Verteidigungskräfte seines Landes ungehindert durch parlamentarische Kontrolle ganz buchstäblich die Macht in Händen, die Menschheit in einen unvorstellbaren Abgrund zu stürzen. Ein solches Ausmaß an Macht gab es in den alten Zeiten der herkömmlichen Waffen nicht. Ihre bloße Existenz ist beängstigend und muß bei der Wahl eines Regierungschefs notwendigerweise zu größter Vorsicht mahnen. Wir müssen davon ausgehen, daß Staatsmänner, denen eine so unheimliche Macht in die Hand gegeben ist, besonnene, vernünftige Männer sein werden. Dann wird der politische Wettstreit der Großmächte, so weit wir es voraussehen können, kaum die Gefahr in sich bergen, daß die eine oder andere Macht als letztes außenpolitisches Mittel bewußt die Gewalt anwendet.
Hinsichtlich der Atomwaffenpolitik besteht Aussicht, daß der Status quo in der unmittelbaren Zukunft stillschweigend aufrecht erhalten bleiben wird. Die Sowjetunion wird wohl kaum jenes Maß an internationaler Aufsicht zulassen, das es uns ermöglichen würde, einer erheblichen Minderung der atomaren Rüstung zuzustimmen. Solange Zusicherungen dieser Art fehlen, können und dürfen die Vereinigten Staaten keine Schritte unternehmen, die ihre eigene bestehende atomare Stärke herabsetzen würde. Wer die Abrüstung als Weg zum Frieden fordert, sollte daran denken, daß Rüstungen eher eine Folge als eine Ursache des Mißtrauens sind. Wir sollten uns mit dem jetzigen Gleichgewicht der Macht zufriedengeben und es in der jeweils notwendigen Höhe aufrechterhalten. Wie schon oben angedeutet, das Unangenehme eines „nuklearen Patts" hat für uns auch seine guten Seiten, auch wenn es weder den Pazifisten noch den Hurra-Patrioten gefällt.
Diese beiden allgemeinen Beobachtungen führen zu vier außenpolitischen Schlußfolgerungen für die nächste Zukunft. Erstens sollten wir bereit sein, jede Gelegenheit zu nutzen, die sich aus dem wachsenden Zug zum Nationalismus ergibt, um die einzelnen osteuropäischen Staaten im kommunistischen Machtbereich zu größerer Selbständigkeit gegenüber Moskau zu ermutigen. Das wird ein langsamer Prozeß sein, weil jedes übertriebene oder voreilige Vorgehen dieser Länder mit Sicherheit Unterdrückungsmaßnahmen hervorrufen würde, wie sie in Ungarn angewendet wurden. Andererseits würde es verheerende Folgen haben, wenn wir glaubten, der ganze kommunistische Block sei nichts als eine einzige, überdimensionale, zentral gelenkte Verschwörung gegen den Westen. Die Männer im Kreml machen in ihren Verhandlungen mit der westlichen Allianz keinen solchen Fehler.
Wenn die Führer des Westens klug und von fixen Ideen frei sind, wird es ihnen vielleicht allmählich gelingen, den Geist des Nationalismus zu stärken, der in jedem osteuropäischen Staat ein unbehagliches Dasein neben dem kommunistischen Internationalismus führt. Wenn das in solcher Form und mit solchem Bedacht geschehen kann, daß bei den Sowjets nicht das Gefühl entsteht, es werde ein tödlicher Schlag gegen sie vorbereitet, könnten für den Westen gute und positive Ergebnisse daraus entstehen. Jedenfalls würde sich der Versuch lohnen.
Zweitens müssen wir uns damit abfinden, daß die künftige wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung eines großen Teiles der Welt nicht unserem Vorbild folgen und uns möglicherweise nicht besonders gefallen wird. Viele der aufstrebenden Länder empfinden es als politisch dringend notwendig, ihre nationale Entwicklung rascher voranzutreiben, als es möglich ist, wenn man sich in erster Linie auf die private Initiative verläßt. Die daraus sich ergebende Vermischung privaten und staatlichen Kapitals wird diese Länder wahrscheinlich vielfach weiter zum „Sozialismus“ hintühren, als uns lieb ist. Aber das ist eine Tatsache unseres heutigen Lebens, und wir würden unsere Position in der Welt schwächen, wenn wir behaupteten, in allen diesen Trends und Entwicklungen lediglich die geschickte Hand des kommunistischen Agitators zu sehen.
Auch politisch sieht es ebenso aus. Wir werden in der ganzen Welt viel mehr autoritäre Regierungen sehen, als uns zusagt. Widerstrebend beginnen wir einzusehen, daß manche unserer früheren Vorstellungen von den politischen Strömungen in der Welt und dem unaufhaltsamen Fortschreiten des demokratischen Gedankens — um es geradeheraus zu sagen — naiv waren. Wenn demokratische Institutionen, wie wir sie haben, erfolgreich arbeiten sollen, müssen, das wissen wir heute, eine ganze Reihe von Bedingungen — politische Erfahrung, ein gewisser Bildungsstand, allgemeine Übereinstimmung über die Grundstruktur und den Zweck des Staates und so weiter — erfüllt sein, die in großen Teilen der Welt völlig fehlen. In vielen Fällen mögen die Zeit und eine kluge Führung Bedingungen schaffen, unter denen die Freiheit des einzelnen erweitert und vertieft werden kann, aber selbst dann kann das Endergebnis ganz anders aussehen als unsere Institutionen und Vorstellungen. Drittens werden wir noch lange Zeit in einer unsicheren und sogar gefährlichen Welt leben.
Unsere Außenpolitik muß daher von Klugheit und äußerster Besonnenheit geleitet sein, auch wenn sie zugleich durch eine in vollem Umfang aufrechterhaltene militärische Stärke untermauert wird. Forsches Auftreten und eine „Politik am Rande des Abgrunds" werden zwar stets das Volk ansprechen, aber die Staatskunst zeigt sich eher in der Geduld als im Säbelrasseln. Einem zornigen Aufwallen nachzugeben und dem Gegner mit schrecklichen Strafen zu drohen, mag für den einzelnen wie für eine Gemeinschaft eine gewisse reinigende Wirkung haben, aber ein solches Verhalten ist stets ein Luxus, den sich allenfalls Einzelpersonen aber keine Großmacht leisten kann.
Und als letztes: Unsere Politik muß weiterhin alles in ihrer Macht stehende tun, um den ganzen verfügbaren Apparat der internationalen Zusammenarbeit und der friedlichen Regelung von Meinungsverschiedenheiten zu nutzen und zu stärken. Es wäre töricht zu glauben, daß die Vereinten Nationen oder irgendeine andere internationale Organisation in einer Welt von selbständigen Nationalstaaten ein vollwertiger Ersatz für die Diplomatie sein könnte. Sie können aber kleine Probleme lösen, die sonst gefährliche Ausmaße annehmen könnten, einem Verlierer die beste Möglichkeit bieten, das Gesicht zu wahren, und für die Welt ein Forum sein, in dem, wie man hoffen darf, sich eine wachsende Übereinstimmung über Maßstäbe und Verfahrensweisen in internationalen Fragen allmählich ergibt.
Fassen wir zusammen: Unsere neue außen-politische Periode muß, wo immer es nötig ist, durch entschlossene Festigkeit gekennzeichnet sein, die jedoch durch größere Beweglichkeit, durch Erfindungsreichtum und eine realistische Einschätzung der Welt gemäßigt werden muß. Die größte nationale Gefahr, die uns auf diesem Wege droht, liegt in der immer breiter werdenden Kluft zwischen dem Denken unserer Politiker und Staatsmänner, die gelernt haben, die Welt kühl, vorsichtig und realistisch zu betrachten, und der Haltung großer Teile der Oifentlichkeit, die sich häufig nur von unkontrollierten Gefühlen leiten lassen. Diese Kluft gibt es immer, aber sie bedeutet eine wachsende Gefahr. Nur wenn unsere Führer mutig und ohne Umschweife ihre Meinung in der Oifentlichkeit vertreten, kann diese Kluft überbrückt werden. Die Demagogen werden stets unter uns sein, aber das Feld der öffentlichen Diskussion darf ihnen nicht überlassen bleiben, nur weil ältere und klügere Männer den rauhen Ton der öffentlichen Auseinandersetzung scheuen. Es geht hier um lebenswichtige Fragen, und das amerikanische Volk verdient es, daß seine Führer nicht nur Aufrichtigkeit und Mut, sondern auch Besonnenheit und Zurückhaltung zeigen.