Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Artikel 4 | APuZ 10/1962 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 10/1962 Artikel 1 Artikel 2 Artikel 3 Artikel 4 Artikel 5 Artikel 6 Artikel 7 Artikel 8 Artikel 9 Wirtschaftsübersicht Artikel 11 Artikel 12

Artikel 4

zu richten obwohl einige Mitglieder des Seminars sich mit Skepsis zu diesen Bestimmungen für ein unabhängiges Nigeria äußerten. Die überwiegende Mehrheit betonte jedoch ihrerseits den bleibenden Wert einer Berufungsmög-lichkeit an eine unabhängige Körperschaft außerhalb Nigerias, gab aber zu verstehen, daß es wünschenswert sein würde, die Mitgliedschaft des Rechtsausschusses durch Einbeziehung hervorragender afrikanischer Richter, die mit den örtlichen Verhältnissen und den Feinheiten des Gewohnheitsrechts vertraut sind, zu erweitern. Aber es muß wiederholt werden, daß die Erörterungen, zumindest damals, akademischer Natur waren, denn die Unabhängigkeits-Verfassung erkennt den Rechtsauschuß als endgültige Berufungsinstanz nach dem nigerianischen Obersten Gerichtshof an.

Die Auslegung der Verfassung oder die „Modalitäten" der Auslegung führten in dem Seminar zu den schärfsten Meinungsgegensätzen. Amerikanische Seminarteilnehmer, die der Rolle der Richter des Obersten Gerichtshofes der USA, wie Marshall, Holmes und Brandeis, beträchtliche Achtung zollten und in ihnen „konstitutionelle Staatsmänner" erblickten, machten geltend, daß man in einer Verfassung etwas mehr sehen sollte als nur eine „LebensversicherungsPolice“, und daß es zulässig sein müßte, die Verfassung von Richtern auslegen zu lassen, die die soziologischen Änderungen kennen und sich einer „dauerhaften öffentlichen Meinung" bewußt seien. Ausgangspunkt dieser Argumentation war die Überzeugung, daß die Gerichte in einem Lande, das in schneller Entwicklung und Änderung begriffen sei und dessen Verfassung ein schwieriges verfassungsänderndes Verfahren vorsah, ein, wenn nicht sogar der wichtigste Kanal zur Verfassungsweiterbildung sein müßten. Die Gegenmeinung, die wohl das Erbe der historischen und analytischen Rechtsschule Englands verkörperte, legte den Nachdruck auf die Notwendigkeit, die Auslegung auf das geschriebene Wort, auf die eigentlichen Formulierungen der Verfassung zu beschränken, so wie sie von einem vernünftigen Menschen verstanden werden, der „Wesen und Inhalt" der Verfassung festzustellen versucht. Verfassungsänderungen könnten und sollten nicht von den Gerichten als Verfassungsgesetzgeber vorgenommen werden, sondern nur durch die gesetzgebenden Körperschaften in Übereinstimmung mit dem formal feststehenden Abänderungsverfahren. Dieser Standpunkt wurde in dem Seminar im allgemeinen von Teilnehmern aus den Commonwealth-Ländern verfochten. Häufig wurde betont, daß der nigerianische Richter vor der Wahl zwischen einer „liberalen“ oder „flexiblen" Auslegung auf der einen Seite und einer „strikten" und „starren“ Interpretation andererseits stehen würde.

Die Verfassung von 1954 sah kein Verfahren zur Verfassungsänderung vor, und alle Änderungen erfolgten notwendigerweise durch Anordnung des Kronrats. Die Unabhängigkeits-Verfassung dagegen enthält Bestimmungen über die förmliche Änderung der Verfassung, die nach sehr eingehenden Diskussionen formuliert wurden. Die „fundamentalen" Bestimmungen der Verfassung — über Rechtsprechung, Grundrechte, Verfassungsänderungen usw. — können nur durch eine Zweidrittelmehrheit aller Mitglieder beider Häuser des Bundesparlaments, der die Zustimmung der Gesetzgebungs-Körperschaften in zwei Regionen folgen muß, abgeändert werden Das nächstliegende Vorbild findet sich in den Bestimmungen für die Vorlage und Ratifizierung der Amendments zur Verfassung der Vereinigten Staaten.

Nach der Verfassung von 1954 blieben dem Generalgouverneur weitreichende Vollmachten vorbehalten, die es ihm gestatteten, gewisse Garantien und Bestimmungen der Verfassung zeitweilig außer Kraft zu setzen, um einer Ausnahmesituation Herr zu werden. Gemäß der Unabhängigkeits-Verfassung können verschiedene Bestimmungen der Verfassung in Notstandsfällen ebenfalls außer Kraft gesetzt werden, jedoch nur mit Zustimmung des Parlaments. Wenn man von einer einzigen Empfehlung im Seminar, die Notstandsvollmachten streng zu definieren, einmal absieht, wurde in den Erörterungen des Seminars der Prüfung der Notstandsfrage überraschend geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Man hätte glauben sollen, daß die Erörterung dieser Notstandsvollmachten angesichts der Erfahrungen anderer moderner Staaten mit Kriegsrecht, Belagerungszustand und konstitutioneller Diktatur eine größere Aufmerksamkeit verdient hätte. Letzten Endes kann die wahre Bedeutung der Verfassung an der Leichtigkeit gemessen werden, mit der sie zeitweilig außer Kraft gesetzt werden kann, oder — um mit den Worten eines Beobachters zu sprechen — was man machen kann, „wenn es hart auf hart kommt“.

Das bundesstaatliche System von Nigeria ist, wie bereits bemerkt wurde, das Ergebnis eines allmählichen Entwicklungsprozesses, der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte. Den verschiedensten Einheitsströmungen gelang es, den separatistischen und autonomistischen Druck im Bund als Ganzem Zügel anzulegen und die Grundlage herzustellen, auf der die Macht der Zentralregierung wachsen konnte. Ein sorgfältiger Vergleich der Bestimmungen der Unabhängigkeits-Verfassung und der des Jahres 1954, zusammen mit den späteren Änderungen, ergibt, daß die Befugnisse der Zentralregierung auf ver-schiedenen Gebieten — Handel, Steuern und Außenpolitik — etwas verstärkt wurden. Heute kommen die föderalistischen Züge der Regierungsform im Bunde einmal in den institutionellen Bestimmungen, durch die die Position der Regionen in den verfassungsmäßigen Organen des Bundes anerkannt wird, und zum anderen in der Gewaltenteilung zwischen dem Bund und den Regionen zum Ausdruck.

Um nach den institutioneilen Regelungen Gesetzesvorlagen der Regionen zu ermöglichen, wird den Regionen eine gleiche Vertretung im Senat des Bundes gewährt, und zwar kann jede Region zwölf Mitglieder in den Senat entsenden, so daß die Regionen den größten Teil der Mitglieder des Oberhauses stellen. Dem Obersten Gerichtshof des Bundes, der richterlichen Berufungsinstanz, gehören Kraft ihres Amtes die obersten Richter der Obergerichte der Regionen an. Der Anteil der Regionen am Verfahren zur Verfassungsänderung ist bereits erwähnt worden. Die Regionen sind außerdem in solchen verfassungsmäßigen Körperschaften wie dem Polizeirat und der Kommission für den Justizdienst vertreten. Gemäß den Statuten sind die Regionen auch in den Vorständen verschiedener öffentlich-rechtlicher Gesellschaften, z. B. in der Elektrizitätsgesellschaft Nigerias, in der nigerianischen Hafenbehörde, in der nigerianischen Eisenbahngesellschaft und der nigerianischen Rundfunkgesellschaft vertreten. Dem nationalen Wirtschaftsrat, der die gemeinsame Wirtschaftspolitik festlegt, und dem ihm unterstellten nationalen Planungsausschuß gehören entsprechende Beamte des Bundes und der Regionen als Mitglieder an. Der beratende Ausschuß für Anleihen, der die Aufgabe hat, in-und ausländische Kredite für alle Regierungen zu beschaffen, und der Nationalrat für öffentliche Angelegenheiten, der sich mit Problemen des öffentlichen Dienstes befaßt, setzen sich ähnlich zusammen. Kurz gesagt, es gibt zahlreiche institutioneile Regelungen, von denen einige nach der Verfassung ausdrücklich anerkannt, andere verfassungsmäßig zugelassen sind, durch die die Regionen „vertreten“ sind. Sie sind Teil eines Gefüges, durch das die Beamten des Bundes und der Regionen in Kontakt kommen und ihre Ansichten austauschen können. Aber mit diesen Regelungen sowie mit der allgemeinen Entwicklung und den Problemen des Verwaltungsföderalismus befaßte sich das Seminar nicht besonders eingehend.

Die Frage der Gewaltenteilung

Die Hauptaufmerksamkeit schenkte das Seminar — sowohl in den vorbereitenden Arbeitspapieren als auch in den späteren Diskussionen — der Frage der Gewaltenteilung. Für diese Schwerpunktbildung lassen sich drei mögliche Gründe angeben. Zunächst glaubten die Seminarteil-* nehmer, daß die Auslegung der Verfassungsbestimmungen über die Machtverteilung in vordringlicher Weise die Aufmerksamkeit der Richter und der Justiz in den ersten Monaten nach dem 1. Oktober finden würde. Ein weiterer Grund liegt wohl in der Tendenz in den meisten Commonwealth-Ländern, das Wesen des Föderalismus streng legalistisch aufzufassen, und — da man schließlich die Arbeit im einzelnen etwas willkürlich aufteilen mußte, blieb den Vertretern dieser Arbeitsgruppe hinreichend Zeit, sich mit der Erörterung der Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Teilung der Gewalt zu befassen.

Im großen und ganzen folgt die Aufteilung der Gewalten in Nigeria den australischen und amerikanischen Vorbildern, zumindest insofern, als der größte Teil der Vollmachten der Zentralregierung übertragen wurde, während den Regionen die übrigen Befugnisse verbleiben. Zwei Abweichungen müssen aber erwähnt werden: Einmal gibt es gewisse Befugnisse — z. B. die Bildung einer regionalen Bank —, die den Regionen zufallen. Zweitens werden in verschiedenen Abschnitten der Verfassung ausdrücklich die „konkurrierenden Vollmachten“ des Bundes und der Regionen anerkannt. Diese Bestimmungen erinnern stärker an einige Klauseln der indischen Verfassung oder des Grundgesetzes der deutschen Bundesrepublik als an die Regelungen der Verfassungen Australiens oder der Vereinigten Staaten. Wie dem auch sei, die Autoren der Arbeitspapiere und die nigerianischen Seminar-Teilnehmer interessierten sich vor allem für die australischen und amerikanischen — und in geringerem Umfang für die kanadischen gesetzlichen Regelungen, Präzedenzfälle und Verfahren als Arbeitsmaterial für die künftige Auslegung der nigerianischen Verfassung.

Wie die Verfassung ausdrücklich festlegt, verfügt die Bundesregierung über die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis über das Bankwesen (mit der bereits angeführten Ausnahme), die Auswärtigen Angelegenheiten, die Grundzüge der Verkehrspolitik, die Verteidigung, die Staatsangehörigkeitsfragen, die Ein-und Auswanderung, die öffentlichen Schulden und die Angelegenheiten von Lagos. Der Bund teilt mit den Regionen die konkurrierenden Vollmachten auf den Gebieten des Arbeitswesens, der öffent-lichen Sicherheit und Ordnung, der Industrie-entwicklung, der Straßen, Gefängnisse und der öffentlichen Arbeiten. Als Hauptgebiete verbleiben den Regionen das Gesundheitswesen, die Landwirtschaft und die Erziehung (mit Ausnahme des höheren Erziehungswesens) vorbehalten. Unter Vorbehalt der Priorität des Bundes haben die Regionen das Recht, ihre Befugnisse nach der konkurrierenden Liste wahrzunehmen, falls die Gesetzgebung des Bundes und der Regionen sieh widerspricht und nicht übereinstimmt. Die Mitglieder des Seminars erkannten aber an, daß die Bundesregierung in anderen Bundesstaaten gewöhnlich nicht gezögert hat, auf dem Gebiet der konkurrierenden Befugnisse „Geländegewinne zu machen“.

Besondere Aufmerksamkeit schenkte das Seminar drei Problemen, bei denen die rechtliche Abgrenzung der Befugnisse des Bundes und der mit Sicherheit schwierige Fragen aufwerfen würde. Es handelt sich dabei 1. um die Steuern, 2. um den Handel und 3. um die Erfüllung internationaler Vereinbarungen.

Die Steuererhebung

Die nigerianische Verfassung erkennt konkurrierende Befugnisse auf dem Gebiet der Steuer-erhebung nicht an. Ausgehend von den Empfehlungen einer Reihe von Kommissionen aus der Vergangenheit, wurden in der Verfassung die Befugnisse zur Steuererhebung zwischen dem Bund und den Regionen aufgeteilt. Auf den letzten Verfassungskonferenzen im Jahre 1960 bildete die Befugnis, die Einkommen zu besteuern, die vom Bunde gesammelt und früher den Regionen auf der Grundlage der Steuerherkunft verteilt wurden, einen der bedeutendsten Diskussionspunkte Das Aufkommen aus der bedeutenden Importsteuer wird nun vom Bund erhoben, wobei die Bundesregierung einen Teil selbst behält, während der andere Teil an die einzelnen Regionen nach bestimmten feststehenden Kriterien verteilt wird. Dagegen werden die Exportsteuern zwar ebenfalls vom Bund erhoben, jedoch voll und ganz unter Zugrundelegung der Herkunft an die Regionen verteilt. Das Ergebnis war, daß über 44 Prozent des gesamten erwarteten Steueraufkommens in den Jahren 1960— 61, das von der Bundesregierung kassiert wurde, wieder an die Regionen abgeführt wurden, und daß fast zwei Drittel des gesamten Steuer-einkommens der Regionen im Steuerjahr sich aus Leistungen und Zuwendungen des Bundes ergaben.

Das Seminar schenkte dem Problem der Besteuerung von Regierungsinstitutionen in anderen Bundesstaaten große Aufmerksamkeit. Aufgrund der anscheinend übereinstimmenden Meinung der amerikanischen und australischen Gerichtshöfe wurde die Ansicht vertreten, daß — wenn es auch rechtmäßig sei, daß die Gehälter der Beamten besteuert werden können — „eine Verfassungseinheit des nigerianischen Bundes nicht die Regierung einer anderen Verfassungseinheit steuerlich erfassen kann und daß sie ihre Befugnisse, Steuern von den Beamten einer anderen Verfassungseinheit zu erheben, nicht dazu nutzen darf, der anderen Einheit eine besondere Politik aufzuzwingen.“ Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die Steuererhebungsbefugnisse zur Einflußnahme ausgenutzt werden können und inwieweit die weitgesteckten und bisweilen nicht einheitlichen Präjudizien, die durch die amerikanische Rechtsprechung vorgezeichnet worden sind, die Einbildungskraft der nigeria-nischen Richter beflügeln werden. In jedem Fall wird der nigerianische Richter künftig Fällen gegenüberstehen, bei denen die Steuergesetze — so wie sie von der Legislative festgelegt werden — mit Sicherheit den „zufälligen Nebeneffekt" haben werden, -auch Fragen zu regeln, die ansonsten nicht zur Kompetenz des Gesetz-gebers gehören.

Befugnisse des Bundes über Handel und Verkehr

Allgemein war die Ansicht verbreitet, daß die Abgrenzung der Befugnisse des Bundes über Handel und Verkehr vielleicht die heikelsten Auslegungsprobleme stellen würde. Auch hier lag eine weite Skala der ausländischen Erfahrungen vor, die von der scharf restriktiven Auslegung der Befugnisse der Dominion-Regierung Kanadas auf diesem Gebiet bis zu der großzügigen Interpretation der Handelsvollmächten der Bundesregierung der Vereinigten Staaten reichte. In Nigeria sind die Befugnisse über das Gebiet, das die Gerichte der Vereinigten Staaten unter die Rubrik „Handel“ einordnen würden, in einiger Ausführlichkeit unter den ausschließlichen und konkurrierenden Vollmachten der Bundesregierung aufgeführt. Diese Befugnisse erstrecken sich auf den Luftverkehr, die Eisenbahn, die Überlandstraßen, den Seehandel und die Seeschiffahrt, Post, Telegrafen und Telefon, den Rundfunk und das Fernsehen (mit Ausnahme der von den regionalen Regierungen betriebenen Einrichtungen und „Handel und Verkehr zwischen Nigeria und anderen Ländern“ sowie „zwischen den einzelnen Gebieten“. Man kann sagen, daß 1954 die Übertragung des größten Teils dieser Befugnisse auf die Bundesregierung auf geringe Opposition von Seiten der Regionen stieß, einmal, weil es damals einen nur geringen Handel zwischen den Regionen gab, zum anderen auch, weil „der bekannte Konflikt zwischen den industriellen und den landwirtschaftlichen Regionen sowie zwischen den exportinteressierten und den auf den Inlandmarkt angewiesenen Regionen fehlte" Aber hier ist die Entwicklung in Fluß gekommen, so daß die Unzufriedenheit der Regionen mit der ausschließlichen Bundeskompetenz über den interregionalen Handel und Verkehr sowie die Seeschiffahrt wächst. Dennoch hat die Unabhängigkeits-Verfassung die Vollmachten des Bundes eher verstärkt als geschwächt, indem nämlich eine wichtige Klausel (Artikel 5 8 a), die durch die Verfassungsänderung von 1959 in die Verfassung von 1954 eingefügt worden war, wieder entfernt worden ist. Dieser Passus sah vor, daß „keine Einschränkung des Handels und Verkehrs zwischen den Regionen durch irgendein Gesetz oder in Anwendung irgendeines Gesetzes einer gesetzgebenden Körperschaft in Nigeria erfolgen darf“. Die Bedeutung der Streichung dieser einschränkenden Klausel ist gegenwärtig Gegenstand eines heftigen Meinungsstreites, mithin ein Thema, das auch künftig die Aufmerksamkeit der Gerichte finden dürfte. Diese umfassenden Befugnisse des Bundes auf dem Gebiet des Handels und Verkehrs im Verein mit den bereits dem Bund zustehenden Vollmachten über das Steuerwesen, die Verteidigung, die Kontrolle der Elektrizität und der Patente, des Arbeitsmarktes, der wissenschaftlichen und industriellen Forschung, der Wasserkraft und der statistischen Erhebungen sind eigentlich so weitreichend, daß einige bestehende Zweifel, ob diese Vollmachten nun ausreichen würden, um durch Gesetz einen umfassenden Plan für die wirtschaftliche Entwicklung Nigerias zu untermauern, eigentlich hinfällig sein sollten. Vor allem sollte eine „liberale“ Auslegung der Befugnisse des Bundes über Handel und Verkehr zumindest geeignet sein, die noch bestehenden Schranken abzubauen, die eine Folge der regionalen Kontrolle über das Gesundheitswesen, die Landwirtschaft, die Erziehung und die kommunale Verwaltung sind.

Gültigkeit internationaler Vereinbarungen

Die Überlegungen des Seminars hinsichtlich der internationalen Vereinbarungen kreisten um zwei Fragen: 1. Welche internationalen Abmachungen des Vereinigten Königreichs, die für Nigeria anwendbar sind, sollten nach dem 1. Oktober 1960 noch für Nigeria bindend sein? 2. Wie sollten diese internationalen Abkommen nach dem nigerianischen bundesstaatlichen System erfüllt werden? Gewisse nigerianische Teilnehmer des Seminars glaubten, daß Nigeria nach der Unabhängigkeit frei entscheiden müßte, welche der mehr als 300 anwendbaren internationalen Abkommen für Nigeria bindend sein sollen, da Nigeria seinerzeit als „Kolonie“ an den Verhandlungen nicht teilgenommen hatte. Dennoch wurde von dem Seminar allgemein anerkannt, daß die völkerrechtlichen Regeln über die Staatennachfolge befolgt werden sollten und auch eingehalten werden würden. Wenn es auch Zweifel über die Existenz und die Anwendbarkeit von Präzedenzfällen im Falle einiger dieser Verträge und Abkommen gab, so bestanden doch eindeutig anerkannte und gebilligte Grundsätze des Völkerrechts, die für zahlreiche andere Geltung hatten. Hinsichtlich der Anwendung der Verträge fanden die noch nicht endgültig festgelegten Schranken der Legislative der Vereinigten Staaten und Australiens die gebührende Aufmerksamkeit der Seminarteilnehmer. Aber die nigerianischen Verfassungsbestimmungen folgen nicht den Grundsätzen der Entscheidungen in den Fällen Missouri gegen Holland und Curtiss-Wright Export Corporation, sondern den Entscheidungen des Rechtsausschusses des Kronrates aus dem Jahre 1937 über die internationalen Arbeitsamts-Abkommen Kanadas. Das Bundesparlament Nigerias kann somit ganz eindeutig gesetzgeberisch hinsichtlich der Anwendung der internationalen Abmachungen entscheiden, die ihrem Gegenstand nach unter die Liste der ausschließlichen und konkurrierenden Zuständigkeit fallen. Ebenso sicher aber ist, daß der Bund nicht legislativ über die Verträge und Abkommen entscheiden kann, durch die Vollmachten berührt würden, die ansonsten den Regionen vorbehalten sind, d. h., der Bund kann in solchen Fällen nicht tätig werden ohne eine formelle Billigung oder Mitwirkung von Seiten der Regionen Daher können die Vertrags-vollmachten in Nigeria auch nicht dazu benutzt werden, um die Kompetenzen des Bundesparlaments auszuweiten.

Das Verhältnis von Regierungsparteien und Opposition

Bei den wesentlichen Verfassungsproblemen, die in Nigeria nach der Unabhängigkeit entstanden, ging es um Fragen, die bereits vorher in den politischen Kreisen debattiert wurden, die aber bisher noch nicht von den richterlichen Instanzen untersucht worden sind. Zum Verständnis verschiedener dieser Fragen muß daran erinnert werden, daß die gegenwärtige Regierung unter Führung von Sir Abubakar sich seit den nationalen Wahlen am 12. Dezember 1959 auf die Koalition des von den Haussas und Fulanis beherrschten Volkskongreß (NPC), der im Repräsentantenhaus der Nordregion über eine bedeutende Mehrheit verfügt, und des Nationalkongresses von Nigeria und Kamerun (NCNC) stützt. Die Opposition im Repräsentantenhaus wird von der Aktionsgruppe (AG) gestellt, die weniger locker organisiert ist als die beiden anderen Parteien, und die ihre Schwerpunkte unter den Yorubas der Westregion hat. Im großen und ganzen verfolgte die Koalition in der Innenpolitik einen gemäßigt-evolutionären Kurs. Sie legte den Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Entwicklung im Inneren des Landes und auf eine Politik der „Nichtidentifizierung mit den Blöcken und Mächtegruppierungen“ in der Außenpolitik Die Kontrolle der regionalen Regierungen durch den NPC im Norden, die AG im Westen und den NCNC im Osten ist durch die nationalen Wahlen von 1959 erneut bestätigt worden. Vor allem der Sieg des NPC bei den Wahlen in der Nordregion im Mai 1961 trug einen entscheidenden Charakter und führte zu der fast vollständigen Ausschaltung der Oppositionsparteien in der gesetzgebenden Körperschaft. Da in der Nordregion die Mehrheit der Bevölkerung Nigerias ansässig ist, haben die Ergebnisse dieser Regionalwahl als Mindestfolge die politische Rückendeckung der NPC-Führer auf regionaler und auch auf Bundesebene verstärkt. Mit einem Wort, die Tendenz geht in Richtung auf eine stärkere Beherrschung jeder einzelnen Region durch eine einzige Partei und auf eine zunehmende Bedeutung des NPC auf nationaler Ebene.

Gleichzeitig haben diese Entwicklungen, die ihren Höhepunkt in diesem regionalen Wahlsieg des NPC fanden, die Besorgnisse der Oppositionspartei hinsichtlich der künftigen Verfassungsentwicklung des Landes vermehrt. Diese Besorgnisse wurden noch durch die berechtigte Meinung verstärkt, daß die starke Abneigung der Bevölkerung im südlichen Teil des Landes dazu führte, daß die Bevölkerung des Nordens hinter dem NPC „die Reihen schloß“. Außerdem bewirkte das taktisch kluge Vorgehen gegen Parteien, die südliche Führer und starke Bindungen im Süden hatten, diesen Wahlsieg gerade in einem Gebiet, in dem in kennzeichnender Weise die administrativen und gesellschaftlichen Positionen identisch sind und in dem der Druck der örtlichen Wählerschaft nachhaltig zur Geltung kommt. Nicht nur die Aktionsgruppe sondern auch die Fortschrittspartei des Nordens (NEPU), die wohl eine nördliche Führung, aber starke Bindungen zum NCNC hat, sahen sich als Folge der Wahl zur Einflußlosigkeit verurteilt. Die vorläufige Ausschaltung jeder wirksamen legislativen Opposition im Norden verband sich mit offen ausgesprochenen Befürchtungen über eine Wiederherstellung eines Haus-

sa-Fulani-Reiches in Nigeria, möglicherweise als Teil eines mohammedanischen Commonwealth, mit seiner angeblich autoritären Ausrichtung. Auf Grund dieser Befürchtungen — ob sie nun eine echte Grundlage hatten oder ausschließlich in der Phantasie bestanden — verfolgen die Führer der Aktionsgruppe auf nationaler Ebene mit besonderer Besorgnis ein angebliches Programm, das darauf abzielt, die Aktionsgruppe als eine politische Partei zur Ohnmacht und die Westregion zur Einflußlosigkeit zu verurteilen. Die Entwicklungen seit der Unabhängigkeit, von denen einige auf Verfassungsfragen Einfluß erlangen können, haben in unterschiedlicher Stärke diesen Besorgnissen neue Nahrung gegeben. Da waren zunächst die Versuche, das Bundesgebiet von Lagos zu vergrößern, was notwendigerweise den Umfang der Westregion verringern müßte; dann die Befürchtungen, daß die Befugnisse des Bundes bei der Erhebung von Steuern und vielleicht auch bei der Zuteilung ausländischer Anleihen dazu verwendet werden könnten, die Erziehung und Sozialfürsorge zum Schaden des höheren Standards in der Westregion auf einem nationalen Minimalstand zu halten; ein dritter Grund besteht in der allgemeinen Ablehnung auf Seiten der NPC und des NCNC, neue Regionen (nämlich den Mittelgürtel und die COR-Staaten) aus Gebietsteilen zu bilden, die von der Nord-und von der Ostregion abgetrennt werden müßten, und dies trotz der Vereinbarung aller wichtigen politischen Parteien, einschließlich der Aktionsgruppe, einen Mittel-West-Staat aus Gebieten der Westregion zu bilden; viertens wurde der Vorwurf erhoben, daß die Bürger-rechte der Mitglieder der Aktionsgruppe häufig verletzt und die Yorubas im öffentlichen Dienst des Bundes Diskriminierungen unterworfen seien. Schließlich bleibt noch die Frage der Untersuchung der Nationalbank zu nennen.

Die Notstandsgesetzgebung

Diese Umstände zusammen mit einer tiefen Enttäuschung über die Ergebnisse der nationalen Wahlen im Jahre 1959 und die Bemühungen um eine künftige politische Anhängerschaft könnten teilweise den ansonsten unerklärlichen Kurs des Oppositionsführers Awololo erklären, der nämlich eine abrupte Neuorientierung der Außenpolitik forderte und mit Heftigkeit auf gewisse Maßnahmen der Regierung im Laufe des Jahres reagierte. Ein treffendes Beispiel bietet die Kontroverse um die Auslegung von Artikel 65 der Verfassung, der die Sondervollmachten des Parlaments im Falle eines Notstandes regelt worüber kurz nach Erlangung der Unabhängigkeit ein Meinungsstreit entbrannte. In scharfen Kontroversen in der Presse und im Repräsentantenhaus widersprachen die Führer der Aktionsgruppe nachdrücklich den Auffassungen des Bundesjustizministers und Generalstaatsanwalts Elias und des Ministerpräsidenten der Ostregion Okpara über die Befugnisse der Bundesregierung, die regionalen Parlamente aufzulösen, eine Meinung, die sie mit Artikel 65 unterstützten. Der Ministerpräsident der Westregion, Akintola und Awolo wandten sich in scharfen Stellungnahmen gegen diese Ansichten von Elias und Okpara. Die Streitfrage wurde schließlich in aller Stille fallengelassen, nachdem der Premierminister des Bundes, Sir Abubakar, öffentlich erklärt hatte, daß „alle Regie-rangen des Bundes autonom seien, daß jede . . . klar definierte Funktionen habe, und daß . keine die anderen auflösen kann'“ Angesichts dieser kurzen, aber erbitterten Kontroverse ist es etwas überraschend, daß die endgültige Verabschiedung der Notstandsgesetzgebung, die im Frühjahr 1961 durch das Parlament erfolgte, auf eine geringe Opposition stieß, denn dieses Gesetz bevollmächtigt die Regierung in der Praxis zum Erlaß von Verordnungen, durch die innerhalb der gesetzlich festgelegten Notstands-zeiten Personen inhaftiert und deportiert werden können. Nach dem Gesetz ist weiterhin das „Betreten und Durchsuchen von Wohnungen“ und die „Beschlagnahme von Eigentum und Unternehmungen“ innerhalb dieser Zeitabschnitte dem Bund gestattet. Diese Verordnungen können nur durch Entschließungen des Parlaments wieder außer Kraft gesetzt werden. Die Zustimmung zur Verabschiedung dieser „Verordnungen, Befehle und Richtlinien“ wird in Zukunft unter parlamentarischer Kontrolle ausgeübt werden, und nicht, wie in der Vergangenheit, unter der Oberaufsicht des Generalgouverneurs nach den Vollmachten der Notstandsbefugnisse durch den Kronrat des Vereinigten Königreichs aus den Jahren 1939— 59. Das Notstandsgesetz Nigerias beantwortet auch Jie Fragen über die Notstandsvollmachten, die in dem Seminar für Verfassungsfragen hier und da gestellt wurden.

Der Oberste Gerichtshof

Die beiden Hauptfälle, die zu ähnlichen Auslegungsfragen über die Unabhängigkeits-Verfassung führten, ergaben sich im Zusammenhang mit den Verfassungsbestimmungen über die Menschenrechte. Der befähigte Vertreter der Verteidigung war in beiden Fällen der frühere Generalanwalt der Westregion, Williams. Er gilt seitdem als der Verfechter der Realisierung der verfassungsmäßigen Garantien für die Menschenrechte. In einem dieser beiden Fälle, Queen gegen Amalgamated Press (of Nigeria) Ltd., and Assoc wurde Amalgamated Press als Verleger des „Sunday Express“ beschuldigt, aufwieglerisches Material veröffentlicht und falsche Nachrichten verbreitet zu haben, in der Absicht, die Öffentlichkeit entgegen den Bestimmungen der Paragraphen 51 und 59 des Strafgesetzbuches in eine Aufruhrstimmung zu versetzen. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Paragraphen 51 und 59 des Strafgesetzbuches wurde von dem Obergericht von Lagos, das über den Fall zu urteilen hatte, dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Der Oberste Gerichtshof kam zu dem Schluß, daß diese Paragraphen nicht durch die Artikel 1 und 24 der Verfassung „außer Kraft getreten sind“ und daß sie demnach anwendbar seien Zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangte der Oberste Gerichtshof in dem anderen Fall, der beträchtliche öffentliche Aufmerksamkeit erregt hatte und in den das frühere Mitglied des Repräsentanten-hauses, Dr. Chiki Obi, verwickelt war. Im Zusammenhang mit diesem Fall erörterte der Oberste Gerichtshof mit beachtlicher Ausführlichkeit die rechtliche Bedeutung des Begriffs „Aufwieglung zum Aufruhr“ Obgleich der Oberste Gerichtshof sich in beiden Fällen auf den Standpunkt stellte, daß die Bestimmungen des bestehenden Strafgesetzbuches verfassungsmäßig seien, ist das letzte Wort über die hier aufgeworfenen Rechtsfragen noch nicht gesprochen worden Es ist klar, daß diesen Fällen andere folgen werden, die eine Auslegung der verfassungsmäßigen Garantien der Bürgerrechte durch den Obersten Gerichtshof erforderlich machen werden. Diese Entwicklungen stimmen mit den Voraussagen überein, die in dem Seminar über die künftige Rolle des Obersten Gerichtshofes gemacht wurden.

Zu erwähnen bleiben noch verschiedene Fälle, die entweder bereits rechtshängig geworden sind oder einer weiteren richterlichen Auslegung bedürfen. In dem Fall der Nationalbank liegt eine Klage des ehemaligen leitenden Direktors, Abedayo Doherty, beim Obergericht von Lagos auf einstweilige Verfügung vor, durch die es dem ernannten Bevollmächtigten, Sir Vahe Bairaman, untersagt werden soll, in der Bank eine Untersuchung durchzuführen. Die rechtlichen und verfassungsmäßigen Probleme, die von der Verteidigung aufgeworfen wurden, sind bereits dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt worden. Da die Nationalbank in starkem Maße zur Finanzierung der kostspieligen Wahlkampagne der Aktionsgruppe bei den nationalen Wahlen von 1959 herangezogen worden war und dann von der Regierung der Westregion übernommen wurde, erhoben die Führer der Aktionsgruppe die Beschuldigung, daß hinter der geplanten Untersuchung handfeste politische Motive stehen müßten.

Wichtiger noch sind andere potentielle Probleme hinsichtlich der Auslegung der Verfassung, die schon in der nahen Zukunft dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung unterbreitet werden könnten. Bisher ist dem Obersten Gerichtshof noch kein Fall vorgetragen worden, der die Verfassungsmäßigkeit eines Vertrages zum Inhalt hat. Aber es bestehen viele Ungewißheiten für die Zukunft. Zur Zeit besteht in einigen amtlichen Kreisen Nigerias die Neigung — die Tendenz war auch im Seminar zu erkennen —, den Umfang in Frage zu stellen, in dem Nigeria nach dem einschlägigen Briefwechsel zwischen dem Vereinigten Königreich und Nigeria vom 1. Oktober 1960 gebunden ist, bzw. gebunden sein sollte. Eine neuerrichtete Abteilung im Justizministerium ist jetzt bei der mühseligen Arbeit, die über 300 in Frage kommenden bilateralen und multilateralen Verträge und Abkommen — die genaue Zahl ist noch ungewiß — zu sammeln und zu klassifizieren. Dies alles in einer Zeit, da die Texte einiger dieser Verträge noch nicht einmal im neu organisierten Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Commonwealth-Beziehungen vorliegen. Inzwischen sind aber bereits gewisse rechtliche Fragen entstanden. Zum Beispiel: Verletzt der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Frankreich im Jahre 1961 aus Protest gegen das französische Atomexperiment in der Sahara Frankreichs Rechte und damit Nigerias Verpflichtungen aus einem Abkommen vom Jahre 1923 (das seinerzeit vom Vereinigten Königreich unterzeichnet wurde) über die Benutzung nigerianischer Häfen und Flugplätze? Aber um es noch einmal zu wiederholen: Bisher sind noch keine Fragen im Hinblick auf die Erfüllung von Verträgen an die Gerichte herangetragen worden.

Entgegen anders lautenden Voraussagen ist der Oberste Gerichtshof im ersten Jahr der Unabhängigkeit nicht mit Fällen befaßt worden, die die Befugnisse der Bundesregierung auf dem Gebiet des Handels betreffen. Die Auswirkungen der Annullierung von Artikel 5 8a bleibt daher nach wie vor ohne richterliche Nachprüfung. Ebenso hat es bisher keine Fälle gegeben, die zu einer Auslegung der Steuererhebungsbefugnisse des Bundes und der Regionen geführt hätten. Allerdings hätte die Zahlung von Regionalsteuern für Benzin, das in einem Fall von Fahrzeugen der Bundesregierung benutzt wurde, zu einer Auslegung der Befugnisse der Regionen, regierungseigene Unternehmen zu besteuern, führen können, wenn der Fall weiterverfolgt worden wäre. Eine weitere Frage: Verletzt ein Vertrag zwischen einer regionalen Regierung und einem ausländischen Unternehmer, nach dem eine Abschlagszahlung bei vollendeter Arbeit geleistet und weitere Zahlung für einen mehrjährigen Zeitabschnitt vereinbart werden, die Bestimmungen der Verfassung, die der Bundesregierung die ausschließliche Befugnis geben, „Geldmittel von außerhalb Nigerias für die Zwecke des Bundes und der Regionen zu entleihen . . Bisher sind diese Fragen noch nicht an die Gerichte herangetragen worden. Dies alles bedeutet, daß weder der Oberste Gerichtshof Nigerias noch der Rechtsausschuß des Kronrates im ersten Jahr eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Unabhängigkeits-Verfassung gespielt haben.

Die empirische Basis der Verfassung

Die Verfassung der Vereinigten Staaten, die von dem Verfassungskonvent in Philadelphia im Jahre 1787 ausgearbeitet wurde, ist einmal als das größte Verfassungswerk des menschlichen Geistes bezeichnet worden. Bei offiziellen Anlässen wird in ähnlichen Wendungen von der Unabhängigkeitsverfassung Nigerias gesprochen. In Wahrheit ist die endgültige Formulierung beider Dokumente das Werk von Männern der Praxis, die sich bei ihren langen Arbeiten auf die Lehren der Erfahrung stützten. Beide Verfassungen enthalten Bestimmungen, in denen die Institutionen der repräsentativen Regierung sowie die verschiedenen rechtlichen Grundsätze und Verfahrensweisen formuliert wurden, die zum Teil auf englische Vorbilder zurückgehen, die aber der neuen Umgebung angepaßt wurden. Von Anfang an verfolgten beide Verfassungen das Ziel, Sicherungen gegen die Ausübung willkürlicher und unkontrollierter Macht einzubauen. Dieser Wunsch erklärt solche Institute und Klauseln wie die richterliche Nachprüfung von Gesetzen der Legislative — sei es implizite wie in den Vereinigten Staaten oder ausdrücklich wie in Nigeria —, die geschriebenen Garantien der Menschenrechte und des Föderalismus. In beiden Fällen bestand unter den Verfassungsgebern ein beachtliches Vertrauen in die Gerichte und der Glaube, daß ein geschriebenes Dokument die fundamentalen Rechte enthalten kann.

Es ist verständlich, warum die Richter und politischen Führer Nigerias auch weiterhin mit Interesse auf die anderen Bundesstaaten innerhalb des Commonwealth blicken, ob es sich nun um Monarchien handelt wie in Kanada oder Australien oder um Republiken wie im Falle Indien. Die Bestimmungen in der nigerianischen Verfassung über die Gewaltenteilung und gleiche Vertretung in den Oberhäusern weisen eine gewisse Ähnlichkeit nicht nur mit der amerikanischen sondern auch mit der australischen Verfassung auf. Die verantwortliche Kabinettsregierung, die Beibehaltung der Berufungen beim Kronrat und die Beziehungen der regionalen Regierungen zur Krone weisen ebenfalls auf weitere australische Vorbilder hin. Diese Umstände erklären und rechtfertigen die Tatsache, daß die Teilnehmer an dem nigerianischen Seminar bei der Ausarbeitung und Erörterung der Arbeitspapiere häufig auf australische Präzedenzfälle verwiesen. Es hat somit den Anschein, daß die höchsten Gerichte in Nigeria zumindest in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit zuerst nach Australien, dann nach den Vereinigten Staaten und Kanada und möglicherweise nach Indien blicken, wenn sie über die britischen Erfahrungen hinausgehend nach juristischen Leitsätzen Ausschau halten.

Leichter Trend zur Zentralisierung

Will man die bundesstaatlichen Beziehungen, die ihre Grundlage in der Verfassung haben, überblicken, so muß man sich vergegenwärtigen, daß Nigeria erst in jüngster Zeit durch den Willen einer ausländischen Macht geschaffen wurde und daß Nigeria nach 1914 mehrere Jahrzehnte lang unter einem unitarischen Regierungssystem lebte. Den Lostrennungsund Autonomie-Bestrebungen nach 1946, die ihren Höhepunkt in der Errichtung der „Selbstregierung" in den drei Regionen fanden, sind in den letzten Jahren Zügel angelegt worden. Über die Bindungskräfte des englischen Erbes hinaus — wie Rechtsordnung, verantwortliche parlamentarische Regierungsform und gemeinsame Sprache — zeigten sich weitere Momente, die eine einigende Wirkung hatten. Einige dieser Faktoren sind wirtschaftlicher Natur, so die Rolle der Zentralregierung bei der Weiterleitung der Steuer-einkünfte an die Regionen sowie die Kontrolle der Zentralregierung über die wichtigsten Nachrichtenverbindungen; andere beruhen auf den Befürchtungen der Minderheiten, die den Schutz und die Garantien des Bundes gegen die beherrschenden politischen Gruppen in den Regionen anstreben; weitere Faktoren resultieren aus den Vorteilen der Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den Regionalregierungen in administrativen und anderen Gremien, einschließlich der Gesellschaften; wieder andere Einigungsmomente, diesmal mehr psychologischer Natur, zeigten sich in den weitverbreiteten Forderungen nach schneller „Nigerisation" der höheren Stufen des öffentlichen Dienstes sowie in einem gemeinsamen Stolz auf die nigerianische Kontrolle über die Außenpolitik und die Verteidigungsangelegenheiten; einige schließlich spiegeln die Überzeugung und den Glauben der Parteiführer wieder, die jetzt Ämter bei der Zentralregierung innehaben, daß künftig die einflußreichsten Positionen in Lagos zu finden sind Die nigerianischen Teilnehmer des Seminars haben anscheinend diese Tendenz als wünschenswert bejaht und als unvermeidlich hingenommen, eine Tendenz, die die Gewichte auf der Waagschale, die früher nach der Seite der regionalen Autonomie ausschlug, zu verlagern beginnt. Und wenn man verschiedene der jüngsten Verfassungsänderungen überblickt, die nach den Verfassungskonferenzen im Jahre 1960 vereinbart wurden, so hat es den Anschein, daß sie geeignet sind, die Befugnisse der Bundesregierung eher zu erweitern als einzuschränken. Wenn man aber einmal die Entwicklung Nige-rias nicht mit den bereits erwähnten Bundesstaaten vergleicht, sondern mit den anderen Entwicklungsländern, die einen ungefähr vergleichbaren Wirtschaftsstandard erreicht haben, so können verschiedene Beobachtungen gemacht werden. In Nigeria fehlen eine starke Armee, eine einheitliche Kirche sowie wohlfundierte Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen. Es fehlt ebenfalls ein sendungsbewußter Führer, der im ganzen Lande Widerhall findet. Außerdem fehlt es der weitgehend noch analphabetischen Bevölkerung an größeren Erfahrungen mit den verschiedenen Formen der politischen Mitarbeit, wie bei Wahlen und in der Verwaltungsarbeit. Obgleich die sekundären Interessengruppen allgemein nicht sehr zahlreich und nicht sonderlich wirksam organisiert sind, gibt es einzelne gut-organisierte Verbände wie die nigerianische Anwaltsorganisation, den nigerianischen Lehrerverband sowie die Organisation'der Markt-frauen Zu nennen sind noch die tiefverwurzelten Gruppen auf Stammes-und Traditionsbasis, deren Ansichten im politischen Leben des Landes auf vielfältige Weise ihren Widerhall finden; die aufsteigenden politischen Parteien, die mehr als früher damit beginnen, das Natio-nale anzusprechen, die aber doch nach wie vor ihre Wurzeln in den Stammesgruppierungen der einzelnen Regionen haben, und schließlich die Bürokratie im Bund und in den Regionen, die im unteren und mittleren Dienst fast ausschließlich aus Nigerianern und im gehobenen Dienst aus „Expatriierten" und einem stetig wachsenden Prozentsatz von Nigerianern bestehen. Die grundlegenden politischen Entscheidungen auf nationaler Ebene sind heute weitgehend das Ergebnis der Konflikte und Kompromisse zwischen diesen wesentlichen Gruppen auf der nigeria-nischen politischen Bühne. Dabei werden diese Entscheidungen heute durch die weitverbreitete antikolonialistische Haltung, durch Stammestraditionen und durch die Anforderungen eines raschen technologischen und wirtschaftlichen Änderungs-und Entwicklungsprozesses bestimmt. Hier muß man nach dem Kräftespiel der „Verfassungswirklichkeit" suchen; hier erkennt man die Elemente der „ungeschriebenen Verfassung“.

Viele offene Fragen

Es gibt noch viele nicht beantwortete Fragen, die aber für die Lösungen der „Verfassungsprobleme des Bundes von Nigeria" einmal von Bedeutung sein werden. Denn schließlich ist es die Hauptaufgabe eines jeden Föderalismus, zwischen den Einheitskräften, die für die staatliche Einigung wirken, und den zentrifugalen Bestrebungen, die zur Uneinigkeit führen, das Gleichgewicht herzustellen. Wird es der gegenwärtigen Führung in der Regierung und in den politischen Parteien, die in der Zeit vor der Unabhängigkeit an die Macht kamen, gelingen, das Machtstreben einzelner Nigerianer in der Ära nach der Unabhängigkeit in Schach zu halten? Welchen Einfluß wird das regionale Erziehungssystem auf die Zusammensetzung der politischen Eliten haben? Wie wird sich die schnell anwachsende Zahl der arbeitslosen Schulabgänger auf die Richtung und Stabilität des politischen Systems auswirken? Welche Auswirkungen werden die raschen Fortschritte zur Nigerianisierung auf die Stabilität und Funktionsfähigkeit der höheren Beamtenschaft vor allem in einer Zeit der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung haben? Kann die „Nordorientierung" des öffentlichen Dienstes in der Nordregion mit der Nigerisie-rung auf Bundesebene in Einklang gebracht werden, oder wird hieraus nicht in den kommenden Jahren ein spaltender Faktor entstehen Hat Nigeria mit seinen an sich beachtlichen Voraussetzungen für einen „wirtschaftlichen Start“ den das erforderliche ausgebildete Personal, um eine nationale Wirtschaftsplanung zu fördern und zu erleichtern? Wie werden die Auswirkungen auf die Einheit Nigerias sein, wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung in der Westregion weiterhin schneller vollzieht als in den anderen Regionen? Werden die politischen Parteien, die erst in jüngster Zeit aus Stammesgruppierungen entstanden sind, sich stärker im nationalen als im regionalen Sinne aussprechen und so im Verein mit anderen Institutionen für die politische und soziale Integration wirken? Werden die Tendenzen zur Festigung des „Ein-ParteienSystems" in jeder der einzelnen Regionen ein wirksames Hindernis für ein „Ein-Parteien-System" auch im Bund bilden? Werden die in nordsüdlicher Richtung verlaufenden Verkehrsadern Nigerias eine ebenso einigende Wirkung entfalten wie einst die großen Eisenbahnlinien Kanadas, die vom Osten nach dem Westen ver-liefen? Welche Auswirkungen werden die größere soziale Mobilität und das rapide Anwachsen der Städte auf die Entwicklung von Interessen und Ansichten haben, die nicht auf örtlichen unc’ stammesbedingten Bindungen beruhen? Wirc der Ost-West-Konflikt, der sich bereits bei der inneren Kämpfen in den Gewerkschaften zeigt ernsthafte innenpolitische Auswirkungen haben Werden sich die Entwicklung des Pan-Afrikanismus in seinen verschiedenen Schattierungen unc das Aufkommen des Neutralismus in seinen un terschiedlichen Begründungen als Sprengkräfte im Inneren auswirken? Werden die Befürchtun gen vor dem Wiederaufleben eines Haussa Fulani-Reiches und vor der Bildung eines Corn monwealth der mohammedanischen Staaten ein allgemeine Ungewißheit im Süden Nigerias nod verstärken?

Die einfache Aufzählung dieser Fragen läßt dit Grenzen erkennen, die der Erreichung ideale Ziele in Nigeria gesetzt sind. Schon Spence sprach von der Ermordung eines schönen Ideal durch ein Bündel brutaler Tatsachen. Der be fähigte nigerianische Premierminister, Sir Abu bakar, sagte in seiner Ansprache zur Eröffnung des Seminars im August 1960, daß das Beste der Feind des Guten sei. Für Sir Abubakar be steht das Gute wahrscheinlich in folgendem: ir dem endgültigen Übergang von einem abhängigen zu einem unabhängigen Status mit einem System, das in seinen Grundzügen demokratisch ist; in einer geachteten und gebilligten geschriebenen Verfassung, die praktisch wirksame Sicherungen gegen jede willkürliche Ausübung der Gewalt enthält; in einem deutlich erkennbaren stetigen Vordringen des Föderalismus, wobei — zumindest in der unmittelbaren Gegenwart — die einigenden und integrierenden Faktoren sich ständig verstärken und schließlich in der Entfaltung einer lebensfähigen Wirtschaft, die allmählich das Realeinkommen der anwachsenden Bevölkerung erhöhen kann und auf diese Weise das wirtschaftliche Fundament für eine stabile verfassungsmäßige Regierungsform bilden könnte. Die Hindernisse auf dem Wege zu diesen Zielen sind riesengroß, aber in stärkerem Maße als in irgend einem anderen Lande südlich der Sahara bestanden und bestehen in Nigeria die Möglichkeiten zur Erreichung dieser Ziele.

Anmerkung:

R. Taylot Cole, Prof, an der Duke-Universität, Dur-ham/North Carolina.

Wirtschaftsübersicht

Genossenschaftswesen Die Genossenschaften spielen im sozialen und wirtschaftlichen Leben Nigerias eine bedeutende Rolle. Sie ermöglichen kleinen Händlern und Bauern eine Existenz und fördern in den ländlichen Gemeinden das Sparen. Die verstärkte Ausfuhr von Rohstoffen und der Anstieg des Lebensstandards in den letzten Jahren haben zu einer beachtlichen Zunahme der Zahl der Genossenschaften geführt, vor allem der Absatz-, Sparund Kreditgenossenschaften, und zwar: 1947 1958 Landwirtschaftliche Genossenschaft .... 242 1 243 Spar-u. Darlehnsgenossensch. 265 293 Sparu. Kreditgenossensch. 141 1 093 Sonstige................................. 44 312 insgesamt: 692 2 941 Cesamtmitgliederzahl: . . 39 661 157 103

Von 1947 bis 1949 wurden vier Absatzämter für die wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse, wie Ölpalmprodukte, Erdnüsse, Kakao, Baumwolle errichtet Auf der Londoner Konferenz von 1953 wurde beschlossen, diese durch ein »Allzweck-Amt“ in jeder Region zu ersetzen. Diese befassen sich zusätzlich auch mit dem Absatz von Sojabohnen, Grapefruit und Bennüssen.

Hauptaufgabe der Absatzäwter ist: Stabilisierung der Erzeugerpreise, Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der verschiedenen Land-wirtschaftszweige, Finanzierung von Forschungsarbeiten.

Die „Nigeriau Produce Marketing Company Ltd“ ist für die Ausfuhr der Erzeugnisse zuständig und schreibt die Qualitätsnormen vor. Sie überweist die gesamten Einnahmen, abzüglich der angefallenen Ausgaben, an die regionalen Absatzämter. Die regionalen „Allzweck-Ämter" übernahmen das Grundkapital der früheren Ämter. 1957 wurde dieses auf 29 Mill. Pfund in der Nordregion, 11 Mill. Pfund in der Ost-region und 35 Mill. Pfund in der Westregion geschätzt.

Bodenschätze Nigeria ist reich an Rohstoffen. Es steht mit etwa 5 % an sechster Stelle in der Weltproduk Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers aus dem Afrika-Bulletin Nr. 45, vom 7. November 1961. tion an Zinn, das im Norden in der Jos-Hochebene gewonnen wird. Jahresdurchschnitt: 13 000 Tonnen. Die internationale Zinn-Kommission verpflichtete 195 8 die Produktionsländer zu einer 4Oprozentigen Reduzierung der Förderung.

Auch 75*/o des Weltbedarfs an Columbit wird von Nigeria bestritten. Columbit ist ein Metall, das zur Stahlhärtung dient.

Kohle wird in der Ostregion gefördert. Die Förderung erreichte 1958 rund 925 000 Tonnen, die hauptsächlich dem Inlandsbedarf dienen.

Absatz-----B-l-e--i, ---Z-i-n--k---u--n-d---Gold werden in kleineren Mengen 1 243 gefördert.

Erdöl-Quellen sind in Ost-Nigeria vorhanden. Von dem größten Ölfeld nach der Hafenstadt Port Harcourt wurde eine Ölleitung gelegt. Ende 1958 erreichte der Export bereits nahezu 12 Mill. DM. Eine neue Erdöl-Quelle wurde auch in West-Nigeria entdeckt.

Der Bergbau untersteht der Föderationsregierung. In die Tantiemen teilen sich die Regierungen der Föderation und der Regionen; der größte Anteil entfällt auf die Ursprungs-Region.

Industrie Die industrielle Entwicklung befindet sich noch im Anfangsstadium. Die meist kleinhandwerklichen Betriebe (bis 10 Beschäftigte) befassen sich mit der Weiterverarbeitung heimischer Rohprodukte, Entkernung von Baumwolle, Herstellung von Baumwollstoffen, Palmölgewinnung durch Ölmühlen, Herstellung von Sperr-und Furnierholz, Produktion von Fruchtsäften und alkoholfreien Getränken.

Nur 40 000 der 450 000 Beschäftigten gehören Großbetrieben an, so dem Bergbau und der Energiewirtschaft, usw.

Großbritannien ist der beste Nigerias, es folgen Holland und die Bundesrepublik Deutschland. Großbritannien ist auch der bedeutendste Lieferant, es folgen Japan und die Bundesrepublik Deutschland.

Die industriellen Handwerker werden von der Regierung in bezug auf Technik und Ausdehnung der Betriebe weitgehend unterstützt.

Zu den bedeutendsten Betrieben gehören: 1 Sägewerk in Sapele — Westregion 1 Sperrholzfabrik in Sapele — Westregion 1 Spinnerei und Weberei —Nordregion 1 Zementfabrik —Ostregion je 1 Zigaretten-Fabrik in Ibadan, Port-Harcourt, Zaria je 1 Brauerei in Apapa und Aba 1 Textilfabrik in Kaduna Konservenfabriken Seifenfabriken 1 Plastikfabrik Möbelfabriken 1 Fabrik für Werkzeugmaschinen 4 Werften Energieversorgung Einer Elektrizitätsgesellschaft (Körperschaft öffentlichen Rechts) untersteht als einziger Behörde die Stromerzeugung und -Verteilung, sowie der Ausbau des öffentlichen Versorgungsnetzes. Sie bezieht den Strom von zwei Privat-Gesellschaften, von denen die eine Strom aus Wasserkraft für den Zinn-Bergbau in Jos in der Nord-Region erzeugt, die andere ihre Sägewerkein Sapele in der West-Region beliefen 1958/59 wurden insgesamt 242 Mill. kW erzeugt. Entwicklungsbehörden Diese bestehen in Form von Körperschaften öffentlichen Rechts in der Föderation und den Regionen und sollen in den jeweiligen Gebieten die wirtschaftliche Entwicklung durch neue Industrie-Betriebe, durch den Ausbau der Straßen, Landbesiedlung und durch Forschungen fördern. Sie werden von den Absatzämtern finanziert. Es handelt sich um folgende: „Federal Loans Board"

„Northern Region Development Corporation'„Eastern Region Development Corporation“ „Western Region Development Board“ „Western Region Finance Corporation“ „Lagos Executive Development Board“, der die britische Gesellschaft für koloniale Entwick-

lung Anleihen in Höhe von 1, 25 Mill. Pfund zur Verfügung stellte.

Kapital für die industrielle Entwicklung kommt ferner von der „Investment Corporation of NigeriaLtd" mit Unterstützung der „Commonwealth-Entwicklungs-Finanzierungsgesellschaft , sowie von den kürzlich in der Ost-und Nord-Region gegründeten Entwicklungsgesellschaften. Finanzen Währung: 1 nigerianisches Pfund = 1 Pfund Sterling. Nigeria ersetzt die westafrikanische Währung durch eine eigene Währung. Die ersten nigerianisdien Noten wurden am 1. Juli 1959 ausgegeben.

Das Bankwesen: Das Bankwesen untersteht dem Bankgesetz von 1952, das die Genehmigungs-pflicht für alle Banken, sowie ein Mindeststammkapital von 25 000 Pfund vorschreibt, von dem mindestens 12 000 Pfund in bar aufgebracht werden müssen.

Die „Zentralbank von Nigeria“ wurde 1959 gegründet. Die bedeutendsten Banken sind: „Bank of British West Africa Ltd“, „Barclays Bank D. C. O. Ltd", „British and French Bank Ltd". „National Bank of Nigeria Ltd“, „Merchants Bank Ltd“.

Daneben gibt es eine Postsparkasse und zwei Genossenschaftsbanken, eine in der Ost-und eine in der West-Region. Öffentliche Finanzen:

Im Anschluß an die Londoner Verfassungskonferenz von 1957 wurde eine Finanzkommission eingesetzt. Die Regionen erhielten einen festgesetzten Prozentsatz der Einfuhrund Ausfuhr-Zölle, der Verbrauchssteuern, der Einkommensteuern, der Bergbau-Tantiemen und anderer kleinerer Einnahmen.

Die Annahme des Berichts führte zu einer teilweisen Neuaufteilung der Einnahmen.

Außenhandel:

Das Schwergewicht des Exports liegt heute auf England, Amerika und Benelux. Für den Handel in beiden Richtungen: Japan, Bundesrepublik Deutschland und Italien.

Zwischen 1948 und 1958 konnte der Export wertmäßig verdoppelt werden, während sich der Import vervierfachte.

Gemäß den Planungen und in Verbindung mit Investierungen und Infrastruktur soll ab 1965 der Export von Kakao, Baumwolle, Kautschuk und Holz wesentlich erhöht werden. Dies kann jedoch nur unter der Voraussetzung einer Stabilisierung der Weltmarktpreise, sowie eines Ausgleichs des Commonwealth mit der EWG möglich werden.

Zweite Voraussetzung sind weitere Investierungen des Auslandes. Nachstehend Übersicht derselben von 1953 bis 1958:

National-Einkommen Gemessen an dem Durchschnittseinkommen in den westeuropäischen Ländern, das sich hier auf 207 Pfund pro Kopf der Bevölkerung beläuft, ist dasselbe in Nigeria gering. Es stieg in den letzten Jahren von 21 auf 30 Pfund Sterling. Trotzdem liegt es höher als zum Beispiel in Äthiopien, Liberia, Indien und Pakistan. In den meisten afro-asiatischen Ländern liegt der Durchschnitt bei 50 Pfund. In der Südafrikanischen Union jedoch bei 124 Pfund.

Das gesamte National-Einkommen Nigerias erhöhte sich von 1950 bis 1957 um 4 °/0 pro Jahr, das ergab für 1957 ein Einkommen von 812, 3 Mill. Pfund, eine für afrikanische Verhältnisse beachtenswerte Summe, in der der Produktionsanteil für die Selbstversorgung der bäuerlichen Familien nicht enthalten ist.

Aufteilung:

Landwirtschaft, Viehzucht, Forsten und Fischfang .... 501, 0 Mill. Pfund Bergbau, Handwerk und Industrie...................................... 14, 5 „ „ Bauwirtschaft, Dienstleistungen, Banken undVersicherungen . 139, 1 „ „ Grund und Boden, Zölle, Handel........................................................ 44, 9 „ Zinsen und Guthaben im Ausland............................... 6, 9 „ „ Abzüglich Dividenden an Personen imAusland .... 7, 5 „ Brutto-National-Einkommen............................................................ 812, 3

Aufteilung der staatlichen Ausgaben und Investierungen:

Agrikultur................................................. 50, 5 % Forsten......................................................... 3, 25°/« Viehzucht................................................... 8, 0 0/o Transportwesen....................................... 14, 5 #/o Industrie............................................ 18, 25 0/0 Regierungsdienststellen.............................. 5, 5 °/o

Arbeitsfragen Die meisten Nigerier sind Kleinbauern, die neben Nahrungsmitteln für den eigenen Bedarf und der Belieferung der einheimischen Märkte auch noch für den Export Palmöl und Palmkerne, sowie Erdnüsse und Baumwolle erzeugen.

Am 30. September 1957 betrug die Zahl der Lohnempfänger in Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten:

Landwirtschaft, Forsten, Fischerei . 42 680 Bergbau, Steinbrüche...................... 53 630 Verarbeitende Industrie............................. 31 574 Baugewerbe............................................ m 208 Handel........................................................... 5656, Verkehr.................................................................. 45 032 Öffentlicher Dienst............................ 123 882

Arbeiterorganisationen Arbeitsverhältnisse, Arbeiterwohlfahrt und Gewerkschaften unterliegen der konkurrierenden Gesetzgebung durch die Zentralregierung und die Regionalregierungen. Nigeria hat die Grundsätze der Internationalen Arbeitskonvention hinsichtlich des Rechts auf Zusammenschluß und der Regelung von Arbeitsstreitigkeiten anerkannt. Ende 1957 gab es 297 Gewerkschaften mit 232 953 Mitgliedern. Außerhalb des öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Körperschaften gab es nur wenige ständige Verhandlungsorgane. Als Nachfolger der beiden früheren nigerianischen Arbeiterorganisationen auf Landesebene wurde 1959 der Gewerkschaftskongreß von Nigeria gegründet.

In einigen Großbetrieben gibt es beratende Ausschüsse. Arbeitsrecht Für allgemeine Arbeitsfragen in Nigeria ist das Arbeitsrecht verbindlich, das sich auf entsprechende britische Gesetze stützt. Es regelt Fragen des Arbeitsverhältnisses, der gesundheitlichen Betreuung, der Wohlfahrt usw. Für Unfallentschädigung ist das Gesetz über die Arbeiterunfallversicherung und für Fabrikarbeiter das Fabrikgesetz maßgebend.

Entwicklungsaufgaben Ein großer Teil des Staatsbudgets steht jährlich für die Entwicklung in den Regionen zur Verfügung. Auch die Institute für landwirtschaftliche Forschung, für Forsten und für das Veterinärwesen bemühen sich um die rationelle Nutzbarmachung des Landes.

An erster Stelle steht die Regulierung des gesamten Wasservorkommens.

Planungen: — In den kommenden fünf Jahren sollen die Wasserkräfte des Niger und des Kaduna durch entsprechende Anlagen nutzbar gemacht werden.

— Spezialisierung in der Agrarkultur. — Anwendung von Düngemitteln (bisher fast unbekannt).

— Systematischer Kampf gegen Insekten und Parasiten.

— Verbesserung der Lagerung und Konservierung von Lebensmitteln.

— Modernisierung des Transportwesens.

— Verbesserung des Kreditwesens.

— Erteilung staatlicher Lizenzen, um langfristige Investierungen herbeizuführen.

— Politik finanzieller Sicherheit.

— Politik fiskalischer Stützung.

Die industrielle Entwicklung ist weitgehend von den Weltmarktpreisen für Rohstoffe abhängig.

Der Ausbau der weiterverarbeitenden Industrie ist notwendig, um Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn dann aber Energiequellen und ungelernte Arbeitskräfte genügend vorhanden sind, wird es an qualifizierten Arbeitern und Technikern fehlen.

Nachiorderungen dei Beilagen aus Politik und Zeitgeschichte sind an die Vertriebsabteilung DAS PARLAMENT. Hamburg 36, Gänsemarkt 21/23, zu richten. Abonnementsbestellungen der Wochenzeitung DAS PARLAMENT zum Preis von DM 1, 89 monatlich bei Postzustellung einschließlich Beilage ebenfalls nur an die Vertriebsabteilung Bestellungen von Sammelmappen für die Beilage zum Preise von DM 6, — pro Stück einschließlich Verpackung zuzüglich Portokosten . an die Vertriebsabteilung, Hamburg 36, Gänsemarkt 21/23, Telefon 34 12 51.

Die „Rockefeller Stiftung" unterhält ein Büro in Lagos. Besonders in England bemüht man sich um die Publizierung der Entwicklungsmöglichkeiten, denn die Zukunft des Landes hängt von der Höhe der Investierungen ab. Um jedoch die Anzahl der bisher vorhandenen Arbeitsplätze nur um 1 % erhöhen zu können, müßten 90 Millionen investiert werden. Die ausländischen Beteiligungen ergaben bisher nur 25 °/o der Gesamtinvestierungen. Die nigerianischen Finanziers haben sich der schnelleren Profite wegen HERAUSGEBER: nicht der aufzubauenden Industrie, sondern hauptsächlich dem Handel zugewandt.

Trotz seiner großen Mannigfaltigkeit hat Nigeria ein Gefühl der Einheit entwickelt. Die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und der Ausbau des Verkehrs-und Nachrichtenwesens haben das Land nicht nur dem Handel und Fortschritt geöffnet, sondern auch den freien Kontakt zwischen den Völkern ermöglicht. -Heute ist Nigeria von allen Teilen der Welt auf dem See-und Luftweg leicht erreichbar. Die natürlichen Hindernisse — die Wüste im Norden, eine sumpfige Küste im Süden und ein allgemein ungesundes Klima — sind überwunden worden.

BUNDESZENTRALE FÜR HEIMATDIENST BONN/RHE 1N, KÖNIGSTRASSE 85

Fussnoten

Fußnoten

  1. Artikel 114.

  2. Artikel 4. Die Abänderung der grundrechtlichen Bestimmungen der regionalen Verfassungen bedarf ebenfalls der Billigung beider Häuser der Regio-nal-Parlamente durch eine entsprechende Resolution. Artikel 5.

  3. Vergl. Artikel 7 der Verfassung von 1954 und Artikel 70 der Verfassung von 1960.

  4. Charles, a. a. O„ S. 16— 17.

  5. Davies, a. a. O., S. 9.

  6. Verfassung, Artikel 69.

  7. Vgl. die Thronrede (des Generalgouverneurs), House ot Representatives Debates (Tägliche Berichte), 29. März 1961, S. 598, vergl. Kapitel „Nigerianische Außenpolitik“ von Prof. Gray Crowan.

  8. Vor allem seine Befürwortung eines Beitritts Nigerias zur Ghana-Guinea-Mali-Union nach einer überraschenden Reise nach Ghana im Sommer 1961, vergl. «Daily Express", 14. Juni 1961, S. 1— 2; ebenda, 29. Juni 1961, S. 7; für seine Ansichten in Awo, a. a. O., S. 310— 312.

  9. Die entsprechenden Bestimmungen in Artikel 65 lauten:

  10. . Daily Express’, 13. Oktober 1960, S. 1.

  11. ebenda, 30. November 1960, S. 1.

  12. . Daily Times', 7. November 1960, S. 1.

  13. House oi Represenlatives Debetes (Tägliche Berichte), 30. März 1961, S. 610— 612. Es kann hinzugefügt werden, daß in der Vergangenheit von den Notstandsvollmachten außer in Kriegszeiten kein Gebrauch gemacht worden ist.

  14. Mit der freundlichen Genehmigung von Richter G. B. A. Coker vom Obergericht in Lagos wurde dem Verfasser eine schreibmaschinen-geschriebene Abschrift dieses Falles zugänglich gemacht.

  15. Queen gegen Amalgamated Press (of Nigeria) limited and Assoc. FSC 99/1961.

  16. Director of Public Prosecutions gegen Chiki Obi, FSC 56/1961.

  17. Dem Antrag der Verteidigung, die Berufung m diesem Falle beim Rechtsausschuß des Kron-ates zuzulassen, wurde stattgegeben. Bei den Ver Handlungen hatte die Anklagevertretung geltend gemacht, daß die «Entscheidungen des Gerichtshofs in Verfassungsfragen endgültig sind“. . Daily Times“ 4. Juli 1961, S. 1.

  18. . Daily Express', 20. Juni, S. 1 und 12. Juli, S. 1; vergl. . Westairican Pilot", 12. Juli, S. 1.

  19. Siehe oben. Im Hinblick auf den Inhalt dieser Schreiben machte einer der Beamten des Justizministeriums geltend, daß die clausula rebus sic stantibus angewendet werden könnte, um den . ursprünglichen Fehler* zu korrigieren.

  20. Verfassung, Punkt 5 der »ausschließlichenGesetzgebungsliste'im Plan.

  21. Siehe Kapitel »Die Ausbreitung des Föderalismus in Nigeria'.

  22. Obwohl das Problem der Interessentengruppea in Nigeria in der Vergangenheit kaum untersucht worden ist, werden jetzt zwei Studien über ale Organisationen der Marktfrauen vorbereitet.

  23. Siehe Kapitel „Die Bürokratie in der Übergangszeit“.

Weitere Inhalte