden die Abtretungen als untragbarer Verlust deutschen „Volksbodens" betrachtet und eine Gefährdung der deutschen Ernährungsbasis befürchtet. Die Auseinandersetzung um die Zukunft Oberschlesiens wurde noch dadurch verschärft, daß neben den nationalen Spannungen auch wirtschaftliche Interessen (Erhaltung der oberschlesischen Montanindustrie für Deutschland) eine gewichtige Rolle spielten. Insgesamt zeigten in den Revolutionsmonaten in Deutschland nur kleine, politisch einflußlose Gruppen und einzelne Persönlichkeiten Verständnis für Haltung und Forderungen der Polen.
Dem wiedererstandenen polnischen Staat gelang es, aus ehemaligen Teilungsgebieten in kurzer Zeit ein einheitliches Wirtschafts-und Verwaltungssystem aufzubauen. Das Problem der nationalen Minderheiten sowie weitgehende soziale Differenzierungen und Spannungen erschwerten diesen Prozeß wesentlich. Im Laufe von 20 Jahren wurden wirtschaftliche Fortschritte erzielt, eine einheitliche und eine funktionierende gut Verwaltung geschaffen und ein reges kulturelles Leben gefördert. 17. Grenzfragen Oberschlesien war vor der Industrialisierung ein im wesentlichen von Polen besiedeltes Agrargebiet. Die Industrialisierung bewirkte eine tiefgreifende Umgestaltung der sozialen, demographischen und ethnischen Verhältnisse, wodurch eine Zuspitzung der nationalen Gegensätze begünstigt wurde. Vor 1914 war die Mehrheit der bäuerlichen Land-bevölkerung polnischsprachig und — wie die Arbeiter — bei allen schlesischen Regionalbewußtsein im wachsenden Maße polnisch gesinnt; dagegen waren die Großgrundbesitzer Deutsche. Teile der polnischen Bevölkerung hatten eine preußische Staatsgesinnung, die von der ethnischen Zugehörigkeit unabhängig war. Die deutsche Bevölkerung konzentrierte sich vor allem in den kleineren und mittleren Städten.
Die Industrialisierung förderte die Landflucht in Oberschlesien, Kongreßpolen sowie in anderen Landesteilen. In den rasch aufblühenden Städten des Reviers lebten Polen aus Oberschlesien und Galizien sowie Deutsche aus Schlesien und anderen Gebieten des Reiches. Der nationale Gegensatz zwischen Polen und Deutschen wurde im Revier durch soziale Spannungen noch verschärft. Die polnischsprachige Bevölkerung stellte die Masse der Arbeiterschaft, wogegen die leitenden Posten in Industrie und Verwaltung meistens mit Deutschen besetzt waren. Trotz dieses nationalen und sozialen Gegensatzes gab es zwischen Polen und Deutschen zahlreiche Gemeinsamkeiten. So fanden sich z. B. polnische und deutsche Arbeiter in den freien Gewerkschaften, in der sozialdemokratischen Partei und in den Kulturorganisationen der Arbeiterbewegung zusammen; dasselbe gilt in noch stärkerem Maß von der Zentrumspartei und katholischen Vereinen.
Obwohl die nationale Frage in der deutschen Sozialdemokratie, im Gegensatz zur österreichischen Arbeiterbewegung, nur eine untergeordnete Rolle spielte, förderte die SPD polnischsprachige Arbeiterzeitungen, um die polnische Arbeiterschaft für ihre Ziele zu gewinnen. Die Germanisierungspolitik förderte auch in Oberschlesien das Erwachen und die Festigung der polnischen Nationalbewegung. Oberschlesien entsandte auch polnische Abgeordnete in den Deutschen Reichstag, unter ihnen Wojciech Korfanty, der zur Symbolgestalt der polnischen Bewegung in Oberschlesien wurde.
Der Kriegsausgang und die Erneuerung eines polnischen Staates verschärften die nationalen Spannungen in Oberschlesien. Ein großer Teil der polnischen Bevölkerung erstrebte nun den Anschluß an die polnische Republik, wogegen die deutsche Bevölkerung ihre Verbundenheit mit dem Reich betonte. Viele Anhänger der Arbeiterbewegung setzten sich für einen Verbleib Oberschlesiens bei Deutschland ein. Mit der Annahme des Versailler Vertrages, der Errichtung eines interalliierten Besatzungsregimes in Oberschlesien und der Vorbereitung für die Volksabstimmung verschärften sich die nationalen Spannungen auf das äußerste. Während der drei Aufstände in Oberschlesien (1919/20/21), die vom polnischen Staat unterstützt wurden und vollendete Tatsachen schaffen sollten, kam es zu einer Art Kriegszustand, der die Beziehungen beider Völker nachhaltig beeinflußte.
Die nationalen Auseinandersetzungen in Oberschlesien haben nicht zuletzt zu der Entstehung und zu dem geschichtlichen Mythos eines überspitzten deutschen Nationalismus beigetragen.
Die Abstimmung im März 1921 entsprach ungefähr den genannten Gegebenheiten: die Landbevölkerung stimmte mehrheitlich für Polen, während die Städte des Industriereviers Mehrheiten für Deutschland aufwiesen. Dabei muß freilich berücksichtigt werden, daß die im Vertrag vorgesehene und vom Reich geförderte Beteiligung von Oberschlesiern aus dem Reich (ca. 200 000 der insgesamt 1 185 000 abgegebenen Stimmen) das Abstimmungsergebnis beeinflußte; es belief sich auf ca. 60 Prozent für Deutschland und 40 Prozent für Polen. Die folgende Teilung des Gebietes, auf die auch noch der dritte Aufstand in Oberschlesien einwirkte, wurde jedoch auch von anderen Gesichtspunkten bestimmt: dem Interesse an zusammenhängenden Territorien mit verkehrstechnisch vertretbaren Grenzen und dem Verlangen der Alliierten nach Aufteilung des Industriegebietes auf beide Staaten. Im Ergebnis blieben also Deutsche in Polen und Polen in Deutschland. Die Teilung des Industriegebietes brachte für die Bevölkerung Erschwernisse, die durch die 15 Jahre (1922 bis 1937) für das ehemalige Abstimmungsgebiet geltende Genfer Konvention von 1922 abgemildert wurden.
Die Errichtung der Freien Stadt D an -z i g war das Ergebnis internationaler Auseinandersetzungen. Während Frankreich Danzig und die Weichselmündung Polen angliedern wollte, forderte Großbritannien die Kompromißlösung einer Freien Stadt unter Völkerbundkontrolle. Diese Regelung konnte weder die Polen noch die Deutschen befriedigen. Für die Polen war — vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen — der Besitz eines Hafens an der Ostsee und die Kontrolle der Weichsel-mündung von entscheidender Bedeutung. Die Deutschen sahen in der Abtrennung einer überwiegend von Deutschen bewohnten Stadt einen Bruch des Selbstbestimungsrechtes der Völker. Das Problem Danzig und das des so-genannten Polnischen Korridors haben nachhaltig zur Vergiftung der Atmosphäre zwischen Deutschland und Polen beigetragen.
Bei den Abstimmungen in Ost-und Westpreußen fiel entscheidend ins Gewicht, daß sich die große Mehrheit der Bevölkerung aufgrund der staatlichen Tradition und teilweise auch der Konfession (Masuren) trotz ethnischer und sprachlicher Unterschiede dem preußischen Staat zugehörig fühlte.
Während die alliierten Kontrollmächte in Oberschlesien eine die Polen begünstigende Haltung einnahmen, verhielten sie sich in den Abstimmungsgebieten Ost-und Westpreußens eher deutschfreundlich.
Auch der Zeitpunkt der Abstimmung im Juli 1920 während der sowjetischen Gegenoffensive, die den polnischen Staat gefährdete und schwächte, beeinflußte das Ergebnis (in beiden Gebieten über 90 Prozent der Stimmen für einen Verbleib bei Preußen). 18. Das polnisch-deutsche Verhältnis in der Weimarer Republik Das deutsch-polnische Verhältnis in der Weimarer Zeit stellt einen Tiefpunkt der beiderseitigen Beziehungen dar. Dies gilt nicht nur für den politischen, sondern auch für den wirtschaftlichen („Zollkrieg") und insbesondere für den kulturellen Bereich. Zu keinem anderen Nachbarn waren die Beziehungen in jeder Hinsicht durchgehend ähnlich schlecht wie zu Polen. Deutscherseits sind die Gründe dafür darin zu sehen, daß Polen als Exponent und Nutznießer des Versailler Vertrages er-13 schien, dessen Revision gerade hinsichtlich der territorialen Bestimmungen gegenüber Polen von allen Parteien angestrebt wurde. Auch die deutsche Linke, die traditioneller-weise Sympathien für Polen hatte, teilte diese Einstellung. Polnischerseits betrachtete man den deutschen Revisionismus als Bedrohung der Lebensfähigkeit des polnischen Staates. Darin waren sich alle politischen Kräfte Polens einig. Polnische Versuche in den Jahren 1927/28, diesen Gegensatz zu mildern, blieben angesichts dieser grundsätzlichen Diskrepanz ohne Erfolg. Dabei spielte auch die internationale Konstellation eine entscheidende Rolle. Die polnische Außenpolitik mußte sich auf das Bündnis mit Frankreich stützen, da ein funktionsfähiges Sicherheitssystem in Ostmitteleuropa nicht zustande kam. Auf die Deutschen, die von einer Einkreisungsfurcht beherrscht waren, das polnisch-französische Bündnis als eine potentielle Bedrohung, auf die Polen in ähnlicher Weise der Vertrag von Rapallo (1922). Unter diesen Voraussetzungen mußten die Verträge von Locarno von den Polen um so mehr als eine Gefahr betrachtet werden, weil Polen darin eine Ermunterung revisionistischer Tendenzen in Deutschland sah. In der Atmosphäre gegenseitigen Mißtrauens gelang auch eine befriedigende Regelung der beiderseitigen Minderheitenprobleme nicht. Nach dem Staatsstreich Pilsudskis im Mai 1926 kam es zwar zu einer zeitweiligen Entspannung des deutsch-polnischen Verhältnisses, jedoch betrachteten die demokratischen Kräfte Deutschlands das autoritäre Regime in Polen mit Vorbehalten. 19. Zu den deutsch-polnischen Beziehungen 1933— 1939
Während die deutsche Politik der Jahre 1930/32 in Polen als Verschärfung des revisionistischen Kurses betrachtet wurde, verkannte die polnische Regierung den Charakter des im Gefolge der Weltwirtschaftskrise aufsteigenden Nationalsozialismus und die außenpolitischen Konsequenzen der Machtergreifung Hitlers.
Bei der polnisch-deutschen Nichtangriffserklärung von 1934 handelte es sich nicht um einen „Freundschaftspakt". Die Unterzeichnung des Abkommens hat es jedoch der nationalsozialistischen Regierung erleichtert, sich als europäischen „Ordnungsfaktor" und „Friedensstifter" hinzustellen. Polen hoffte, durch diese Erklärung das Deutsche Reich an sich zu binden, um eine Annäherung Deutschlands an die Westmächte, die auf Kosten Polens gegangen wäre, zu erschweren. Ein zweites Motiv der polnischen Seite war der Versuch, durch die Nichtangriffserklärung eine stärkere Hinwendung der Sowjetunion nach Europa zu unterbinden.
Da es Hitler nicht gelang, Polen in einen Satellitenstaat zu verwandeln, war er 1939 zu einer kriegerischen Lösung entschlossen. Die Danziger Frage war für ihn nur ein Vorwand. Polen hatte unter diesen Umständen nur die Wahl, auf seine Eigenständigkeit zu verzichten oder sich zur Wehr zu setzen. 20. Die nationalsozialistische Besatzungspolitik und der Widerstand im Zweiten Weltkrieg
Bei der Behandlung des Zweiten Weltkriegs sollten die nationalsozialistische Besatzungspolitik und ihre Konsequenzen für das polnische Volk hinreichend dargestellt werden. Es sollte deutlich werden, daß die Politik des Hitler-Regimes nicht nur die Auslöschung des polnischen Staates zum Ziel hatte, sondern daß sie auch die Ausrottung der polnischen Intelligenz und Kultur, die Unterdrückung des polnischen Volkes und die Umwandlung Polens in einen Kolonialraum anstrebte. Es sollten sowohl diese Tatsache als auch der Kampf der polnischen Streitkräfte, die den Fortbestand des polnischen Staates symbolisierten, und die Aktivität der polnischen Widerstandsbewegung, insbesondere die Erhebung des Warschauer Gettos und der War-schauer Aufstand, gewürdigt werden. Es ist zu begrüßen, daß in polnischen Schulbüchern zwischen Deutschen und „Hitlerfaschisten“ unterschieden wird, und es wäre zu wünschen, daß die deutsche Widerstandsbewegung, wie die polnische, als ein Glied der großen europäischen Widerstandsbewegung ausführlicher berücksichtigt wird.
Zur Ergänzung der Empfehlungen 19 und 20 werden die zahlreichen schwierigen Probleme der deutsch-polnischen Beziehungen in den Jahren 1933— 1945 in gemeinsamen Konferenzen und Symposien von 1977 an erörtert werden. 21. Territoriale Veränderungen Die deutsch-polnische Grenzregelung nach dem Zweiten Weltkrieg ist im Zusammenhang der allgemeinen Territorial-und Grenzveränderungen als Ergebnis des Krieges zu betrachten. In den alliierten Kriegskonferenzen von Moskau, Teheran und Jalta spielte die Frage der polnischen Westgrenze eine bedeutende Rolle. Die unterschiedlichen Auffassungen bezüglich des Ausmaßes der neuen polnischen Westgebiete waren unter den Alliierten vor der Potsdamer Konferenz nicht beizulegen. Vor Konferenzbeginn war jedoch die staatliche Hoheitsgewalt de facto bereits den polnischen Behörden übertragen worden. Die Anerkennung der polnischen Administration durch die Westalliierten bedeutete nach deren Auffassung mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Konferenz noch keine völkerrechtlich definitive Anerkennung der Grenzlinie. Mit der gleichzeitigen Einigung über den Art. XIII (Orderly Transfers of German Population) und der Aufstellung eines Aufnahmeplans des Alliierten Kontrollrates in Deutschland im November 1945 wurde aber von den Alliierten selbst präjudiziert, daß es sich bei der polnischen Administration der ehemals deutschen Gebiete nicht um ein revidierbares Provisorium handeln könne.
Das Staatsgebiet Polens, das sich 1939 auf ca. 389 000 km 2 belaufen hatte, umfaßt in der Konsequenz der Grenzveränderungen ca. 312 000 km 2. Vom Territorium des ehemaligen Deutschen Reiches, 1937 mit einer Fläche von ca. 470 000 km 2, gingen mit den Oder-Neiße-Gebieten ca. _ 102 000 km 2 (zusätzlich ca. 2 000 km 2 der ehemaligen Freien Stadt Danzig) an den polnischen Staat über.
Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik erkannte im Görlitzer Vertrag 1950 die Oder-Neiße-Linie gemäß den Potsdamer Beschlüssen als endgültige Grenze gegenüber der Volksrepublik Polen an. In der Zeit des Kalten Krieges bis zur Mitte der fünfziger Jahre verschärften sich die unterschiedlichen Auslegungen der Potsdamer Beschlüsse. Mit dem Beginn der Entspannungspolitik wuchs auf der Seite der ehemaligen Westalliierten, und auch schließlich in der Bundesrepublik Deutschland, die Bereitschaft zur Respektierung der bei Kriegsende geschaffenen territorialen Veränderungen. 22. Bevölkerungsverschiebungen Die territorialen Veränderungen bei Ende des Zweiten Weltkrieges wurden mit umfangreichen Bevölkerungsverschiebungen verbunden. Sie zielten darauf ab, staatliche und ethnische Grenzen nach Möglichkeit in Überein-stimmung zu bringen. Die historischen Erfahrungen der Nationalitätenkonflikte und die unmittelbar vorhergegangene gewaltsame nationalsozialistische Bevölkerungs-und Besatzungspolitik spielten in diesem Zusammenhang eine erhebliche Rolle.
In den Polen gemäß den Potsdamer Beschlüssen übertragenen ehemaligen Reichsgebieten östlich von Oder und Neiße lebten 1939 ca. 8, 5 Mill. Menschen. Etwa die Hälfte von ihnen, außerdem die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung Danzigs sowie der in Polen lebenden Deutschen, wurde entweder evakuiert oder flüchtete unter großen Verlusten noch vor Kriegsende in die deutschen Gebiete westlich von Oder und Neiße. Der größte Teil der in den Oder-Neiße-Gebieten verbliebenen deutschen Bevölkerung wurde in den Jahren 1945 bis 1947 ausgewiesen bzw. im Rahmen des interalliierten Transferabkommens zwangsumgesiedelt. In der Folgezeit fanden noch einzelne Übersiedlungen und individuelle Ausreisen im Rahmen der Familienzusammenführung u. a. in den Jahren 1956/57 statt.
In den von der deutschen Bevölkerung geräumten Gebieten wurde systematisch eine inzwischen dort ansässig gewordene polnische Bevölkerung angesiedelt.
In den vier Besatzungszonen Deutschlands wurden die Flüchtlinge und Zwangsumgesiedelten schon nach kurzer Zeit in die Gesellschaft integriert. Sie spielten eine große Rolle bei dem wirtschaftlichen Aufschwung in Westdeutschland. In der Bundesrepublik Deutschland wurden alle diese Gruppen unter dem Begriff „Heimatvertriebene" zusammengefaßt. Ein großer Teil von ihnen schloß sich in landsmannschaftlichen Verbänden zusammen. Der Versuch, durch eine eigene Partei (BHE) eine besondere politische Kraft zu bilden, scheiterte bereits im Jahre 1957. Sofern in diesen Gruppen, von den früheren Bundesregierungen unterstützt, ein Recht auf Heimat proklamiert wurde, werden sie in Polen als Hort des Revisionismus angesehen.
Die Bundes-und Länderregierungen förderten jedoch auf verschiedenen Wegen ihre materielle und soziale Eingliederung. Dadurch wurde vermieden, daß diese Bevölkerungsgruppe sich zu einem Element permanenter sozialer Unzufriedenheit entwickelte und daß damit auch außenpolitisch gefährlicher Sprengstoff entstand. Sie ist seit langem auch politisch in den großen Parteien und gesell-15 schaftlichen Organisationen der Bundesrepublik Deutschland integriert. 23. Aufbauprobleme Als Folge des Zweiten Weltkrieges und des Zusammenbruchs des nationalsozialistischen Regimes kam es zu einer neuen weltpolitischen Konstellation. Sie setzte den Rahmen auch für das deutsch-polnische Verhältnis. Auf polnischer Seite kam es zur Wiederherstellung des eigenen Staates als ethnisch geschlossener Nationalstaat in neuen Grenzen, der aber der außenpolitischen Sicherung bedurfte, auf deutscher Seite zu der faktischen Auflösung des Deutschen Reiches.
Kriegsverluste und Kriegsverwüstungen stellten beide Länder vor komplizierte Aufbauprobleme. In Polen, das in besonderem Maße unter den Kriegseinwirkungen zu leiden gehabt hatte, schufen die Befreiung, das politische Übergewicht der linken Parteien und die territoriale Westverschiebung historische Voraussetzungen für die revolutionären Veränderungen seiner ökonomisch-gesellschaftlichen und politischen Struktur, und dadurch andere Ansatzmöglichkeiten des politischen und wirtschaftlichen Aufbaus als in den vier Besatzungszonen Deutschlands. In den Ländern der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen knüpfte man an Traditionen der parlamentarischen Demokratie an.
Die Grundsätze der Alliierten hinsichtlich der Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Demokratisierung und eines nur begrenzten und verzögerten wirtschaftlichen Aufbaus Deutschlands entsprachen den damaligen interalliierten Auffassungen zur europäischen Nachkriegsordnung und auch den polnischen Interessen. Als die drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands in das amerikanische Wiederaufbauprogramm für Europa (Marshallplan) einbezogen wurden, sah man in Polen wie in anderen Staaten hierin eine Abkehr von den bisherigen interalliierten Grundsätzen des politisch-wirtschaftlichen Aufbaus in Europa. Aus politischen und ökonomischen Gründen intensivierte Polen seine vielseitige Kooperation vor allem mit den Ländern Osteuropas. Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung war begleitet von wachsenden politischen und ideologischen Meinungsverschiedenheiten unter den ehemaligen Kriegsalliierten, was zu einer zunehmend kontroversen Auslegung einiger Potsdamer Beschlüsse führte. Dies konnte nicht ohne Auswirkungen auf das deutsch-polnische Verhältnis bleiben. 24. Bewältigung der Vergangenheit überaus nachhaltig ist das deutsch-polnische Verhältnis durch die Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft belastet worden. Polen hat, mehr noch als andere besetzte Länder, durch die Gewaltpolitik des Hitler-Regimes schwere Verluste erlitten (vgl. Empfehlung 20). Auch das deutsche Volk hat den Terror der nationalsozialistischen Herrschaft und die Schrecken des Krieges erlebt. Erst nach Kriegsende jedoch wurde dem deutschen Volk das volle Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen in Europa deutlich. Nachdem die Hauptverantwortlichen durch die alliierten Militärgerichte abgeurteilt worden waren, wie es in den Potsdamer Beschlüssen vorgesehen war, übertrugen die Alliierten den deutschen Behörden die Entnazifizierung der Mitglieder der NSDAP und ihrer Organisationen. Diese Maßnahmen wurden Anfang der fünfziger Jahre abgeschlossen. Erst danach setzte die grundsätzliche geistige und moralische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im größeren Umfange ein. Die Art und Weise, wie die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit häufig geführt wurde, insbesondere Inkonsequenzen bei der Durchführung der Entnazifizierung und der gerichtlichen Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen, haben die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Polen und zu anderen Ländern in vieler Hinsicht belastet. 25. Der internationale Rahmen Im Jahre 1949 konstituierten sich zwei deutsche Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges und der verschiedenen Entwicklungsbedingungen für die drei westlichen und die sowjetische Besatzungszone: die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik. Je mehr sich beide in den folgenden Jahren in die entstehenden politischen Wirtschafts-und Bündnissysteme in West und Ost eingliederten, desto stärker wirkte sich die deutsche Zweistaatlichkeit auf das deutsch-polnische Verhältnis aus.
Während sich die gesellschaftspolitischen Systeme in der Bundesrepublik Deutschland und Polen grundsätzlich unterschieden, war für Polen mit der Deutschen Demokratischen Republik ein deutscher Grenznachbar entstanden, der die Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze anerkannte (6. Juli 1950) und als sozialistischer Partner die weltpolitische Lage prinzipiell übereinstimmend beurteilte. Das deutsch-polnische Verhältnis wurde so auf der einen Seite durch die aktiven Beziehungen Polens zur Deutschen Demokratischen Republik, auf der anderen Seite weitgehend durch Beziehungslosigkeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen bestimmt. Polen war vital daran interessiert, die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu erreichen. Es sah darin einen wesentlichen Beitrag zur Festigung der europäischen Sicherheit. Dagegen sah die Bundesrepublik Deutschland den Schwerpunkt ihrer Außenpolitik in der Westintegration und in der Aufrechterhaltung der Wiedervereinigungsmöglichkeiten auf der Grundlage der Prinzipien der Deutschland-und Ostpolitik. Dies bedeutete die Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze.
Daraus ergab sich, daß die politischen Beziehungen zwischen beiden Staaten faktisch ausgeklammert wurden. Das beiderseitige Verhältnis wurde durch die internationalen Spannungen zu Beginn der fünfziger Jahre und in deren Folge durch den Entschluß zum Aufbau von Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Westeuropäisch-Atlantischen Sicherheitsgemeinschaft (NATO-Beitritt 1955) zusätzlich erschwert. Entsprechend erfolgte die bündnispolitische und militärische Integration Polens und anderer sozialistischer Staaten im Warschauer Pakt. Zunehmende Bedrohungsvorstellungen waren die Folge.
Andererseits gab es seit 1955 auch Anzeichen für die Möglichkeit einer Änderung dieser Konstellationen. Die Erklärung über den Verzicht auf Kriegsreparationen zum 1. Januar 1954 und über die Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland durch Polen im Februar 1955 sowie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion im September 1955 waren in dieser Hinsicht besonders wichtig. Polen sah jetzt weitere Perspektiven für die Festigung der europäischen Sicherheit durch die Anerkennung des territorialen und politischen Status quo in Europa, auch im Rahmen internationaler Organisationen und verbesserter zwischenstaatlicher Beziehungen (z. B. Atomwaffenfreie Zone, Angebot der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland 1957). In diesen Jahren haben auch die Westmächte gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland wiederholt Vorschläge vorgelegt, die Sicherheit in Europa mit friedlichen Mitteln zu fördern und so die Konfrontation zu reduzieren.
Obwohl die Politik der Annäherung auf staatlich-diplomatischer Ebene ohne Erfolg blieb, wurde mit den kulturellen, wirtschaftlichen und zwischenmenschlichen Kontakten seit 1957 doch ein außerdiplomatisches Beziehungsfeld aktiviert.
Polen erklärte sich bereit, Maßnahmen der Familienzusammenführung einzuleiten. Diese führten in den folgenden Jahren zur Über-siedlung von mehr als 450 000 Personen. Insgesamt sind seit 1957 weit über 500 000 Personen aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland und in die Deutsche Demokratische Republik übergesiedelt. Jedoch war eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zunächst nicht zu erreichen. 26. Auf dem Wege zur Normalisierung Anfang der sechziger Jahre wurden die wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte erneut aktiviert. Seitdem verstärkte sich in der Bundesrepublik Deutschland das Interesse an polnischer Kultur und an der politischen Realität des neuen Polen. In der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland mehrten sich Stimmen und Stellungnahmen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, die eine Verständigung mit Polen forderten. Diese beginnende Bewußtseinsveränderung fand eine zunehmend positive Resonanz in Polen.
Dies alles war für den Abbau des geschichtlich bedingten Mißtrauens zwischen Polen und Deutschen deshalb wichtig, weil sich darin eine Normalisierung in der gegenseitigen Wahrnehmung ankündigte. Gleichzeitig wurde seit dem Abschluß des Handelsvertrages und der Errichtung von Handelsmissionen im Jahre 1963 eine Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen ermöglicht. Dadurch ist die Bundesrepublik inzwischen zum größten westlichen Handelspartner Polens geworden. Ungeachtet der damit erzielten Verbesserungen und der auf friedliche Verständigung abzielenden Erklärungen der damaligen Bundesregierungen (Friedensnote vom 25. März 1966, Regierungserklärung der Großen Koalition vom 13. Dezember 1966) wurde in Polen das Festhalten an der deu. schlandpolitischen Rechtsauffassung als Fortsetzung revisionistischer Politik bewertet. Für Polen blieb die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze die Voraussetzung für die Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen.
Im Rahmen einer weltweiten Entspannungspolitik und auch vor dem Hintergrund einer neuen Einschätzung der Beziehungen zu Polen in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik Deutschland leitete die 1969 gebildete Bundesregierung eine neue Phase in der Politik gegenüber den sozialistischen Staaten, und so auch gegenüber Polen, ein. Dabei handelte die Bundesregierung nur im Namen der Bundesrepublik Deutschland. Diese Politik fand zunächst ihren Niederschlag im Moskauer Vertrag vom 12. August 1970.
Aufgrund der polnischen Vorschläge vom Mai 1969 wurden seit Februar 1970 konstruktive Verhandlungen geführt. Diese mündeten in den Warschauer Vertrag zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland vom 7. Dezember 1970. Darin stellten beide Vertragspartner fest, daß die bestehende Grenzlinie, deren Verlauf in den Potsdamer Beschlüssen festgelegt ist, die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen bildet. Beide Staaten sichern einander „die Unverletzlichkeit ihrer bestehenden Grenzen jetzt und in Zukunft" und die „uneingeschränkte Achtung ihrer territorialen Integrität" zu. Sie erklärten, daß sie „gegeneinander keinerlei haben und Gebietsansprüche solche auch in Zukunft nicht erheben werden". Der Warschauer Vertrag bietet Grundlagen zur Normalisierung und Verbesserung der Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland in wesentlichen Bereichen. Beide Regierungen haben die Absicht bekräftigt, diese Zusammenarbeit im Geiste der Vereinbarungen von Helsinki vom 1. August 1975 konstruktiv weiterzuentwickeln.
II. Geographie
Vorbemerkung Bei der Schulbuchrevision im Fach Geographie war davon auszugehen, daß der Geographie-unterricht in den Schulen für die Erziehung des heranwachsenden Staatsbürgers eine entscheidende Bedeutung hat: Er zeigt, daß sich das Handeln des Menschen auf der Basis der natürlichen Ressourcen und im Rahmen der technischen, ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen vollzieht. Der Geographieunterricht trägt dazu bei, daß der Schüler befähigt wird, an der rationalen und verantwortlichen Gestaltung der Umwelt mitzuwirken. Der heranwadisende Staatsbürger gewinnt Kenntnisse und Einsichten in die vielseitigen Probleme des eigenen Landes und anderer Länder. Hierdurch ist er in der Lage, die Leistungen anderer Völker zu bewerten. Toleranz und Achtung vor der Leistung fremder Völker werden gefördert.
Die Reduzierung des Geographieunterrichts in den Schulen oder seine Begrenzung auf wenige problemorientierte Themen muß daher zu einer nicht zu verantwortenden Einengung des Weltbildes und zur Verringerung der politischen Urteilsfähigkeit beim Schüler führen.
Das in der Geschichte begründete besondere deutsch-polnische Verhältnis verlangt, daß die gegenseitige Behandlung beider Länder im Schulunterricht objektiv und verständnisvoll erfolgt. Die Curricula für den Erdkundeunterricht beider Länder sind verschieden.
Im Geographieunterricht der Volksrepublik Polen wird die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen einer allgemeinen politischen, ökonomischen Geographie und in der regionalen Geographie/Länderkunde behandelt. Die derzeitige Entwicklung des Curriculums für Geographie geht in der Bundesrepublik Deutschland von einer anderen Konzeption aus. Die Volksrepublik Polen wird dabei einerseits als Beispiel für politische, soziale und ökonomische Entwicklungen in einem sozialistischen Staat, andererseits ideographisch und zugleich problemorientiert behandelt. Eine Besonderheit der Schulbuchrevision im Fach Geographie liegt darin, daß in den Schulbüchern nahezu ausschließlich gegenwartsbezogene Fakten und Probleme behandelt werden. Diese betreffen nur zu einem Teil die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen. Andererseits wirken die unterschiedlichen sozio-ökonomischen Systeme bei-B der Länder zum Teil auf die Auswahl von Fakten und auf Wertungen in den Schulbüchern. Hieraus resultierende kontroverse Positionen wurden offen, vertrauensvoll und in Achtung der gegenseitigen Standpunkte behandelt.
Zusammenfassend stellten sich der Schulbuch-revision im Fach Geographie drei Aufgaben:
a) Wiederholte Begutachtung der Schulbücher und Vorschläge zu ihrer Veränderung.
Hierbei entfiel ein großer Teil der Arbeit auf die Korrektur von sachlichen Fehlern, die nicht die Kernaufgabe der Schulbuch-revision sein kann.
Das Vorliegen eindeutiger Fakten erleichterte die Konzentration auf das Problem ihrer Auswahl und Darstellung. Schulbuch und Schulatlas standen daher von Anfang an im Mittelpunkt der Arbeit.
b) Erstellung der Grundlagen für bessere Schulbücher durch Vermittlung von Material und Informationen, vor allem in Form von Symposia zu spezifischen Problemen beider Länder (in geographischer Hinsicht z. B. Strukturwandel in der Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, Küsten-standorte am Beispiel der Dreistadt Danzig/Gdansk — Zoppot/Sopot — Gdingen/Gdynia) *). Diese Symposia haben sich nach übereinstimmender Auffassung beider Delegationen voll bewährt.
c) Angesichts der Entwicklung des Curriculums in der Bundesrepublik Deutschland — nunmehr auch in der Volksrepublik Polen — waren der Standort und die Probleme, mit denen das jeweils andere Land behandelt werden sollte, zu bestimmen.
Dies führte zu einer intensiven und fruchtbaren Diskussion über Aufgaben, Methoden und Didaktik der Geographie in den Schulsystemen beider Länder. Der Fortführung dieser Arbeit soll das Forschungsvorhaben „Grundlagen und Bildungswert der Regionalen Geographie (Länderkunde bzw. regionale ökonomische Geographie)
am Beispiel der Behandlung der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland im Unterricht" dienen.
Empfehlungen 1. Die Geographie ist vorwiegend eine Gegenwartswissenschaft. Die Darstellung beider Länder muß daher von gegenwärtigen Realitäten ausgehen. Der Geographieunterricht soll objektive Informationen vermitteln. Er soll ein wohlwollendes Interesse im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens der Völker wecken sowie Fehlinformationen, Mißverständnisse und Vorurteile abbauen helfen. Es wird empfohlen, den Normalisierungsprozeß zwischen den beiden Staaten dadurch zu fördern, daß die Probleme beider Länder in den Lehrbüchern und im Unterricht angemessen berücksichtigt werden.
Das Fach Geographie muß, um seiner Bedeutung in Bildung und Erziehung gerecht zu werden, im Schulunterricht in hinreichendem Umfang sowie in Methode und Problemen an alle Altersstufen angepaßt bis zur letzten Klasse berücksichtigt werden.
Das Schulfach Geographie/Erdkunde muß auch im neuen Curriculum den Auftrag erfüllen, seinen Teil zur Erziehung der Heranwachsenden zum Staatsbürger zu leisten.
2. Obwohl in den beiden Ländern unterschiedliche Gesellschafts-und Wirtschaftssysteme bestehen, ist es notwendig, die Leistungen beider Völker in gegenseitiger Toleranz und mit Achtung zu behandeln.
3. Politische Fragen sollen im Geiste des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 1970 behandelt werden. Wenn zum Verständnis gegenwärtiger geographischer Sachverhalte historische Erklärungen notwendig sind, gelten sinnentsprechend die Empfehlungen zur Revision der Lehrbücher für Geschichte. Historische Sachverhalte, die von der Wissenschaft unterschiedlich interpretiert werden, sollen in ihrer Problematik und unter gleichgewichtiger Berücksichtigung beider Standpunkte dargestellt werden.
4. Bei der Auswahl der in Text, Karten, Abbildungen usw. dargestellten Fakten sollen sich die Autoren ihrer Verantwortung im Sinne der genannten Ziele bewußt sein. Die Auswahl der Fakten, die von der didaktischen und methodischen Zielsetzung und dem verfügbaren Raum abhängt, muß in jedem Fall objektiv und aktuell sein. Die Auswahl der Fakten soll daher so erfolgen, daß tendenziöse und diskriminierende Interpretationen verhindert werden. Obwohl seit Beginn der Schulbuchrevision die Tendenz zu verbesserter und versachlichter Darstellung auf beiden Seiten in den Schulbüchern deutlich zu erkennen ist, werden Autoren und Verlage beider Länder erneut aufgefordert, die Schulbücher zur Geographie zu überprüfen und ggfs. zu verbessern. Hierdurch soll verhindert werden, daß auch weiterhin sachliche Fehler und nicht gerechtfertigte Aussagen und Wertungen in immer neuen Auflagen wiederholt werden. Die raum-gestaltenden Leistungen beider Völker sind angemessen und ausgewogen darzustellen.
5. Für die Verwendung geographischer Namen werden folgende Grundsätze empfohlen: In Karten und Darstellungen für den Schulgebrauch sollen Autoren und Verleger die offiziell im jeweils anderen Land verwendeten Ortsnamen berücksichtigen. Aus didaktischen Gründen kann eine zweisprachige Bezeichnung erforderlich sein. Andere geographische Namen (von Flüssen, Seen und Landschaften usw.) können ebenso zweisprachig oder nur in der Muttersprache der Schüler gebraucht werden. Namen, die auf eine gezielte Germanisierungstendenz zurückgehen, sollen nicht verwendet werden. Das Problem der geographischen Namen bedarf noch weiterer Erörterungen, wobei auch die sich entwickelnden internationalen Grundsätze berücksichtigt wer-den sollen.
6. Als notwendige Voraussetzung für die ständige Verbesserung und Aktualisierung der Schulbücher wird empfohlen:
a) Gegenseitige Begutachtung der Lehrbücher bzw.der Lehrbuchausschnitte, die das jeweilige Land betreffen vor der endgültigen Drucklegung. Dies gilt auch für Neuauflagen. b) Für eine objektive und verantwortungsbewußte Unterrichtung des Schülers durch Schulbücher und andere Medien ist es unbedingt erforderlich, Fakten zu verwenden, die wissenschaftlich abgesichert sind. Daher sollen die Verantwortlichen, vor allem Schulbuchautoren, Lektoren bzw. Redakteure sowie Begutachter der Verlage, Wege suchen, welche die Zusammenarbeit zwischen Autoren und Wissenschaftlern gewährleisten.
c) Besonderer Nachdruck ist auf den Austausch und die Bereitstellung von • Informationsmaterial (z. B. neue statistische Daten, neues kartographisches Material, neue Forschungsergebnisse) zu legen.
Die Bereitstellung von geeigneten Fotos, Diapositiven, Abbildungen, Karten, Plänen und Skizzen ist auf beiden Seiten zu gewährleisten. Die zuständigen wissenschaftlichen Institutionen sowie die geographischen und kartographischen Verlage sollen diese Initiativen beraten und unterstützen. Als Kontaktstellen werden von den UNESCO-Kommissionen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland empfohlen:
Der Verlag für Schule und Pädagogik (Wydawnictwa Szkolne i Pedagogiczne/WSiP) und der Staatliche Verlag für Kartographie (Pänstwowe Przedsiebiorstwo Wy-
awnictw Kartograficznydi/PPWK) in Warschau, das Georg Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig. d) Der Austausch von Schulbuchautoren und Wissenschaftlern ist zu fördern, da jeder objektive und die Annäherung künftiger Generationen fördernde Unterricht in Schulen und Universitäten mehr als in anderen Fächern Landeskenntnis voraussetzt.
Außerdem sollen zur Verbesserung des Informationsstandes von Schulbuchautoren und Curriculumexperten der Geographie Seminare und Symposien durchgeführt werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen publiziert und damit den interessierten Fachleuten beider Länder zugänglich gemacht werden.
7. Zur Behandlung der Geographie der Volksrepublik Polen in den Lehrbüchern der Bundesrepublik Deutschland werden für die altersgemäße Behandlung in den Sekundarstufen I und II folgende Problemfelder und Themen empohlen:
a) Bevölkerungsbewegungen und ihre Ursachen — regionale und soziale Mobilität:
„Demographische Veränderungen in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg — Kriegs-verluste, Migrationen, Veränderungen der ethnischen Struktur, Berufsstruktur".
b) Grenzen in ihrer politischen, ökonomischen und sozialen Wirksamkeit:
„Polen in seinen neuen Grenzen — Veränderung des Potentials als eine der Grundlagen ökonomischen Aufbaus".
c) Sozio-ökonomische Systeme in ihrer spezifischen Raumwirksamkeit:
„Die . sozialistische Industrialisierung'— naturräumliche, historische und ökonomische Aspekte (Instrumente, Etappen, Trends, Standortentscheidungen) am Beispiel Polen“.
d) Raumordnung und Landesplanung:
„Raumplanung in den sozialistischen Ländern — Grundlagen und Instrumente des Abbaus räumlicher Disproportionen in Polen".
e) Die sozialistische Stadt:
„Grundlagen und Instrumente des Städtebaus und der Stadterneuerung in Polen — Funktion des Stadtzentrums, typische Elemente im Grund-und Aufriß, Ausmaß des Städtewachstums, Konzeption und Realisierungsmöglichkeiten der Stadtplanung". f) Probleme der Landwirtschaft:
„Formen und Funktionen des sozialistischen und privaten Sektors der Landwirtschaft in Polen“. g) Rohstoffpotential und Weltwirtschaft:
„Die Verteilung der Ressourcen und ihre Bedeutung für eine arbeitsteilige bzw. Ergänzungswirtschaft am Beispiel Polen — Kohle, Kupfer, Schwefel“.
Ebenso wird empfohlen, Problemfelder und Themen zur Geographie der Bundesrepublik Deutschland für die Darstellung in Lehrbüchern der Volksrepublik Polen zu erarbeiten.