nen Kollegen im südafrikanischen Parlament warnend vor Augen hielt, der verschiedentlich _ vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg — das Commonwealth als das erste erfolgreiche Experiment internationaler Zusammenarbeit mit dem Schwung seiner Rhetorik und dem tiefen Gefühl seiner Überzeugung vielleicht übermäßig gepriesen hatte
Vom Empire zum Commonwealth
Es ist also doch wohl so, daß das britische Weltreich besonders in seiner heutigen Form als Commonwealth in den Augen der Beschauer von außen sowohl wie von innen stets eine Art von Ambivalenz hervorgerufen hat. Man sah es trotz aller Zeichen der Auflösung weiter bestehen und sogar in den schärfsten Krisen eher sich verdichten als zerfallen
Der Bericht des Komitees der interimperialen Beziehungen auf der imperialen Konferenz vom Jahre 1926, der sogenannte Balfour-Bericht, hatte die verfassungsmäßigen Wandlungen des britischen Reiches während der letzten zwölf Jahre mit einer bewunderungswürdigen Präzision herausgearbeitet. Auf der Reichskonferenz vom Jahre 1911 durfte der damalige Premierminister Asquith noch ohne ernsten Widerspruch sagen, daß die Dominions sowohl wie das Mutterland zwar Herren im eigenen Haus seien, daß aber in der Außenpolitik die Regierung Großbritanniens die Verantwortung für die Verteidigung des Reiches — damals noch zweifellos außenpolitisch eine Einheit — nicht mit den Dominions teilen könne. Durch die großen Opfer aber, die die Völker der Dominions im ersten Weltkrieg dem Reiche und insbesondere Großbritannien gebracht hatten, war die Erkenntnis auch in London durchgedrungen, daß die Dominions fürderhin wenigstens eine Stimme in der Formung und Führung der Außenpolitik haben müßten. Man konnte nicht verlangen, daß die Dominions als selbstbewußte Gemeinwesen von der britischen Politik in alle Abenteuer und Kriege mit hineingezogen wurden, ohne befragt zu werden oder ohne zumindest bei der Formung der Außenpolitik mitgewirkt zu haben. Australien und Neuseeland wären evtl, noch einige Zeit bereit gewesen, dies zu dulden, nicht dagegen Kanada, Südafrika, ganz zu schweigen von Irland. Diese Dominions waren nicht mehr damit zufrieden, nur Herren im eigenen Haus zu sein, sie wollen auch Herren über Krieg und Frieden und das Leben ihrer Bürger sein
Der Balfour-Bericht definierte denjenigen Teil des britischen Empire, der sich aus den Dominions und Großbritannien zusammensetzte — also ohne das farbige Kolonialreich —, in jener berühmten bis 1949 gültigen Form: „Diese selbstregierenden Gemeinschaften sind autonome Gemeinschaften innerhalb des britischen Empire, einander gleich in Stellung, in keiner Weise einander untergeordnet in irgendeinem Aspekt ihrer inneren oder äußeren Angelegenheiten, doch verbunden durch die gemeinsame Treue gegenüber der Krone und frei assoziiert als Mitglieder des britischen Commonwealth der Nationen."
Hier war also noch einmal eine Unterscheidung gemacht worden zwischen der größeren Einheit, dem Empire, das die meist farbigen Kolonien mit einbezog, und dem Commonwealth, das aus Großbritannien und den Dominions (Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika) bestand. Heute ist es üblich, die große Einheit, in der die alten ehemaligen Dominions europäischer Bevölkerung mit den hauptsächlich afrikanischen und asiatischen Rassen verbunden sind, Commonwealth zu nennen. Das Wort „Empire" wird nur noch von einigen alten Imperialisten gebraucht.
Zum zweiten war die Krone also, wie Baldwin während der Thronkrise 1936 betonte, das letzte noch existierende Band des Empire
Denn innenpolitisch waren ja die Dominions schon 1911, wie wir gesehen haben, als Herren im eigenen Hause anerkannt. Wenn diese Interpretation richtig ist — und es besteht kein Anlaß daran zu zweifeln —, so war das einzige Mittel, die gemeinsame Sache vor Gefahren zu bewahren, die Führung einer gemeinsamen Außenpolitik. Daß dies eine diplomatische Einheit des Empire oder Commonwealth erforderte schien selbstverständlich, und sie wurde auch nach 1926 noch in der diplomatischen Korrespondenz ausdrücklich betont, wenn sie auch seit 1926 eine andere, breitere Basis hatte. Während vor 1926 Reichs-angelegenheiten von dem britischen Botschafter allein bearbeitet wurden, heißt es 1929, daß Angelegenheiten, die von gemeinsamer Bedeutung sind, durch gemeinsame Beratung (Konsultation) geregelt werden sollen. Einheit wird ausdrücklich als Ziel der Konsultation definiert
Alles was dem Außenstehenden, insbesondere dem kontinentalen Betrachter, schwer verständlich erscheint, der nicht an das Beieinanderwohnen von logisch und rechtlich Unvereinbarem in der Sphäre der öffentlich-rechtlichen Beziehungen gewohnt ist, liegt in der Behauptung und der Demonstration des britischen Reiches und Commonwealth, daß Unabhängigkeit und Einheit in ihm zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt sind. Wie kann man postulieren, daß eine Reihe von Staaten, die sich in jeder Beziehung, auch in äußeren Angelegenheiten als unabhängig erklären, eine gemeinsame Außenpolitik führen? Hancock und auch Keith antworteten auf die Frage der Völkerfamilie an das britische Reich oder Commonwealth: „Seid ihr eine Einheit oder seid ihr eine Vielheit?" mit: „Wir sind eine Einheit und eine Vielheit!"
Doch ist eine Erklärung und damit ein Verständnis dieses ganzen Problems relativ einfach, wenn man sich den Werdegang des britischen Reiches vor Augen führt. Seit dem Durham-Bericht 1839 war der Weg der weißen Siedlungskolonien vorgezeichnet: Ausbau der Selbstregierung der Kolonien in inneren Angelegenheiten, alle Beziehungen mit dem Auslande aber werden von der Zentrale des Empire, von London aus, geregelt
Gegenteil, in dem neuen Reichsparlament sollten sie sogar eine Stimme in der Führung der Außenpolitik erhalten. Aber diese Bestrebungen scheiterten, allerdings erst endgültig auf der Reichskonferenz von 1911, auf der der neuseeländische Premierminister, Sir Joseph Ward, als Sprecher für die Reichsföderalisten vollkommen Schiffbruch erlitt. Die politischen Gemeinschaften der Dominions und besonders die Regierung Großbritanniens hielten fest an der Oberhoheit ihrer Parlamente, und außerdem befürchteten die Dominions, voran Kanada und Südafrika, von einer bundesstaatlichen Organisation nur einen Rückschritt zu einer zentralen Bürokratie
Britische Außenpolitik oder Commonwealth-Außenpolitik?
Eine gemeinsame Führung der Außenpolitik des Empire unter Beteiligung der Dominions aber konnte man sich weder 1911 noch auch 1918 vorstellen, wenn man auf eine bundesstaaliche Regelung verzichten mußte. Und wir müssen feststellen, daß diesmal die politische Erfindungsgabe der Briten teilweise versagte. Sie haben eine wirkliche Lösung nie gefunden, eben weil es hier eine Lösung außer einer bundesstaatlichen nicht gab. Außenpolitik ist ihrer Natur nach das Reservat einer kleinen, fortgesetzt und eng zusammen arbeitenden Gruppe von Menschen und ist der Methode der Beratung im größeren Kreise, geschweige denn der Beratungen von verschiedenen Regierungen, nicht zugänglich. Mansergh behauptete 1950, gewisse breite Ziele auf dem Gebiet der internationalen Politik anzustreben sei der Hauptzweck der Commonwealth-Verbindung
Es ist ziemlich sicher, daß die britische Regierung bis in den zweiten Weltkrieg hinein eine wirklich praktisch durchgeführte Unabhängigkeit in der großen Politik von Seiten der Dominions nicht befürchtete und — wie es sich erwies — auch nicht zu befürchten brauchte. Was schließlich heute erreicht wurde, ist, daß jedes der Mitglieder des Commonwealth für die Führung seiner eigenen Außenpolitik verantwortlich ist, aber daß die jeweilige Außenpolitik des einzelnen Mitgliedes das Ergebnis gemeinsamen Gedankenaustausches ist. Und dieser Gedankenaustausch in Fragen der großen Politik ist etwas Neues, worauf die Politiker des Commonwealth mit Recht stolz sind. Es dies System der Kooperation ist das durch Konsultation, das mit der langsamen Entwicklung einer eigenen Außenpolitik der einzelnen Dominions Hand in Hand lief. Schon auf der Reichskonferenz von 1911, also zu einer Zeit, wo die Regierung von Großbritannien noch das Monopol der Führung der Außenpolitik des Imperiums für sich in Anspruch nahm, zeigte es sich, daß man in den Dominions nicht geneigt war, blindlings der britischen Außenpolitik Folge zu leisten. Man wollte entweder, wie Laurier für Kanada, sich von der Außenpolitik Großbritanniens fern-halten, aber auch dann das Recht für sich in Anspruch nehmen, sich aus etwaigen kriegerischen Verwicklungen heraus zu halten, oder aber, wie Fisher für Australien, über den Gang der britischen Außenpolitik in statu nascendi informiert werden, bevor ein fait accompli geschaffen war
Der erste Weltkrieg aber kam, ohne daß auch nur eine der beiden Aspirationen erfüllt wurde. Die Dominions waren weder informiert worden, noch waren sie in der Lage, sich aus dem Krieg heraus zu halten. Aber die Tendenzen, die 1911 schon sichtbar gewesen waren, wurden durch die großen Opfer, welche die Dominions dem Imperium und Großbritannien 1914— 18 brachten, verstärkt. Die Reichskonferenz von 1917, die Teilnahme an einem Reichskabinett und an den Pariser Friedensverhandlungen, die selbständige Unterzeichnung der Friedensverträge, die gesonderte Mitgliedschaft im Völkerbund, all dies gab den Dominions eine Stellung innerhalb des Reiches und in der Völkerfamilie, die die Frage nach der Führung der Außenpolitik so brennend machte, daß eine Klärung der Verfassungsverhältnisse nicht lange aufgeschoben werden konnte. In einer Rede vor dem Unterhaus am 14. 12. 1921 hatte Lloyd George gesagt:
„Die Stellung der Dominions in bezug auf die auswärtigen Angelegenheiten hat sich während der letzten vier Jahre vollkommen gewandelt ... Die Dominions haben seit dem Kriege gleiches Recht mit Großbritannien in der Kontrolle der Außenpolitik des Imperiums erlangt. Obwohl sie dem britischen Imperium zu Hilfe kamen für eine Politik, an deren Gestaltung sie keinen Anteil hatten, fühlten sie, daß es unfair wäre, ihnen in Zukunft ein solches Dilemma aufzuerlegen. Sie sagten: Ihr stellt uns vor die folgende Alternative: Entweder wir unterstützen euch in einer Politik, mit der wir oder mit der wir nicht übereinstimmen, oder wir müssen das alte Land in der Gefahr im Stich lassen. Das ist ein Dilemma, in das ihr uns nicht mehr bringen dürft. Deshalb müßt ihr uns in Zukunft vorher konsultieren. Das war richtig, das war gerecht. Das war für beide Teile vorteilhaft. Wir haben dem freudig zugestimmt".
Bis hierher war Lloyd Georges Bericht den Tatsachen entsprechend; sowohl der kanadische Premierminister Borden als auch General Smuts hatten sich in diesem Sinne mit besonderer Betonung einer fortgesetzten Konsultation in der Außenpolitik geäußert. Aber nun kam der Pferdefuß. Lloyd George fuhr fort: „Die Maschinerie ist die Maschinerie der britischen Regierung, des Außenamtes, der Botschafter, und diese Maschinerie muß bleiben. Es ist unmöglich, daß es anders sein könnte, es sei denn, man schafft einen Reichsrat (Council of Empire) mit Abgeordneten, die für diesen Zweck gewählt werden. Wenn dieser nicht geschaffen wird, so muß man weiter durch ein einziges Instrument handeln. Das Instrument der Außenpolitik des Empires ist das britische Außenamt. Das wurde von allen Dominions als unvermeidbar anerkannt. Aber sie verlangen eine Stimme in der Festlegung der Linien unserer zukünftigen Politik. Auf der letzten Reichskonferenz besprachen wir unsere Politik in Deutschland usw., und wir handeln jetzt gemäß den reifen allgemeinen Entscheidungen, die wir mit der allgemeinen Zustimmung des ganzen Imperiums getroffen hatten. Die einzige Kontrolle Großbritanniens über die Außenpolitik liegt nun in dem Empire als Ganzem. Der Vorteil für uns besteht darin, daß gemeinsame Kontrolle gemeinsame Verantwortung heißt, und wenn die Last des Empires so riesig ist, so ist es gut, daß wir die Schultern dieser jungen Riesen haben, uns zu helfen..."
Trotz der schönen Worte ist, wie man sieht, der Kern der Rede wenig verschieden von der von Asquith im Jahre 1911. Und Kanada voran bewies in den folgenden Krisen von Chanak, den Verträgen von Lausanne und Locarno, in denen die Dominions nicht Vertragspartner waren, daß es nicht geneigt war, der britischen Außenpolitik unbedingt zu folgen oder ihr zuzustimmen. Dies schien wie ein Warnsignal, daß irgend etwas nicht stimmte. Gab es eine britische Außenpolitik und eine Empire-Außenpolitik? Wie aber, wenn die britische Außenpolitik zum Kriege führte? Mußte dann Großbritannien alleine kämpfen?
Aber weder Chanak noch Locarno gefährdeten die Schicksalsgemeinschaft des britischen Reiches. 1921 noch hatte Lloyd George den Dominions nur eine Stimme in der Außenpolitik des Empire geben und sonst aber alles beim alten lassen wollen. Die Stimme war Konsultation, aber Konsultation konnte erst richtig funktionieren, nachdem die Dominions 1926 offiziell das Recht eigener außenpolitischer Tätigkeit zugestanden bekamen. (Sowohl Irland als auch Kanada hatten schon vor 1926 quasi-diplomatische Vertretungen in Washington etabliert.)
Premierminister Attlee definierte Konsultation dann im Unterhaus am 8. Mai 1946 wie folgt: „Es ist unsere Gepflogenheit und unsere Pflicht als Mitglied des britischen Commonwealth, die anderen Mitglieder des Commonwealth voll auf dem laufenden zu halten über alle Angelegenheiten, die wir zu entscheiden haben, die aber möglicherweise die Interessen des Commonwealth betreffen. Wir wollen ihnen damit die Gelegenheit geben, ihre Ansichten vertraulich zum Ausdruck zu bringen, wenn sie es wünschen. Diese Ansichten werden voll gewürdigt, aber die Entscheidung liegt bei uns, und die anderen Regierungen tragen keinen Anteil an der Verantwortung für sie; sie werden weder gebeten noch würden sie wünschen, irgendeinen Teil der Verantwortung zu tragen.“
Die Zeit zwischen 1926 und 1949, sagt Mansergh, ist ein Kommentar auf das Wort des Balfour-Berichts, daß keine gemeinsame Sache darunter leiden werde, wenn die Dominions Herren über ihre eigenen Geschicke sind, d. h.
ihre eigene Außenpolitik treiben können. Dies war richtig, aber hauptsächlich deshalb, weil während dieser Ubergansperiode die Dominions nur langsam, zögernd und teilweise unwillig diese neue Bürde auf sich nahmen. Das Recht zur eigenen Außenpolitik war Irland, Kanada und Südafrika willkommen gewesen;
die Ausführung aber war es weit weniger, weil diese mit Lasten verbunden war. Die Einrichtung diplomatischer Apparate erforderte Zeit und Geld. Irland, Kanada und Südafrika hatten einige diplomatische Posten vor 1939 besetzt und Abteilungen für auswärtige Angelegenheiten hatte es in allen Dominions schon viel früher gegeben, deren Funktionen aber eng begrenzt waren, überdies war die Führung der großen Politik, die sich ja immer noch auf Europa konzentrierte, nach wie vor in den Händen Großbritanniens und seines Schildes, der britischen Flotte, und dies wurde von den Regierungen der Dominions gewürdigt und anerkannt
Die Entscheidung über Krieg und Frieden lag in London: Gab es Frieden, so war die enthusiastische Zustimmung der Dominions gewiß, und man fragte nicht nach dem Preis, so lange er mit dem Lande und den Menschen eines fernen Volkes, „von dem wir nichts wissen"
Konnte man nicht sagen, daß die sogenannte Schicksalsgemeinschaft nur aus dem Gefühl der Schwäche der Dominions geboren war, die auf die Seemacht Großbritanniens angewiesen waren? Auf diese Frage gab es keine Antwort, die alle Zweifler beruhigen konnte. Der Bestand des Commonwealth auch in Freiheit war von Macht nicht zu trennen, trotz aller Sentimente, die besonders in Australien und Neuseeland, aber auch in Kanada, noch lebendig blieben. Und konnte es schon zweifelhaft erscheinen, ob die gemeinsame Sache noch intakt war bei Ausbruch des zweiten Krieges, zu einer Zeit, wo der drohende Zerfall des Commonwealth allen gegenwärtig sein mußte und wo in allen Dominions zumindestens bedeutende Minderheiten britischen Volkstums lebten, wie viel problematischer, ja wie geradezu wirklichkeitsfremd muß sie 25 Jahre später erscheinen, wenn der weitaus größte Teil des Commonwealth aus außer-europäischen, meist farbigen Völkern bestand, die durch Generationen hindurch von den britischen Herren unterdrückt worden waren?
Commonwealth und Führungsrolle der Vereinigten Staaten
War schon seit dem Burenkrieg die effektive Machtstellung des britischen Reiches angekränkelt
Man kann bei der Betrachtung der allmählichen Emanzipierung der Außenpolitik der Dominions — der heute sogenannten alten Commonwealth-Mitglieder Kanada, Australien und Neuseeland — keine zutreffende Verallgemeinerung machen außer der einen, daß sie sich auf die Vereinigten Staaten ausrichtete. Bei Kanada war dies durch die geographische Lage gegeben, bei Australien und Neuseeland führt eine klare Linie von dem erwähnten Ausspruch Curtins im Dezember 1941 zu dem pazifischen Sicherheitsabkommen vom 1. Sept. 1951, dem sogenannten ANZUS-Pakt zwischen den Vereinigten Staaten, Australien und Neuseeland. Zum Ärger Churchills war dies das erste Mal, daß die treuesten Dominions Australien und Neuseeland einen Vertrag mit einer fremden Macht ohne Beteiligung Großbritanniens abschlossen.
Zwar war in der Zwischenzeit — im Jahre 1945 — die Organisation der Vereinten Nationen in San Franzisco geschaffen worden, ein wie man hoffte Völkerbund. Tatsächlich wurden auch einige Fehler dieses unglücklichen Weltverbandes vermieden. Die Weltmächte, voran die Vereinigten Staaten, wurden Mitglieder, und zudem wurde realistisch die politische Bedeutung der Großmächte, das Prinzip der Macht anerkannt und dem Rechnung getragen. Aber trotzdem stellte sich nur zu bald wieder heraus, daß die Zeit für einen wirksamen Weltverband der Völker zur Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit und Ordnung noch nicht gekommen war, daß die Vereinten Nationen gerade für diesen vornehmsten Zweck fast wertlos sind, weil die unvereinbaren Gegensätze der kommunistischen Machtsphäre und der westlichen Welt eine wirkliche und ehrliche Zusammenarbeit für Frieden, Freiheit und Wohlstand unmöglich machten.
Da die Vereinten Nationen und das Commonwealth ihrem inneren Wert und Zweck nach Ähnlichkeiten aufweisen, hat man die Frage aufgeworfen, ob das Commonwealth — abgesehen von allen anderen Bedenken — neben oder in den Vereinten Nationen noch sinnvoll sein kann. Diese Frage scheint berechtigt, weil das Commonwealth weit davon entfernt ist, innerhalb der Vereinten Nationen einen Block zu bilden, wie etwa die kommunistischen Staaten oder Südamerika. Häufig stimmen die neuen, afro-asiatischen Mitglieder des Commonwealth im Gremium der Vereinten Nationen gegen die alten, einschließlich Großbritannien. Dagegen wird geltend gemacht, daß am Tagungsort der Vereinten Nationen die Commonwealth-Mitglieder ständig miteinander Fühlung haben durch Besprechungen und Konsultationen und daß das Commonwealth eben durch diese intime „Kaffeehaus-oder Club-Atmosphäre" 55) einen „einzigartigen" Wert hat.
Der Commonwealth-Korrespondent des Observer bemerkte ganz richtig
Die Sicherheit für den Westen suchte man in regionalen Verbänden, voran NATO (1949), in der das Commonwealth durch Großbritan—; nien und Kanada vertreten war; SEATO mit Großbritannien, Pakistan, Australien und Neuseeland als Commonwealth-Mitgliedern; CENTO (früher Bagdad-Pakt) mit Großbritannien und Pakistan und anderen mehr. Die Mitgliedschaft nur einzelner Commonwealth-Länder in diesen Verbänden bekräftigte die Meinung des australischen Premierministers Menzies, der den Ausschluß Großbritanniens vom ANZUS-Pakt Churchill gegenüber damit rechtfertigte, daß er sagte, es sei nicht nötig, daß Commonwealth-Mitglieder Vertragspartner jedes Übereinkommens sein müßten. Von fundamentaler Bedeutung bei all diesen regionalen Verbänden war jedoch, daß die Partnerschaft der Vereinigten Staaten ihnen Sinn und Gewicht verlieh. Diese Mitgliedschaft der Vereinigten Staaten in Bündnissen aller Art im Westen (die Vereinigten Staaten haben 41 solcher Bündnisse) war natürlich nur möglich geworden, weil die Vereinigten Staaten — anders als nach dem ersten Weltkriege — aus ihrer Isolierung heraustraten und endlich ihre, durch ihre Weltmachtstellung fast unvermeidlich gewordene Verantwortung anerkannten und die Führung der westlichen Welt übernahmen. Damit war Großbritannien und seinem Commonwealth nicht nur die Verantwortung, sondern mehr noch die Möglichkeit selbständigen Handelns in der großen Politik genommen. Die Suez-Affäre von 1956, in der Premierminister Eden noch einmal versuchte, ohne die Vereinigten Staaten seine eigene Politik mit Waffengewalt durchzuführen, hat die wahre Schwäche Großbritanniens ans grelle Tageslicht gezogen. Das Commonwealth stand mit ganz wenigen Ausnahmen in dieser Krise auf seifen der Amerikaner. Kingsley Martin, der Herausgeber des New Statesman, folgerte brutal, aber ganz richtig, daß Großbritannien ohne Einwilligung der Vereinigten Staaten keinen Krieg mehr führen könne; und Mansergh hatte in seinem Bericht über die Lahore-Konferenz der Commonwealth-Länder im Jahre 1954 schon damals geschrieben: . Vollkommene politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ist (den Commonwealth-Ländern) nicht erwünscht; aber jede bedeutsame Abwendung von dem, was die Vereinigten Staaten als wesentliches Interesse ansehen, muß ein Bündnis unterminieren, in welchem die Vereinigten Staaten der Führer, wenn auch nicht der Diktator sind. Alle Wege also führten für die Mitglieder des Commonwealth nach Washington
Die Formulierung des letzten Satzes zeigt schon, daß die Hilfe, die die Vereinigten Staaten den Commonwealth-Ländern zu geben bereit waren, ihnen nicht aufgezwungen wurde, etwa durch eine Art diplomatischer Oberaufsicht, wie der indische Schriftsteller Karanakuran in seinem Buch „Indien und Weltpolitik 1950— 1953" anzudeuten scheint, wenn er sagt, daß die „Wirkung einiger Seiten amerikanischer Diplomatie darauf hinauslief, die Sicherheit der Mitglieder des Commonwealth zu fördern, aber vielleicht auf Kosten der Einheit des Commonwealth.“
Die Initiative kam von den Commonwealth-Ländern selbst. Der oben erwähnte ANZUS-Pakt war das Ergebnis der Unzufriedenheit der pazifischen Mitglieder des Commonwealth mit dem japanischen Friedensvertrag und der Befürchtung, daß sie einem zukünftigen japanischen Angriff hilflos ausgesetzt sein könnten. Abgesehen davon sehen es die alten Commonwealth-Mitglieder Kanada, Australien und Neuseeland als die vornehmste Aufgabe ihrer Außenpolitik an, das Verhältnis zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten harmonisch und ungetrübt zu erhalten. Schon 1951 hatte der neuseeländische Premierminister Sidney Holland erklärt: „Neuseeland wird durch dick und dünn, recht oder unrecht zu den Vereinigten Staaten stehen"
Man muß sich stets vor Augen halten, daß ohne Großbritannien ein Weiterbestehen des Commonwealth undenkbar wäre. In der Literatur hat man in letzter Zeit besonders von kanadischer Seite der Anschauung gehuldigt, daß mit oder ohne Großbritannien das Commonwealth gestaltet werden könne, wie es die Mitglieder wollen. Eine solche Anschauung ist unrealistisch. Zwar würde es die immer noch etwas mißtrauischen nationalen Empfindsamkeiten der jüngeren Mitglieder des Commonwealth verletzen, wenn man Großbritannien als Führer des Commonwealth bezeichnete; das klänge zu sehr nach Neo-Kolonialismus oder Neo-Imperialismus, aber es kann keinen Zweifel darüber geben, daß London nach wie vor das Zentrum, ja das Lebenszentrum des Commonwealth ist. Für jedes einzeln: Mitglied des Commonwealth besteht sein Wert in erster Linie darin, daß es in ständiger enger Verbindung mit Großbritannien steht; vornehmlich durch das Commonwealth Relation Office, d. h. das Commonwealth-Ministerium, aber auch durch viele andere wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Commonwealth-Institutionen in London. Nur die wenigsten Mitglieder pflegen engere Beziehungen untereinander; ein Umstand, der häufig beklagt wird, der sich auch etwas bessert, der aber immer charakteristisch für das Commonwealth bleiben wird. Auf der anderen Seite muß man sich fragen, welche Staaten sind für das Weiterbestehen des Commonwealth wesentlich? Der Austritt Südafrikas im Frühjahr 1961 hat diese Frage akut gemacht. Allgemein wird angenommen, daß Australien, Neuseeland, Kanada und Indien neben Großbritannien das Minimum darstellen, d. h. solange diese Länder im Commonwealth bleiben, wird für die anderen Mitglieder die Anziehungskraft größer sein als die Versuchung, auszuscheiden. Fest steht aber trotzdem, daß es im Nu zerflattern würde, sollte Großbritannien sein Interesse am Commonwealth verlieren.
Das ist vielleicht auch der Grund, warum es bei den Mitgliedern stets ein gewisses Mißtrauen hervorruft, wenn Großbritannien mit anderen Ländern engere Beziehungen anzuknüpfen scheint. Sie versuchen es zwar zu verbergen, aber es gelingt nicht ganz. Man ist versucht, zu dem Schluß zu kommen, daß die Commonwealth-Mitglieder es am liebsten hätten, wenn Großbritannien in all seinen Handlungen zuerst und fast ausschließlich an das Commonwealth denkt, während die Mitglieder es als selbstverständlich ansehen, wenn sie ihre eigenen Interessen vor alles andere stellen. Es ist eben zutiefst immer noch eine Mutter-Kind-Beziehung; die Mutter muß immer für die Kinder da sein, kann aber nicht verlangen, daß die Kinder auch einmal Rücksicht auf die Mutter nehmen. Und merkwürdig ist, daß die Mutter immer ein wenig ein schlechtes Gewissen hat, wenn sie einmal zuerst an sich selbst denkt.
Diese psychologischen Momente sollten wir nicht vergessen, wenn wir die Wirkungen des Entschlusses Großbritanniens, in der EWG Aufnahme zu finden, näher betrachten.
Einer der großen politischen Leitsätze Großbritanniens ist es gewesen, daß es mit der Sicherheit des britischen Reiches unvereinbar ist, wenn ein Staat in Europa die Vorherrschaft über den Kontinent erlangt (das Prinzip der balance of power). Es ist bemerkenswert, daß nicht nur die Dominions, sondern auch die Vereinigten Staaten ihre eigene Sicherheit der Beachtung dieses Leitsatzes verdanken. Für die Dominions und die britischen Kolonien war das selbstverständlich; weniger selbstverständlich war es vielleicht für die Vereinigten Staaten. Deshalb ist es aufschlußreich, einen bekannten amerikanischen Historiker und Diplomaten zu zitieren, nämlich George F. Kennan, der in seinem Buch „American Dipiomacy 1900— 1950“
Britische Macht und eigenständige Diplomatie sind dahingeschwunden, und heute ist die Aufgabe, das Gleichgewicht in Europa wiederherzustellen, auf die Vereinigten Staaten übergegangen, nachdem sie zweimal das Blut ihrer Söhne auf europäischen Schlachtfeldern opfern mußten. Die Form dieser politischen Aufgabe hat sich verändert. Die Bedrohung der Sicherheit der Vereinigten Staaten besteht heute in dem Druck des sowjetischen Kommunismus auf den Rest Europas einschließlich Großbritanniens. Das Prinzip der balance of power das Großbritannien bestimmt hatte, jeweils dem mächtigsten europäischen Staat entgegenzutreten, ist zu dem amerikanischen Bestreben geworden, dem Osten ein geeintes Europa gegenüberzustellen. Die Amerikaner haben, wie wir wissen, diese Aufgabe übernommen und seit Ende des Krieges dieses Ziel verfolgt. Der große Auftakt für diese Politik war der Marshallplan vom Jahre 1947. Seitdem haben sich die Präsidenten der Vereinigten Staaten, Truman, Eisenhower, Kennedy, mit ihren Verwaltungsapparaten ebenso wie auch der Kongreß für die Verwirklichung einer westeuropäischen Einheit mit Plänen, Vorschlägen, Ermutigungen, Diplomatie eingesetzt. Wenn heute die Anfänge einer europäischen Union trotz großer und andauernder Schwierigkeiten und Rückschläge so weit gediehen sind, wie es Montanunion, EWG und Euratom demonstrieren, so ist das nicht zuletzt den Bemühungen der Amerikaner zu verdanken, die an dem Wege, den verschiedenen Möglichkeiten und der Form einer solchen Einheit fast immer mitgearbeitet haben
Großbritannien zwischen Commonwealth, den Vereinigten Staaten und Europa
Das zerschlagene Europa, eingezwängt zwischen den zwei Weltmächten, griff nach dem zweiten Weltkrieg jahrzehntealte Pläne mit besserer Aussicht auf Erfolg wieder auf. In Frankreich, Belgien, Holland, Luxemburg, Deutschland und Italien gab es Männer wie Schuman, Spaak, Monnet, Adenauer und viele mehr, die mit Energie, Zähigkeit und Glauben den Weg zu einem vereinten Europa verfolgten. Großbritannien hatte diesen natürlichen Bestrebungen gegenüber eine Art Zwitterstellung, eine Ambivalenz, wie sie in den Beziehungen Großbritanniens zu anderen Staaten und insbesondere Europa schon lange die Regel gewesen war. Der spätere Premierminister MacMillan, der eines Tages um Aufnahme in das knospende Europa nachsuchen sollte, hatte 1944 einem amerikanischen Diplomaten gegenüber geäußert, daß Großbritannien nach dem Kriege wieder dieselbe distanzierte Haltung zu Europa einnehmen werde wie vorher
Paul Reynaud, der französische Staatsmann, äußerte wenig später: „Das schlimme ist, in England sind die Staatsmänner pro-europäisch, solange sie in der Opposition sind, und antieuropäisch, wenn sie an die Regierung kommen."
Zu welchem Schluß kann uns diese etwas verwirrende Art britischer Politik führen? In der Not ist die britische Regierung zu vielem fähig, was sie in einigermaßen ruhigen Zeiten nie tun würde. In der höchsten Not ist sie zu allem fähig, was ihr wie ein Hoffnungsschimmer erscheint, auch dazu, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, auch dazu, das Commonwealth in den Hintergrund zu schieben; denn das Commonwealth ist realpolitisch gesehen keine Quelle der Macht und auch wirtschaftlich kein Potential eines geschlossenen Marktes, sondern hauptsächlich das Mittel zu einem erhöhten Selbstbewußtsein, in der Weltpolitik noch eine Rolle zu spielen
Smuts sagte in seiner Rundfunkrede: „In dieser neuen Welt mit ihrer Trennung in West und Ost können wir im Commonwealth nicht mehr alleine stehen. Die Organisation des Westens wird die überragende Forderung auch für uns im Commonwealth. Die Vereinigten Staaten haben eine besondere Stellung dank ihrer erreichten Macht. Das Commonwealth begrüßt das, denn die Vereinigten Staaten sind uns verwandt in Rasse, Sprache, Ideen, Zukunftsplänen und politischen Zielen. Das Bündnis zwischen beiden ist nicht nur natürlich, es würde auch zu einer Konzentration von Rohstoffen und zu einer Beherrschung der Verbindungslinien in einem Ausmaß führen, das jeden Angreifer zögern ließe. Die Struktur des Commonwealth brauche nicht geändert zu werden. Kanada hat seit langem treue Mitgliedschaft im Commonwealth mit engen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten vereinigt. Commonwealth und Vereinigte Staaten könnten miteinander arbeiten, ohne irgendwelche Verfassungsänderungen und ohne das Gesicht zu verlieren.
Zweitens: Westeuropa ist in Gefahr und braucht einen regionalen Plan sowohl für seinen Wiederaufbau als für seine Sicherheit.
Nur durch Vereinigung der europäischen Völker kann das Unglück, das über sie gekommen ist, überwunden werden. Durch Benelux, Fünf-Mächte-Abkommen und Marshall Plan ist der Anfang gemacht worden. Mit starker amerikanischer Hilfe und britischer Patenschaft mag das Unglück Europa vielleicht in seine schönste Leistung staatsmännischen Könnens verwandelt werden: in eine europäische Union, eine Wiedergeburt, die die westliche Zivilisation retten wird. Irgendein atlantischer Plan mag amerikanische Teilnahme bringen. Britische Teilnahme ist notwendig und unvermeidbar, weil Europa ohne Großbritannien nicht funktionieren würde und weil Großbritannien ein Teil Europas ist und keine isolierte Insel mehr, überdies ist seine eigene Genesung direkt und eng verbunden mit der Europas.
Sie brauchen sich gegenseitig. Wenn die westliche Union mit britischer Mitgliedschaft vollzogen ist, wird eine dritte Macht entstehen, die mindestens so stark wie jede der zwei anderen ist; das Sicherheitssystem der Welt wird auf einem Machtdreieck beruhen und nicht auf zwei Weltmächten, die sich über das zerbrochene Europa hinweg feindlich anstarren. So sehe ich die zukünftige Grundlage der Sicherheit und des Weltfriedens.
In dieser Verbindung mag bald ein interessantes und wichtiges Problem für das Commonwealth entstehen, in dem Großbritannien das führende Mitglied ist.
Kann es ein führendes oder wichtiges Mitglied sowohl des Commonwealth als auch einer westlichen Union sein? Wird das Commonwealth unter einer solchen zweifachen Beziehung Großbritanniens leiden? Ich habe über diese Frage viel nachgedacht und sehe keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, aber es wäre zu früh, darüber jetzt schon zu sprechen. Eins ist sicher: Großbritannien wird notwendig sein für das Commonwealth und die westliche Union. Es ist die Mutter der Staaten und ist der Urheber und Führer der erfolgreichsten existierenden Gruppe freier Staaten gewesen. Es hat in der Welt nicht seinesgleichen, was Erfahrung in menschlichen Angelegenheiten anlangt, und hat eine traditionelle Technik erlangt, mit ihnen fertig zu werden. Sein Sinn für Gerechtigkeit und fair play und sein ausgeglichenes Urteilsvermögen müssen heute mehr denn je unschätzbare Werte sein in dieser Zeit der Unruhe und gereizter Nerven. Eine große menschliche Sendung liegt noch vor Großbritannien, größer vielleicht als seine ruhmreiche Vergangenheit.“
Es ist keine Herabsetzung dieser großartigen Vision, wenn wir heute, 16 Jahre später, feststellen müssen, daß in der harten Welt der Wirklichkeit sich Großbritannien in einer weit weniger eindrucksvollen Gestalt zeigt. Es hat zwar die ihm von Smuts zugedachte Rolle des großen Koordinators noch nicht für immer verspielt, es hat sich ihr lediglich bis jetzt nicht entschieden zugeneigt und in kleinlichem Zaudern, Zurückblicken auf die ruhmreiche Vergangenheit, einem „zu wenig und zu spät", einem Hängen an überlebten Begriffen von Souveränität und Unabhängigkeit die Stunde oder eine Stunde versäumt, die Einigung des Westens einen guten Schritt vorwärts zu bringen. Die natürliche Führung des Commonwealth ist ihm in den Schoß gefallen, aber es hat keine resolute, vitale Idee gehabt, diesem blassen Gebilde neuen Sinn und frische Kraft zu geben. Allerdings muß man zugeben, daß die Führung eines überwiegend farbigen Commonwealth weit schwieriger ist als die eines weißen Commonwealth, das Smuts 1948 wohl hauptsächlich vor Augen gehabt hat. In Europa hat es zwar Institutionen, die nur beratende Kompetenz haben, unterstützt und mit geschaffen, wie z. B.den Europarat, aber es ist immer wieder zurückgescheut, supranationalen Gebilden wie der Montan-Union, dem Euratom, der EWG beizutreten, bis sich das Mißtrauen gegenüber Großbritannien so verhärtet hatte, daß ein verspäteter Antrag scheiterte. Es gehört nicht hierher, den Flirt Großbritanniens mit der Europaidee vom Schumanplan bis zur Ratifizierung der EWG nachzuzeichnen, es genügt zu sagen, daß die Regierung Großbritanniens nicht an den Erfolg der EWG glaubte, für die Idee der Ubernationalität auch nicht zu haben war. Als es dann zu seinem Erstaunen sah, daß die EWG tatsächlich ein großer Erfolg war, hat es vergeblich versucht, diese in einem großangelegten Freihandelsabkommen zu schlucken und zu verwässern und schließlich mit einem etwas kläglichen Sieben-Mächte-Freihandelsverband, der EFTA, einen Gegenspieler zu lancieren. Hätte Großbritannien bei der Gründung der EWG mitgewirkt, so wäre zweifellos etwas anderes aus ihr geworden. Die Commonwealth-Verbindung sowohl wie die „besondere“ Beziehung zu den Vereinigten Staaten hätte eine von Anfang an stärker nach außen gerichtete Gemeinschaft hervorgebracht.
Am 1. Januar 1958 war die Ratifizierung der EWG von allen Mitgliedstaaten vollzogen worden. Mitte 1960 etwa kam der Umschwung in der Haltung der britischen Regierung, der dann ein Jahr später zu dem formellen Antrag um Aufnahme in die EWG führte. Es hatte von Anfang an in Großbritannien Anhänger der Meinung gegeben, daß es an der Zeit sei, sich ganz für Europa zu erklären und alle Bindungen an das Commonwealth aufs Spiel zu setzen und wenn nötig, sogar zu zerreißen. Diese zuerst vereinzelten Meinungen gewannen an Stimme und Zahl, als die EWG sich unerwartet erfolgreich zeigte und gleichzeitig die wirtschaftliche Lage Großbritanniens sich immer mehr verschlechterte. Politiker liberaler, konservativer und sozialistischer Färbung, hohe Verwaltungsbeamte, Finanz, Industrie erklärten in immer größerer Zahl, daß die Zukunft Großbritanniens wirtschaftlich, vor allem aber auch politisch, in einem rückhaltlosem Bekenntnis zu Europa läge und daß alle Träume von einem phönixgleichen Wiedererstehen des britischen Empire in der neuen Form eines auf Freiheit und Gleichberechtigung und freiwilligem Zusammenarbeiten bestehenden vielrassigen Commonwealth inhaltlose Phantome seien. Freilich war man sich bewußt, daß die große, bunte aber ausdrucksunfähige Masse für ein solches, einer Revolution gleichkommendes Umwerfen des Steuers des Staats-Schiffes kein Verständnis aufbringen würde. Es war von jeher die Stärke und Schwäche des britischen Staates gewesen, daß diese Masse konservativer und traditionsgebundener als die führenden Köpfe war. Der Schock über den Verlust der Weltstellung des britischen Empire konnte vom Volke nur getragen werden, weil es im Commonwealth ein zwar liberalisiertes aber doch noch mächtiges und respektheischen-des Weltreich sah
Die ausgesprochenen Gegner eines Beitritts Großbritanniens zur EWG waren entweder anachronistische Überbleibsel imperialistischer Denkart, die das glorreiche Empire, sei es auch nur in eines Gestalt blassen Commonwealth, Mission erhalten wollen, die noch eine Großbritanniens in der Führung dieses Commonwealth sehen, oder es waren linksradikale Gruppen der Labour Party, der Gewerkschaften, die unter dem Vorwand, für das Commonwealth zu sprechen, in Wirklichkeit Angst davor hatten, daß in Großbritannien, wenn es dem „katholischen Kapitalistenklub" beitritt, die Stellung der mächtigen englischen Gewerkschaften erschüttert und die Möglichkeit einer sozialistischen Regierung und Gesellschaftsordnung unterbunden werden würde
Die öffentliche Meinung war vorbereitet (Crossman behauptet, eine Meinungsbefragung im Sommer 1961 habe gezeigt, daß die meisten Briten glaubten, Großbritannien sei schon Mitglied der EWG). Das Commonwealth war ebenfalls bearbeitet worden: MacMillan hatte im frühen Sommer 1961 drei Minister, darunter den Commonwealth-Minister Sandys, in die verschiedenen Commonwealth-Länder geschickt, um sie von der Notwendigkeit eines britischen Eintritts in die EWG zu überzeugen und wenn möglich, ihr Verständnis, wenn nicht Einverständnis zu erlangen. In die Vereinigten Staaten war MacMillan im April 1961 selbst gereist, um von Kennedy zu erfahren, ob die „besondere Beziehung" zu Großbritannien auch Großbritanniens nach einem Eintritt in die EWG erhalten bleiben werde, und er soll eine positive Antwort erhalten haben
Er glaube aber nicht, daß Großbritanniens Beitrag zum Commonwealth (er hätte auch „Führung" sagen können) sich verringern werde, wenn Europa sich vereinige. Man werde alles tun, um die wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth zu wahren. Freilich sagte er ein paar Tage später während der Diskussion, im Commonwealth würden keine bindenden Entscheidungen getroffen, es gäbe keine einheitlich beschlossene Außenpolitik noch Verteidigungspolitik, einige der Mitglieder seien in verschiedenen Verteidigungspakten verbunden, andere hätten keinerlei Bindungen, aber trotz all dieser Verschiedenheiten habe das Commonwealth, obwohl es nicht politisch einheitlich sei, doch wirklich Kraft und Einheit. Es sei etwas Wertvolles und Einzigartiges. Aber Großbritannien allein sei heute ohne Wert für das Commonwealth, denn es habe weder die erforderliche Macht mehr noch auch genügend Kapital. Doch wenn Großbritannien als Mitglied der EWG in einem riesigen Markt von 230 Millionen Menschen neue Kraft gewonnen haben würde, dann könne es auch dem Commonwealth wieder ein wertvolles Mitglied sein
Der damalige Führer der offiziellen Opposition, Hugh Gaitskell, ließ in seiner Rede im Parlament eine abwartende Haltung der Labour Party erkennen. Die Probleme seien so kompliziert, daß man sich weder für noch gegen einen Beitritt Großbritanniens entscheiden könne, ehe die Verhandlungen mit den EWG-Partnern Klarheit über die Bedingungen geschaffen hätten, unter denen Großbritannien in die Gemeinschaft eintreten könne. Eines sei aber klar: ein Beitritt zur EWG sei nicht der erste Schritt zu den Vereinigten Staaten von Europa. Dazu sei das britische Volk noch nicht bereit. Vielleicht in 25, 50 oder 100 Jahren, aber keinesfalls im Augenblick. Er sähe in der EWG mehr eine Art eines europäischen Commonwealth oder wie de Gaulle ein „Europe des Patries".
Auf alle Fälle müsse Großbritannien die Zustimmung des Commonwealth haben. Die Ansicht der Commonwealth-Länder müsse in einer Konferenz der Premiers gehört werden. Denn die Commonwealth-Länder würden Präferenzzölle und die Zollfreiheit für gewisse Güter verlieren. Zwar könne das Commonwealth kein Vetorecht haben, aber der Beitritt Großbritanniens müsse den Commonwealth-Ländern angenehm sein, sonst würde der Premierminister nicht in der Lage sein, Großbritannien in die EWG zu bringen. Man dürfe nicht den Niedergang und Verfall des Commonwealth begünstigen. Die Einheit Europas könne nicht auf festen Füßen stehen, wenn Furcht und Mißtrauen in Großbritannien, Bitterkeit und Desillusionierung im Commonwealth herrsche.
Harold Wilson, der nach dem Tode Gaitskells im Januar 1963 der Führer der Labour Party wurde, schloß sich Gaitskells abwartender Haltung an und meinte, nur ein Scharlatan oder Einfaltspinsel könne den geplanten Beitritt zur EWG in Schwarz oder Weiß sehen, bis man wisse, welche Bedingungen die EWG-Länder stellten. Die kleine liberale Partei erklärte sich am rückhaltlosesten für einen Beitritt, ohne sich zu viele Gedanken über den möglichen Verlust von Souveränität oder die Bedenken der Commonwealth-Länder zu machen. Die meisten Mitglieder der beiden großen Par-teien im Unter-und Oberhaus schlossen sich ihren Führern an und waren auf einen Beitritt Großbritanniens unter günstigen Bedingungen. Aber in beiden Parteien gab es eine kleine Zahl von Rebellen. Am schärfsten griff der konservative Unterhausabgeordnete Fell, der der Beaverbrook-Presse nahesteht, die Regierung an. Er nannte MacMillan ein nationales Unglück, weil er die britische Souveränität in Europa aufs Spiel setze, während 650 Millionen Menschen im Commonwealth von seiner Treue und Führung abhingen. Das sei das katastrophalste, was ein Premierminister seit Generationen getan habe.
Etwas gemäßigter und realistischer äußerte sich die kleine Gruppe der Rechts-Konservativen, die eine dynamische, wirtschaftspolitische Belebung des Commonwealth forderten als Alternative für den Beitritt Großbritanniens in die EWG
In der Tat schienen Links-und Rechtsradikale in ihrem Antagonismus gegen Europa sich aus entgegengesetzten Gründen zu treffen. Der alte Imperialist Lord Selborne wies in einem Brief in der " Times" darauf hin, daß der linksradikale Abgeordnete Shinwell und er zum erstenmal gleicher Meinung seien: Das Commonwealth dürfe nicht geopfert werden
Als ob die Mitgliedschaft und das Bestehen des Commonwealth es bisher hätten verhindern können, daß die einzelnen Länder in die politische Bahn Washingtons hineingezogen wurden. Die Reaktion der Commonwealth-Länder beschäftigte sich hauptsächlich mit wirtschaftlichen Bedenken und Befürchtungen. Die günstigen Bedingungen für eine Einfuhr nach Großbritannien würden, das war klar, in Wegfall kommen, wenn Großbritannien Mitglied der EWG würde. Aber auch politisch sahen die Sprecher des Commonwealth eine Bedrohung. Sir Robert Menzies, Australiens Premierminister, eine der imposantesten Persönlichkeiten des Commonwealth, meinte
Der neuseeländische Premierminister P. M. Holyoake sagte, Neuseeland werde wirtschaftlich und politisch isoliert. Nehru war überzeugt daß das Commonwealth in mancher Hinsicht geschwächt werde; der Premierminister Ghanas, Nkrumah, glaubte sogar, das Commonwealth würde zerfallen.
Ähnlich waren die Stimmen aus Kanada und Rhodesien.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß zu dem Zeitpunkt, da die britische Regierung sich entschloß, Verhandlungen mit der EWG über einen Eintritt aufzunehmen, die Stimmung derjenigen Schichten im Volke, die sich ein Urteil zumuteten, überwiegend positiv war und daß auch die konservative Partei größtenteils einen Beitritt befürwortete. Die Mehrheit der Labour Party war auch eher für als gegen einen Beitritt, behielt sich aber ein endgültiges Urteil vor; die große Masse des Volkes aber hatte keine Meinung, sondern überließ die Diskussion den Experten.
Als ein Jahr später die Verhandlungen mit der EWG weit genug gediehen schienen, lud Mac-
Millan die Commonwealth-Premiers zu einer Konferenz nach London, damit sie sich über den beabsichtigten Beitritt Großbritanniens und dessen Folgen für die Zukunft des Commonwealth aussprechen könnten. Es war in der Zwischenzeit klar geworden, daß die EWG-Länder den Interessen der Commonwealth-Länder nicht so weit entgegenkommen würden, wie man vielleicht gehofft hatte. Aus diesem Grunde hatte sich die Stellungnahme der meisten Commonwealth-Mitglieder eher etwas verhärtet. Jedermann war sich klar, daß man nicht erwarten konnte, daß Großbritannien dem Commonwealth zuliebe — das stets seine eigenen Interessen rücksichtslos wahrgenommen hatte, selbst wenn es Großbritannien nicht genehm war — auf einen Beitritt zur EWG verzichten würde; man beschränkte sich darauf, die Lockerung oder gar den Zerfall des Commonwealth in düsteren Farben zu malen. Die öffentlichen Äußerungen der Commonwealth-Premiers waren, als sie sich in London versammelten, im allgemeinen recht gemäßigt, resigniert vielleicht, aber durchaus nicht verärgert. Man hatte sich im Verlauf des letzten Jahres damit vertraut gemacht, daß für Großbritannien das Commonwealth nicht mehr das dringlichste Anliegen war, ja man hatte überall Verständnis dafür, daß Europa sich enger zusammenschließen wolle und daß Großbritannien ein Teil Europas ist. Nehru sprach von dem fast sicheren Auseinanderbrechen des Commonwealth. Bustamente, der Premierminister von Jamaika, meinte, das Commonwealth müsse sterben, während Makarios von Zypern etwas optimistischer und energischer forderte, man dürfe nicht zugeben, daß das Commonwealth zugrunde gehe. Die Premiers der alten weißen Commonwealth-Länder Kanada, Australien und Neuseeland waren vorsichtig in ihren Äußerungen; sie hatten ja vorher schon oft genug ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Die jüngeren, voran die afrikanischen Mitglieder des Commonwealth, hatten vornehmlich wirtschaftliche Bedenken, politisch waren sie noch zu wenig gefestigt, um sich klar zu werden, ob das Commonwealth für sie in der Zukunft interessant genug sein würde. Zu wissen, was während der Konferenz gesagt wurde, wäre natürlich sehr interessant;
aber es ist die Tradition dieser Premierminister-Konferenzen, daß man lediglich ein recht farbloses Kommunique nach Beendigung der Konferenz veröffentlicht, das sich in Gemeinplätzen ergeht und nur das sagt, was allen schon lange bekannt war.
Einen gewissen Einblick in die Verhandlungen gibt indirekt MacMillans Fernsehrede. Die Konferenz hatte vom 10. — 19. September getagt, am 20. September sprach MacMillan zu seinen Mitbürgern. Er bezeichnete die gerade beendete Konferenz als die wichtigste, die je im Commonwealth abgehalten wurde, da sie das ungeheure Problem Europa -Großbritannien -Commonwealth zum Gegenstand gehabt habe. Er wies die Ansicht, daß Großbritannien zwischen Commonwealth und Europa wählen müsse, zurück, da EWG und Commonwealth ganz verschiedenartige Organisationen seien.
„Wir in Großbritannien", sagte er, „haben das Commonwealth vollkommen verändert. Vor 16 Jahren bestand das Commonwealth aus Großbritannien und vier unabhängigen Ländern, ursprünglich britische Kolonien mit hauptsächlich britischem Volkstum (?), alle Untertanen der Königin. Obwohl wir über verschiedene Dinge nicht einig waren, waren wir doch eine einheitliche kleine Gruppe. Wir betrieben eine große, gemeinsame Linie in der Außenpolitik. Wir waren in der Tat ein Militärbündnis, erprobt in zwei Kriegen. Aber jetzt ist alles anders geworden, und was einmal das britische Reich war, ist ein neues Ding geworden, das Commonwealth. Jetzt sind wir 15 Länder (September 1962), verstreut in Asien, in Afrika, in den Westindischen Inseln sowohl wie in den alten Ländern, von denen ich eben gesprochen habe. Einige Premierminister haben die Befürchtung geäußert, daß, wenn Großbritannien der EWG beitritt, dann das Commonwealth nicht mehr das gleiche sein werde. Aber es blieb nie das gleiche, es hat sich fortdauernd verändert, und es wird sich weiter ändern. Was ist denn das Commonwealth noch wert? Äußerste Verschiedenheit ist sein Wert; daß es sich über alle Teile der Welt erstreckt und dennoch diese Verbindung besteht. Wir hören unsere gegenseitigen Ansichten und sprechen miteinander. Wir blicken nach außen und nicht nach innen; wir sind nicht eng oder egoistisch.
Aber wenn man dieses Commonwealth mit der EWG vergleicht, so sieht man, das ist etwas ganz anderes. Sechs Länder, die eine Zollunion beschlossen haben und 1970 eine wirtschaftliche Einheit sein werden. Sie sind bisher sehr erfolgreich gewesen. Sie wollen — und werden auch — politisch aneinander wachsen. Wir haben mit dem Commonwealth besprochen, wie man die starken historischen Bindungen des Commonwealth mit der neuen Entwicklungsstruktur Europas in Einklang bringen könne. Wir sind immer ein Teil von Europa gewesen, obwohl wir es nicht immer wahrhaben wollten. Einige wollen zurück zu den guten alten Zeiten, aber wir müssen vorwärts. Vor einem Jahr entschlossen wir uns, uns mit der EWG zu vereinigen. Dies geschah aus zwei Gründen, wirtschaftlichen und politischen. Wir wollen die europäischen Streitigkeiten ein für allemal beenden, und wenn wir nicht mit in Europa dabei sind, dann wird unser Einfluß in Europa und auch in der Welt schwinden.
Mit Großbritannien und den EFTA-Ländern wird Europa 220 bis 230 Millionen Menschen zählen und wirtschaftlich sowohl wie in allen anderen Dingen ebenso stark sein wie die USA und die Sowjetunion. Wenn wir nicht mit dabei sind, dann werden wir immer schwächer und können unsere wirkliche Kraft nicht in der Welt dieser Riesen entfalten.
Warum, hat man gefragt, bilden wir keinen gemeinsamen Markt mit dem Commonwealth? Nun, keine der Bedingungen und Voraussetzungen, wie wir sie in Europa haben, sind vorhanden, die einen gemeinsamen Markt möglich machen würden, denn das Commonwealth besteht aus Ländern, die ganz verschiedene Hintergründe, verschiedene Rassen, verschiedene Abstammung, verschiedene Entwicklungsstufen aufweisen und über die ganze Welt verstreut sind. Die Länder des Commonwealth bilden einfach keine kompakte Gruppe. Wenn wir die langen Verhandlungen, die noch notwendig sind, beendet haben, dann müssen wir hier in Großbritannien uns entscheiden, was wir tun wollen. Alle Commonwealth-Länder haben das eingesehen. Schließlich sind auch wir unabhängig (die Mutter hat ein Recht, ihr eigenes Leben zu leben). In ganz Westeuropa warten die Menschen darauf, daß Großbritannien sich mit ihnen verbindet, um für Frieden und Fortschritt zu arbeiten.“
Einen Tag später, am 21. September 1962, hielt der damalige Führer der Opposition, Gaitskell, eine Fernsehrede, die das seltsame Schauspiel bot, daß ein Sprecher der Labour Party konservativ reagierte, während MacMillan fortschrittlich, ja vom Standpunkt Großbritanniens aus revolutionär gedacht hatte. Gaitskell meinte, wirtschaftlich wäre der Beitritt Großbritanniens zur EWG weder vorteilhaft noch nachteilig, aber politisch würde Großbritannien ein gewisses Maß an Freiheit verlieren. Er könne dem Verlust der Unabhängigkeit Großbritanniens in der Außenpolitik nicht zustimmen. Denn die EWG steure ganz deutlich auf eine politische Föderation hin, was bedeute, daß Großbritannien in den Vereinigten Staaten von Europa nicht mehr Macht haben werde als Texas oder Kalifornien in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das wäre das Ende einer tausendjährigen Geschichte. Eine solche Föderaiton bedeute das Ende des Commonwealth, denn das Zentrum des Commonwealth könne nicht eine bloße Provinz Europas sein. Gegen eine lose, nach außen schauende Verbindung mit Europa habe er nichts einzuwenden und er fordere die EWG-Länder auf, präzise Vorschläge zu machen, wie man das Commonwealth erhalten könne. Wenn das britische Volk wählen müßte zwischen Europa und dem Commonwealth, so habe er keinen Zweifel, wie die Wahl ausfallen würde, nämlich zugunsten Kanadas, Australiens und Neuseeland.
Das war eine wirre Haltung und gegenüber Gaitskells Äußerungen vor einem Jahr mehr gefühlsbetont als vernünftig, ja nationalistisch und eng. Die Labour Party hat ebenso wie die konservative und selbst die liberale Partei keine einheitliche Politik Europa gegenüber. Wir erinnern uns an Reynauds Wort, daß in Großbritannien die Opposition stets für, die Regierung gegen Europa, d. h. die Einheit Europas mit Großbritannien ist. Aber seit dem Umschwenken MacMillans und der Mehrheit seiner Partei hat sich die Opposition allmählich immer schärfer gegen eine Vereinigung Großbritanniens mit Europa ausgesprochen und eine fast nationalistisch anmutende Commonwealth-Politik befürwortet. Es ist aber anzunehmen, daß die Labour Party — sollte sie an die Regierung kommen — sich Europa gegenüber wieder positiver einstellen wird.
1948 z. B. hatte die Jahreskonferenz der Labour Party in einer Resolution beschlossen, mit den europäischen sozialistischen Parteien auf eine Vereinigung Europas hinzuarbeiten. Die Regierungspolitik versuchte zwar, die bestmöglichen Bedingungen für den Beitritt zur EWG auch für das Commonwealth und die EFTA-Länder zu erlangen, aber selbst wenn die hauptsächlich wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth nicht ganz hätten befriedigt werden können, so wäre Großbritannien dennoch beigetreten. Es hätte also das Commonwealth, wenn man so will, fallen lassen oder, wie die rechtskonservative Beaverbrook-Presse es ausdrückte, es verraten. Hier ist vielleicht wieder an die amerikanische Politik zu erinnern, die zwar ein Vereintes Europa wünscht, aber eines, das nach außen schaut, d. h. eine liberale Handelspolitik auch gegenüber Amerika und dem Commonwealth verfolgt. Australien und Neuseeland hatten auf der 11. Ratssitzung des ANZUS-Paktes vom 10. Mai 1962 dem amerikanischen Außenminister Rusk gegenüber ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, daß sie im Falle eines britischen Beitritts zur EWG auf ihre Präferenzzölle verzichten müßten. Rusk hatte geantwortet, es sei das Interesse des Commonwealth und der USA, daß die EWG auch nach dem Beitritt Großbritanniens keine Diskriminierung gegenüber Nichtmitgliedern zeige. Aber ein dauerndes Weitergewähren der bestehenden Commonwealth-Präferenzen würde lebenswichtige Interessen der USA beeinträchtigen, die an einer Liberalisierung des Welthandels interessiert seien. Die USA hätten Großbritannien nicht gedrängt, der EWG beizutreten, sondern sich lediglich zustimmend geäußert. Australien und Neuseeland sollten lieber für freien Welthandel mit den Vereinigten Staaten kämpfen, statt auf Präferenzen zu pochen.
Der australische Handelsminister Mc Ewen hatte darauf am 13. Mai 1962 geantwortet, das Verhalten der USA gegenüber Australien sei nicht das eines Landes, welches seine Märkte anderen gegenüber offen hält. In der Tat sind die Vereinigten Staaten ebenso wie die Commonwealth-Länder weit davon entfernt, einer westlichen Weltfreihandelszone zuzustimmen.
Trotz aller Versicherungen MacMillans, daß das Commonwealth nach wie vor ein Anliegen Großbritanniens sei, hätte ein Eintritt Großbritanniens in die EWG das Commonwealth wirtschaftlich ausgebootet. Man hätte, wenn alles gut gegangen wäre, ein nach außen geschlossenes Wirtschaftssystem Kleineuropas (mit sieben Staaten einschließlich Großbritannien) bekommen, was wirtschaftlich auch den Vereinigten Staaten zu schaffen gemacht hätte. Die Commonwealth-Länder hätten sich neu orientieren müssen, und der politische Vorteil, den die Vereinigten Staaten in einem solchen Wirtschaftssystem der Reichen und Leistungsfähigen gesehen hätten, wäre den Commonwealth-Ländern nicht zugute gekommen. Politisch wären sie fast alle isoliert gewesen und hätten sich ihre eigenen regionalen Sicherheitssysteme schaffen müssen. Für Kanada ist das Bestehen des Commonwealth ein notwendiges Gegengewicht gegen den Sog, den die Vereinigten Staaten immer ausgeübt haben. Australien und Neuseeland würden den Weg weiter gehen, der durch den ANZUS-Pakt vorgezeichnet ist; aber sie wären fortan nur zwei der vielen „Protektorate" der Vereinigten Staaten geworden. Die afrikanischen, asiatischen und westindischen Commonwealth-Länder hätten das Wohlwollen der Vereinigten Staaten gebraucht, um sich gegenüber kommunistischen Angriffen zu schützen.
Atempause für das Commonwealth
Das Commonwealth hat sich seit 1945 rapide verändert, und es besteht keine „Gefahr", daß es, wie Smuts 1949 meinte, jahrhundertelang als Schemen ohne wirkliche Macht dahinvegetieren wird. Es ist viel wahrscheinlicher, daß es in 50 Jahren verschwunden ist. De Gaulles Veto Großbritannien gegenüber auf der Pressekonferenz am 14. Januar 1963 hat noch einmal die Aussicht auf ein längeres Bestehen verbessert.
Die Reaktion auf das Scheitern der Verhandlungen über den Beitritt Großbritanniens zur EWG war, wie man es von den Briten gewohnt ist, maßvoll. MacMillan sagte in einer Fernsehrede am 30. Januar 1963, wenn es möglich gewesen wäre, einen gemeinsamen Markt mit dem Commonwealth zu schaffen, so hätte man dies vor Jahren getan. Aber es sei aus technischen Gründen nicht möglich. Großbritannien werde natürlich mit dem Commonwealth und den Vereinigten Staaten in einer ehrenvollen Partnerschaft weiterarbeiten. Und darum sei Großbritannien entschlossen, der NATO treu zu bleiben. Die Regierung habe gehofft, in Europa eine große Gemeinschaft zu bilden, die den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ebenbürtig gewesen wäre. Der damalige Außenminister Lord Home (heute Premierminister Sir Alec Douglas-Home) sagte in einer Debatte im Unterhaus im Februar 1963: „Wir wollen in Fühlung bleiben mit unseren europäischen Freunden, damit Europa sich in der Zukunft in einer Weise entwickelt, die nach außen schaut, politisch, wirtschaftlich und militärisch; ein Europa, wie es auch die Welt draußen gerne sehen möchte."
Die Reaktion der denkenden und sich äußernden Minderheit, die Briefe an die " Times" schreibt, war nicht sehr einheitlich. Einige forderten Maßnahmen der Regierung, andere meinten, Großbritannien müsse sich jetzt selbst zusammenreißen und einige gaben de Gaulle recht: Großbritannien wäre ein trojanisches Pferd für die Amerikaner gewesen. Industrie, Finanz und Mehrheit der konservativen Partei, die vordem den Eintritt Großbritanniens in die EWG als die einzige Rettung für die stagnierende britische Wirtschaft gesehen hatten, meinten, nun müsse man weiter sehen, es müsse auch so gehen.
Im Commonwealth atmete man erleichtert auf, weil nun die bisherigen Handelsbeziehungen und Vorteile bis auf weiteres erhalten bleiben würden. In New Delhi wurde die Befürchtung geäußert, daß jetzt Europa unter französischer Hegenomie zu kommen drohe und Großbritannien nicht die enge kontinentale Politik abzumildern vermöge. In Kanada forderte Diefen-baker Lagebesprechung, in Australien war nirgends Jubel. Alle Meinungsäußerungen sagten aus, daß ein Beitritt Großbritanniens zur EWG schlecht für das Commonwealth gewesen wäre; trotzdem bedauerte man, daß Großbritanniens Versuch, „europäisch" zu werden und gleichzeitig die Interessen des Commonwealth zu wahren, durch das Veto de Gaulles gescheitert sei.
Harold Wilson, der nach Gaitskells Tod (18. Januar 1963) am 17. Februar 1963 zum Führer der Labour Party gewählt wurde, meinte in einer Rede in Cardiff am 22. Februar 1963, das Vertrauen des Commonwealth müsse erst wieder langsam gewonnen werden. Aber dies scheint mir weder notwendig noch möglich. Es ist nicht notwendig, da die wirtschaftlichen Interessen des Commonwealth einstweilen gesichert sind, da ein gemeinsamer Markt im Commonwealth nach wie vor unmöglich ist und da viele Commonwealth-Länder, Neuseeland voraus, aufgeatmet haben werden. Auf der anderen Seite sind die Commonwealth-Länder gewarnt worden und wissen, daß sie mit einem möglichen Beitritt Großbritanniens immer noch zu rechnen haben. Deswegen ist ein Vertrauen unmöglich. Das beste, was die weißen Commonwealth-Länder tun können, ist sich der Unterstützung der Vereinigten Staaten für einen Beitritt Großbritanniens zu versichern, damit die EWG offener nach außen wird. Eine lose atlantische Verbindung wäre noch die beste Garantie für das Weiterbestehen des Commonwealth.
Der französische Politiker Jean Monnet hat einmal gesagt, daß die Briten nie eine Idee, sondern nur harte Tatsachen begreifen. Oft scheint es aber genau entgegengesetzt zu sein. Der englische Publizist John Mander schrieb: „Dadurch daß Großbritannien die Tatsache des Empire für die Phantasie des Commonwealth eintauschte, hat es seinen Wirklichkeitssinn ernstlich gefährdet." Aber es scheint mir, daß eine starke romantische Seite im englischen Wesen schon immer vorhanden war. Harter Wirklichkeitssinn kann Hand in Hand gehen mit starken Sentimenten, ja Sentimentalität für die entschwundene glorreiche Vergangenheit oder aber auch für die Idee einer noch glorreicheren Zukunft — wie sie Smuts vorschwebte — in Gestalt einer weltumfassenden Friedensgemeinschaft. Diese Sentimentalität kann auch die farbigen Mitgliedstaaten des Commonwealth ergreifen: Die spontane Begeisterung der Volksmenge bei dem Besuch der englischen Königin in Indien war ein Ausdruck dieser merkwürdigen Gemütsbewegung. Da aber Sentimente, Sentimentalität ebenso wie Wirklichkeitssinn politische Faktoren sein können, ist es keineswegs unmöglich, daß das Commonwealth — trotz vieler verächtlicher und sarkastischer Äußerungen selbst in der britischen Presse über dieses „Phantom“ — noch politische Wellen auf dem Meer der Weltpolitik hervorrufen wird.
Die wirklich tiefgehenden Probleme in der Welt, die Überbrückung der Kluft zwischen reichen und armen Völkern, Überwindung des Rassenhasses und der Rassenarroganz, Abrüstung und schließlich politische und wirtschaftliche Freiheit, gehen alle an: die Vereinigten Staaten, die Vereinten Nationen, das Commonwealth, Europa, ja selbst die kommunistischen Staaten. An eine Lösung dieser Probleme ist auf sehr lange Sicht nicht zu denken. Aber die ernste und ehrliche Beschäftigung mit ihnen ist die einzige Hoffnung für die Menschheit. Es ist die Überzeugung derer, die noch an den Wert des Commonwealth glauben, daß keine Weltorganisation so fruchtbringend an ihnen zu arbeiten vermag wie das Commonwealth.