die Vereinigten Staaten ebenso wie die Commonwealth-Länder weit davon entfernt, einer westlichen Weltfreihandelszone zuzustimmen.
Trotz aller Versicherungen MacMillans, daß das Commonwealth nach wie vor ein Anliegen Großbritanniens sei, hätte ein Eintritt Großbritanniens in die EWG das Commonwealth wirtschaftlich ausgebootet. Man hätte, wenn alles gut gegangen wäre, ein nach außen geschlossenes Wirtschaftssystem Kleineuropas (mit sieben Staaten einschließlich Großbritannien) bekommen, was wirtschaftlich auch den Vereinigten Staaten zu schaffen gemacht hätte. Die Commonwealth-Länder hätten sich neu orientieren müssen, und der politische Vorteil, den die Vereinigten Staaten in einem solchen Wirtschaftssystem der Reichen und Leistungsfähigen gesehen hätten, wäre den Commonwealth-Ländern nicht zugute gekommen. Politisch wären sie fast alle isoliert gewesen und hätten sich ihre eigenen regionalen Sicherheitssysteme schaffen müssen. Für Kanada ist das Bestehen des Commonwealth ein notwendiges Gegengewicht gegen den Sog, den die Vereinigten Staaten immer ausgeübt haben. Australien und Neuseeland würden den Weg weiter gehen, der durch den ANZUS-Pakt vorgezeichnet ist; aber sie wären fortan nur zwei der vielen „Protektorate" der Vereinigten Staaten geworden. Die afrikanischen, asiatischen und westindischen Commonwealth-Länder hätten das Wohlwollen der Vereinigten Staaten gebraucht, um sich gegenüber kommunistischen Angriffen zu schützen.
Atempause für das Commonwealth
Das Commonwealth hat sich seit 1945 rapide verändert, und es besteht keine „Gefahr", daß es, wie Smuts 1949 meinte, jahrhundertelang als Schemen ohne wirkliche Macht dahinvegetieren wird. Es ist viel wahrscheinlicher, daß es in 50 Jahren verschwunden ist. De Gaulles Veto Großbritannien gegenüber auf der Pressekonferenz am 14. Januar 1963 hat noch einmal die Aussicht auf ein längeres Bestehen verbessert.
Die Reaktion auf das Scheitern der Verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens zur EWG war, wie man es von den Briten gewohnt ist, maßvoll. MacMillan sagte in einer Fernsehrede am 30. Januar 1963, wenn es möglich gewesen wäre, einen gemeinsamen Markt mit dem Commonwealth zu schaffen, so hätte man dies vor Jahren getan. Aber es sei aus technischen Gründen nicht möglich. Großbritannien werde natürlich mit dem Commonwealth und den Vereinigten Staaten in einer ehrenvollen Partnerschaft weiterarbeiten. Und darum sei Großbritannien entschlossen, der NATO treu zu bleiben. Die Regierung habe gehofft, in Europa eine große Gemeinschaft zu bilden, die den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ebenbürtig gewesen wäre. Der damalige Außenminister Lord Home (heute Premierminister Sir Alec Douglas-Home) sagte in einer Debatte im Unterhaus im Februar 1963: „Wir wollen in Fühlung bleiben mit unseren europäischen Freunden, damit Europa sich in der Zukunft in einer Weise entwickelt, die nach außen schaut, politisch, wirtschaftlich und militärisch; ein Europa, wie es auch die Welt draußen gerne sehen möchte."
Die Reaktion der denkenden und sich äußernden Minderheit, die Briefe an die " Times" schreibt, war nicht sehr einheitlich. Einige forderten Maßnahmen der Regierung, andere meinten, Großbritannien müsse sich jetzt selbst zusammenreißen und einige gaben de Gaulle recht: Großbritannien wäre ein trojanisches Pferd für die Amerikaner gewesen. Industrie, Finanz und Mehrheit der konservativen Partei, die vordem den Eintritt Großbritanniens in die EWG als die einzige Rettung für die stagnierende britische Wirtschaft gesehen hatten, meinten, nun müsse man weiter sehen, es müsse auch so gehen.
Im Commonwealth atmete man erleichtert auf, weil nun die bisherigen Handelsbeziehungen und Vorteile bis auf weiteres erhalten bleiben würden. In New Delhi wurde die Befürchtung geäußert, daß jetzt Europa unter französischer Hegenomie zu kommen drohe und Großbritannien nicht die enge kontinentale Politik abzumildern vermöge. In Kanada forderte Diefen-baker Lagebesprechung, in Australien war nirgends Jubel. Alle Meinungsäußerungen sagten aus, daß ein Beitritt Großbritanniens zur EWG schlecht für das Commonwealth gewesen wäre; trotzdem bedauerte man, daß Großbritanniens Versuch, „europäisch" zu werden und gleichzeitig die Interessen des Commonwealth zu wahren, durch das Veto de Gaulles gescheitert sei.
Harold Wilson, der nach Gaitskells Tod (18. Januar 1963) am 17. Februar 1963 zum Führer der Labour Party gewählt wurde, meinte in einer Rede in Cardiff am 22. Februar 1963, das Vertrauen des Commonwealth müsse erst wieder langsam gewonnen werden. Aber dies scheint mir weder notwendig noch möglich. Es ist nicht notwendig, da die wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth einstweilen gesichert sind, da ein gemeinsamer Markt im Commonwealth nach wie vor unmöglich ist und da viele Commonwealth-Länder, Neuseeland voraus, aufgeatmet haben werden. Auf der anderen Seite sind die Commonwealth-Länder gewarnt worden und wissen, daß sie mit einem möglichen Beitritt Großbritanniens immer noch zu rechnen haben. Deswegen ist ein Vertrauen unmöglich. Das beste, was die weißen Commonwealth-Länder tun können, ist sich der Unterstützung der Vereinigten Staaten für einen Beitritt Großbritanniens zu versichern, damit die EWG offener nach außen wird. Eine lose atlantische Verbindung wäre noch die beste Garantie für das Weiterbestehen des Commonwealth.
Der französische Politiker Jean Monnet hat einmal gesagt, daß die Briten nie eine Idee, sondern nur harte Tatsachen begreifen. Oft scheint es aber genau entgegengesetzt zu sein. Der englische Publizist John Mander schrieb: „Dadurch daß Großbritannien die Tatsache des Empire für die Phantasie des Commonwealth eintauschte, hat es seinen Wirklichkeitssinn ernstlich gefährdet." Aber es scheint mir, daß eine starke romantische Seite im englischen Wesen schon immer vorhanden war. Harter Wirklichkeitssinn kann Hand in Hand gehen mit starken Sentimenten, ja Sentimentalität für die entschwundene glorreiche Vergangenheit oder aber auch für die Idee einer noch glorreicheren Zukunft — wie sie Smuts vorschwebte — in Gestalt einer weltumfassenden Friedensgemeinschaft. Diese Sentimentalität kann auch die farbigen Mitgliedstaaten des Commonwealth ergreifen: Die spontane Begeisterung der Volksmenge bei dem Besuch der englischen Königin in Indien war ein Ausdruck dieser merkwürdigen Gemütsbewegung. Da aber Sentimente, Sentimentalität ebenso wie Wirklichkeitssinn politische Faktoren sein können, ist es keineswegs unmöglich, daß das Commonwealth — trotz vieler verächtlicher und sarkastischer Äußerungen selbst in der britischen Presse über dieses „Phantom“ — noch politische Wellen auf dem Meer der Weltpolitik hervorrufen wird.
Die wirklich tiefgehenden Probleme in der Welt, die Überbrückung der Kluft zwischen reichen und armen Völkern, Überwindung des Rassenhasses und der Rassenarroganz, Abrüstung und schließlich politische und wirtschaftliche Freiheit, gehen alle an: die Vereinigten Staaten, die Vereinten Nationen, das Commonwealth, Europa, ja selbst die kommunistischen Staaten. An eine Lösung dieser Probleme ist auf sehr lange Sicht nicht zu denken. Aber die ernste und ehrliche Beschäftigung mit ihnen ist die einzige Hoffnung für die Menschheit. Es ist die Überzeugung derer, die noch an den Wert des Commonwealth glauben, daß keine Weltorganisation so fruchtbringend an ihnen zu arbeiten vermag wie das Commonwealth.